Entscheidungsstichwort (Thema)
Entziehung der Elternrente
Orientierungssatz
1. Auch die mutmaßliche Änderung eines nur gedachten Geschehensablaufs kann eine wesentliche Änderung iS des RVO § 622 Abs 1 sein. Die mutmaßliche Änderung eines nicht Wirklichkeit gewordenen Geschehensablaufs rechtfertigt eine Neufeststellung, wenn der hypothetische Geschehensablauf für die Feststellung der Leistung maßgeblich gewesen ist (vgl BSG 1975-10-22 8 RU 194/74 = SozR 2200 § 622 Nr 6). In einem solchen Fall ist es nicht gerechtfertigt, zwischen tatsächlich eingetretenen und mutmaßlichen Ereignissen, die zu der mutmaßlichen Änderung des gedachten Geschehensablaufs führen, zu unterscheiden.
2. Zur Heiratswahrscheinlichkeit eines 31jährigen ledigen Mannes und dem damit verbundenen Wegfall der Unterhaltsfähigkeit gegenüber den Eltern.
3. Bei der Auslegung ausländischen Rechts handelt es sich um Tatsachenfeststellungen, an die das Revisionsgericht mangels einer Rüge gebunden ist.
Normenkette
RVO § 596 Abs. 1 Fassung: 1963-04-30, § 622 Abs. 1 Fassung: 1963-04-30
Verfahrensgang
Bayerisches LSG (Entscheidung vom 13.07.1977; Aktenzeichen L 2 U 229/74) |
SG München (Entscheidung vom 13.05.1974; Aktenzeichen S 23 U 299/74) |
Tenor
Auf die Revision der Kläger wird das Urteil des Bayerischen Landessozialgerichts vom 13. Juli 1977 aufgehoben.
Die Berufung der Beklagten gegen das Urteil des Sozialgerichts München vom 13. Mai 1974 wird zurückgewiesen.
Die Beklagte hat den Klägern auch die Kosten des Berufungs- und Revisionsverfahrens zu erstatten.
Tatbestand
Die Beteiligten streiten darüber, ob die Beklagte die Elternrente der Kläger entziehen durfte.
Die Kläger sind in Italien wohnende italienische Staatsangehörige. Ihr am 27. Dezember 1933 geborener Sohn, W P, starb am 14. Dezember 1964, also im Alter von fast 31 Jahren, an den Folgen eines in Deutschland erlittenen Arbeitsunfalls. Die Beklagte gewährte daraufhin den Klägern mit Bescheid vom 26. August 1966 vom Todestage an Elternrente nach § 596 Reichsversicherungsordnung (RVO). Etwa 9 Jahre nach dem Tod des Verstorbenen entzog die Beklagte den Klägern die Elternrente gemäß § 622 RVO durch Bescheid vom 30. November 1973 mit Ablauf des Monats Januar 1974.
Der gegen diesen Bescheid gerichteten Klage hat das Sozialgericht (SG) München mit Urteil vom 13. Mai 1974 stattgegeben. Zur Begründung hat es ausgeführt, eine wesentliche Änderung der Verhältnisse liege nicht vor. Die Kläger seien nach wie vor bedürftig, und es sei anzunehmen, daß der Verstorbene auch nach der Gründung einer eigenen Familie Unterhalt geleistet hätte. Deswegen bestünde weiterhin ein Unterhaltsanspruch.
Das Bayerische Landessozialgericht (LSG) hat die Berufsgenossenschaft für Fahrzeughaltungen durch Beschluß vom 16. September 1976 beigeladen, da der frühere Arbeitgeber des Verstorbenen von der Beklagten an die Beigeladene überwiesen worden war. Auf die Berufung der Beklagten hat das LSG das Urteil des SG aufgehoben und die Klage abgewiesen (Urteil vom 13. Juli 1977).
Zur Begründung hat es ausgeführt: Der Entziehungsbescheid der Beklagten sei rechtmäßig, da eine wesentliche Änderung der Verhältnisse vorgelegen habe. Nach § 596 Abs 1 RVO bestünde ein Anspruch auf Elternrente, solange die Rentenberechtigten ohne den Arbeitsunfall gegen den Verstorbenen einen Anspruch auf Unterhalt hätten geltend machen können. Da das italienische Unterhaltsrecht in den wesentlichen Punkten mit dem deutschen Unterhaltsrecht übereinstimme, könne dahingestellt bleiben, welche Rechtsordnung anwendbar sei. Es käme u.a. darauf an, ob der Unterhaltsverpflichtete leistungsfähig sei. Die Leistungsfähigkeit des Verstorbenen habe jedoch mit dem Erlaß des Entziehungsbescheids nicht mehr bestanden, so daß die Kläger keinen Unterhaltsanspruch mehr gegen den Verstorbenen gehabt hätten. Der Verstorbene wäre nämlich inzwischen verheiratet gewesen und hätte Kinder gehabt, so daß er seine Eltern nicht mehr hätte unterstützen können. Zwar hätte der Verstorbene das durchschnittliche Heiratsalter zur Unfallzeit bereits überschritten. Daraus und aus der Tatsache, daß er nicht verlobt gewesen sei, könne aber nicht der Schluß gezogen werden, daß er wahrscheinlich unverheiratet geblieben wäre. Viele Männer heirateten im Alter von über 30 Jahren, so daß aufgrund der allgemeinen Lebenserfahrung davon ausgegangen werden müsse, daß der Verstorbene bis zum 40. Lebensjahr verheiratet gewesen wäre und Kinder gehabt hätte. Die Höhe des Arbeitseinkommens des Verstorbenen - dies habe im Jahr vor seinem Tod 10.229,50 DM betragen - hätte nicht dazu ausgereicht, neben der eigenen Familie auch noch die Kläger zu unterhalten. Auf die Nichtzulassungsbeschwerde der Kläger hat das Bundessozialgericht (BSG) die Revision zugelassen.
Die Kläger haben dieses Rechtsmittel eingelegt und wie folgt begründet: Nach ihrer Ansicht sei in den für die Rentenfeststellung maßgebend gewesenen Verhältnissen keine wesentliche Änderung iS des § 622 RVO eingetreten. Eine lediglich mutmaßliche Änderung in der Person des Verstorbenen, die außerdem im Zeitpunkt des Erlasses des Bewilligungsbescheids bereits vorhersehbar gewesen sei, könne für eine Rentenentziehung keine Bedeutung gewinnen. Das BSG habe bereits für die Feststellung einer wesentlichen Änderung konkrete Tatsachen gefordert (SozR § 622 RVO Nr 12). Deshalb hätte die Beklagte von vornherein nur eine zeitlich begrenzte Rente gewähren dürfen. Die vom LSG vorgenommene Auslegung bedeute, daß den Klägern die Beweislast aufgebürdet würde. Im übrigen wäre der Verstorbene durchaus noch in der Lage gewesen, seine in kläglichen Verhältnissen lebenden Eltern wesentlich zu unterstützen.
Die Kläger beantragen,
das Urteil des Bayerischen LSG vom 13. Juli 1977 aufzuheben und die Berufung der Beklagten gegen das Urteil des SG München vom 13. Juni 1974 zurückzuweisen.
Die Beklagte und die Beigeladene beantragen,
die Revision zurückzuweisen.
Sie sind unter Bezugnahme auf die bisherige Rechtsprechung des BSG der Ansicht, grundsätzlich könne § 622 Abs 1 RVO auf den vorliegenden Fall angewandt werden, denn der Versicherungsträger sei nicht verpflichtet, die Elternrente von vornherein zeitlich zu begrenzen. Eine wesentliche Änderung iS des § 622 Abs 1 RVO sei hier eingetreten.
Das LSG habe in Übereinstimmung mit der Rechtsprechung des BSG zu Recht angenommen, daß der Verstorbene inzwischen mutmaßlich eine Familie gegründet hätte und seine Unterhaltsfähigkeit deshalb entfallen wäre. Der Verstorbene habe das durchschnittliche Heiratsalter zwar bereits überschritten gehabt. Es müsse jedoch berücksichtigt werden, daß Männer aus dem Mittelmeerbereich erfahrungsgemäß auf jeden Fall heiraten und die Heirat über das sonst in ihrer Heimat übliche Heiratsalter hinaus aufzuschieben pflegen, solange sie noch als Gastarbeiter in der Bundesrepublik Deutschland beschäftigt seien. Im übrigen hätte das Einkommen des Verstorbenen lediglich dazu ausgereicht, seine eigene Familie zu unterstützen; an die Eltern hätte er keinen wesentlichen Unterhalt zahlen können.
Entscheidungsgründe
Der Senat konnte ohne mündliche Verhandlung entscheiden, weil die Beteiligten damit einverstanden waren (§ 124 Abs 2 Sozialgerichtsgesetz - SGG -).
Die Revision der Kläger ist begründet; der Entziehungsbescheid der Beklagten vom 30. November 1973 ist rechtswidrig.
Nach § 622 Abs 1 RVO ist eine Leistung neu festzustellen - also auch zu entziehen -, wenn in den Verhältnissen, die für die Feststellung der Leistung maßgebend gewesen sind, eine wesentliche Änderung eintritt, welche die Neufeststellung rechtfertigt. Nach § 596 Abs 1 RVO besteht ein Anspruch auf Elternrente, wenn und solange die Anspruchsberechtigten ohne den Arbeitsunfall gegen den Verstorbenen einen Anspruch auf Unterhalt hätten geltend machen können. Damit ist nach allgemeiner Ansicht das mutmaßliche Bestehen eines familienrechtlichen Unterhaltsanspruchs Voraussetzung für die Gewährung von Elternrente (Lauterbach, Gesetzliche Unfallversicherung, 3. Aufl, § 596 Anm 6b und 10; Brackmann, Handbuch der Sozialversicherung, 8. Aufl S. 590). Das Gesetz stellt auf einen Geschehensablauf ab, der in Wirklichkeit nicht eintreten kann.
Zutreffend ist das LSG davon ausgegangen, daß auch die mutmaßliche Änderung eines nur gedachten Geschehensablaufs eine wesentliche Änderung im Sinne des § 622 Abs 1 RVO sein kann (entgegen Zehe, SGb 1975, 134 und 1976, 237; Andreas, ZfS 1974, 361). Die mutmaßliche Änderung eines nicht Wirklichkeit gewordenen Geschehensablaufs rechtfertigt eine Neufeststellung, wenn der hypothetische Geschehensablauf für die Feststellung der Leistung maßgeblich gewesen ist (vgl BSG SozR 2200 § 622 Nr 6 und § 596 Nr 3). In einem solchen Fall ist es nicht gerechtfertigt, zwischen tatsächlich eingetretenen und mutmaßlichen Ereignissen, die zu der mutmaßlichen Änderung des gedachten Geschehensablaufs führen, zu unterscheiden. Zwar hat das BSG bereits entschieden, daß es für die Feststellung einer wesentlichen Änderung im Sinne des § 622 Abs 1 RVO nicht ausreicht, daß eine solche unter Umständen eingetreten sein könnte (SozR Nr 12 zu § 622 RVO). Dies betraf jedoch einen Fall, in dem die Feststellung der Leistung nicht von einem mutmaßlichen Geschehensablauf abhing. Wie der 8. Senat des BSG in seiner Entscheidung vom 22. Oktober 1975 (SozR 2200 § 622 Nr 6, S. 13) bereits ausgeführt hat, ist das Eintreten der Umstände, die zu der mutmaßlichen Änderung führen, nicht immer mit einer solchen Sicherheit vorhersehbar, daß die zeitliche Begrenzung der Rente bereits im Bescheid vorgenommen werden müßte. Selbst statistische Aussagen über das Heiratsalter können sich im Verlauf des zu beurteilenden Zeitraums wesentlich ändern, da das Heiratsverhalten der Bevölkerung nicht gleichbleibt (vgl zB Höhn, Wirtschaft und Statistik - WiSta -, 1976, 717, 721). Auch ist es für den Berechtigten nicht unbedingt günstiger, wenn die Rente gleich im Bewilligungsbescheid zeitlich begrenzt wird, da das Bewilligungsverfahren sich dadurch in die Länge ziehen kann (vgl Urteil des 8. Senats aaO).
Das LSG hat jedoch zu Unrecht angenommen, daß eine wesentliche Änderung iS des § 622 Abs 1 RVO vorgelegen hat, da der mutmaßliche Unterhaltsanspruch der Kläger gegen den Verstorbenen im Zeitpunkt des Entziehungsbescheids nicht mit hinreichender Wahrscheinlichkeit entfallen wäre. Die Frage, ob die Kläger weiterhin einen Unterhaltsanspruch gegen den Verstorbenen gehabt hätten, ist gemäß Art 19 Einführungsgesetz zum Bürgerlichen Gesetzbuch (EGBGB) nach italienischem Recht zu beurteilen, da der Vater des Verstorbenen italienischer Staatsangehöriger ist (vgl Soergel/Siebert, BGB, 10. Aufl, Bd 7, Art 19 EGBGB, Anm 1; Palandt BGB, 37. Aufl, Art 19 EGBGB, Anm 2). Eine Rückverweisung auf das deutsche Recht ist im italienischen Recht nicht vorgesehen (vgl Tölzer, SozSich 71, 166 f). Nach den Feststellungen des LSG stimmt das italienische Unterhaltsrecht in den wesentlichen Punkten mit dem deutschen Unterhaltsrecht überein. Auch nach italienischem Recht sei die Leistungsfähigkeit des Verpflichteten Voraussetzung eines Unterhaltsanspruchs, die Leistungsfähigkeit entfalle mit der Heirat und der Familiengründung des Verpflichteten. Bei der Auslegung ausländischen Rechts handelt es sich um Tatsachenfeststellungen, an die das Revisionsgericht mangels einer Rüge gebunden ist (§ 163 SGG, vgl Meyer-Ladewig, SGG, § 162 Anm 6; Peters/Sautter/Wolff, Kommentar zur Sozialgerichtsbarkeit, § 162, Anm II 3 S. III 80-86). Die Auslegung des LSG ist auch - jedenfalls im Ergebnis - zutreffend (vgl dazu BSG, Urteil vom 27. Juli 1978 - 2 RU 93/77). Entgegen der Ansicht des LSG kann jedoch nicht angenommen werden, daß der Verstorbene bis zur Rentenentziehung oder bis zum Ende des Berufungsverfahrens geheiratet und Kinder bekommen hätte.
Die Feststellung des LSG, daß der Verstorbene im Zeitpunkt der Rentenentziehung eine Familie gegründet hätte, ist eine Tatsachenfeststellung, die das Revisionsgericht auf Rüge nur daraufhin nachprüfen kann, ob das Tatsachengericht bei der Beweiswürdigung allgemeine Denkgesetze oder Erfahrungssätze verletzt hat (vgl Meyer-Ladewig aaO, § 162 Anm 3; Peters/Sautter/Wolff, aaO, § 162, Anm II 6 S. III 80-90). Das LSG hat bei seiner Beweiswürdigung von Indizien (Alter des Verstorbenen, Todeszeitpunkt, Zeitraum bis zur Entziehung der Rente) mit Hilfe von statistischen Erfahrungssätzen auf die beweiserhebliche Tatsache, nämlich den mutmaßlichen Zeitpunkt der Familiengründung geschlossen. Im vorliegenden Fall hat das LSG statistische Erfahrungssätze unzutreffend angewandt, wie die Kläger gerügt haben.
An die Erbringung des Beweises dürfen allerdings keine hohen Anforderungen gestellt werden, wie sich aus einer entsprechenden Anwendung des § 287 der Zivilprozeßordnung (ZPO) ergibt (ähnlich schon BSG Sozialrecht 2200 § 596 Nr 3 S. 14). Nach dieser Vorschrift, die im sozialgerichtlichen Verfahren anwendbar ist (vgl etwa Peters/Sautter/Wolff, aaO § 128, Anm 2 b, S. II/134; Meyer-Ladewig, aaO § 118 Anm 14 und § 128 Anm 3), kann das Gericht die Schadenshöhe auf der Grundlage der tatsächlichen Anhaltspunkte nach freiem Ermessen schätzen. Die an Sicherheit grenzende Wahrscheinlichkeit, daß ein Schaden gerade in der Höhe vorliegt, ist nicht erforderlich (vgl Stein/Jonas, ZPO, 19. Aufl, § 287 Anm III 1; Wieczorek, ZPO, 2. Aufl, § 287 Anm D IV). Auch die Dauer einer Rente - die hier vom Vorliegen des mutmaßlichen Unterhaltsanspruchs der Kläger abhängt - kann nach allgemeiner Ansicht im Rahmen des § 287 Abs 1 ZPO geschätzt werden (zB BGH in JZ 1951, 113, 114; Wieczorek aaO, § 287 Anm C IV a 1; Stein/Jonas aaO, § 287 Anm I 2 b und Fußnote 20). Dies gilt insbesondere dann, wenn die Schadenshöhe, dh die Dauer der Rente, von hypothetischen Geschehensabläufen abhängt. Eine Beweislastentscheidung kann in solchen Fällen in der Regel nicht ergehen, da das Gericht die Schätzung aufgrund der vorhandenen Anhaltspunkte treffen muß, auch wenn diese kein genaues Bild ergeben (vgl zB Wieczorek aaO, § 287 Anm B II a). Hier ist zwar nicht ein Schadensersatzanspruch in zivilrechtlichem Sinn streitig, die gleiche Sachlage rechtfertigt jedoch eine Anwendung der für § 287 ZPO entwickelten Grundsätze.
Es ist nicht hinreichend wahrscheinlich, daß der Verstorbene mutmaßlich geheiratet hätte, wie sich aus Berechnungen des statistischen Bundesamtes ergibt. Das Heiratsverhalten lediger Männer ist von Schwarz in "Heiratstafeln für Ledige, Verwitwete und Geschiedene 1960/62" beschrieben (Wirtschaft und Statistik - WiSta - 1965, 709 ff). Aus der dazu veröffentlichten Tabelle (Statistische Monatszahlen, WiSta 1965, S. 730) ergibt sich, mit welcher Wahrscheinlichkeit ein lediger Mann in einem bestimmten Alter heiraten wird (Spalte 7) und wie hoch das durchschnittliche Heiratsalter der noch heiratenden ledigen Männer eines bestimmten Alters ist (Spalte 10; vgl dazu die Erläuterungen in WiSta 1965, S. 714). Ein 31-jähriger lediger Mann heiratet demnach mit einer Wahrscheinlichkeit vom 79,8 % und ist, wenn er heiratet, durchschnittlich mit 36,19 Jahren verheiratet. Das Ergebnis läßt sich überprüfen, wenn man anhand der Spalte 5 (aaO) feststellt, wie viele von 100 000 Männern im Alter von 31 Jahren überhaupt noch ledig sind, (13.453) und vergleicht, wie viele von diesen jeweils in den nächsten Jahren heiraten (Spalte 3 aaO, vgl die Erläuterungen in WiSta 1965, S. 714, linke Spalte unten). Daraus ergibt sich, daß nach einem Jahr 2.150, nach dem nächsten Jahr weitere 1.649, nach fünf Jahren insgesamt 6.913 der ledigen Männer verheiratet sind. Das entspricht etwa 51,4 % der ursprünglich ledigen 31-jährigen Männer. Einen weiteren Anhaltspunkt ergibt die Tabelle auf S. 732 (aaO), aus der sich die Heiratswahrscheinlichkeit zB eines 30-jährigen Ledigen für jedes weitere Jahr seines Lebens ergibt. Nach dieser Statistik allein ergäbe sich allerdings eine überwiegende Wahrscheinlichkeit dafür, daß der Verstorbene im Entziehungszeitpunkt verheiratet gewesen wäre. Es ist jedoch zu berücksichtigen, daß die Heiratstafel 1960/62 aufgrund des damaligen Heiratsverhaltens erstellt worden ist und vorsichtig angewandt werden muß, wenn lange Zeiträume zu beurteilen sind, die von 1960/62 aus weit in die Zukunft reichen. Ein Vergleich mit anderen Unterlagen ergibt nämlich, daß sich das Heiratsverhalten mancher Bevölkerungsteile wesentlich geändert hat. Zur Überprüfung kann zB die Heiratstafel 1972/74 herangezogen werden (Aufsatz: WiSta 1976, 717 ff; Tabelle: WiSta, Statistische Monatszahlen 1976, S. 766). Obwohl diese Heiratstafel nur die deutsche Wohnbevölkerung berücksichtigt, bietet sie wenigstens einen annähernden Vergleich. Daraus ergibt sich, daß 31-jährige ledige Männer nur noch mit einer Wahrscheinlichkeit von 51 % überhaupt heiraten. Wenn sie heiraten, sind sie durchschnittlich mit 37,92 Jahren verheiratet (Spalte 7 und 10 der Tabelle in WiSta, Statistische Monatszahlen, 1976, S. 766). Errechnet man die Heiratswahrscheinlichkeit aller ledigen 31-jährigen Männer - nicht nur der noch Heiratenden - nach Spalte 5 und 3 dieser Tabelle, ergibt sich ein ungünstigeres Bild. Von 19.421 ledigen Männern im Alter von 31 Jahren heiraten innerhalb der nächsten 15 Jahre 8.759, also nur etwa 45,1 %. Nach dieser Statistik kann man also nicht davon ausgehen, daß der Verstorbene im Zeitpunkt der Rentenentziehung oder bis zum Ende des Berufungsverfahrens verheiratet gewesen wäre. Wahrscheinlich hätte er zu Lebzeiten seiner Eltern überhaupt nicht geheiratet.
Anhaltspunkte ergeben sich auch aus den Tabellen in den "Statistischen Jahrbüchern für die Bundesrepublik Deutschland" über "Eheschließende nach bisherigem Familienstand und Heiratsziffern Lediger" (zB Jahrbuch 1967, S. 52 für 1965; Jahrbuch 1968 S. 46 für 1966; Jahrbuch 1969 S. 46 für 1967, usw). Demnach haben 1965 11,8 % der in diesem Jahr ledigen 31-32-jährigen Männer geheiratet. Von den verbleibenden Ledigen (88,2 %), die im nächsten Jahr 32-33 Jahre alt waren, haben 10,4 % geheiratet, dh 9,2 % der ursprünglich im Jahr 1965 ledigen 31-32-jährigen Männer. Nach 2 Jahren waren demnach 21 % der im Jahr 1965 ledigen 31-32-jährigen Männer verheiratet, nach 3 Jahren 28,9 % nach 8 Jahren etwa 44 %. Da die Prozentzahl in den weiteren Jahren nur noch sehr geringfügig ansteigt, ergibt sich nach dieser Berechnung ebenfalls keine überwiegende Wahrscheinlichkeit, daß der Verstorbene im Zeitpunkt des Entziehungsbescheids oder bei Ende des Berufungsverfahrens verheiratet gewesen wäre. Der Wegfall der Unterhaltsfähigkeit tritt zudem erst ein, wenn der Verstorbene Kinder bekommen hätte (vgl dazu Sozialrecht 2200 § 596 Nr 3 S. 16 und Schur, SGB 75, 326).
Da nach allem nicht anzunehmen ist, daß der Verstorbene mit hinreichender Wahrscheinlichkeit im Zeitpunkt der Rentenentziehung oder bis zum Ende des Berufungsverfahrens geheiratet und eine Familie gegründet hätte, war das Urteil des LSG aufzuheben und die Berufung der Beklagten gegen das Urteil des SG zurückzuweisen. Eine Zurückverweisung an das LSG war nicht erforderlich (vgl Gottwald, Die Revisionsinstanz als Tatsacheninstanz, 1975, S. 220 f).
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 Abs 1 SGG; sie umfaßt auch die Kosten des Beschwerdeverfahrens (SozR 1500 § 193 Nr 2).
Fundstellen