Orientierungssatz
Die Tätigkeiten eines Hilfsarbeiters im Büro, Lampenstubenarbeiters, Telefonisten, Schrankenwärters, Markenausgebers, Magazin- und Lagerarbeiters sind nicht einem Facharbeiter, wohl aber einem angelernten Arbeiter sozial zumutbar.
Normenkette
RKG § 46
Tenor
Die Revision des Klägers gegen das Urteil des Landessozialgerichts Nordrhein-Westfalen vom 27. April 1972 wird zurückgewiesen.
Die Beteiligten haben einander außergerichtliche Kosten nicht zu erstatten.
Gründe
I
Die Beteiligten streiten darüber, ob dem Kläger die Gesamtleistung wegen Berufsunfähigkeit zusteht.
Der im Jahre 1935 geborene Kläger hat die im Jahre 1955 aufgenommene Tätigkeit als Lehrhauer im Februar 1963 aus gesundheitlichen Gründen aufgegeben; danach hat er bis Mai 1963 als Zimmerhauer gearbeitet. Seit dem 31. August 1966 bezieht er die Bergmannsrente wegen verminderter bergmännischer Berufsfähigkeit.
Die Beklagte lehnte den am 13. Juni 1967 gestellten Rentenantrag mit Bescheid vom 20. August 1968 ab, weil der Kläger nach den vorliegenden medizinischen Gutachten noch in der Lage sei, als Magazinarbeiter, Markenausgeber, Motorenwärter und Telefonist zu arbeiten, so daß er nicht berufsunfähig sei. Der Widerspruch des Klägers hatte keinen Erfolg.
Das Sozialgericht (SG) hat nach Beweiserhebung die Klage mit Urteil vom 27. September 1971 abgewiesen. Vor dem Landessozialgericht (LSG) hat der Kläger seinen Anspruch auf die Zeit vom 1. Juni 1971 an beschränkt. Das LSG hat die Berufung des Klägers mit Urteil vom 27. April 1972 zurückgewiesen. Es hat festgestellt, der Kläger könne noch als Hilfsarbeiter im Büro, Lampenstubenarbeiter, Telefonist, Schrankenwärter, Markenausgeber, Magazin- oder Lagerarbeiter eingesetzt werden. Diese Tätigkeiten seien einem früheren Lehrhauer sozial zumutbar.
Nach der bisherigen Rechtsprechung sei der Lehrhauer nicht als Facharbeiter, sondern als angelernter Arbeiter anzusehen, so daß er auch auf ungelernte Arbeiten mit Ausnahme derjenigen einfacher Art verwiesen werden könne. Daran habe sich nichts geändert. Zwar sei nach dem Zusatz zu der seit dem 1. Juni 1971 geltenden Lohnordnung auch derjenige Hauer im Sinne der Lohnordnung, dem der Betrieb nach zweijähriger Untertagetätigkeit schriftlich bestätigt habe, daß er die Kenntnisse und Fertigkeiten besitze, die ihn befähigen, die in der Gewinnung, Aus-, Vor- und Herrichtung vorkommenden wesentlich bergmännischen Arbeiten zu verrichten. Das könne aber nicht dazu führen, denjenigen Lehnhauer dem Hauer gleichzustellen, der seine Lehrhauertätigkeit bereits vor dem 1. Juni 1971 aufgegeben habe. Abgesehen davon, daß die neue Lohnordnung sich nicht auf diese Arbeitnehmer erstrecke, hätten sich die Kenntnisse und Fertigkeiten des Klägers auch nicht erhöht. Der Kläger sei also nicht berufsunfähig im Sinne des § 46 des Reichsknappschaftsgesetzes (FKG), § 1246 der Reichsversicherungsordnung (RVO).
Der Kläger hat dieses Urteil mit der - vom LSG zugelassenen - Revision angefochten. Er ist der Ansicht, seit dem 1. Juni 1971 sei von der Facharbeitertätigkeit eines Hauers auszugehen, weil der frühere Lehrhauer danach auch ohne Knappen- oder Hauerprüfung als Hauer anzusehen sei. Ein Facharbeiter könne aber nicht auf die Tätigkeiten eines Hilfsarbeiters im Büro, Lampenstubenarbeiters, Schrankenwärters, Markenausgebers, Telefonisten, Magazin- oder Lagerarbeiters vorwiesen werden, weil sie ihm sozial nicht zumutbar seien. Er sei daher seit dem 1. Juni 1971 berufsunfähig.
Der Kläger beantragt,
die Urteile der Vordergerichte und die Bescheide der Beklagten aufzuheben und dem Kläger vom 1. Juni 1971 an die Gesamtleistung aus der knappschaftlichen Rentenversicherung und der Rentenversicherung der Arbeiter zu gewähren.
Die Beklagte beantragt,
die Revision des Klägers zurückzuweisen.
Sie hält das angefochtene Urteil in dem Ergebnis und in der Begründung für richtig und ist der Ansicht, die Revision des Klägers sei unbegründet.
II
Die zulässige Revision des Klägers hat keinen Erfolg. Das LSG hat mit der Zurückweisung der Berufung mit Recht das die Klage abweisende Urteil des SG bestätigt. Der Kläger hat keinen Anspruch auf die begehrte Gesamtleistung wegen Berufsunfähigkeit, denn er ist nicht berufsunfähig im Sinne des § 46 Abs. 2 RKG, § 1246 Abs. 2 RVO.
Das LSG hat unangegriffen und nach § 163 des Sozialgerichtsgesetzes (SGG) für den Senat bindend festgestellt, daß der Kläger noch in der Lage ist, als Hilfsarbeiter im Büro, Lampenstubenarbeiter, Telefonist, Schrankenwärter, Markenausgeber, Magazin- oder Lagerarbeiter eingesetzt werden. Die Fähigkeit zur Verrichtung dieser Arbeiten schließt die Berufsunfähigkeit aus, denn es handelt sich um Tätigkeiten, die dem Kläger sozial zumutbar sind.
Bei der Prüfung der Berufsunfähigkeit ist in Übereinstimmung mit dem LSG von der Tätigkeit eines Lehrhauers auszugehen, die der Kläger nach mehrjähriger Ausübung aus gesundheitlichen Gründen aufgegeben hat. Fraglich ist jedoch, wie die Lehrhauertätigkeit in ihrer Qualität seit dem 1. Juni 1971 zu bewerten ist. Die seit diesem Zeitpunkt geltenden Lohnordnungen enthalten die Berufsbezeichnung "Lehrhauer" nicht mehr. Solche Lehrhauer, die über dem 1. Juni 1971 hinaus im Gedinge tätig geblieben sind, gelten nunmehr als Hauer im Sinne der Lohnordnung, wenn der Betrieb nach zweijähriger Untertagetätigkeit schriftlich bestätigt hat, daß der Arbeitnehmer die Kenntnisse und Fertigkeiten besitzt, die ihn befähigen, die in der Gewinnung, Aus-, Vor- und Herrichtung vorkommenden wesentlich bergmännischen Arbeiten zu verrichten. Dies gilt jedoch nicht für solche Lehrhauer, die ihre Tätigkeit bereits vor dem Inkrafttreten der neuen Lohnordnungen - also vor dem 1. Juni 1971 - aufgegeben haben. Die Gleichstellung ist nur auf solche Gedingearbeiter beschränkt, die über den 1. Juni 1971 hinaus im Gedinge tätig geblieben sind. Die nach dem Zusatz zur Lohnordnung erforderliche Bescheinigung des Betriebes kann daher nur für solche Gedingearbeiter Auswirkungen haben, deren Gedingetätigkeit über den 1. Juni 1971 hinaus fortgedauert hat. Bereits vorher beendete Beschäftigungsverhältnisse bleiben davon unberührt. Zu berücksichtigen ist ferner, daß der Lehrhauer vor dem 1. Juni 1971 keineswegs vollwertige Hauerarbeiten verrichtet hat und auch nicht in vollem Umfang die Kenntnisse und Fertigkeiten eines Hauers hatte. Für die Gedingearbeiter ohne Hauerschein, insbesondere also für den Lehrhauer, war eine einheitliche Bewertung der beruflichen Qualifikation nicht möglich. Diese Gedingearbeit wurde nämlich sowohl von geprüften Knappen (bergmännischer Lehrberuf) als auch von Arbeitern verrichtet, die nur eine mehrmonatige Anlernung unter Tage mitgemacht hatten. Sie war im allgemeinen eine Durchgangsstation für die Qualifikation zum Hauer, konnte aber auch - wie beim Kläger - zum eigentlichen Beruf werden. Daher konnte einem Lehrhauer, der als Neubergmann vor Aufnahme der Gedingearbeit nur eine mehrmonatige Anlernung und Eingewöhnung in den Grubenbetrieb erfahren hatte, nicht die Stellung eines Facharbeiters zuerkannt werden. Hatte er allerdings längere Zeit im Gedinge gearbeitet, so war er in etwa einem Versicherten gleichzustellen, der für einen anerkannten Anlernberuf ausgebildet worden war (vgl. BSG in SozR Nr. 16 zu § 46 RKG; Urteil des erkennenden Senats vom 4. April 1963 - 5 RKn 64/61 - in Mitteilungen der Ruhrknappschaft 1964, 132; Urteil vom 15. September 1964 - 5 RKn 35/62 - in Mitteilungen der Ruhrknappschaft 1965/1966, 54, 57). Dem Umstand, daß der Lehrhauer noch nicht in vollem Umfang die Kenntnisse und Fertigkeiten des Facharbeiters (Hauer) hatte und auch nicht sämtliche Hauerarbeiten mit dem gleichen Maß an Verantwortung wie der Hauer verrichtete, war in den bis zum 1. Juni 1971 gültig gewesenen Lohnordnungen dadurch Rechnung getragen, daß bei dem Lehrhauer je nach Dauer seiner Gedingetätigkeit ein Abzug vom Gedinge einer Kameradschaft von 5 bis 10 v. H. gemacht wurde. Hatte also die Tätigkeit eines Lehrhauers vor dem 1. Juni 1971 weder den wirtschaftlichen noch den qualitativen Wert der Hauertätigkeit, so hat sich daran für die bereits vor dem 1. Juni 1971 aus der Gedingetätigkeit ausgeschiedenen Lehrhauer durch die seitdem geltenden Lohnordnungen nichts geändert, denn weder der qualitative Wert und die Bedeutung der bereits aufgegebenen Arbeit noch die Kenntnisse und Fertigkeiten des bereits ausgeschiedenen Lehrhauers haben sich seit dem 1. Juni 1971 erhöht. Die Tätigkeit hat durch die neuen Lohnordnungen keine neue und höhere Bewertung erfahren, denn die neuen Lohnordnungen erstrecken sich nur auf solche Tätigkeiten, die nach ihrem Inkrafttreten ausgeübt worden sind. Der Kläger hat während seiner Beschäftigungszeit niemals den Status eines Facharbeiters gehabt und kann ihn auch nicht nachträglich erworben haben. Er kann daher - ebenso wie vor dem 1. Juni 1971 - zwar nicht auf ungelernte Arbeiten ganz einfacher Art (z. B. Reinigungs- und Putzarbeiten, Botengänge, Hof- und Platzarbeiten) verwiesen werden, wohl aber auf ungelernte Arbeiten anderer Art (vgl. SozR Nr. 16 zu § 46 RKG), zu denen auch die vom LSG genannten Tätigkeiten eines Hilfsarbeiters im Büro, Lampenstubenarbeiters, Telefonieren, Schrankenwärters, Markenausgebers, Magazin- oder Lagerarbeiters gehören. Der Kläger ist daher nicht berufsunfähig und hat keinen Anspruch auf die beantragte Rente.
Der Senat hat die danach unbegründete Revision des Klägers zurückgewiesen. Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.
Fundstellen