Entscheidungsstichwort (Thema)

Verkehrsunfall durch Wehrmachtsfahrzeug. Verfahrensmangel. Begründung des Urteils. Darstellung des Tatbestandes. Schädigung durch Wehrmachtsfahrzeug. unmittelbare Kriegseinwirkung

 

Leitsatz (redaktionell)

1. Die Beteiligung eines Militärfahrzeugs an einem Unfall begründet nach Sinn und Zweck des BVG nicht allgemein, sondern ausschließlich bei Verwirklichung einer in BVG § 5 umschriebenen Gefahr einen Versorgungsanspruch für geschädigte Zivilisten. Dafür reicht auch nicht die entfernteste Beziehung solcher Fahrzeuge zur Kriegsführung überhaupt. Vielmehr muß eine besondere, im BVG tatbestandsmäßig umschriebene Risikolage den Unfall verursacht haben.

2. Zur Frage, wann kampfbedingte Verkehrsstörungen dem Tatbestand des BVG § 5 Abs 1 Buchst a zugeordnet werden können.

 

Orientierungssatz

1. Zur Frage, ob in verfahrensrechtlicher Hinsicht eine Verletzung des SGG § 136 Abs 1 Nr 5 und 6 vorliegt, wenn behauptet wird, das Urteil des LSG enthalte keine ausreichende Darstellung des Berufungsbegehrens des Klägers und überhaupt keine Begründung, soweit es die Voraussetzungen des BVG § 1 Abs 2 Buchst a iVm § 5 Abs 1 Buchst a verneine.

2. Ob ZPO § 543 nF nach SGG § 202 entsprechend im sozialgerichtlichen Verfahren anzuwenden ist, bleibt in diesem Fall offen.

3. Für die Folgen eines Unfalls, in dem der Kläger am 1944-07-10 im Raum Aachen durch ein Pferdefuhrwerk der Wehrmacht verwickelt worden ist, besteht ein Versorgungsanspruch weder nach BVG § 5 Abs 1 Buchst a noch nach § 5 Abs 1 Buchst b.

 

Normenkette

SGG § 136 Abs. 1 Nr. 5 Fassung: 1953-09-03, Nr. 6 Fassung: 1953-09-03, § 202 Fassung: 1953-09-03; ZPO § 543 Fassung: 1976-12-03; BVG § 5 Abs. 1 Buchst. a Fassung: 1953-08-07, Buchst. b Fassung: 1953-08-07, § 1 Abs. 2 Buchst. a Fassung: 1950-12-20

 

Verfahrensgang

LSG Nordrhein-Westfalen (Urteil vom 07.07.1977; Aktenzeichen L 11 V 105/76)

SG Aachen (Entscheidung vom 30.06.1976; Aktenzeichen S 3 V 98/74)

 

Tenor

Die Revision gegen das Urteil des Landessozialgerichts für das Land Nordrhein-Westfalen vom 7. Juli 1977 wird zurückgewiesen.

Kosten des Revisionsverfahrens sind nicht zu erstatten.

 

Tatbestand

Der Kläger beantragte im Januar 1974 Versorgung nach dem Bundesversorgungsgesetz (BVG) wegen Folgen eines am 10. Juli 1944 erlittenen Unfalls. Dieser soll deshalb auf verstärkt aufgetretene Luftangriffe zurückzuführen sein, weil häufige Munitionstransporte zur Flakbatterie in ... erforderlich gewesen seien und ein solches Fahrzeug den Kläger verletzt habe. Der Antrag wurde abgelehnt (Bescheid vom 7. März 1974, Widerspruchsbescheid vom 14. August 1974). Das Sozialgericht (SG) wies die Klage ab (Urteil vom 30. Juni 1976): Der Kläger habe keinen Versorgungsanspruch nach § 1 BVG wegen einer Arm- und Kopfverletzung mit geistiger Behinderung. Er sei von einem Pferdefuhrwerk der Wehrmacht überfahren worden. Dies sei keine unmittelbare Kriegseinwirkung (§ 1 Abs 2 Buchst a, § 5 Abs 1 Buchst a BVG); denn der Verkehr sei zur Zeit des Geschehens am Unfallort nicht unmittelbar durch Kriegshandlungen beeinträchtigt gewesen, wobei als Kampfhandlung auch eine unmittelbar bevorstehende Gefechtsberührung mit dem Gegner zu werten sei. Zu der Zeit, als der Kläger verunglückte, sei nach Zeugenbekundungen weder Fliegeralarm gewesen noch habe gar ein Tieffliegerangriff stattgefunden. Der Großraum Aachen sei am 10. Juli 1944 auch noch kein Kampfgebiet gewesen. Die alliierten Truppen hätten erst am 11. September 1944 die deutsche Grenze von Trier bis Aachen erreicht. Unfallursache sei das kindliche Verhalten des damals noch nicht sieben Jahre alten Klägers gewesen. Er habe auf der Straße gespielt und sei von hinten in das Pferdefuhrwerk gelaufen. -- Auf die Berufung des Klägers zog das Landessozialgericht (LSG) ihn betreffende Schulzeugnisse und Gesundheitsamtsunterlagen bei und holte Auskünfte vom Schulamt A sowie von der Chirurgischen Klinik der Medizinischen Fakultät an der Rheinisch-Westfälischen Technischen Hochschule A ein. Das Gericht hat die Berufung zurückgewiesen (Urteil vom 7. Juli 1977; RSpDienst 9200 §§ 542, 543 Zivilprozeßordnung - ZPO -, 1 - 2). In den Gründen hat es von einer ausführlichen Darstellung des Tatbestandes und der Entscheidungsgründe abgesehen. Es ist der Begründung des angefochtenen Urteils gefolgt. Diese Kurzfassung sei nach § 202 Sozialgerichtsgesetz (SGG) entsprechend § 543 Abs 1 und 2 ZPO idF des Gesetzes zur Vereinfachung und Beschleunigung gerichtlicher Verfahren (Vereinfachungsnovelle) vom 3. Dezember 1976 (BGBl I 3281) - nF - zulässig. Ergänzend hat das LSG einen Versorgungsanspruch aus § 1 Abs 2 Buchst a iVm § 5 Abs 1 Buchst b BVG als nicht gegeben beurteilt. Der Einsatz des an dem Unfall beteiligten Pferdefuhrwerks habe nicht in unmittelbarem Zusammenhang mit Kriegshandlungen oder ihrer Vorbereitung gestanden. Vielmehr habe das Wehrmachtsfahrzeug am allgemeinen Straßenverkehr teilgenommen. Entgegen dem Vortrag des Klägers habe es sich auch nicht um ein Munitionsfahrzeug gehandelt; nach den glaubhaften Bekundungen der Zeugin ... hätten die Soldaten mit dem leichten Plateauwagen immer Verpflegung geholt.

Der Kläger rügt mit der - vom LSG zugelassenen - Revision in verfahrensrechtlicher Hinsicht eine Verletzung der §§ 128 und 136 SGG. Das Urteil des LSG enthalte keine ausreichende Darstellung des Berufungsbegehrens des Klägers und überhaupt keine Begründung, soweit es die Voraussetzungen des § 1 Abs 2 Buchst a iVm § 5 Abs 1 Buchst a BVG verneine. Jedenfalls beruhe die Entscheidung nicht auf dem Beweisergebnis des gesamten Verfahrens. Trotz der Möglichkeit, die Darstellung des Tatbestandes nach § 136 Abs 2 Satz 1 SGG durch eine Bezugnahme abzukürzen, seien doch nach Satz 2 die erhobenen Ansprüche genügend zu kennzeichnen. Die Mindestanforderungen für eine Urteilsbegründung (§ 136 Abs 1 Nr 6 SGG) seien nicht durch einen Bezug auf die Entscheidung des SG erfüllt. § 543 ZPO nF sei nicht über § 202 SGG entsprechend anwendbar. Das SGG selbst enthalte eine Vorschrift über die Urteilsgründe (§ 136), und daher komme eine entsprechende Anwendung von ZPO-Bestimmungen nicht in Betracht. Wenn der Gesetzgeber auch § 136 SGG durch die Vereinfachungsnovelle hätte abwandeln wollen, hätte er dies in den Änderungen dieses Gesetzes zum Ausdruck gebracht. Es könne nicht ausgeschlossen werden, daß das Berufungsurteil ohne die gerügten Verfahrensfehler anders ausgefallen wäre. In sachlich-rechtlicher Hinsicht habe das LSG § 1 Abs 2 Buchst a iVm § 5 Abs 1 Buchst a BVG unrichtig angewendet und darauf beruhend nicht das gesamte Beweisergebnis ausreichend gewürdigt. Eine bevorstehende Gefechtsberührung brauche bloß nach allgemeiner Erfahrung jederzeit zu erwarten zu sein; es sei nicht notwendig, daß eine Kampfhandlung direkt eingeleitet sei oder begonnen habe. Der Unfall des Klägers habe unter dem Einfluß eines unmittelbar bevorstehenden Fliegerangriffs gestanden. Im Großraum Aachen habe man damals immer mit plötzlichen Bombenabwürfen und Tieffliegerangriffen rechnen müssen. Dies ergebe sich für den vorliegenden Fall aus der Aussage der Zeugin S, wonach unmittelbar nach dem Verkehrsunfall während der Fahrt ins Krankenhaus Fliegeralarm gegeben worden sei. Außerdem hätten nach allgemeiner Erfahrung zu jener Zeit häufig Fliegerangriffe ohne Alarm stattgefunden. Von diesen Umständen sei der Fahrer des am Unfall beteiligten Wehrmachtsfahrzeuges beeinflußt worden, zumal er wegen seiner explosiven Ladung auf dem Weg zu einer Flakbatterie allen Grund gehabt habe, die gefährdete Straße so rasch wie möglich zu verlassen; deshalb sei das Fuhrwerk wahrscheinlich mit erhöhter Geschwindigkeit gefahren und habe das Begleitpersonal den Straßenverkehr nicht in erforderlichem Maße beachtet. Soweit das LSG verneint habe, daß ein Fliegerangriff unmittelbar bevorgestanden hätte, beruhe dies auf einer ungenügenden Würdigung des Beweisergebnisses, insbesondere der Aussage der Zeugin S.

Der Kläger beantragt,

das Urteil des LSG aufzuheben und den Rechtsstreit zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an das Gericht zurückzuverweisen,

hilfsweise,

unter Abänderung des Urteils des LSG und des SG sowie der Bescheide des Beklagten vom 7. März 1974 und 14. August 1974 den Beklagten zu verurteilen, bei dem Kläger als Schädigungsfolgen nach dem BVG eine geistige Behinderung sowie eine Arm- und Kopfverletzung anzuerkennen und ihm ab 1. Januar 1974 Versorgung nach einer Minderung der Erwerbsfähigkeit um 100 vH zu gewähren.

Der Beklagte beantragt,

die Revision zurückzuweisen.

Das angefochtene Urteil sei auch dann nicht unzureichend begründet, wenn § 543 ZPO nF nicht über § 202 SGG entsprechend anwendbar sei. Da nach dem Berufungsurteil der Kläger im zweiten Rechtszug seinen vor dem SG gestellten Antrag wiederholt habe, sei für das Revisionsgericht erkennbar, worüber das LSG entschieden habe. Das Berufungsgericht habe auch hinreichend dargelegt, welche Gründe für seine Entscheidung über die einzelnen Angriffs- und Verteidigungsmittel maßgebend seien. Der Anspruch aus § 5 Abs 1 Buchst a BVG sei deshalb nicht begründet, weil ein Luftangriff nicht wenigstens wahrscheinlich zu erwarten gewesen sei. Im übrigen sei nach dem Urteil des SG das kindliche Verhalten wesentliche Ursache des Unfalls gewesen, und allein dies schließe einen Versorgungsanspruch aus.

Die Beteiligten haben sich mit einer Entscheidung ohne mündliche Verhandlung einverstanden erklärt.

 

Entscheidungsgründe

Die Revision des Klägers ist nicht begründet.

Das LSG hat mit Recht die Berufung gegen das klageabweisende Urteil zurückgewiesen.

Das Berufungsurteil beruht nicht etwa deshalb auf einem wesentlichen Verfahrensmangel, weil es abweichend von § 153 Abs 1 iVm § 136 Abs 1 Nr 5 und 6 SGG weder eine "gedrängte Darstellung des Tatbestandes" noch ausreichende Entscheidungsgründe enthielte, und ist nicht wegen eines solchen Verfahrensfehlers aufzuheben (§§ 162, 170 Abs 2 Satz 2 SGG). Das Unfallgeschehen brauchte nicht aufgrund des Ergebnisses der Beweisaufnahme im einzelnen beschrieben zu werden.

Der Senat braucht in diesem Fall nicht darüber zu entscheiden, ob § 543 ZPO nF nach § 202 SGG entsprechend im Sozialgerichtsverfahren gilt (bejahend: Stöver, Sozialgerichtsbarkeit 1978, 225, 226 f; verneinend: Meyer-Ladewig, Sozialgerichtsgesetz, § 136, Rz 1; § 153, Rz 3). Das Berufungsurteil genügt noch den Anforderungen des § 136 SGG, mithin der einschlägigen Sondervorschrift für das sozialgerichtliche Verfahren.

Das Urteil enthält eine "gedrängte Darstellung des Tatbestandes" gemäß § 136 Abs 1 Nr 5 SGG. Den Sach- und Streitstand hat das LSG im "Tatbestand" noch hinreichend mitgeteilt. Das Gericht hat auch durch die Feststellung, die Beteiligten verfolgten ihre in der ersten Instanz gestellten, zuvor wiedergegebenen Anträge, ergänzend durch die Hinweise auf ihre Schriftsätze sowie mit der Erörterung eines speziellen Vorbringens zu § 5 Abs 1 Buchst b BVG in der gebotenen Weise die Ansprüche und das Vorbringen des Berufungsverfahrens gekennzeichnet (BSG SozR Nr 8 zu § 136 SGG). Eine besondere Auswertung der erst in zweiter Instanz beigezogenen Beweismittel erübrigte sich. Außerdem werden Einzelheiten des Unfalles in den "Entscheidungsgründen" im Zusammenhang mit einem nach § 5 Abs 1 Buchstabe b BVG untersuchten Anspruch festgestellt. Im übrigen hat das Berufungsgericht wegen des Sachverhalts ua auf das angefochtene Urteil Bezug genommen. Dieses Vorgehen erscheint freilich dem erkennenden Senat nicht unbedingt empfehlenswert; im vorliegenden Fall ist es jedoch nach § 136 Abs 2 SGG ausnahmsweise als zulässig anzusehen. Zwar wird in dieser Bestimmung nicht ausdrücklich auch eine Bezugnahme auf ein anderes Urteil, insbesondere auf das angefochtene, eröffnet. Aber diese Vorschrift ist im Berufungsverfahren nach § 153 Abs 1 SGG "entsprechend" anzuwenden, und dann kann der Tatbestand des Urteils der ersten Instanz, falls er so vollständig ist wie in dieser Sache, neben Schriftsätzen und Feststellungen zur Sitzungsniederschrift mindestens eine gleichwertige Grundlage bilden, auf die sich das Berufungsgericht im Einzelfall zur Vereinfachung beziehen darf (Zeihe, Das SGG und seine Anwendung, Stand: Oktober 1966, § 136 Abs 2, Rz 3 c). Der vom SG festgestellte Tatbestand ist in diesem Fall auch brauchbar zur Ergänzung der eigenen Feststellungen des LSG. Damit ist insgesamt der rechtserhebliche Sachverhalt mit verbindlicher Wirkung für das Revisionsgericht nach § 163 SGG festgestellt. Dies ist nicht so unzureichend geschehen, daß eine ausreichende tatsächliche Grundlage für die Beurteilung durch das Bundessozialgericht (BSG) fehlte (BSG SozR Nr 8 zu § 136 SGG; BSGE 40, 80, 81 = SozR 3100 § 35 Nr 2; Stein/Jonas/ Schumann/Leipold, Kommentar zur ZPO, 19. Aufl 1972, § 313, Anm IV, 6). Durch die Bezugnahme sind die Tatsachenfeststellungen des SG für das Revisionsgericht in gleicher Weise verbindlich, wie wenn sie das LSG in seinem eigenen Urteil vollständig getroffen hätte.

Die "Entscheidungsgründe" (§ 136 Abs 1 Nr 6 SGG) hat das LSG zu § 5 Abs 1 Buchstabe b BVG in einer Weise mitgeteilt, die auch vom Kläger nicht verfahrensrechtlich beanstandet wird. Im übrigen ist es den Gründen des angefochtenen Urteils gefolgt und hat dies durch eine reine Verweisung zum Ausdruck gebracht. Auch dies ist im vorliegenden Fall noch hinzunehmen. Die Begründung der SG-Entscheidung selbst genügt den Anforderungen des § 136 Abs 1 Nr 6 SGG; sie erörtert einen Anspruch nach § 5 Abs 1 Buchstabe a BVG in ausreichender Weise und weist insoweit Verfahrensfehler (BSG SozR Nr 9 zu § 136 SGG; 1500 § 136 Nr 1; 2200 § 1246 Nr 5; BAG AP Nr 9 zu § 551 ZPO mit zustimmender Anmerkung von Schumann; Stein/Jonas/Grunsky, ZPO, 20. Aufl 1977, § 551, Rz 25, 27 bis 29) nicht auf. Im übrigen durfte das LSG nach einem allgemeinen prozeßrechtlichen Grundsatz, der auch im Zivilprozeß schon vor der Änderung des § 543 ZPO galt, auf die vollständigen, nicht mit durchschlagender Begründung angegriffenen Entscheidungsgründe des SG-Urteils verweisen (BAG vom 26. Mai 1976 - 4 AZR 245/75 - m.w. Nachw.; Stein/Jonas/Grunsky, ZPO, 19. Aufl 1972, § 551, Anm II, 7, c, Seite 7). Die Entscheidungsgründe des SG gelten damit, soweit sie § 5 Abs 1 Buchstabe a BVG betreffen, als solche des LSG (BAG AP Nr 37 zu § 72 ArbGG 1953 Divergenzrevision).

Auch in sachlich-rechtlicher Hinsicht ist das angefochtene Urteil nicht zu beanstanden

Der Kläger begehrt Versorgung wegen einer Schädigung durch eine unmittelbare Kriegseinwirkung (§ 1 Abs 1, Abs 2 Buchst a, Abs 3 Satz 1 BVG), und zwar nach den abschließenden Regelungen in § 5 BVG (BSGE 2, 29, 30 ff) wegen einer Schädigung durch Kampfhandlungen gemäß § 5 Abs 1 a oder durch behördliche Maßnahmen im Zusammenhang mit Kampfhandlungen gemäß § 5 Abs 1 Buchst b. Ein derartiger Anspruch besteht aber nicht nach den festgestellten Tatsachen, die die Revision nicht mit substantiierten Verfahrensrügen angegriffen hat und die daher für das Revisionsgericht verbindlich sind (§ 163 SGG). Ob eine Versorgung nach den genannten Vorschriften allein dadurch ausgeschlossen ist, daß, wie das SG angenommen hat, das als verkehrswidrig zu wertende Verhalten des Klägers (§ 43 Straßenverkehrsordnung vom 13. November 1937 - RGBl I 1179) die wesentliche Bedingung des Unfalles und damit die Ursache im Rechtssinn war (BSGE 16, 216, 217 ff = SozR Nr 58 zu § 1 BVG; BSG SozR Nr 73 zu § 1 BVG; 3100 § 8 Nr 1 mwN; für die Unfallversicherung: BSGE 42, 42, 44 ff = SozR 2200 § 550 Nr 14), kann dahingestellt bleiben. Jedenfalls war die Gefahr, die für das spielende Kind von dem vorbeifahrenden Wehrmachtsfahrzeug ausging, rechtlich nicht einem der beiden kriegsbedingten Bereiche (§ 5 Abs 1 Buchstaben a oder b BVG) zuzurechnen.

Bei dem Unfallgeschehen wurde keine Kampfhandlung im Zusammenhang mit dem Zweiten Weltkrieg gemäß § 5 Abs 1 Buchst a BVG wirksam, und zwar weder eine solche, die von der Westfront ausging, noch ein Vorgang im Luftkrieg gegen das Reichsgebiet, noch eine militärische Maßnahme, die unmittelbar mit solchen Kampfhandlungen zusammenhing. Ein Schädigungstatbestand dieser Art ist auf den unmittelbaren Einwirkungsbereich der in § 5 Abs 1 Buchst a BVG beschriebenen "unmittelbaren Kriegseinwirkung" beschränkt, zB auf den Explosionsbezirk bei Bombenabwürfen (BSGE 2, 29, 33 ff; BSG SozR Nr 19 zu § 5 BVG; BSGE 29, 261, 262 = SozR Nr 43 zu § 5 BVG). Die notwendige Verbindung zwischen einem solchen Gefahrenherd und dem Unfall, bei dem der Kläger am 10. Juli 1944 bei Aachen verletzt wurde, fehlt sowohl zeitlich als auch örtlich. Das ist selbst dann nicht anders rechtlich zu beurteilen, wenn kampfbedingte Verkehrsstörungen dem Tatbestand des § 5 Abs 1 Buchst a BVG zugerechnet werden können. Diese Zuordnung kommt ua in Betracht, falls Kampfhandlungen den Verkehr, in dessen Verlauf jemand körperlich geschädigt wurde, unmittelbar beeinträchtigt haben und falls dadurch der Unfall verursacht wurde, aber nicht darüber hinaus (Bayerisches LSG, Amtsblatt des Bayerischen Ministeriums für Arbeit und Soziales - Bayer. Amtsblatt - 1954, B 155; BVBl 1956, 169 = Breithaupt 1956, 77; Breithaupt 1957, 555 = Bayer. Amtsblatt 1957, B 55; Hessisches LSG, Breithaupt 1956, 249, 252; Urteil des erkennenden Senats vom 9. Dezember 1969 - 9 RV 772/68 - KOV-Mitteilungen Berlin 1971, 22). So war es hier nicht. Wie das SG in Übereinstimmung mit der geschichtlichen Erfahrung festgestellt hat, war am 10. Juli 1944 die Invasionsfront noch weit entfernt in den Westteilen Frankreichs, Belgiens und der Niederlande; sie näherte sich erst im September 1944 der Reichsgrenze bei Aachen (Helmuth Günter Dahms, Geschichte des Zweiten Weltkrieges, 1965, 725 ff; Karten, S 24; Hermann Jung, Die Ardennen-Offensive 1944/45, 1971, S. 29 ff, 36 ff, Herbert Michaelis ua, Der Zweite Weltkrieg, Bilder. Daten. Dokumente, 1976, 668 f; Ploetz, Auszug aus der Geschichte, 2. Band, 25. Aufl 1956, 1124 f).

Äußerstenfalls könnten militärische Maßnahmen, die in Erwartung unmittelbarer vorstehender Kampfhandlungen getroffen werden, dem Tatbestand des § 5 Abs 1 Buchst a BVG zugeordnet werden; dann müssen sie von Militärpersonen wegen einer - aus ihrer Sicht - direkt zu erwartenden Gefechtsberührung angeordnet oder vorgenommen worden sein (Urteil vom 9. Dezember 1969). Auch ein solcher Fall kann hier bei dem bezeichneten Frontverlauf nicht angenommen werden. Daß die Fahrt des Pferdefuhrwerks, unter das der Kläger geriet, der Abwehr der alliierten Landtruppen gedient hätte, liegt nach allgemeiner Erfahrung völlig außer Betracht. Allgemein wurden Vorbereitungen für die Verteidigung des Reichsgebietes erst ab 13. Juli 1944 von obersten Befehlsstellen angeordnet (Herbert Michaelis ua - Hg -, Ursachen und Folgen. Vom deutschen Zusammenbruch 1918 und 1945 bis zur staatlichen Neuordnung Deutschlands in der Gegenwart, 21. Band, 1975, 286 ff, 557 ff). Nach den verbindlichen Feststellungen des SG und des LSG war das Fahrzeug, das den Kläger überfuhr, auch nicht mit Munition beladen, die sogleich für Fliegerabwehrkanonen (Flak) zur Abwehr eines direkt erwarteten Luftangriffs auf die Heimat des Klägers benötigt worden wäre. Es handelte sich nicht um ein Munitionssondern um ein Verpflegungsfuhrwerk. Schließlich haben die Tatsacheninstanzen nicht festgestellt, daß direkt vor dem Unfall alliierte Flugzeuge das Gebiet um Aachen angeflogen, den Fahrer des Pferdefuhrwerks zu besonders schneller, unvorsichtiger und die Umgebung nicht beachtender Fahrweise genötigt und dadurch das Überfahren des Klägers wesentlich verursacht hätten. Nicht einmal eine entsprechende überstürzte Fahrweise aus Furcht vor einem jederzeit möglichen Luftangriff ist festgestellt. Dazu bestand auch mangels einer Munitionsladung kein Grund. Fliegeralarm wurde nach verbindlicher Feststellung und selbst nach der Revisionsbegründung erst nach dem Unfall gegeben, als der Kläger ins Krankenhaus gebracht wurde, und der Kläger behauptet nicht, feindliche Flugzeuge hätten sich schon vor dem Alarm erkennbar der Unfallstelle genähert.

Die Beteiligung eines Militärfahrzeugs an einem Unfall begründet nach Sinn und Zweck des BVG nicht allgemein, sondern ausschließlich bei Verwirklichung einer in § 5 BVG umschriebenen Gefahr einen Versorgungsanspruch für geschädigte Zivilisten. Dafür reicht auch nicht die entfernteste Beziehung solcher Fahrzeuge zur Kriegsführung überhaupt. Vielmehr muß eine besondere, im BVG tatbestandsmäßig umschriebene Risikolage den Unfall verursacht haben. Wohl wirkt für Dienstleistende ein Unfall während der Ausübung militärischen oder militärähnlichen Dienstes (§§ 2 bis 4 BVG), der naturgemäß ihre Selbstbestimmung einschränkt, anspruchsbegründend (§ 1 Abs 1 BVG, §§ 80 und 81 Abs 1 Soldatenversorgungsgesetz; BSG SozR 3100 § 1 Nr 15; 3200 § 81 Nrn 6 und 7 mwN). Die Teilnahme von Wehrmachtsfahrzeugen am Straßenverkehr konnte für Zivilisten im Schädigungsfall, der mit keinem besonderen Gefahrenbereich iS des § 5 BVG verbunden war, zu Schadensersatzansprüchen nach zivilrechtlichen Vorschriften führen, die allgemein unter Verkehrsteilnehmern entstehen (§§ 7 und 8 des Gesetzes über den Verkehr von Kraftfahrzeugen vom 3. Mai 1909 - RGBl 437 - hier in der 1944 geltenden Fassung, abgedruckt in: Pfundtner/Neubert, Das neue Deutsche Reichsrecht, Teil VI, d, 2; für andere Fahrzeuge, zB Pferdefuhrwerke - Geigel, Der Haftpflichtprozeß, 16. Aufl 1976, § 7 StVG, Rz 3, S. 691 -: § 823 Bürgerliches Gesetzbuch). Der Regelungsgehalt solcher Bestimmungen ist andersartig als die tatbestandsmäßige Begrenzung "unmittelbarer Kriegseinwirkungen" iS des § 1 Abs 2 Buchst a BVG (vgl zur Abgrenzung eines anderen kriegseigentümlichen Gefahrenbereiches von polizeiwidrigen Zuständen: BSGE 7, 183, 184 f = SozR Nr 18 zu § 5 BVG).

Der Verkehrsunfall wurde schließlich nicht durch einen Fliegeralarm verursacht, der als eine behördliche Maßnahme im unmittelbaren Zusammenhang mit Kampfhandlungen oder ihrer Vorbereitung iS des § 5 Abs 1 Buchst b BVG zu werten ist (BSG SozR Nr 22 zu § 5 BVG; BSGE 13, 272 = SozR Nr 28 zu § 5 BVG mwN). Luftalarm wegen der Annäherung feindlicher Flugzeuge begann erst einige Zeit nach dem Unfallereignis.

Die Revision des Klägers muß demnach als unbegründet zurückgewiesen werden.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.

 

Fundstellen

Dokument-Index HI1652037

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