Entscheidungsstichwort (Thema)
Förderung berufsvorbereitender Maßnahmen im Arbeitstrainingsbereich
Leitsatz (amtlich)
Maßnahmen im Arbeitstrainingsbereich einer Werkstatt für Behinderte sind berufsvorbereitende Bildungsmaßnahmen iS von § 40 Abs 1 iVm § 58 AFG.
Orientierungssatz
1. Die Förderung berufsvorbereitender Maßnahmen setzt nicht generell voraus, daß sie auf einen Ausbildungsberuf hinführen. § 40 Abs 1 AFG erfaßt vielmehr auch Maßnahmen, die auf eine ungelernte Tätigkeit vorbereiten (vgl BSG vom 15.6.1976 7 RAr 143/74 = BSGE 42, 70 = SozR 4100 § 58 Nr 5). Für die Anwendung der Vorschrift ist daher gleichgültig, ob bereits eine Ausbildung vorausgegangen ist oder nicht. Ebenso kommt es nicht darauf an, ob in der berufsvorbereitenden Maßnahme unmittelbar verwertbare berufliche Kenntnisse vermittelt werden (vgl BSG vom 27.4.1989 11 RAr 14/87 = SozR 4100 § 56 Nr 21).
2. Es reicht vielmehr aus, daß die Maßnahme ihrer Zweckbestimmung nach auf eine Erwerbstätigkeit hinführt. Dies ist auch dann der Fall, wenn die Maßnahme die Voraussetzungen für eine Beschäftigung im Arbeitsbereich einer Werkstatt für Behinderte schaffen soll. Denn auch der Arbeitsbereich dieser Werkstätten ist Teil des Arbeitsmarktes, auf dem Erwerbstätigkeiten ausgeübt werden.
Tatbestand
Zwischen den Beteiligten ist streitig, ob dem Kläger Ausbildungsgeld (Abg) nach § 58 Abs 1a iVm § 40 Abs 1 Arbeitsförderungsgesetz (AFG) und § 24 der Anordnung des Verwaltungsrats der Bundesanstalt für Arbeit über die Arbeits- und Berufsförderung Behinderter idF vom 16. März 1982 (ANBA 1982, 575) - A-Reha - zu gewähren ist, obwohl er bereits vor Eintritt der Behinderung eine Ausbildung abgeschlossen hat.
Der 1941 geborene Kläger hatte von 1963 bis 1966 eine Ausbildung zum Industriekaufmann erhalten und abgeschlossen. Seit dem 15. Dezember 1981 befindet er sich wegen einer psychischen Erkrankung in der Anstalt Bethel; er ist als 100 % Schwerbehinderter anerkannt.
Vom 2. Mai 1983 bis zum 1. Mai 1984 nahm der Kläger an einer Rehabilitationsmaßnahme im Arbeitstrainingsbereich der Gemeinschaftswerkstätten der Anstalt Bethel teil. Hierfür übernahm die Beklagte die Maßnahmekosten ohne Übergangsgeld (Übg) oder Abg zu gewähren (Bescheid vom 11. Mai 1983, Widerspruchsbescheid vom 19. Juni 1984).
Auf die Klage hob das Sozialgericht Detmold (SG) den angefochtenen Bescheid auf und verurteilte die Beklagte, dem Kläger für die Maßnahmedauer Abg nach § 24 Abs 3 Nr 4 A-Reha zu zahlen (Urteil vom 11. Oktober 1985). Die Berufung der Beklagten wurde zurückgewiesen (Urteil des Landessozialgerichts für das Land Nordrhein-Westfalen -LSG- vom 22. Oktober 1987), weil es sich im Rahmen von Rehabilitationsmaßnahmen (Reha-Maßnahmen) in Werkstätten für Behinderte (WfB) unter keinem vernünftigen Gesichtspunkt rechtfertigen lasse, die Förderung davon abhängig zu machen, ob bereits vor der Erkrankung eine abgeschlossene Ausbildung vorgelegen habe. Wenn nämlich die Krankheit eine Verwertung der früheren Kenntnisse nicht zulasse, stehe ein Behinderter mit Ausbildung einem Behinderten ohne Ausbildung völlig gleich.
Mit der Revision rügt die Beklagte eine Verletzung des § 58 Abs 1 und 1a AFG sowie des § 24 A-Reha. § 58 Abs 1a AFG erlaube keine eigenständige Auslegung des § 40 AFG, der aufgrund gesetzlicher Verweisung entsprechend anzuwenden sei. Die Frage einer Differenzierung zwischen ausgebildeten und ungelernten Behinderten betreffe keine für Behinderte in WfB typische Ausgangslage, sondern stelle sich bei allen Behinderten.
§ 24 Abs 5 A-Reha in der seit 1. Oktober 1986 geltenden Fassung betreffe die hier streitige Zeit nicht, weil es sich darin um eine ausdehnende Neuregelung handele.
Die Beklagte beantragt,
die Urteile der Vorinstanzen aufzuheben und die Klage abzuweisen.
Der Kläger beantragt,
die Revision zurückzuweisen.
Die Beteiligten haben sich gemäß § 124 Abs 2 des Sozialgerichtsgesetzes (SGG) mit einer Entscheidung ohne mündliche Verhandlung einverstanden erklärt.
Entscheidungsgründe
Die Revision der Beklagten ist nicht begründet.
Das LSG hat zu Recht entschieden, daß die ab 1. Oktober 1986 geltende Neuregelung in § 24 Abs 5 A-Reha, nach der Behinderte, die im Arbeitstrainingsbereich der WfB an Reha-Maßnahmen teilnehmen, Abg erhalten, soweit ihnen kein Übg zusteht, einen auch zuvor schon geltenden Rechtszustand beschreibt.
Die Förderung der Teilnahme an Maßnahmen im Arbeitstrainingsbereich anerkannter WfB ist dem Grunde nach in § 58 Abs 1a AFG geregelt. Die Teilnehmer erhalten berufsfördernde und ergänzende Leistungen, wenn die Maßnahme erforderlich ist, um ihre Leistungsfähigkeit zu entwickeln, zu erhöhen oder wiederzugewinnen, sofern erwartet werden kann, daß sie danach ein Mindestmaß an wirtschaftlich verwertbarer Arbeitsleistung erbringen.
Art und Umfang der Förderung und insbesondere die hier umstrittene Gewährung von Leistungen zum laufenden Unterhalt sind aber in den §§ 56 ff AFG nur teilweise geregelt. Es finden sich dort nur Bestimmungen über die als Regelleistung vorgesehene Zahlung von Übergangsgeld, dessen Voraussetzungen der Kläger aber nicht erfüllt. Ergänzend wird auf Vorschriften des 2. bis 5. Unterabschnitts, dh auf Vorschriften verwiesen, die für die berufliche Bildung im allgemeinen gelten. Diese sind "entsprechend" anzuwenden (§ 58 Abs 1 AFG), soweit das Gesetz nicht ausdrücklich Abweichungen vorsieht. Daraus ist abzuleiten, daß das vom Kläger begehrte Abg nach § 40 Abs 1 AFG zu gewähren ist, sofern die beabsichtigte oder durchgeführte Maßnahme ihrem Charakter nach den dort genannten Maßnahmen entspricht und für sie nicht nach den besonderen Regelungen der §§ 59 ff AFG Übg zu gewähren ist.
Die vom Kläger durchlaufene Maßnahme im Arbeitstrainingsbereich der WfB erfüllt diese Voraussetzungen. Sie ist zwar keine Ausbildung, weil sie - wie das LSG zutreffend ausgeführt hat - nicht systematisch auf einen bestimmten Beruf vorbereitet. Aus diesen Gründen ist sie aber auch keine Fortbildung oder Umschulung. Sie entspricht vielmehr ihrem Charakter nach den in § 40 Abs 1 AFG genannten berufsvorbereitenden Maßnahmen, weil sie die Fähigkeit, eine Erwerbstätigkeit auszuüben, vorbereitet und trainiert. Dabei kann wegen des jeweils gleichen Ergebnisses dahinstehen, ob Maßnahmen im Arbeitstrainingsbereich der WfB unmittelbar oder in entsprechender Anwendung - ggf unter Berücksichtigung eines Sondertatbestandes oder aus § 58 Abs 1a AFG - unter den Begriff der berufsvorbereitenden Maßnahmen zu subsumieren sind.
Dem LSG kann mithin jedenfalls nicht zugestimmt werden, wenn es nur Maßnahmen im Arbeitstrainingsbereich, die auf einen Ausbildungsberuf hinführen, als berufsfördernde Maßnahmen ansieht. Die Förderung berufsvorbereitender Maßnahmen setzt nämlich nicht generell voraus, daß sie auf einen Ausbildungsberuf hinführen. § 40 Abs 1 AFG erfaßt vielmehr auch Maßnahmen, die auf eine ungelernte Tätigkeit vorbereiten (BSGE 42, 70, 71). Für die Anwendung der Vorschrift ist daher gleichgültig, ob bereits eine Ausbildung vorausgegangen ist oder nicht. Ebenso kommt es nicht darauf an, ob in der berufsvorbereitenden Maßnahme unmittelbar verwertbare berufliche Kenntnisse vermittelt werden (BSGE 42 aaO; BSG-Urteil vom 27. April 1989 - 11 RAr 14/87 -). Es reicht vielmehr aus, daß die Maßnahme ihrer Zweckbestimmung nach auf eine Erwerbstätigkeit hinführt. Dies ist auch dann der Fall, wenn die Maßnahme die Voraussetzungen für eine Beschäftigung im Arbeitsbereich einer WfB schaffen soll. Denn auch der Arbeitsbereich dieser Werkstätten ist Teil des Arbeitsmarktes, auf dem Erwerbstätigkeiten ausgeübt werden. Dies kommt deutlich in § 54 des Schwerbehindertengesetzes (SchwbG) zum Ausdruck. In Abs 1 werden die Werkstätten als Einrichtungen zur Eingliederung "in das Arbeitsleben" beschrieben, die den Behinderten einen "Arbeitsplatz" bieten. In Abs 2 wird neben dem Arbeitstrainingsbereich ein "breites Angebot an Arbeitsplätzen" gefordert (vgl dazu BSG SozR 4100 § 168 Nr 7; Baltzer SGb 81, 241, 246 ff; Steinmeyer in Gagel, AFG § 61 Anm 4).
Darüber hinaus wird die Gleichstellung einer Tätigkeit in WfB mit einer Tätigkeit auf dem Arbeitsmarkt auch durch § 11 Abs 2 Satz 1 Nr 4 des Gesetzes über die Angleichung der Leistungen zur Rehabilitation (Reha-AnglG) und die dazu gegebene Regierungsbegründung verdeutlicht. Es sollte in allen Fällen, in denen der allgemeine Arbeitsmarkt wegen der Schwere der Behinderung nicht in Betracht kam, geprüft werden, ob das "Recht auf einen Arbeitsplatz" in einer solchen Werkstatt verwirklicht werden konnte (BT-Drucks 7/1237 zu § 11 Abs 2 S 57 f).
Da der gesetzlichen Regelung zu entnehmen ist, daß die Tätigkeit im Arbeitstrainingsbereich der WfB den berufsfördernden Maßnahmen iS von § 40 Abs 1 AFG gleichzustellen und dementsprechend mit Abg zu fördern ist, soweit kein Anspruch auf Übg besteht, ist § 24 Abs 3 Satz 1 A-Reha auch in der hier anzuwendenden Fassung bereits dahin auszulegen, daß zu den "Maßnahmen iS von § 40 AFG" auch Maßnahmen im Arbeitstrainingsbereich der WfB gehören. Es besteht keine Veranlassung, die Bestimmung mit Rücksicht auf die ab 1. Oktober 1986 erfolgte Klarstellung durch die 12. Änderungsanordnung zur A-Reha (ANBA 1986, 1649) als teilweise unwirksam anzusehen, da eine gesetzeskonforme Auslegung möglich ist. Eine von der Auffassung des erkennenden Senats abweichende Regelung wäre nämlich deshalb ausgeschlossen, weil sie nicht von der Ermächtigung in § 58 Abs 2 AFG gedeckt wäre. Der Verwaltungsrat der Bundesanstalt wird dort nur ermächtigt, "das Nähere" über Voraussetzungen, Art und Umfang der berufsfördernden und ergänzenden Leistungen zur Rehabilitation zu regeln. Dagegen ist er nicht befugt, eine im Gesetz vorgesehene Förderungsverpflichtung gänzlich auszuschließen (vgl BSG SozR 4100 § 59 Nr 2 S 4).
Das Urteil des Bundessozialgerichts (BSG) vom 8. Juni 1989 - 7 RAr 122/88 - steht dieser Entscheidung schon deswegen nicht entgegen, weil es sich mit der Konkurrenz der Vorschriften über Übg und Abg für die Ausbildungszeit befaßt, während hier über vorbereitende Maßnahmen zu entscheiden war. Da die übrigen Voraussetzungen für die Gewährung von Abg nicht umstritten und nach den Feststellungen des LSG auch nicht zweifelhaft sind, konnte die Revision der Beklagten keinen Erfolg haben.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.
Fundstellen