Leitsatz (amtlich)
Ein Lehrhauer, der seine Tätigkeit vor dem 1971-06-01 aus gesundheitlichen Gründen aufgegeben hat, ist auch für die Zeit ab 1971-06-01 (Inkrafttreten der neuen Lohnordnungen im Bergbau) als angelernter Arbeiter (bisheriger Beruf - Hauptberuf) anzusehen und kann daher weiterhin auf ungelernte Tätigkeiten mit Ausnahme derjenigen ganz einfacher Art verwiesen werden.
Normenkette
RKG § 46
Tenor
Die Revision des Klägers gegen das Urteil des Landessozialgerichts Nordrhein-Westfalen vom 27. April 1972 wird zurückgewiesen.
Die Beteiligten haben einander außergerichtliche Kosten nicht zu erstatten.
Gründe
I
Die Beteiligten streiten darüber, ob der Kläger gegen die Beklagte einen Anspruch auf die Gesamtleistung wegen Berufsunfähigkeit nach § 46 des Reichsknappschaftsgesetzes (RKG), § 1246 der Reichsversicherungsordnung (RVO) hat.
Der im Jahre 1913 geborene Kläger, der von der Beklagten seit dem 1. August 1966 die Bergmannsrente wegen verminderter bergmännischer Berufsfähigkeit bezieht, hat die seit 1948 ausgeübte Tätigkeit eines Lehrhauers im August 1966 aus gesundheitlichen Gründen aufgegeben und danach bis zum 2. November 1971 als Schlepper im Schichtlohn und bis zum 31. Januar 1972 als Platzreiniger über Tage gearbeitet.
Nachdem die Beklagte bereits einem am 16. Oktober 1969 gestellten Antrag auf Gesamtleistung wegen Berufsunfähigkeit mit Bescheid vom 11. Dezember 1969 abgelehnt hatte, lehnte sie auch den am 16. Oktober 1970 gestellten Antrag auf Gesamtleistung wegen Erwerbsunfähigkeit mit Bescheid vom 14. Mai 1971 ab, weil der Kläger nach den vorliegenden medizinischen Gutachten noch als Magazinarbeiter, Markenausgeber, Motorenwärter, Telefonist, Platzarbeiter, Maschinenputzer oder Wächter arbeiten könne und daher weder erwerbsunfähig noch berufsunfähig sei. Der Widerspruch des Klägers hatte keinen Erfolg.
Während des Verfahrens vor dem Sozialgericht (SG) hat der Kläger seinen Antrag auf die Knappschaftsrente wegen Berufsunfähigkeit für die Zeit vom 1. Juni 1971 an beschränkt. Nach weiterer Beweiserhebung hat das SG die Beklagte unter Aufhebung ihrer Bescheide verurteilt, an den Kläger die Knappschaftsrente wegen eines Zustandes der Berufsunfähigkeit vom 1. Juni 1971 an zu zahlen. Auf die Berufung der Beklagten hat das Landessozialgericht (LSG) dieses Urteil geändert und die Klage abgewiesen. Das LSG hat festgestellt, der Kläger könne noch die Tätigkeiten eines Hilfsarbeiters im Büro, Telefonisten, Lampenstubenarbeiters und Schrankenwärters 2 verrichten. Diese Tätigkeiten seien zwar nicht einem Facharbeiter (Hauer), wohl aber einem früheren Lehrhauer sozial zumutbar. Zwar sei nach dem Zusatz zu der seit dem 1. Juni 1971 geltenden Lohnordnung auch derjenige Hauer im Sinne der Lohnordnung, dem der Betrieb nach zweijähriger Tätigkeit unter Tage schriftlich bestätigt habe, daß er die Kenntnisse und Fertigkeiten besitze, die ihn befähigen, die in der Gewinnung, Aus-, Vor- und Herrichtung vorkommenden wesentlich bergmännischen Arbeiten zu verrichten. Der Kläger, der die Lehrhauertätigkeit bereits vor dem 1. Juni 1971 aufgegeben habe, könne aber nicht dem Hauer gleichgestellt werden. Der frühere Lehrhauer, der vor dem 1. Juni 1971 keine der Hauertätigkeit in vollem Umfang entsprechende Facharbeitertätigkeit ausgeübt habe, sei durch die Änderung der Lohnordnung nicht zum Facharbeiter geworden, denn seine Kenntnisse und Fertigkeiten hätten sich nicht erhöht. Er könne daher - wie bereits vor dem 1. Juni 1971 - auf solche ungelernten Tätigkeiten verwiesen werden, die nicht ganz einfacher Art seien. Bei den Tätigkeiten eines Hilfsarbeiters im Büro, Telefonisten, Lampenstubenarbeiters und Schrankenwärters 2 handele es sich zwar um ungelernte bzw. nur kurzfristig angelernte Tätigkeiten; sie zählten jedoch nicht zu den einfachen Reinigungsarbeiten, auf die ein angelernter Arbeiter nicht verwiesen werden könne. Der Kläger sei also nicht berufsunfähig.
Der Kläger hat dieses Urteil mit der - vom LSG zugelassenen - Revision angefochten. Er ist der Ansicht, bei der Prüfung der Berufsunfähigkeit sei von der Facharbeitertätigkeit eines Hauers auszugehen. Die am 1. Juni 1971 in Kraft getretene Lohnordnung habe in ihrem Zusatz dem Umstand Rechnung getragen, daß die weitaus überwiegende Gruppe der früheren Lehrhauer - wie auch der Kläger - in der Regel die gleiche bergmännische Facharbeit wie der Hauer mit abgelegter Hauerprüfung verrichtet und im Einzelgedinge den gleichen Lohn erzielt habe. Er könne daher ebenso wenig wie der Hauer auf die vom LSG genannten Tätigkeiten verwiesen werden.
Der Kläger beantragt,
unter Abänderung des angefochtenen Urteils und des Bescheids vom 14. Mai 1971 in der Fassung des Widerspruchsbescheides vom 21. Juni 1971 die Beklagte zu verurteilen, ihm die Knappschaftsrente wegen Berufsunfähigkeit ab 1. Juni 1971 zu zahlen.
Die Beklagte beantragt,
die Revision des Klägers zurückzuweisen.
Sie hält das angefochtene Urteil im Ergebnis und in der Begründung für richtig und ist der Ansicht, die Revision des Klägers sei unbegründet.
Nach Mitteilung der Beklagten erhält der Kläger im Anschluß an das ihm gewährte Anpassungsgeld vom 1. Juli 1973 an das Knappschaftsruhegeld nach § 48 Abs. 2 RKG.
II
Die zulässige Revision des Klägers hat keinen Erfolg. Das LSG hat mit Recht das der Klage stattgebende Urteil des SG geändert und die Klage abgewiesen. Der Kläger hat keinen Anspruch auf die Gesamtleistung wegen Berufsunfähigkeit, denn er ist nicht berufsunfähig im Sinne des § 46 Abs. 2 RKG, § 1246 Abs. 2 RVO.
Bei der Prüfung der Berufsunfähigkeit ist in Übereinstimmung mit dem LSG von der Tätigkeit eines Lehrhauers auszugehen, die der Kläger nach mehrjähriger Ausübung aus gesundheitlichen Gründen aufgegeben hat. Fraglich ist jedoch, wie die Lehrhauertätigkeit in ihrer Qualität seit dem 1. Juni 1971 zu bewerten ist. Die seit diesem Zeitpunkt geltenden Lohnordnungen enthalten die Berufsbezeichnung "Lehrhauer" nicht mehr. Solche Lehrhauer, die über den 1. Juni 1971 hinaus im Gedinge tätig geblieben sind, gelten nunmehr als Hauer im Sinne der Lohnordnung, wenn der Betrieb nach zweijähriger Untertagetätigkeit schriftlich bestätigt hat, daß der Arbeitnehmer die Kenntnisse und Fertigkeiten besitzt, die ihn befähigen, die in der Gewinnung, Aus-, Vor- und Herrichtung vorkommenden wesentlich bergmännischen Arbeiten zu verrichten. Dies kann jedoch nicht für solche Lehrhauer gelten, die ihre Tätigkeit bereits vor dem Inkrafttreten der neuen Lohnordnungen - also vor dem 1. Juni 1971 - aufgegeben haben, denn die Gleichstellung ist nur auf solche Gedingearbeiter beschränkt, die über den 1. Juni 1971 hinaus im Gedinge tätig geblieben sind. Die nach der Lohnordnung erforderliche Bescheinigung des Betriebes kann nur für solche Gedingearbeiter Auswirkungen haben, deren Gedingetätigkeit über den 1. Juni 1971 hinaus fortgedauert hat. Bereits vorher beendete Beschäftigungsverhältnisse bleiben davon unberührt. Zu berücksichtigen ist, daß der Lehrhauer vor dem 1. Juni 1971 keineswegs vollwertige Hauerarbeiten verrichtet hat und auch nicht in vollem Umfange die Kenntnisse und Fertigkeiten eines Hauers hatte. Für die Gedingearbeiter ohne Hauerschein, insbesondere also auch für den Lehrhauer, war eine einheitliche Bewertung der beruflichen Qualifikation nicht möglich. Diese Gedingearbeit wurde nämlich sowohl von geprüften Knappen (bergmännischer Lehrberuf) als auch von Arbeitern verrichtet, die nur eine mehrmonatige Anlernung unter Tage durchlaufen hatten. Sie war im allgemeinen eine Durchgangsstation für die Qualifikation zum Hauer, konnte aber auch zum eigentlichen Beruf werden. Daher konnte einem Lehrhauer, der als Neubergmann vor Aufnahme der Gedingearbeit nur eine mehrmonatige Anlernung und Eingewöhnung in den Grubenbetrieb erfahren hatte, nicht die Stellung eines Facharbeiters zuerkannt werden. Hatte er allerdings längere Zeit im Gedinge gearbeitet, so war er in etwa einem Versicherten gleichzustellen, der für einen anerkannten Anlernberuf ausgebildet worden war (vgl. BSG in SozR Nr. 16 zu § 46 RKG; Urteil des erkennenden Senats vom 4. April 1963 - 5 RKn 64/61 - in Mitteilungen der Ruhrknappschaft 1964, 132; Urteil vom 15. September 1964 - 5 RKn 35/62 - in Mitteilungen der Ruhrknappschaft 1965/1966, 54, 57). Dem Umstand, daß der Lehrhauer noch nicht in vollem Umfang die Kenntnisse und Fertigkeiten des Facharbeiters (Hauer) hatte und auch nicht sämtliche Hauerarbeiten mit dem gleichen Maß an Verantwortung wie der Hauer verrichtete, war in den bis zum 1. Juni 1971 gültig gewesenen Lohnordnungen dadurch Rechnung getragen, daß bei dem Lehrhauer je nach Dauer seiner Gedingetätigkeit ein Abzug vom Gedinge einer Kameradschaft von 5 bis 10 v.H. gemacht wurde. Hatte also die Tätigkeit eines Lehrhauers vor dem 1. Juni 1971 weder den wirtschaftlichen noch den qualitativen Wert der Hauertätigkeit, so hat sich daran für die bereits vor dem 1. Juni 1971 aus der Gedingetätigkeit ausgeschiedenen Lehrhauer durch die seitdem geltenden Lohnordnungen nichts geändert, denn weder der qualitative Wert und die Bedeutung der bereits aufgegebenen Arbeit noch die Kenntnisse und Fertigkeiten des bereits ausgeschiedenen Lehrhauers haben sich seit dem 1. Juni 1971 erhöht. Die Tätigkeit hat durch die neuen Lohnordnungen auch keine neue und höhere Bewertung erfahren, denn die neuen Lohnordnungen erstrecken sich nur auf solche Tätigkeiten, die nach ihrem Inkrafttreten ausgeübt worden sind. Der Kläger hat während seiner Beschäftigungszeit niemals den Status eines Facharbeiters gehabt und kann ihn auch nicht nachträglich erworben haben. Er kann daher - ebenso wie vor dem 1. Juni 1971 - zwar nicht auf ungelernte Arbeiten ganz einfacher Art (zB Reinigungs- und Putzarbeiten, Botengänge, Hof- und Platzarbeiten) verwiesen werden, wohl aber auf einfache Arbeiten anderer Art (vgl. SozR Nr. 16 zu § 46 RKG), zu denen auch die vom LSG genannten Tätigkeiten eines Hilfsarbeiters im Büro, Telefonisten, Lampenstubenarbeiters und Schrankenwärters 2 gehören. Der Kläger ist daher nicht berufsunfähig und hat keinen Anspruch auf die begehrte Rente.
Der Senat hat die danach unbegründete Revision des Klägers zurückgewiesen. Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 des Sozialgerichtsgesetzes.
Fundstellen