Orientierungssatz
Eine fremde (österreichische) Beitragszeit kann nicht das Tatbestandsmerkmal der vorherigen Versicherung für die Anrechnung einer innerstaatlichen Ersatzzeit erfüllen.
Normenkette
RVO § 1251 Abs. 2 Fassung: 1965-06-09
Tenor
1. Auf die Revision der Beklagten wird das Urteil des Bayerischen Landessozialgerichts vom 15. November 1965 aufgehoben, soweit das Landessozialgericht die Beklagte verurteilt hat, die Zeit vom 1. Dezember 1945 bis 31. Juli 1948 der Rentenberechnung für die Bezugszeiten vom 1. Dezember 1962 bis 30. Juli 1965 rentensteigernd zugrundezulegen; insoweit wird die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Sozialgerichts München vom 8. September 1964 ebenfalls zurückgewiesen.
2. Kosten sind im gesamten Rechtsstreit nicht zu erstatten.
Gründe
I
Die Beklagte bewilligte dem im Dezember 1897 geborenen Kläger durch Bescheid vom 14. Januar 1964 das Altersruhegeld ab Dezember 1962. Die Klage hatte erst vor dem Landessozialgericht (LSG) teilweise Erfolg. Dieses verurteilte die Beklagte, der Rentenberechnung noch "die Zeit vom 1. Dezember 1945 bis 31. Juli 1948 rentensteigernd zugrundezulegen." Diese Zeit sei dem Kläger nach § 28 Abs. 1 Nr. 6 des Angestelltenversicherungsgesetzes (AVG) als Ersatzzeit (Flüchtlingszeit mit anschließender Arbeitslosigkeit) anzurechnen.
Nach den Feststellungen des LSG ist der Kläger Vertriebener; er hat von April 1941 bis November 1945 in Österreich 56 Beiträge zur Rentenversicherung entrichtet; im Dezember 1945 verzog er in das Gebiet der Bundesrepublik; hier war er u. a. von Juli 1946 bis Juli 1948 als Arbeitssuchender beim Arbeitsamt gemeldet und - erstmals - seit April 1951 versicherungspflichtig beschäftigt; aus den seitdem entrichteten 124 Beiträgen hat die Beklagte das Altersruhegeld berechnet.
Nach § 28 Abs. 2 AVG werden Ersatzzeiten angerechnet, wenn vorher eine Versicherung bestanden hat (Satz 1) oder innerhalb bestimmter Frist danach eine rentenversicherungspflichtige Beschäftigung oder Tätigkeit aufgenommen worden ist (Satz 2). Das LSG bejahte die erste Alternative. Es stützte sich dabei auf das 1. Deutsch-Österreichische Sozialversicherungs-Abkommen (SV-Abk.) vom 21. April 1951. Danach seien die von 1941 bis 1945 entrichteten Beiträge, auch wenn sie nach Art. 24 des SV-Abk. in die österreichische Versicherungslast gefallen sind, als vorherige Versicherung im Sinne des § 28 Abs. 2 Satz 1 AVG zu werten. Die Bestimmung in Art. 18 (Abs. 1 Nr. 2 Buchst. a), daß Ersatzzeiten nur in dem Staat zu berücksichtigen seien, in dessen Versicherung der letzte Beitrag vor der Ersatzzeit entrichtet wurde, stehe dem nicht entgegen, weil sie nur für die "gemeinsamen", d. h. nach den Vorschriften beider Vertragsstaaten zu berücksichtigenden Ersatzzeiten gelte. Die Ersatzzeit des § 28 Abs. 1 Nr. 6 AVG sei jedoch nur eine deutsche Ersatzzeit; sie könne nur in die deutsche Versicherungslast fallen. "Andernfalls ginge die Ersatzzeit verloren, was systemwidrig wäre, da die Ersatzzeiten bei der Rentensteigerung mindestens in einem Vertragsstaat berücksichtigt werden müssen". Für die Anrechnungspflicht bei der Berechnung der deutschen Teilrente trotz Vorangehens österreichischer Beitragszeiten spreche auch der Grundgedanke des Art. 17 des SV-Abkommens, wonach die Versicherungszeiten beider Vertragsstaaten bei der Prüfung der Anspruchsgrundlagen eine Einheit bildeten. Daraus folge, daß die vorangegangene österreichische Beitragszeit "als Vorbedingung (und nur insoweit) für die Anrechenbarkeit der Ersatzzeit nach innerstaatlichem Recht heranzuziehen ist".
Die Beklagte legte die vom LSG zugelassene Revision ein, beschränkte sie aber wegen der Änderung des § 28 Abs. 2 Satz 2 AVG durch das Rentenversicherungs-Änderungsgesetz (RVÄndG) vom 9. Juni 1965 (Fristverlängerung bei der 2. Alternative) auf die Rentenbezugszeit vor dem 1. Juli 1965.
Sie beantragte,
insoweit die Berufung des Klägers gegen das erstinstanzliche Urteil ebenfalls zurückzuweisen.
Sie rügte eine Verletzung des § 28 Abs. 2 AVG und der Art. 17 und 18 des SV-Abk.
Der Kläger ließ sich im Revisionsverfahren nicht vertreten.
Beide Beteiligten erklärten sich mit einer Entscheidung ohne mündliche Verhandlung einverstanden (§§ 124 Abs. 2, 153, 165 des Sozialgerichtsgesetzes - SGG -).
II
Die Revision der Beklagten ist begründet.
Entgegen der Ansicht des LSG darf die Zeit von Dezember 1945 bis Juli 1948 bei der Rentenberechnung für die Bezugszeiten vor Juli 1965 nicht als Ersatzzeit angerechnet werden.
Nach Art. 18 Abs. 1 Nr. 2 des 1. Deutsch-Österreichischen SV-Abk. mußte die Beklagte, soweit sich aus dem Abkommen nichts anderes ergab, das Altersruhegeld nach den für sie "maßgebenden innerstaatlichen Vorschriften auf Grund der nach diesen Vorschriften zu berücksichtigenden Versicherungszeiten" berechnen. Für die Anrechnung der streitigen Ersatzzeit boten weder das innerstaatliche Recht noch Vorschriften des Abkommens eine Grundlage.
Nach dem innerstaatlichen Recht sind die Voraussetzungen für die Anrechnung einer Ersatzzeit nach § 28 Abs. 2 AVG nicht erfüllt. Die 2. Alternative in der damals noch geltenden Fassung des Satzes 2 vor dem RVÄndG hat unstreitig nicht vorgelegen. Aber auch die 1. Alternative in Satz 1 ist zu verneinen; die Beiträge für die Zeit von 1941 bis 1945 begründen keine vorherige Versicherung im Sinne dieser Vorschrift. Die vorherige Versicherung des § 28 Abs. 2 Satz 1 AVG muß eine Versicherung sein, die im innerstaatlichen Recht der Bundesrepublik anerkannt ist (vgl. BSG 21, 271, 274 und SozR Nr. 4 zu § 1251 RVO). Die Beiträge für die Zeit von 1941 bis 1945 sind auf Grund des Art. 24 Abs. 1 Nr. 2 Buchst. b des 1. Deutsch-Österreichischen SV-Abk. in die österreichische Versicherungslast gefallen; sie sind deshalb nach der ständigen Rechtsprechung des BSG (vgl. Urteil des Senats vom 28. Juni 1966 - 11 RA 356/63 - mit Hinweis auf BSG 18, 112 und 23, 74) nach dem innerstaatlichen deutschen Recht (einschließlich des Fremdrentenrechts) nicht als Beitragszeiten anrechnungsfähig.
Die Anrechnung der Ersatzzeit läßt sich auch nicht auf besondere Vorschriften des 1. Deutsch-Österreichischen SV-Abk. stützen. Das LSG hat keinen Artikel des Abkommens genannt, der ausdrücklich die Gleichbehandlung von österreichischen mit deutschen Beitragszeiten bei der Prüfung der vorherigen Versicherung in § 28 Abs. 2 Satz 1 AVG vorschreibt. Eine derartige Vorschrift besteht nicht. Allerdings ist auch das zwischenstaatliche Recht nicht immer "streng nach dem Wortlaut" auszulegen, obwohl im zwischenstaatlichen Recht der Wortlaut ein erhöhtes Gewicht hat und namentlich die Analogie im allgemeinen unangebracht ist (vgl. Urteil des Senats vom 28. Juni 1966 - 11 RA 366/63 - und Beschluß des 4. Senats vom 1. März 1967 - 4 RJ 265/65 -); auch wenn dies berücksichtigt wird, ist jedoch dem LSG nicht zu folgen. Wenn das LSG zunächst erklärt hat, daß die Anrechnung der Ersatzzeit nicht auf Grund des Art. 18 (Abs. 1 Nr. 2 Buchst. a) "entfällt", so könnte damit allenfalls ein Hindernis für die Anrechnung verneint, aber noch keine Grundlage für die Anrechnung geschaffen sein. Für seine gegenteilige Auffassung führt das LSG nur zwei Erwägungen an. Von ihnen ist die erste, daß die Ersatzzeit sonst systemwidrig verloren ginge, zu allgemein, um eine Grundlage für die Anrechnung von Ersatzzeiten bilden zu können; sie berücksichtigt zudem nicht, daß eine Ersatzzeit nur "verloren" gehen könnte, wenn sie an sich bestünde, wenn also alle Voraussetzungen für ihre Anrechnung erfüllt wären. Es bleibt daher nur der Hinweis auf den Grundgedanken des Art. 17 des Abkommens. Dieser Artikel befaßt sich mit der Berücksichtigung von Versicherungszeiten "für die Erfüllung der Wartezeit oder sonstiger Mindestbeitragszeiten und für die Erhaltung der Anwartschaft". Aus dieser Regelung kann indes nicht entnommen werden, daß nach dem Willen der vertragsschließenden Staaten eine österreichische Beitragszeit ebenso wie eine deutsche Beitragszeit eine vorherige Versicherung im Sinne des § 28 Abs. 2 Satz 1 AVG soll begründen können. Dagegen sprechen zudem u. a. die Vorschriften in Artikel 17 über die Anrechnung von Ersatzzeiten (Abs. 1 Satz 2 und 3). Art. 17 rechnet für seinen Anwendungsbereich Ersatzzeiten nur zusammen, wenn sie "sowohl nach den Vorschriften des einen als auch nach den Vorschriften des anderen Vertragsstaates" Ersatzzeiten (d. h. gemeinsame Ersatzzeiten) sind. "Andere" - d. h. einseitige - Ersatzzeiten dürfen im Rahmen des Art. 17 nur in dem Vertragsstaat berücksichtigt werden, nach dessen Vorschriften sie den Beitragszeiten gleichstehen. Wenn aber schon einseitige Ersatzzeiten im anderen Vertragsstaat nicht berücksichtigt werden dürfen, dann läßt sich noch weniger annehmen, daß eine einseitige Ersatzzeit auf der Grundlage einer fremden Beitragszeit zustande kommen könnte; eine fremde Beitragszeit kann deshalb nicht das Tatbestandsmerkmal der vorherigen Versicherung für die Anrechnung einer innerstaatlichen Ersatzzeit erfüllen.
Mit der Auffassung des Senats im Einklang steht die Entscheidung des 12. Senats (BSG 21, 271, 273) zur Auslegung der entsprechenden Vorschriften des Deutsch-Niederländischen SV-Abk. Auf die Frage, ob auf Grund der EWG-Verordnung Nr. 3 eine Versicherung in einem Mitgliedstaat der EWG eine Vorversicherung im Sinne des § 28 Abs. 2 Satz 1 AVG darstellen kann (vgl. einerseits BSG 21, 271, 274 ff und andererseits Beschluß des 4. Senats vom 1. März 1967), kommt es im vorliegenden Fall nicht an; sie ist deshalb hier nicht zu entscheiden.
Auf die Revision der Beklagten ist daher das Urteil des LSG zu ändern. Die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Sozialgerichts München vom 8. September 1964 ist auch insoweit zurückzuweisen, als der Kläger die Anrechnung der Zeit von Dezember 1945 bis Juli 1948 als Ersatzzeit bei der Rentenberechnung für die Bezugszeiten vor Juli 1965 verlangt hat.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.
Fundstellen