Beteiligte
Kläger und Revisionskläger |
Beklagte und Revisionsbeklagte |
Tatbestand
I
Der Kläger, der seit seiner Geburt praktisch blind ist und keinen Führhund hat, begehrt von der Beklagten eine Pauschale für fremde Führung in Höhe des nach § 14 des Bundesversorgungsgesetzes (BVG) jeweils geltenden Betrages.
Die Beklagte, deren Mitglied der Kläger ist, lehnte seinen Antrag vom November 1980 mit dem Bescheid vom 23. Dezember 1980 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 28. April 1982 ab, weil Dienstleistungen durch Personen nur dann unter den Begriff des Hilfsmittels zu subsumieren seien, wenn das im Gesetz ausdrücklich bestimmt sei.
Das Sozialgericht Stuttgart (SG) hat die Klage mit Urteil vom 1. Dezember 1982 abgewiesen. Das Landessozialgericht Baden-Württemberg (LSG) hat die Berufung mit seinem Urteil vom 13. April 1984 zurückgewiesen. Das Bundessozialgericht (BSG) habe bereits entschieden, daß ein Blinder nach § 182b der Reichsversicherungsordnung (RVO) keinen Anspruch auf Ersatz der Aufwendungen für fremde Führung habe. Diese Kosten könnten von der gesetzlichen Krankenversicherung nicht übernommen werden, weil eine menschliche Dienstleistung kein "Hilfsmittel" sei. Darüber hinaus zwinge der systematische Aufbau der Bestimmungen über die Leistungen der gesetzlichen Krankenversicherung zu dem Schluß, daß der Hilfsmittelbegriff nicht auf Dienstleistungen durch Personen ausgedehnt werden könne. Der Kläger könne seinen Anspruch auch nicht unmittelbar aus § 182 Abs. 1 Nr. 1 RVO herleiten. Die Aufzählung der in den folgenden Paragraphen genannten Leistungen sei zwar nicht abschließend, Voraussetzung sei aber, daß Leistungen der Erkennung, Behandlung oder Heilung einer Krankheit dienten. Das geltende Recht gestatte es nicht, die Nachteile eines Blinden, der aus zwingenden Gründen keinen Blindenführhund halten könne, mit einer Abgeltung der Aufwendungen für fremde Führung auszugleichen. Hierin liege kein Verstoß gegen den allgemeinen Gleichheitssatz des Art. 3 Abs. 1 des Grundgesetzes (GG).
Mit seiner - von dem LSG zugelassenen - Revision vertritt der Kläger weiterhin die Auffassung, auch eine Dienstleistung könne "Hilfsmittel" sein, wenn sie wegen besonderer Umstände als Ersatz an die Stelle eines anderen zum Ausgleich der Behinderung einsetzbaren Hilfsmittels trete. Das folge aus dem Gesamtzusammenhang, in dem § 182b RVO bezüglich der Aufgaben der Krankenversicherung im Bereich der medizinischen Rehabilitation stehe. Hätte der Kläger etwa einen Blindenführhund, einen Blindenstock oder eine Ultraschallbrille beantragt, so hätte die Beklagte vermutlich die Kosten dafür übernommen, insbesondere auch die Kosten für die Unterhaltung eines Führhundes. Die Aufgabe der Krankenversicherung im Rahmen der Rehabilitation gebiete es, persönliche Dienstleistungen, die das gleiche Ziel haben wie der Einsatz eines möglichen Hilfsmittels, diese dem letzteren gleichzusetzen. Anderenfalls würde gerade denen die Rehabilitation im medizinischen Bereich versagt, die sich besonderen Schwierigkeiten beim Ausgleich der beeinträchtigten natürlichen Funktionen gegenüber sehen. Dem trage das Rundschreiben der Spitzenverbände der Sozialversicherungsträger vom 10. Juni 1975 Rechnung. Es stelle keine Leistungsausdehnung über den gesetzlichen Rahmen hinaus dar.
Der Kläger beantragt, das Urteil des Landessozialgerichts Baden-Württemberg vom 13. April 1984 aufzuheben und die Beklagte zu verurteilen, dem Kläger eine monatliche Pauschale für fremde Führung in Höhe des jeweils nach § 14 des Bundesversorgungsgesetzes versorgungsberechtigten Blinden zustehenden Betrages zu gewähren.
Die Beklagte beantragt, die Revision zurückzuweisen.
Sie hält die Entscheidungen der Vorinstanzen für zutreffend. Der Kläger habe demgegenüber keine neuen Gesichtspunkte vorgetragen.
Die Beteiligten sind mit einer Entscheidung ohne mündliche Verhandlung gemäß § 124 Abs. 2 des Sozialgerichtsgesetzes (SGG) einverstanden.
II
Die Revision des Klägers ist unbegründet. Die Beklagte, das SG und das LSG haben zu Recht den streitigen Anspruch auf pauschalen Ersatz der Kosten für fremde Führung verneint. Das LSG hat eingehend und mit zutreffenden Gründen dargelegt, daß der Kläger aus der gesetzlichen Krankenversicherung keinen solchen Anspruch hat, weil die Führung eines Blinden durch eine andere Person weder ein Hilfsmittel noch eine sonstige Leistung der Krankenpflege ist.
Die gesetzliche Krankenversicherung gewährt zum Zweck der Krankenpflege grundsätzlich nur Sachleistungen. Dieses Sachleistungsprinzip wird zwar in der Praxis nicht immer streng eingehalten. Daraus kann aber nicht gefolgert werden, daß andere als Sachleistungen auch in vom Gesetz nicht ausdrücklich vorgesehenen Fällen erbracht werden müssen. Ein Aufwendungsersatz, wie ihn der Kläger begehrt, wäre daher allenfalls denkbar, wenn die Leistung, die den Aufwand erfordert, eine Sachleistung der Krankenversicherung wäre. Ebenso wie die Vorinstanzen folgt auch der erkennende Senat der Entscheidung des 3. Senats des BSG vom 18. Mai 1978 (SozR 2200 § 182b Nr. 8), soweit darin die Eigenschaft einer Führperson als Hilfsmittel der gesetzlichen Krankenversicherung verneint und deshalb der Ersatz von hierfür erforderlichen Aufwendungen abgelehnt wird. Der 3. Senat hat zwar seinerzeit noch die später aufgegebene Rechtsauffassung vertreten, ein Blindenführhund sei kein Hilfsmittel der gesetzlichen Krankenversicherung (vgl. hierzu BSG SozR 2200 § 182b Nr. 19). Die Änderung der Rechtsprechung zur Hilfsmitteleigenschaft eines Blindenführhundes hat aber keinen Einfluß auf die mangelnde Hilfsmitteleigenschaft einer Führperson. Auch ausgehend von der Annahme, daß die Hilfeleistungen von Führpersonen die Auffassung rechtfertige, sie ersetzten teilweise die körperliche Funktion des Sehens, hat der 3. Senat die Hilfsmitteleigenschaft verneint, weil zunächst schon aus dem Wortsinn des "Hilfsmittels" folge, daß nicht Dienstleistungen von Personen umfaßt seien. Auch der Begriff "Ausstattung" mit Hilfsmitteln, wie er in § 182b Satz 1 RVO verwendet werde, könne sich nicht auf Personen beziehen. Zutreffend führt der 3. Senat a.a.O. weiter aus, in der RVO seien die Fälle, in denen ein Anspruch auf Gestellung einer Person gewährt wird, ausdrücklich genannt (Pflegeperson für häusliche Krankenpflege, Haushaltshilfe). Zwar erstrecke sich der Anspruch auf Krankenpflege regelmäßig auch auf die Gewährung von persönlichen Dienstleistungen wie ärztliche Behandlung, Pflege im Krankenhaus, und auch im Zusammenhang mit der Ausstattung mit Hilfsmitteln können persönliche Dienstleistungen verlangt werden, nämlich für die Ausbildung im Gebrauch des Hilfsmittels. Auch der erkennende Senat vermag hieraus nicht herzuleiten, daß an die Stelle des Anspruchs auf Ausstattung mit einem Hilfsmittel generell ein Anspruch auf Ersatz der Kosten tritt, die durch eine Person entstehen, welche Funktionen ausübt, die ein Hilfsmittel erfüllen würde. Der 3. Senat des BSG hat in der genannten Entscheidung ebenfalls bereits darauf hingewiesen, § 182b Satz 1 RVO gebe keinen Anspruch auf jegliche Art von Leistungen, wenn diese nur geeignet sind, bei der Behinderung oder bei deren Folgen helfend zu wirken. Diese Leistung sei sowohl von der Zielsetzung wie auch von der Art der Hilfe her begrenzt; es würden keine sonstigen Maßnahmen, etwa pflegerischer Art, geschuldet. Dem ist zuzustimmen. Es ist allein Aufgabe des Gesetzgebers, einzelne Dienstleistungen im Gegensatz zu dem Sachleistungsgrundsatz ausdrücklich in den Leistungsrahmen der gesetzlichen Krankenversicherung einzubeziehen. Bei den angesprochenen Dienstleistungen im Rahmen der Krankenpflege, wie ärztliche Behandlung oder pflegerische Betreuung im Krankenhaus, ist das nicht erforderlich, weil es sich dabei um Leistungen handelt, die selbst im engsten Zusammenhang mit Sachleistungen i.S. der Krankenversicherung - wie etwa kostenfreie ärztliche Behandlung oder Behandlung in einem Krankenhaus - stehen; sie sind selbst Sachleistungen im Sinne der gesetzlichen Krankenversicherung.
Die Aufzählung der Leistungen in § 182 Abs. 1 Nr. 1 RVO ist zwar nicht abschließend, so daß weitere Leistungen der allgemeinen Krankenpflege denkbar sind. Die Führung eines Blinden ist aber keine andere Leistung der Krankenpflege nach § 182 Abs. 1 Nr. 1 RVO, denn sie ist keine medizinische Maßnahme, die der Behandlung einer Krankheit, und wenn auch nur der Linderung der Beschwerden, dient. Sie hat vielmehr den Zweck, wie ein Hilfsmittel eine körperliche Behinderung auszugleichen. Deswegen erkennt die Rechtsprechung inzwischen den Anspruch von Blinden auf die Gestellung eines Führhundes auch in der gesetzlichen Krankenversicherung an. Als unmittelbar damit im Zusammenhang stehende notwendige Nebenleistung wird dem blinden Versicherten auch ein Kostenersatz für die Unterhaltung des Hundes, nämlich insbesondere für die Beschaffung von Futter, gewährt (BSGE 51, 206ff.).
Dem Kläger kann nicht zugestimmt werden, wenn er meint, es sei rechtswidrig, daß die Krankenkasse ihm die Kosten für die Beschaffung etwa eines Führhundes, eines Blindenstockes oder einer Ultraschallbrille ersetzen würde, ihm aber den Kostenersatz für eine Führperson verweigere, die doch demselben Zweck wie die genannten Gegenstände diene, ihn sogar wesentlich besser erfülle. Die genannten Gegenstände sind sächliche Hilfsmittel und fallen deshalb unter § 182b RVO; sie sind als Sachleistungen dem Versicherten zur Verfügung zu stellen; in welcher Form, das im einzelnen geschieht, ist dabei nicht entscheidend. Eine Person oder eine persönliche Dienstleistung ist aber kein Hilfsmittel, mag sie eine körperliche Behinderung auch ebenso gut oder besser ausgleichen, als jedes Hilfsmittel i.S. des Gesetzes. Daß der pauschale Aufwendungsersatz für fremde Führung von Blinden sowohl im Recht der Kriegsopferversorgung (§ 14 BVG) als auch im Recht der gesetzlichen Unfallversicherung (§ 2 Abs. 2 der Verordnung über die orthopädische Versorgung Unfallverletzter vom 18. Juli 1973, BGBl I 871 - DVO vom 18. Juli 1973) ausdrücklich als besondere Leistung normiert ist, zeigt deutlich, daß der Gesetzgeber darin weder eine Leistung der Heilbehandlung oder der Krankenpflege noch ein Hilfsmittel gesehen hat.
Es ist keine nach Art. 3 Abs. 1 GG unzulässige Ungleichbehandlung, wenn Blinden zwar grundsätzlich ein Führhund als Hilfsmittel zu gewähren ist, solche Blinde aber, die nicht in der Lage sind, einen Führhund zu halten, keinen Ersatz für Kosten beanspruchen können, die durch fremde Führung entstehen. Beide sind zwar in derselben Weise behindert, die Behinderung kann aber nur in einem Fall mit Mitteln der gesetzlichen Krankenversicherung (teilweise) ausgeglichen werden. Insoweit handelt es sich also nicht um gleichartige Sachverhalte. Der Gleichheitssatz des Art. 3 Abs. 1 GG zwingt weder den Gesetzgeber noch die Krankenkasse zur Gewährung von allen denkbaren Leistungen, die den gleichen Zweck erfüllen können wie die in § 182b RVO genannten Hilfsmittel. Auch wer andere Hilfsmittel der gesetzlichen Krankenversicherung nicht benutzen kann und deshalb Dienste von Personen in Anspruch nehmen muß, erhält dafür keinen Aufwendungsersatz.
Schließlich liegt auch kein Verstoß gegen Art. 3 Abs. 1 GG darin, daß in anderen Rechtsgebieten Blinden Pauschalbeträge u.a. für fremde Führung gewährt werden (§ 14 BVG, § 2 Abs. 2 der DVO vom 18. Juli 1973). Zwar ist die Krankheit oder Behinderung jeweils die gleiche. Daraus folgt aber nicht, daß nach dem allgemeinen Gleichheitssatz in allen Rechtsgebieten, oder wenigstens denen des Sozialgesetzbuchs, gleiche Leistungen zu gewähren sind, denn unterschiedliche Gesetzeszwecke und Zielsetzungen erlauben unterschiedliche Leistungen. Auch das Rehabilitationsangleichungsgesetz hat keinen allgemeinen Zustand der Rechtsgleichheit auf dem Gebiet der Rehabilitation in dem Sinne normiert, daß alle Sozialversicherungsträger für gleiche Krankheiten ihren Versicherten die gleichen Leistungen zu gewähren haben (vgl. dazu BSGE 53, 273, 275). Die Art und der Umfang der Leistungen ist vielmehr weiterhin in den besonderen Teilen des Sozialgesetzbuchs geregelt. Die Spitzenverbände der Sozialversicherungsträger haben das in ihrem gemeinsamen Rundschreiben vom 10. Juni 1975 zur Ausstattung der Versicherten mit Körperersatzstücken, orthopädischen oder anderen Hilfsmitteln (BKK 1975, 223ff.) nicht hinreichend berücksichtigt, wenn sie unter Nr. 6.5 Abs. 3 für alle drei Bereiche, nämlich der gesetzlichen Kranken-, Unfall- und Rentenversicherung ausgesprochen haben, daß zu den Aufwendungen für fremde Führung ein monatlicher Zuschuß in Höhe des in § 14 BVG jeweils festgesetzten Betrages gewährt werde, wenn ein Blindenführhund aus zwingenden Gründen, die in der Person des Blinden begründet sind, nicht gehalten werden könne. Damit ist nicht, wie der Kläger meint, der Umfang der gesetzlichen Leistungspflicht der Krankenkassen interpretiert, sondern unzulässig - weil entgegen dem Gesetz - erweitert worden.
In dem Fehlen eines entsprechenden Anspruchs im Recht der gesetzlichen Krankenversicherung vermag der Senat schließlich auch keine planwidrige und deshalb ausfüllungsfähige und ausfüllungsbedürftige Gesetzeslücke zu erkennen. Es kann nicht angenommen werden, daß es dem Gesetzgeber nicht bewußt war, daß es in der Kriegsopferversorgung und in der Unfallversicherung Aufwendungsersatzansprüche für die fremde Führung Blinder gibt, in der gesetzlichen Krankenversicherung jedoch nicht und er es lediglich versehentlich unterlassen hat, eine gleichartige Regelung zu treffen. Es gibt auch keinen Anhalt dafür, daß der Gesetzgeber sich der unterschiedlichen Regelungen nicht bewußt war und bei entsprechender Kenntnis auch in die Krankenversicherung einen solchen Aufwendungsersatz eingeführt hätte. Immerhin hatte sich das BSG schon in der o.a. Entscheidung vom 18. Mai 1978 eingehend mit der Problematik befaßt. Solange der Gesetzgeber also nicht auch für die Krankenversicherung, etwa ähnlich den §§ 14 BVG oder 2 Abs. 2 der DVO vom 18. Juli 1973, einen Anspruch auf Kostenersatz für fremde Führung ausdrücklich in das Gesetz einbezieht, haben Versicherte einen solchen Anspruch nicht. Der Gesetzgeber hat für das Recht der Kriegsopferversorgung und der Unfallversicherung wegen der dort angenommenen besonderen Fürsorgepflicht eine weitergehende Leistungspflicht anerkannt. Ob sie nicht auch für die Krankenversicherung sozial gerechtfertigt wäre, liegt in seiner Entscheidungsbefugnis.
Die Kostenentscheidung folgt aus § 193 SGG.8 RK 30/84
Bundessozialgericht
Fundstellen