Leitsatz (redaktionell)
Die nach AVG § 25 Abs 2 (= RVO § 1248) erforderliche mindestens einjährige Arbeitslosigkeit wird auch durch eine auf Krankheit beruhende Arbeitsunfähigkeit unterbrochen. Eine solche Unterbrechung ist aber unschädlich, wenn sie die Gesamtdauer von 3 Monaten (oder 75 Arbeitstagen) nicht überschreitet.
Normenkette
AVG § 25 Abs. 2 S. 1 Fassung: 1957-02-23; RVO § 1248 Abs. 2 S. 1 Fassung: 1957-02-23
Tenor
Auf die Revision des Klägers wird das Urteil des Landessozialgerichts Berlin vom 11. August 1965 dahin geändert, daß die Beklagte dem Kläger das vorzeitige Altersruhegeld schon vom 1. Dezember 1964 an zu gewähren hat; im übrigen wird seine Revision zurückgewiesen.
Die Beklagte hat dem Kläger die Hälfte der außergerichtlichen Kosten des Rechtsstreits zu erstatten.
Gründe
Der im Juli 1902 geborene Kläger beantragte am 12. Mai 1964 vorzeitiges Altersruhegeld nach § 25 Abs. 2 des Angestelltenversicherungsgesetzes (AVG). Die Beklagte lehnte diesen Antrag ab, weil der Kläger nicht mindestens ein Jahr lang ununterbrochen arbeitslos gewesen sei (Bescheid vom 27. August 1964). Während des maßgeblichen der Antragstellung unmittelbar vorausgehenden Jahreszeitraumes - in dem er bei dem zuständigen Arbeitsamt als arbeitsuchend gemeldet war -, war der Kläger zu folgenden Zeiten arbeitsunfähig krank:
vom 1. Mai 1963 bis 26. Mai 1963,
vom 18. November 1963 bis 20. Dezember 1963,
vom 4. Februar 1964 bis 28. April 1964.
Seine Klage hatte keinen Erfolg.
Während des Berufungsverfahrens gewährte die Beklagte dem Kläger vom 1. April 1965 an das vorzeitige Altersruhegeld; der Rechtsstreit beschränkte sich nunmehr darauf, ob es ihm auch für die Zeit vom 1. Mai 1964 bis 31. März 1965 zusteht. Das Landessozialgericht (LSG) hielt den Anspruch insoweit für unbegründet: Nur eine vorübergehende Arbeitsunfähigkeit von geringer Dauer könne außer Betracht bleiben. Im vorliegenden Falle erübrige sich eine Abgrenzung dessen, was unter geringfügiger Unterbrechung der Arbeitslosigkeit zu verstehen sei; denn allein schon die Krankheitszeit vom 4. Februar 1964 bis 28. April 1964, fast drei Monate, sei, gemessen an dem vom Gesetz geforderten Zeitraum von einem Jahr ununterbrochener Arbeitslosigkeit, keinesfalls als geringfügige Unterbrechung anzusehen. Das LSG ließ die Revision zu (Urteil vom 11. August 1965).
Der Kläger legte dieses Rechtsmittel frist- und formgerecht ein, mit dem Antrag (sinngemäß),
das angefochtene Urteil aufzuheben und die Beklagte zu verurteilen, ihm vorzeitiges Altersruhegeld schon vom 1. Mai 1964 an zu gewähren.
Er rügt die unrichtige Anwendung des § 25 Abs. 2 AVG und meint, bisher sei höchstrichterlich noch nicht eindeutig entschieden worden, wie lange eine die Arbeitslosigkeit unterbrechende Arbeitsunfähigkeit infolge Krankheit dauern dürfe, um noch im Sinne des § 25 Abs. 2 AVG als geringfügig angesehen werden zu können. Der Zweck dieser Bestimmung werde in sein Gegenteil verkehrt, wenn solche Versicherten, die während des maßgeblichen Jahreszeitraumes für längere Zeit erkrankt seien, das vorzeitige Altersruhegeld nicht erhielten. Es sei zwar berechtigt, ihnen eine längere Aushilfstätigkeit entgegenzuhalten; denn sie lasse entgegen dem vermuteten Altersabbau die Arbeitsfähigkeit des Versicherten erkennen. Das Gegenteil aber folge aus längeren Krankheitszeiten und dadurch bedingter Arbeitsunfähigkeit des Versicherten während der vom Gesetz verlangten einjährigen ununterbrochenen Arbeitslosigkeit.
Die Beklagte, die in der mündlichen Verhandlung vor dem Revisionsgericht den Anspruch des Klägers vom 1. Dezember 1964 an anerkannt hat, beantragt die Zurückweisung der Revision, soweit vorzeitiges Altersruhegeld auch für die Zeit vom 1. Mai 1964 bis zum 30. November 1964 verlangt wird.
Die Revision ist zulässig, aber nur teilweise begründet. Der Kläger hat erst für die Zeit vom 1. Dezember 1964 an Anspruch auf vorzeitiges Altersruhegeld nach § 25 Abs. 2 AVG.
Was unter den Begriffen "arbeitslos" und "ununterbrochen" im Sinne des § 25 Abs. 2 AVG zu verstehen ist, hat das Bundessozialgericht (BSG) in zahlreichen früheren Entscheidungen dargelegt (vgl. BSG 14, 54; 23, 222; 25, 105). Nach der nunmehr ständigen Rechtsprechung des BSG wird die Arbeitslosigkeit durch jede Arbeitsunfähigkeit, also auch durch eine auf Krankheit beruhende Arbeitsunfähigkeit ebenso wie durch jede Erwerbstätigkeit unterbrochen. Eine derartige Unterbrechung beeinträchtigt jedoch den Anspruch auf Gewährung des vorzeitigen Altersruhegeldes nur dann, wenn die Gesamtdauer der Unterbrechung die in § 25 Abs. 2 Satz 4 AVG i.V.m. § 4 Abs. 2 Buchst. a AVG gekennzeichneten zeitlichen Grenzen (3 Monate oder 75 Arbeitstage) überschreitet (vgl. BSG 25, 105; Urteil des erkennenden Senats vom 30. August 1966 - SozR zu § 1248 der Reichsversicherungsordnung - RVO - Nr. 43 sowie Urteil des 11. Senats vom 23. Mai 1967 - 11 RA 14/66 -). Wenn der erkennende Senat in den Gründen seiner oben genannten Entscheidung erwähnt, Arbeitslosigkeit bedeute einen tatsächlichen Zustand, so doch nur im Zusammenhang mit und zur Hervorhebung des Gegensatzes zu einem Beschäftigungsverhältnis als einem Rechtsverhältnis. Ebenso wie der 11. Senat in seinem erwähnten Urteil ist auch der erkennende Senat der Ansicht, daß der Anspruch auf vorzeitiges Altersruhegeld eine "echte" Arbeitslosigkeit voraussetzt und der Nachweis einer einjährigen Nichtvermittlung oder Nichtvermittelbarkeit nicht genügt. Eine "echte" einjährige Arbeitslosigkeit liegt aber nur dann vor, wenn die nach dem Gesetz zulässige Unterbrechung nicht länger als drei Monate gedauert hat. Wie der erkennende Senat bereits entschieden hat (aaO), sind hierbei wiederholte Unterbrechungen - sei es durch Krankheit, sei es durch Erwerbstätigkeit - im Laufe des maßgeblichen Jahreszeitraumes zusammenzurechnen.
Wenn der Kläger meint, der Zweck des § 25 Abs. 2 AVG werde in sein Gegenteil verkehrt, wenn solchen Versicherten, die während des maßgeblichen Jahreszeitraumes für längere Zeit erkrankt seien, das vorzeitige Altersruhegeld nicht gewährt werde, so verkennt er, daß es nicht als Rente für leistungsbehinderte Versicherte gedacht ist, sondern ausschließlich denjenigen über 60 Jahre alten Versicherten zugute kommen soll, die - wie der Senat bereits in seinem Urteil vom 23. März 1966 (BSG 24, 290) dargelegt hat - auf unabsehbare Zeit aus dem Arbeitsleben ausgeschieden sind, obwohl sie arbeitsfähig und arbeitswillig sind und dies durch einjährige vergebliche Bemühungen um eine Arbeitsstelle bewiesen haben. Das Gesetz vermutet bei ihnen, daß sie wegen ihres Alters nicht mehr vermittelt werden können. Für leistungsbehinderte Versicherte dagegen sieht das Rentenversicherungsrecht die Berufsunfähigkeitsrente oder die Erwerbsunfähigkeitsrente vor.
Nach den Feststellungen des LSG ist die Arbeitslosigkeit des Klägers seit dem 21. Dezember 1963 - d.h. nach Beendigung seiner diesem Zeitpunkt vorausgegangenen Erkrankungen - bis zur Gewährung des vorzeitigen Altersruhegeldes (1. April 1965) abgesehen von seiner Krankheit in der Zeit vom 4. Februar 1964 bis 28. April 1964 nicht mehr unterbrochen worden. Diese Unterbrechung infolge Krankheit ist jedoch unschädlich, weil sie - für sich allein genommen - nicht länger als drei Monate gedauert hat. Entgegen der Ansicht des LSG ist der Kläger deshalb nicht erst am 31. März 1965, sondern schon am 20. Dezember 1964 mindestens ein Jahr lang ununterbrochen arbeitslos gewesen. Ihm steht somit der Anspruch auf vorzeitiges Altersruhegeld schon vom 21. Dezember 1964 an zu, da sein im Mai 1964 gestellter Rentenantrag als fortwirkend anzusehen ist. Nach § 67 Abs. 1 AVG muß ihm die Rente schon vom Beginn des Monats an gewährt werden, in dem ihre Voraussetzungen erfüllt sind, also vom 1. Dezember 1964 an - was nunmehr auch die Beklagte anerkannt hat.
Das angefochtene Urteil war dementsprechend zu ändern und die Revision des Klägers als unbegründet zurückzuweisen, soweit er vorzeitiges Altersruhegeld auch für die Zeit vor diesem Tage begehrt.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 des Sozialgerichtsgesetzes.
Fundstellen