Leitsatz (amtlich)
Bezieht ein Arbeitsloser nach Vollendung des 60.Lebensjahres Altersruhegeld aus der Angestelltenversicherung nach AVG § 25 Abs 2 nF, weil er mindestens ein Jahr ununterbrochen arbeitslos war, so steht dieser Bezug dem von Altersruhegeld nach Vollendung des 65.Lebensjahres (AVG § 25 Abs 1 nF) gleich und hat das Ruhen des Arbeitslosengeldes über 156 Tage hinaus gemäß AVAVG § 87 Abs 5 nF zur Folge.
Normenkette
AVAVG § 87 Abs. 5 Fassung: 1957-04-03; AVG § 25 Abs. 2 Fassung: 1957-02-23, Abs. 1 Fassung: 1957-02-23
Tenor
Auf die Revision des Klägers wird das Urteil des Landessozialgerichts Schleswig vom 10. Februar 1960 aufgehoben.
Der Rechtsstreit wird zur erneuten Entscheidung an das Landessozialgericht zurückverwiesen.
Von Rechts wegen.
Gründe
I
Der Kläger bezog zunächst Arbeitslosengeld über 156 Tage hinaus. Nachdem ihm die Bundesversicherungsanstalt für Angestellte (BfA.) durch Bescheid vom 21. April 1959 mit Wirkung vom 1. März 1959 das vorgezogene Altersruhegeld nach § 25 Abs. 2 des Angestelltenversicherungsgesetzes (AVG) zuerkannt hatte, ordnete die Beklagte mit Bescheid vom 24. April 1959 die Rückzahlung des von ihr über 156 Tage hinaus gezahlten Arbeitslosengeldes an, weil der Anspruch des Klägers insoweit nach § 87 Abs. 5 des Gesetzes über Arbeitsvermittlung und Arbeitslosenversicherung (AVAVG) ruhe. Den Widerspruch des Klägers wies das Arbeitsamt (ArbA.) mit der Begründung zurück, das vorgezogene Altersruhegeld gehöre zu den ähnlichen Bezügen öffentlich-rechtlicher Art im Sinne des § 87 Abs. 5 AVAVG (vgl. Bescheid vom 15.5.1959).
Auf Klage verurteilte das Sozialgericht (SG.) die Beklagte, dem Kläger einen neuen Bescheid über die Gewährung von Arbeitslosengeld über 156 Tage hinaus zu erteilen, weil das vorgezogene Altersruhegeld nicht unter den Begriff der ähnlichen öffentlich-rechtlichen Bezüge falle und deshalb den Anspruch auf Arbeitslosengeld nicht zum Ruhen bringe (Urteil vom 8.10.1959). Auf die Berufung der Beklagten wies das Landessozialgericht (LSG.) durch Urteil vom 10. Februar 1960 die Klage ab. Es war ebenfalls der Auffassung, das vorgezogene Altersruhegeld gehöre nicht zu den ähnlichen Bezügen öffentlich-rechtlicher Art in § 87 Abs. 5 AVAVG, meinte aber, insoweit liege eine Lücke im Gesetz vor. Wenn der Gesetzgeber diese Lücke gekannt hätte, hätte er das Ruhen des Anspruchs auf Arbeitslosengeld über 156 Tage hinaus auch bei Bezug von vorgezogenem Altersruhegeld angeordnet, weil dieses Altersruhegeld dem Altersruhegeld nach § 25 Abs. 1 AVG durch Analogieschluß gleichzustellen sei. Das LSG. ließ die Revision zu.
Der Kläger legte gegen das am 26. April 1960 zugestellte Urteil am 19. Mai 1960 Revision ein und begründete sie am 10. Juni 1960. Er meint, eine Lücke im Gesetz liege nicht vor. Dies ergebe sich schon daraus, daß der Text dieser Vorschrift zwischenzeitlich geändert und den Rentenversicherungs-Neuregelungsgesetzen angepaßt worden sei. Wenn der Gesetzgeber trotzdem das vorgezogene Altersruhegeld nach § 25 Abs. 2 AVG nicht in § 87 Abs.5 AVAVG einbezogen habe, so müsse daraus geschlossen werden, daß er das Ruhen des Arbeitslosengeldes beim Bezug dieser Rente nicht beabsichtigt habe.
Der Kläger beantragt,
das Urteil des LSG. Schleswig vom 10. Februar 1960 aufzuheben und die Berufung der Beklagten gegen das Urteil des SG. Schleswig vom 8. Oktober 1959 zurückzuweisen.
Die Beklagte beantragt,
die Revision zurückzuweisen.
Sie führt aus: Die Gewährung von Ruhegeld wegen Arbeitslosigkeit sei vor dem Inkrafttreten des Angestelltenversicherungs-Neuregelungsgesetzes (AnVNG) in § 397 AVG a.F. geregelt gewesen. Dieser Versicherungsfall sei seiner rechtlichen Natur nach ein Sonderversicherungsfall der Berufsunfähigkeit gewesen. Inzwischen seien durch das Zweite Änderungsgesetz zum AVAVG vom 7. Dezember 1959 die Worte "Invalidität oder Berufsunfähigkeit" durch die Worte "Berufsunfähigkeit oder Erwerbsunfähigkeit" ersetzt worden. Das vorgezogene Altersruhegeld sei zwar nicht ausdrücklich als Rente erwähnt worden, jedoch müsse daraus geschlossen werden, daß es nach Auffassung des Gesetzgebers unter die ähnlichen Bezüge öffentlich-rechtlicher Art in § 87 Abs. 5 AVAVG falle.
II
Die durch Zulassung statthafte, auch form- und fristgerecht eingelegte Revision ist begründet.
Der Streit der Parteien geht zunächst darum, ob das dem Kläger nach § 25 Abs. 2 AVG bewilligte sogenannte "vorgezogene" Altersruhegeld das Ruhen des Anspruchs auf Arbeitslosengeld über 156 Tage hinaus nach § 87 Abs. 5 AVAVG zur Folge hat. Nach § 25 Abs. 2 AVG erhält Altersruhegeld auf Antrag der Versicherte, der das 60. Lebensjahr vollendet, die Wartezeit erfüllt hat und seit mindestens einem Jahr ununterbrochen arbeitslos ist, für die weitere Dauer der Arbeitslosigkeit. Laut § 87 Abs. 5 AVAVG ruht der Anspruch auf Arbeitslosengeld über 156 Tage hinaus während einer Zeit, für die dem Arbeitslosen ein Anspruch auf Rente wegen Erreichung des 65. Lebensjahres oder wegen Berufsunfähigkeit oder Erwerbsunfähigkeit aus der Rentenversicherung der Arbeiter, der Rentenversicherung der Angestellten ... oder auf ähnliche Bezüge öffentlich-rechtlicher Art zuerkannt ist. Im Gesetz ist also ein Ruhen des Arbeitslosengeldes nur bei Bezug einer Rente wegen Erreichung des 65. Lebensjahres geregelt (der Fall der Erwerbs- oder Berufsunfähigkeit scheidet hier aus). Trotzdem mußte der Senat die Frage, ob das wegen Vollendung des 60. Lebensjahres nach § 25 Abs. 2 AVG gezahlte Altersruhegeld dem wegen Vollendung des 65. Lebensjahres gezahlten gleichgestellt werden kann, bejahen. Wie mit näherer Begründung im Urteil vom gleichen Tage (7 RAr 2/60) zu der Frage des vorgezogenen Altersruhegeldes nach § 25 Abs. 3 AVG ausgeführt, hat nach der Systematik des Gesetzes der Bezug einer Rente als Regelleistung aus der Rentenversicherung das Ruhen des Arbeitslosengeldes über 156 Tage hinaus zur Folge. Grund für diese Maßnahme ist, eine Doppelversorgung aus der Sozial- bezw. Arbeitslosenversicherung möglichst zu vermeiden. Es liegt kein Unterschied zwischen dem Altersruhegeld wegen Vollendung des 65. Lebensjahres nach § 25 Abs. 1 AVG und dem wegen Vollendung des 60. Lebensjahres nach § 25 Abs. 2 AVG vor; in beiden Fällen wird das Ruhegeld wegen Erreichung eines höheren Lebensalters gewährt, wobei im zweiten Falle noch gewisse weitere Voraussetzungen hinzukommen müssen. Es ist nicht anzunehmen, daß der Gesetzgeber beide Fälle verschieden regeln wollte. Im Wege einer ausdehnenden Rechtsauslegung hat daher der Senat das vorgezogene Altersruhegeld dem gewöhnlichen Altersruhegeld gleichgestellt. Ein solcher Analogieschluß ist hier zulässig (vgl. im einzelnen Enneccerus-Nipperdey, Allgemeiner Teil des bürgerlichen Rechts, 1. Halbband, 15. Aufl., § 58 und RGZ. 137 S. 13). Hiernach besteht das Wesen der Gesetzesanalogie darin, daß wesensgleiche Tatbestände nach demselben Rechtssatz zu beurteilen sind, auch wenn nach der Fassung des Gesetzes diese nur den einen wesensgleichen Tatbestand betrifft. Grundgedanke des Gesetzes ist hier das Ruhen des Anspruchs auf Arbeitslosengeld über 156 Tage hinaus wegen Bezugs einer Rente aus der Sozialversicherung wegen Alters, Berufsunfähigkeit oder Erwerbsunfähigkeit. Das Alter von 65 Jahren ist der Regelfall für das Altersruhegeld. Das Altersruhegeld nach § 25 Abs. 2 AVG ist ebenfalls ein Versicherungsfall des Alters. Hier wird das Alter von 60 Jahren dem von 65 Jahren gleichgestellt, wenn der Arbeitnehmer mindestens ein Jahr arbeitslos war. Das Altersruhegeld des § 25 Abs. 2 AVG ist also gerade eine besondere Art der Versorgung aus Anlaß von Arbeitslosigkeit. Da aber nach dem Grundgedanken des Gesetzes eine Doppelversorgung möglichst vermieden werden soll, muß somit das Altersruhegeld nach § 25 Abs. 2 dem nach § 25 Abs. 1 AVG im Wege einer ausdehnenden Gesetzesauslegung gleichgestellt werden.
Das LSG. ist daher mit Recht davon ausgegangen, daß der Anspruch des Klägers auf Arbeitslosengeld über 156 Tage hinaus während der Zeit ruhte, für die ihm vorgezogenes Altersruhegeld zuerkannt war. Damit sind die Leistungen, die der Kläger über diese Bezugsdauer hinaus erhalten hat, als zu Unrecht gewährte Beträge im Sinne des § 185 AVAVG anzusehen und können nach Abs. 2 Satz 1 Nr. 3 dieser Vorschrift grundsätzlich auch zurückgefordert werden. Nach Abs. 2 Satz 3 soll aber in diesen Fällen auf die Rückforderung verzichtet werden, wenn und soweit sie mit Rücksicht auf die wirtschaftlichen Verhältnisse des Empfängers nicht vertretbar wäre. Diese Frage ist vom LSG. nicht geprüft worden. Für die Beurteilung, ob die Voraussetzungen für eine Verzichtmöglichkeit vorlagen und ob die Verwaltung ihr Ermessen insoweit richtig ausgeübt hat, sind tatsächliche Feststellungen vom LSG. nicht getroffen worden. Da das Bundessozialgericht solche Feststellungen selbst nicht treffen kann, muß das Urteil aufgehoben und der Rechtsstreit zur erneuten Entscheidung an das LSG. zurückverwiesen werden (§ 170 Abs. 2 SGG).
Die Kostenentscheidung bleibt dem abschließenden Urteil vorbehalten.
Fundstellen