Beteiligte
Klägerin und Revisionsklägerin |
Beklagte und Revisionsbeklagte |
Tatbestand
I
Umstritten ist, ob eine Urlaubsabgeltung zum Ruhen des Krankengeldanspruchs führt.
Die Klägerin war bei der Firma F… & Co in E… versicherungspflichtig beschäftigt. Das Arbeitsverhältnis wurde zum 29. Januar 1982 gekündigt, nachdem die Klägerin seit dem 28. April 1981 arbeitsunfähig krank war. Für den noch nicht erfüllten Urlaubsanspruch von 25 Arbeitstagen erhielt die Klägerin eine Urlaubsabgeltung von DM 2.378, 94. Die Beklagte, die Krankenkasse der Klägerin, stellte die Krankengeldzahlung für die Zeit vom 30. Januar bis 5. März 1982 ein, weil der für diesen Zeitraum dem Grunde nach zustehende Krankengeldanspruch wegen der Urlaubsabgeltung nach § 189 der Reichsversicherungsordnung (RVO) in voller Höhe geruht habe.
Widerspruch und Klage hatten keinen Erfolg. Das Sozialgericht (SG) hat die Auffassung der Beklagten bestätigt. Die Urlaubsabgeltung sei Arbeitsentgelt i.S. des § 189 RVO. Durch das Gesetz zur Konsolidierung der Arbeitsförderung (AFKG) vom 22. Dezember 1981, BGBl. I 1497, sei der Entgeltcharakter der Urlaubsabgeltung klargestellt. Die geänderten bzw. neu eingeführten Regelungen des Arbeitsförderungsgesetzes (AFG) - § 117 Abs. 1a und § 168 Abs. 1 Satz 2 - hätten den Begriff des Arbeitsverhältnisses und den Begriff des Arbeitsentgelts modifiziert. Die Fiktion des Beschäftigungsverhältnisses für die Zeit, für die Urlaubsabgeltung gezahlt werde, beinhalte eine allgemeine gesetzliche Legaldefinition, deren Wirkung nicht allein auf das AFG beschränkt sei. Über die Änderung des AFG durch das AFKG werde § 14 des Sozialgesetzbuches - Gemeinsame Vorschriften für die Sozialversicherung - (SGB IV) ausgefüllt.
Mit der Sprungrevision rügt die Klägerin eine fehlerhafte Anwendung des § 182 Abs. 1 Nr. 2, des § 183 Abs. 2 und des § 189 RVO sowie des § 117 Abs. 1a und des § 168 Abs. 1 Satz 2 AFG. Sie wendet sich dagegen, die Urlaubsabgeltung auch im Leistungsrecht der gesetzlichen Krankenversicherung als Arbeitsentgelt zu berücksichtigen. Das SG habe Sinn und Zweck einer Urlaubsabgeltung und des § 189 RVO mißverstanden. Das Urlaubsentgelt solle den Arbeitnehmer in die Lage versetzen, ohne Einschränkung seiner Lebenshaltung seine Freizeit zur Erholung zu nutzen (vgl. § 9 des Bundesurlaubsgesetzes - BUrlG -). Mit der Abgeltung des Urlaubs werde dem Arbeitnehmer Gelegenheit zur Erholung eingeräumt. Dieser Zweckbestimmung stehe eine Arbeitsunfähigkeit entgegen. Der § 189 Satz 1 RVO finde Anwendung, wenn und soweit der Versicherte während der Krankheit Arbeitsentgelt erhält; ein Ruhenstatbestand i.S. dieser Vorschrift liege dagegen nicht vor, wenn ein während der Krankheit zufließendes Entgelt nicht für die Zeit der Krankheit, sondern für die Zeit nach Fortfall der Arbeitsunfähigkeit bestimmt ist. Die Rechtsmeinung des SG impliziere die Ungleichbehandlung erholungsbedürftiger Arbeitnehmer. Folge man der Revision, so würde der Versicherte nach Fortfall der Arbeitsunfähigkeit noch über Entgelt verfügen, hätte Freizeit zur Erholung und wäre nach § 311 Satz 3 RVO noch Mitglied der Krankenkasse.
Die Klägerin beantragt, das Urteil des Sozialgerichts Münster vom 7. Februar 1983 und den Bescheid der Beklagten vom 15. März 1982 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 26. April 1982 aufzuheben und die Beklagte zu verurteilen, ihr für die Zeit vom 30. Januar 1982 bis 5. März 1982 Krankengeld zu gewähren.
Die Beklagte beantragt, die Revision zurückzuweisen.
Sie hält die Auffassung des SG für zutreffend. Der Anspruch auf Erholungsurlaub und der Anspruch auf Urlaubsabgeltung unterschieden sich ihrer Natur nach grundlegend (vgl. §§ 8 und 9 BUrlG). Aus dem Gesetz ergebe sich auch eine eindeutige zeitliche Zuordnung des Abgeltungsanspruchs auf den Zeitraum nach Beendigung des Arbeitsverhältnisses. Die Auffassung der Klägerin führe im übrigen ihrerseits zu einer Ungleichbehandlung. Wäre die Klägerin nach ihrer Gesundung arbeitslos, könnte keine Anrechnung der Urlaubsabgeltung auf den Anspruch auf Arbeitslosengeld erfolgen, da nach § 117 Abs. 1a Satz 2 AFG der Ruhenszeitraum mit dem Ende des Arbeitsverhältnisses beginne.
II
Die Klägerin hat mit ihrer Revision Erfolg. Ihr ist Krankengeld auch für die Zeit vom 30. Januar bis 5. März 1982 zu zahlen. Entgegen der Auffassung der Beklagten und des SG ruht der Krankengeldanspruch für diese Zeit nicht deshalb, weil die Klägerin von ihrem Arbeitgeber wegen Beendigung des Arbeitsverhältnisses am 29. Januar 1982 eine Urlaubsabgeltung für 25 Arbeitstage erhalten hat.
Nach § 189 Satz 1 RVO in der hier maßgeblichen Fassung des Zweiten Krankenversicherungsänderungsgesetzes vom 21. Dezember 1970 (BGBl. I 1770) ruht der Anspruch auf Krankengeld, wenn und soweit der Versicherte während der Krankheit Arbeitsentgelt erhält. Diese Regelung soll einen Doppelbezug von Lohn und Krankengeld für dieselbe Zeit ausschließen.
Der 8. Senat des Bundessozialgerichts (BSG) hat bereits entschieden, daß die Urlaubsabgeltung nach ihrer Zielsetzung kein mit der Krankengeldzahlung zeitlich konkurrierendes Arbeitsentgelt ist (Urteil vom 20. März 1984 - 8 RK 4/83 -). Dieser Auffassung schließt sich der erkennende Senat an.
Die Urlaubsabgeltung ist ein Surrogat für den Anspruch auf Erholungsurlaub (Dersch/Neumann, Bundesurlaubsgesetz, Kommentar, 6. Aufl., Rdnr. 98 zu § 7). Jeder Arbeitnehmer hat Anspruch auf bezahlten Erholungsurlaub (§ 1 BUrlG). Er soll die Möglichkeit haben, sich zu erholen (Dersch/Neumann a.a.O. Rdnr. 65 zu § 1). Diese Möglichkeit hat er in der Regel nicht während einer Zeit, in der er arbeitsunfähig krank ist. Deshalb werden Tage der Arbeitsunfähigkeit auch dann nicht auf den Jahresurlaub angerechnet, wenn der Arbeitnehmer während des Urlaubs erkrankt (§ 9 BUrlG). Der Arbeitnehmer erhält für diese Tage Leistungen wegen Arbeitsunfähigkeit (Lohnfortzahlung bzw. Krankengeld), der Urlaubsanspruch bleibt ihm erhalten, der Urlaub ist ihm später zu gewähren. Kann der Urlaub wegen Beendigung des Arbeitsverhältnisses ganz oder teilweise nicht mehr gewährt werden, so ist er abzugelten (§ 7 Abs. 4 BurlG). Es handelt sich dabei um eine Ausnahme von dem aus den Grundsätzen des Urlaubsrechts sich ergebenden Abgeltungsverbot (Dersch/Neumann a.a.O. Rdnr. 102 zu § 7). Eine Urlaubsabgeltung bei fortbestehendem Arbeitsverhältnis würde dem Arbeitnehmer die Möglichkeit nehmen, die ihm zustehende Urlaubszeit zur Erholung zu verwenden. Dies soll durch das grundsätzliche Abgeltungsverbot verhindert werden. Die Möglichkeit zur Erholung hat der Arbeitnehmer aber auch dann noch, wenn er eine Urlaubsabfindung wegen Beendigung des Arbeitsverhältnisses erhält. Durch die Abfindung wird er in die Lage versetzt, eine dem Urlaub entsprechende Zeit zur Erholung zu nutzen. Die Zeit kann er sich verschaffen, indem er eine neue Arbeitsstelle erst nach dem Urlaub antritt oder den folgenden Arbeitgeber um unbezahlte Dienstbefreiung bittet (Schaub, Arbeitsrechtshandbuch, 4. Aufl., § 102 VII, 2). Voraussetzung für eine solche Erholung außerhalb eines Arbeitsverhältnisses ist aber wie im Falle eines fortbestehenden Arbeitsverhältnisses, daß der Arbeitnehmer nicht arbeitsunfähig krank ist.
Die arbeitsrechtliche Regelung, daß der Erholungsurlaub außerhalb einer Arbeitsunfähigkeitszeit zu gewähren ist, hat zur Folge, daß die wegen einer Arbeitsunfähigkeit zustehenden Lohn- bzw. Lohnersatzleistungen nicht von einem Urlaubsanspruch, auch nicht von einem bereits angetretenen Urlaub verdrängt werden. Die arbeitsrechtliche Regelung hat also insoweit auch Bedeutung für die Ruhensvorschrift des § 189 RVO. Es ist kein Grund ersichtlich, in bezug auf diese Vorschrift die Urlaubsabgeltung anders als den Urlaub zu behandeln. Die Umwandlung des Urlaubsanspruchs in einen Abgeltungsanspruch stellt eine Beeinträchtigung der Rechtsstellung des Arbeitnehmers dar, die sich wegen Beendigung des Arbeitsverhältnisses nicht vermeiden läßt. Die Beendigung des Arbeitsverhältnisses zwingt jedoch nicht zu der weiteren Schlechterstellung des Arbeitnehmers, ihm auch die Möglichkeit zu nehmen, eine dem Urlaubsanspruch entsprechende Zeit zur Erholung zu verwenden. Diese Möglichkeit würde ihm aber bei einem Ruhen des Krankengeldanspruchs genommen, weil er dann gezwungen wäre, während der Arbeitsunfähigkeitszeit die Urlaubsabgeltung zu verbrauchen. Dies widerspräche dem Zweck der Urlaubsabgeltung, der gerade darin besteht, dem Arbeitnehmer durch Geldzahlung die Möglichkeit einzuräumen, eine dem abgegoltenen Urlaub entsprechende Freizeit wie Urlaub zu nutzen (Stahlhacke/Bachmann, Gemeinschaftskommentar zum BUrlG, 4, Aufl., Rdnr. 140 zu § 7), Die Urlaubsabgeltung kann daher ebensowenig wie der Urlaub selbst auf eine Krankengeldanspruchszeit bezogen werden.
Dieses Ergebnis steht nicht in Widerspruch zu den durch das Arbeitsförderungs-Konsolidierungsgesetz (AFKG) in das AFG, in die RVO und in andere Sozialversicherungsgesetze eingefügten Vorschriften, die sich mit der Urlaubsabgeltung befassen (§ 117 Abs. 1a, § 168 Abs. 1 Satz 2 AFG; § 1227 Abs. 2 RVO = § 2 Abs. 3 AVG = § 29 Abs. 1 Satz 4 RKG; § 311 Satz 3, § 381 Abs. 6 RVO). Soweit diese Vorschriften bestimmen, daß sich der Zeitraum der Urlaubsabgeltung stets - also unabhängig davon, ob der Versicherte arbeitsfähig oder arbeitsunfähig ist - an das Ende des die Urlaubsabgeltung begründenden Arbeitsverhältnisses anschließt, beschränkt sich ihre Bedeutung auf den jeweiligen Regelungsbereich. Der Auffassung des SG, diese Vorschriften enthielten eine allgemeine gesetzliche Legaldefinition und füllten § 14 SGB IV aus, wird nicht zugestimmt. Hätte der Gesetzgeber eine für die gesamte Sozialversicherung einheitliche Regelung beabsichtigt, so hätte er dies, davon ist auszugehen, in einer ihm geeignet erscheinenden Weise zum Ausdruck gebracht, z.B. durch Aufnahme einer solchen Regelung bei den allgemeinen Vorschriften des SGB oder durch übereinstimmende Einzelregelungen. Die durch das AFKG getroffenen Einzelregelungen, die nur teilweise übereinstimmen, sprechen gegen eine über den jeweiligen Regelungsbereich hinausgehende Bedeutung. Da es der Gesetzgeber für nötig hielt, den § 117 AFG mit dem Absatz 1a eine spezielle die Urlaubsabgeltung betreffende Vorschrift einzufügen, obwohl bereits Absatz 1 das Ruhen des Anspruchs auf Arbeitslosengeld (Alg.) bei Gewährung bzw. Anspruch auf Arbeitsentgelt anordnet, hätte eine entsprechende Ergänzung des § 189 RVO nahegelegen, wenn die Urlaubsabgeltung auch zum Ruhen des Krankengeldes hätte führen sollen. Für die unterschiedlichen Regelungen in § 117 AFG und § 189 RVO gibt es Gründe. Der arbeitslose (arbeitsfähige) Arbeitnehmer kann im Anschluß an das Arbeitsverhältnis Urlaub machen. Wenn er davon absieht und sich der Arbeitsvermittlung zur Verfügung stellt, so ist das seine freie Entscheidung. Er soll dadurch aber finanziell nicht bessergestellt werden als derjenige, der gemäß der gesetzlichen Zielvorstellung die dem abgegoltenen Urlaub entsprechende Zeit zur Erholung verwendet. Der arbeitsunfähige Arbeitnehmer ist dagegen in der Regel nicht in der Lage, Urlaub zu machen. Auch aus § 1227 Abs. 2 RVO ergeben sich keine Folgerungen für § 189 RVO. § 381 Abs. 6 RVO regelt Iediglich die beitragsrechtliche Behandlung der Urlaubsabgeltung. Die Verlängerung des Versicherungsschutzes durch § 311 Satz 3 RVO läßt ebenfalls nicht den Schluß zu, daß nun bei der Ruhensvorschrift des § 189 RVO, obwohl durch das AFKG nicht geändert, auch die Urlaubsabgeltung zu berücksichtigen ist.
Die vorgenannten durch das AFKG angefügten Vorschriften enthalten Regelungen; die auf die Interessenlage des arbeitsfähigen Arbeitnehmers abstellen. Der arbeitsfähige Arbeitnehmer, der vorübergehend ohne Arbeit ist und der Arbeitsvermittlung zur Verfügung steht, hat grundsätzlich Anspruch auf Arbeitslosengeld (§ 100 AFG). Dieses ruht aber für den Zeitraum der Urlaubsabgeltung (§ 117 Abs. 1a AFG). Der Arbeitnehmer hätte auch bei einem Erholungsurlaub während des Arbeitsverhältnisses nur das Urlaubsentgelt erhalten. In der Rentenversicherung wird mit der Fiktion des für die Zeit des abgegoltenen Urlaubs fortbestehenden Beschäftigungsverhältnisses (§ 1227 Abs. 2 RVO = § 2 Abs. 3 AFG = § 29 Abs. 1 Satz 4 RKG) dem Bedürfnis des arbeitsfähigen Versicherten entsprochen, diese Zeit auch dann als Versicherungszeit zu berücksichtigen, wenn sie der Versicherte, wie vom Gesetzgeber gewollt, zur Erholung verwendet. Den Interessen des arbeitsunfähigen Versicherten mit Anspruch auf Krankengeld ist in der Regel schon durch die Anrechnung der Arbeitsunfähigkeitszeit als Ausfallzeit (§ 1259 Abs. 1 Nr. 1 RVO) hinreichend Rechnung getragen. Auch die Erhaltung der Kassenmitgliedschaft durch § 311 Satz 3 RVO dient dem Krankenversicherungsschutz des arbeitsfähigen Versicherten. Für den Krankengeldberechtigten brachte diese neue Regelung keine Verbesserung seines Versicherungsschutzes (§ 311 Satz 1 Nr. 2 RVO i.d.F. vor und nach Inkrafttreten des AFKG). Der § 168 Abs. 1 Satz 2 AFG gewährleistet, was auch für die Anwartschaft i.S. des § 104 AFG von Bedeutung ist, daß die Beitragspflicht nach dem AFG während der Zeit, für die der Arbeitnehmer Anspruch auf Urlaubsabgeltung hat, fortbesteht (BT-Drucks. 9/846, Begründung zu Art. 1 § 1 Nr. 54 S. 47). § 381 Abs. 6 RVO ist die Konsequenz aus § 311 Satz 3 RVO. Da während der Zeit der Urlaubsabgeltung Krankenversicherungsschutz besteht, sollen von der Urlaubsabgeltung Beiträge erhoben werden (BT-Drucks. a.a.O., Begründung zu Art. 4 § 1 Nr. 6 Buchst. c S. 52). Diese Regelungen rechtfertigen es nicht, die Urlaubsabgeltung im Rahmen des § 189 RVO einer Krankengeldbezugszeit zuzuordnen.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 des Sozialgerichtsgesetzes.3 RK 9/83
Bundessozialgericht
Verkündet am
27. Juni 1984
Fundstellen