Leitsatz (amtlich)
Eine zur Arbeitsunfähigkeit führende Erkrankung während des nach AVG § 25 Abs 2 maßgeblichen Jahreszeitraums unterbricht die Arbeitslosigkeit ebenso wie jede Erwerbstätigkeit; solche Unterbrechungen hindern aber die Entstehung des Anspruchs auf das vorzeitige Altersruhegeld nach AVG § 25 Abs 2 dann nicht, wenn sie während des Jahres in ihrer Gesamtdauer die in S 4 dieser Vorschrift iVm AVG § 4 Abs 2 Buchst a gekennzeichneten zeitlichen Grenzen nicht übersteigen (Anschluß an BSG 1966-06-30 4 RJ 603/62 = SozR Nr 41 zu § 1248 RVO).
Normenkette
AVG § 25 Abs. 2 Fassung: 1957-02-23; RVO § 1248 Abs. 2 Fassung: 1957-02-23; AVG § 4 Abs. 2 Buchst. a Fassung: 1957-02-23; RVO § 1228 Abs. 2 Buchst. a Fassung: 1957-02-23
Tenor
Die Urteile des Landessozialgerichts Schleswig-Holstein vom 17. September 1964 und des Sozialgerichts Lübeck vom 13. August 1962 werden aufgehoben. Die Klage wird abgewiesen.
Kosten sind nicht zu erstatten.
Gründe
Der Kläger begehrt vorzeitiges Altersruhegeld nach § 25 Abs. 2 Angestelltenversicherungsgesetz (AVG). Die Beteiligten streiten darüber, ob die Voraussetzung der einjährigen ununterbrochenen Arbeitslosigkeit erfüllt ist, obwohl der Kläger im Laufe des maßgeblichen Jahreszeitraumes rund 3 1 / 2 Monate lang arbeitsunfähig krank war.
Der im Januar 1898 geborene Kläger meldete sich am 1. Februar 1961 beim zuständigen Arbeitsamt arbeitslos. Seitdem bezog er Arbeitslosengeld bzw. Krankengeld, weil er in der Zeit vom 13. Oktober 1961 bis zum 31. Januar 1962 arbeitsunfähig krank war. Im Juli 1961 beantragte er vorzeitiges Altersruhegeld. Diesen Antrag lehnte die Beklagte mit Bescheid vom 16. Mai 1962 ab. Mit seiner Klage hatte der Kläger Erfolg. Das Sozialgericht (SG) verurteilte die Beklagte zur Zahlung von Rente vom 1. Februar 1962 an. Die Berufung der Beklagten wurde zurückgewiesen. Während des Berufungsverfahrens gewährte sie dem Kläger vom 1. Januar 1963 an das Ruhegeld wegen Vollendung des 65. Lebensjahres. Der Rechtsstreit beschränkte sich nunmehr darauf, ob dem Kläger Rente auch für die Zeit vom 1. Februar 1962 bis zum 31. Dezember 1962 zusteht. Das Landessozialgericht (LSG) hielt den Anspruch auch insoweit für begründet (Urteil vom 17. September 1964).
Nach der Auffassung des LSG wird die Arbeitslosigkeit durch eine akute Erkrankung nicht unterbrochen, solange die Verfügbarkeit für den allgemeinen Arbeitsmarkt nicht durch Berufsunfähigkeit oder Erwerbsunfähigkeit dauernd ausgeschlossen ist. Ebenso wie ein Beschäftigungsverhältnis als weiter bestehend anzusehen sei, wenn ein Beschäftigter krank sei, aber den Willen habe, alsbald nach Beendigung seiner Krankheit seine Arbeit wieder aufzunehmen, sei der Versicherte weiterhin arbeitslos, wenn er beabsichtige, sich nach Beendigung der Krankheit wieder dem Arbeitsmarkt zur Verfügung zu stellen, und - wie im Fall des Klägers - diese Absicht auch verwirkliche. Dem Arbeitsamt obliege auch während einer vorübergehenden Erkrankung des Versicherten dessen Betreuung. Im übrigen habe das Bundessozialgericht (BSG) eine genaue Abgrenzung der seiner Ansicht nach "unschädlichen Zeit der Arbeitsunfähigkeit" bisher nicht vorgenommen.
Mit der - zugelassenen - Revision beantragt die Beklagte,
unter Aufhebung der vorinstanzlichen Urteile die Klage abzuweisen.
Sie rügt die unrichtige Anwendung von § 25 Abs. 2 AVG. Arbeitslosigkeit setze subjektive und objektive Verfügbarkeit voraus. Beim Kläger fehle es aber für die Zeit seiner Erkrankung an der nach § 76 Gesetz über Arbeitsvermittlung und Arbeitslosenversicherung (AVAVG) erforderlichen objektiven Verfügbarkeit. Seine annähernd vier Monate dauernde Krankheit könne auch nicht als nur geringfügige Unterbrechung der Arbeitslosigkeit außer Betracht bleiben.
Der Kläger beantragt die Zurückweisung der Revision. Er beruft sich im wesentlichen auf das angefochtene Urteil.
Die Beteiligten haben sich mit einer Entscheidung ohne mündliche Verhandlung einverstanden erklärt (§ 124 Abs. 2 des Sozialgerichtsgesetzes - SGG -).
Die Revision ist zulässig und begründet. Der Kläger hat für die streitige Zeit keinen Anspruch auf vorzeitiges Altersruhegeld.
Da der Kläger am 1. Februar 1962 alle anderen in § 25 Abs. 2 Satz 1 AVG genannten Voraussetzungen erfüllte, hängt sein Anspruch auf vorzeitiges Altersruhegeld nur davon ab, ob er an diesem Tage "seit mindestens einem Jahr ununterbrochen arbeitslos gewesen ist". Dazu, was in diesem Zusammenhang unter "arbeitslos" und unter "ununterbrochen" zu verstehen sei, hat das BSG in zahlreichen Entscheidungen Stellung genommen. Es hat dabei in zunehmendem Maße die Besonderheiten der Rentenversicherung als Maßstab für die Auslegung dieser Vorschriften zugrunde gelegt, weil die Vorschriften der Arbeitslosenversicherung immer wieder geändert worden sind, und zwar so, daß sie immer weniger zur Deutung der Vorschriften über das vorzeitige Altersruhegeld in der Rentenversicherung herangezogen werden konnten. Dies hat vor allem der 4. Senat des BSG in seinem Urteil vom 11. August 1965 - 4 RJ 47/61 - (BSG 23, 222 = SozR RVO § 1248 Nr. 36) mit vielen Nachweisen näher dargelegt.
Wie der erkennende Senat im Anschluß an die ständige Rechtsprechung des BSG und ihre Entwicklung zuletzt in seinem Urteil vom 23. März 1966 - 1 RA 175/62 (SozR RVO § 1248 Nr. 39) - ausgeführt hat, soll das vorzeitige Altersruhegeld nach § 25 Abs. 2 AVG denjenigen über 60 Jahre alten Versicherten zugute kommen, die auf unabsehbare Zeit aus dem Arbeitsleben ausgeschieden sind, obwohl sie arbeitsfähig und arbeitswillig sind und dies durch einjährige vergebliche Bemühungen um eine Arbeitsstelle bewiesen haben. Das Gesetz vermutet bei ihnen, daß sie wegen ihres Alters keine nennenswerte Beschäftigung mehr finden können.
Auch das LSG geht in seinem angefochtenen Urteil davon aus, daß diese Erwägungen den Vorschriften über das vorzeitige Altersruhegeld wegen Arbeitslosigkeit zugrunde liegen. Das LSG nimmt aber zu Unrecht an, daß eine vorübergehende Erkrankung "die Voraussetzung einer einjährigen Arbeitslosigkeit nicht berührt", und zwar - entgegen der Entscheidung des BSG vom 16. April 1964, 11/1 RA 120/63 - BSG 21, 24 - unabhängig davon, wie lange diese vorübergehende Arbeitsunfähigkeit dauert.
Dem LSG ist darin zuzustimmen, daß nicht jede Unterbrechung der Arbeitslosigkeit, worauf sie auch beruhen mag, die Entstehung des Anspruchs auf das vorzeitige Altersruhegeld hindert oder dessen Fortbezug ausschließt; das ergibt sich schon aus den Vorschriften der Rentenversicherung über das vorzeitige Altersruhegeld unmittelbar oder mittelbar. Wenn auch in der Rechtsprechung des BSG dieser Grundsatz gelegentlich so ausgedrückt worden ist, daß Arbeitsunfähigkeit von verhältnismäßig geringfügiger Dauer "die Arbeitslosigkeit nicht ausschließe" (z. B. die Entscheidungen des 4. Senats vom 30. Juni 1966 - 4 RJ 603/62 und 221/63), so ist doch der erkennende Senat, wie er in seinem schon erwähnten Urteil vom 23. März 1966 - 1 RA 175/62 - dargelegt hat, der Ansicht, daß auch eine zur Arbeitsunfähigkeit führende Erkrankung die Arbeitslosigkeit unterbricht, daß eine solche Unterbrechung von kürzerer Dauer den - für das vorzeitige Altersruhegeld erforderlichen - Nachweis der Unvermittelbarkeit wegen Alters aber ebensowenig beeinträchtigt wie eine Aushilfstätigkeit i. S. des § 25 Abs. 2 Satz 4 AVG i. V. m. § 4 Abs. 2 Buchst. a AVG. Daß solche Beschäftigungen oder Tätigkeiten die Entstehung des Anspruchs auf vorzeitiges Altersruhegeld nicht hindern, hat das BSG in ständiger Rechtsprechung anerkannt (BSG 23, 222 mit weiteren Nachweisen und Urteil vom 30. Juni 1966 - 4 RJ 603/62). Aus dieser von der Rechtsprechung entwickelten Verknüpfung des § 25 Abs. 2 Satz 4 AVG mit den Voraussetzungen für die Entstehung des Anspruchs auf das vorzeitige Altersruhegeld wegen ununterbrochener Arbeitslosigkeit ergibt sich auch, bis zu welcher zeitlichen Grenze die Unterbrechung der Arbeitslosigkeit durch eine zur Arbeitsunfähigkeit führende Erkrankung vor Beendigung des einjährigen Zeitraums "außer Betracht bleibt". Eine Unterbrechung der Arbeitslosigkeit innerhalb des maßgebenden Jahreszeitraums in diesem Rahmen steht der Vermutung nicht entgegen, daß der Versicherte wegen seines Alters keine nennenswerte Beschäftigung mehr finden kann.
Diese Auslegung des § 25 Abs. 2 AVG entspricht dem Zweck dieser Vorschrift und dem Zusammenhang, in dem sie sowohl mit den Vorschriften über das Altersruhegeld als auch mit den Vorschriften über die Renten wegen Berufsunfähigkeit und wegen Erwerbsunfähigkeit steht. Den vom Berufungsgericht zur Stützung seiner Auffassung angeführten Begründungen der Urteile der Landessozialgerichte Hamburg (Breith. 58, 942), Nordrhein-Westfalen (Breith. 62, 805) und Berlin (Breith. 63, 596), die eine vorübergehende, nicht zur Berufsunfähigkeit oder Erwerbsunfähigkeit führende Erkrankung überhaupt nicht als Unterbrechung der Arbeitslosigkeit ansehen, konnte der Senat nicht folgen. Soweit diese Überlegungen sich auf Vorschriften der Arbeitslosenversicherung stützen, ist oben schon dargelegt worden, daß weder der Begriff "arbeitslos" noch die weiteren, für die verschiedenen Leistungen geforderten oder sie nicht ausschließenden Merkmale sich aus den Vorschriften des AVAVG auf die Rentenversicherung übertragen lassen. Es kommt vielmehr auf die besonderen Zwecke der jeweiligen Vorschriften der Rentenversicherungsgesetze und ihren Sinnzusammenhang an. Auch die Erwägung des LSG, Arbeitslosigkeit könne durch eine vorübergehende Arbeitsunfähigkeit ebensowenig unterbrochen werden wie ein Beschäftigungsverhältnis, verkennt die für die Rentenversicherung maßgebenden Zusammenhänge. Bei einem Beschäftigungsverhältnis handelt es sich um ein Rechtsverhältnis, während Arbeitslosigkeit einen tatsächlichen Zustand bedeutet.
Der Senat ist auch nach Prüfung der Gedankengänge des Berufungsgerichts und der von ihm zu ihrer Unterstützung herangezogenen Überlegungen anderer Landessozialgerichte der Auffassung, daß jede Arbeitsunfähigkeit ebenso wie jede Erwerbstätigkeit die Arbeitslosigkeit unterbricht, daß aber solche Unterbrechung die Entstehung des Anspruchs auf das vorzeitige Altersruhegeld nach § 25 Abs. 2 AVG dann nicht hindert, wenn sie die in Satz 4 dieser Vorschrift in Verbindung mit § 4 Abs. 2 Buchst. a AVG gekennzeichneten zeitlichen Grenzen nicht übersteigt. Wiederholte Unterbrechungen - sei es durch Krankheit, sei es durch Erwerbstätigkeit - im Laufe des maßgeblichen Jahreszeitraumes sind hierbei zusammenzurechnen.
Nach den Feststellungen des LSG war der Kläger in dem Jahre nach Beginn seiner Arbeitslosigkeit rund 3 1 / 2 Monate arbeitsunfähig krank, also über die in § 4 Abs. 2 Buchst. a AVG festgelegten zeitlichen Grenzen hinaus, und zwar sowohl in dessen alter als auch in der neuen auf Grund des Rentenversicherungsänderungsgesetzes seit dem 1. Juli 1965 geltenden Fassung.
Da der Kläger also nicht alle Voraussetzungen erfüllte, an die der Anspruch auf das vorzeitige Altersruhegeld geknüpft ist, müssen auf die Revision der Beklagten die in dieser Sache ergangenen vorinstanzlichen Urteile aufgehoben und die Klage abgewiesen werden (§ 170 Abs. 2 Satz 1 SGG).
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.
Fundstellen