Entscheidungsstichwort (Thema)
Kostenerstattung. Heilanstaltspflegekosten
Orientierungssatz
Zur Frage, ob und unter welchen Umständen eine Krankenkasse neben der Erstattung von Heilanstaltspflegekosten noch Kosten für während des Krankenhausaufenthalts gewährte ambulante fachärztliche Behandlung in der Versorgungsbehörde verlangen kann.
Normenkette
BVG § 19 Abs. 3, 1, § 11 Abs. 1-2
Verfahrensgang
LSG Nordrhein-Westfalen (Entscheidung vom 04.12.1959) |
SG Detmold (Entscheidung vom 04.02.1957) |
Tenor
Auf die Revision des Beklagten wird das Urteil des Landessozialgerichts Nordrhein-Westfalen vom 4. Dezember 1959 aufgehoben.
Die Sache wird zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an das Landessozialgericht zurückverwiesen.
Von Rechts wegen.
Gründe
Der Kriegsbeschädigte K (K.), der wegen Hirnverletzung durch Kopfschuß eine Rente nach einer Minderung der Erwerbsfähigkeit (MdE) um 100 vom Hundert (v. H.) bezieht, wurde vom 2. Oktober bis 20. Dezember 1951 wegen zentral-vasomotorischer Störungen, die mit der anerkannten Schädigungsfolge zusammenhingen, in der Neurologischen Abteilung der Provinzial-Heil- und Krankenanstalt Gütersloh stationär behandelt. Auf Veranlassung des Chefarztes der Heilanstalt Gütersloh wurde K. am 8., 9. und 24. Oktober 1951 von HNO-Facharzt Dr. W und am 9. und 11. Oktober 1951 von der Augenärztin Dr. L ambulant behandelt. Diese auf Bundesbehandlungsschein durchgeführten Behandlungen waren wegen zunehmender Ohren- und Augenbeschwerden infolge der Hirnverletzung erforderlich. Die klagende Landkrankenkasse begehrt vom Beklagten die Erstattung der für die ambulante Behandlung aufgewendeten Kosten in Höhe eines Pauschbetrages von 3,- DM je Behandlungstag. Das Versorgungsamt erstattete drei Viertel der von der Klägerin für die Heilanstaltspflege aufgewendeten Kosten, lehnte jedoch die Gewährung der Pauschsätze ab, weil die ambulante Behandlung während der stationären Behandlung durchgeführt worden sei und es deshalb nach § 19 Abs. 3 des Bundesversorgungsgesetzes (BVG) an den Voraussetzungen für die Gewährung der Pauschsätze fehle. Im Klageverfahren wurde eine Auskunft der Arbeitsgemeinschaft kommunaler Krankenanstalten Westfalens eingeholt. Durch Urteil des Sozialgerichts (SG) Detmold vom 4. Februar 1957 wurde der Beklagte verurteilt, neben drei Vierteln der Krankenhauskosten für ambulante Behandlung einen Pauschbetrag von insgesamt 15,- DM zu erstatten. Die zugelassene Berufung des Beklagten wurde mit Urteil des Landessozialgerichts (LSG) vom 4. Dezember 1959 zurückgewiesen. § 19 Abs. 3 BVG unterscheide zwei gesonderte Behandlungsarten, die Heilanstaltspflege und die ambulante Behandlung. Der Kostenersatz für eine ambulante Behandlung könne entweder in Form des satzungsgemäßen Krankengeldes oder als Pauschbetrag gewährt werden. Der Nachsatz in § 19 Abs. 3 BVG "sonst 3 Deutsche Mark für jeden Behandlungstag" sei nur auf die ambulante Behandlung zu beziehen. Der Pauschbetrag werde nur fällig, wenn für die ambulante Behandlung Krankengeld nicht oder nicht mehr gezahlt werde; er entfalle nicht etwa schon deshalb, weil "überhaupt" Krankengeld gezahlt worden sei. Die stationäre Behandlung schließe entgegen der Auffassung des Beklagten eine parallel laufende ambulante Behandlung nicht aus.
Mit der zugelassenen Revision rügt der Beklagte Verletzung der §§ 9 ff., insbesondere 11 und 19 BVG und §§ 182 ff. der Reichsversicherungsordnung (RVO). Der Behandlungsanspruch sei nicht aus § 19 Abs. 3 BVG allein, sondern aus § 19 Abs. 1 mit § 11 BVG und aus den §§ 182 ff. RVO zu beurteilen. Zu prüfen sei nach § 19 Abs. 1 BVG, welche Leistungen die Krankenkassen selbst zu erbringen hätten und zu welchen Leistungen das BVG verpflichte. Grundsätzlich stehe dem Versorgungsberechtigten nach §§ 182 ff. RVO und 11 Abs. 1 BVG ambulante Behandlung bzw. ärztliche Behandlung im Hause zu. Da nach § 184 RVO und § 11 Abs. 2 BVG "an Stelle" dieser Behandlungsweise Krankenhaus- bzw. Heilanstaltspflege gewährt werden "könne", folge aus dem Gesetz, daß die Anstaltspflege jede andere Art der Behandlung ablöse, weshalb in diesem Falle keine Erstattung für ambulante Behandlung nach § 19 Abs. 3 BVG stattfinden könne. Werde Krankenhausbehandlung gewährt, so habe diese umfassend zu sein; ziehe das Krankenhaus frei praktizierende Fachärzte hinzu, so falle diese fachärztliche Behandlung mit unter die Krankenhausbehandlung. Bei ausschließlich ambulanter Behandlung hindere die Gewährung von Krankengeld die Zahlung der Pauschale. Diese stehe der Krankenkasse im übrigen für jeden Behandlungstag auch dann nur einmal zu, wenn an einem Tage mehrere Ärzte in Anspruch genommen wurden. Das LSG irre mit seiner Annahme, der Pauschbetrag werde nur fällig, wenn für die ambulante Behandlung kein Krankengeld gezahlt werde. Denn das Krankengeld habe weder eine ambulante Behandlung zur gesetzlichen Voraussetzung noch werde es für ein Leiden gewährt. Es sei nur bei Arbeitsunfähigkeit begründet, aber nie bei Krankenhausbehandlung. Der Beklagte beantragt, unter Abänderung der Urteile des LSG Nordrhein-Westfalen vom 4. Dezember 1959 und des SG Detmold vom 4. Februar 1957 die Klage abzuweisen; hilfsweise, unter Aufhebung des LSG-Urteils die Sache zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an das LSG zurückzuverweisen.
Die Klägerin beantragt, die Revision zurückzuweisen. Sie macht geltend, daß zahnärztliche Behandlung usw. wohl in kaum einem Falle vom Krankenhaus, sondern dem Krankenhauspatienten als ambulante Leistung gewährt würden. Wegen der HNO- und augenfachärztlichen Behandlung sei eine stationäre Krankenhausaufnahme nicht erforderlich gewesen. Die Klägerin habe auf Grund des geltenden Arztvertrags den Ärzten, die die ambulante Behandlung durchführten, ihre Honorare ohne Verminderung des Krankenhauspflegesatzes zahlen müssen. § 19 Abs. 3 BVG gestatte es, zwei Leistungsarten nebeneinander zu gewähren. Wäre K. in ein Krankenhaus aufgenommen worden, das alle möglichen Abteilungen aufweise, so wäre der Pflegesatz erheblich höher und der Erstattungsbetrag von drei Vierteln der Krankenhauskosten höher als die streitigen 15,- DM gewesen.
Die Beteiligten haben sich mit einer Entscheidung ohne mündliche Verhandlung gemäß § 124 Abs. 2 des Sozialgerichtsgesetzes (SGG) einverstanden erklärt.
Die durch Zulassung statthafte Revision ist form- und fristgerecht eingelegt und begründet und damit zulässig (§§ 162 Abs. 1 Nr. 1, 164, 166 SGG); sie ist auch im Sinne des Hilfsantrags begründet.
Die Revision macht geltend, die Krankenhausbehandlung habe umfassend zu sein, sie löse jede andere Art der Behandlung ab. Sofern spezialisierte oder kleinere Krankenhäuser nicht einschlägige Fachärzte zur Hand hätten, erfolge die Zuziehung benötigter frei praktizierender Fachärzte durch das Krankenhaus. Hier sei die fachärztliche Behandlung durch den Chefarzt der Heilanstalt Gütersloh veranlaßt worden. Sie falle daher mit unter die Krankenhausbehandlung. Damit bestreitet der Beklagte den Ersatzanspruch der Klägerin schon mit der Begründung, ihr seien wegen der als ambulant bezeichneten Behandlung von Rechts wegen neben den Anstaltspflegekosten keine zusätzlichen Aufwendungen für ambulante Behandlung im Sinne des § 19 Abs. 3 BVG entstanden bzw. sie sei nicht verpflichtet gewesen, diese Behandlung als ambulante Behandlung gesondert zu vergüten. Die Revisionsbeklagte wendet demgegenüber ein, sie habe den Fachärzten im vorliegenden Fall auf Grund des geltenden Arztvertrages für die ambulante Behandlung gesonderte Honorare zahlen müssen. Zu den sonach strittigen Fragen, ob die HNO- und augenfachärztliche Behandlung der "umfassenden" Krankenhausbehandlung zuzurechnen ist, eine "ambulante Behandlung" im Sinne des § 19 Abs. 3 BVG deshalb gar nicht vorliegt, bzw. ob die Klägerin überhaupt verpflichtet war, den Fachärzten Dr. W und Dr. L die Kosten der ambulanten Behandlung gesondert zu vergüten, hat das LSG jedoch keinerlei Feststellungen getroffen. Solcher Feststellungen bedarf es jedoch, ehe über die Frage entschieden werden kann, ob die Klägerin neben den Krankenhauskosten vom Beklagten die in § 19 Abs. 3 BVG vorgesehenen Pauschbeträge für eine ambulante Behandlung des K. fordern kann.
Nach § 11 Abs. 2 BVG kann "an Stelle" der Heilbehandlung im Sinne des § 11 Abs. 1 BVG Heilanstaltspflege gewährt werden. § 19 Abs. 1 BVG bestimmt, daß den Krankenkassen, wenn sie nicht nur nach den Vorschriften des BVG verpflichtet sind, Heilbehandlung, Krankengeld oder Hausgeld zu gewähren, für ihre Aufwendungen für die Dauer von ursprünglich drei später acht Jahren (jetzt mindestens bis zum 31. Dezember 1963) Ersatz zu leisten ist. Nach Abs. 3 dieser Vorschrift werden bei Heilanstaltspflege drei Viertel der aufgewendeten Krankenhauskosten, bei ambulanter Behandlung, wenn und solange Krankengeld gewährt wird, das satzungsmäßige Krankengeld, sonst 3,- DM für jeden Behandlungstag als Ersatz vergütet. Da der Beklagte nach den insoweit bindenden Feststellungen des LSG der Klägerin drei Viertel der für die Heilanstaltspflege aufgewendeten Kosten bereits erstattet hat, kommt es für die Frage, ob die Klägerin daneben noch für die im gleichen Zeitraum gewährte HNO- und augenfachärztliche Behandlung Ersatz wegen "ambulanter Behandlung" beanspruchen kann, zunächst darauf an, ob es sich hierbei tatsächlich um ambulante Behandlung im Sinne des § 19 Abs. 3 BVG gehandelt hat, bzw. ob die Klägerin insoweit eine ambulante Behandlung gesondert zu vergüten hatte. Dies mußte dem LSG nicht selbstverständlich erscheinen, denn bereits im Verfahren vor dem SG hat die Arbeitsgemeinschaft kommunaler Krankenanstalten Westfalens die Auskunft erteilt, daß die Krankenhäuser, von denen freipraktizierende Ärzte als Fachärzte zugezogen werden, diesen "regelmäßig" ihre jeweiligen Aufwendungen zu vergüten haben. Sonach ist zunächst zu klären, ob die HNO- und augenfachärztliche Behandlung etwa deshalb der "an Stelle" der Heilbehandlung zu gewährenden Krankenhausbehandlung zuzurechnen ist, weil die fachärztliche Behandlung durch die Hirnverletzung, wegen der die Einweisung in das Krankenhaus erfolgte, bedingt war, während der Dauer der stationären Behandlung stattfand und vom Krankenhaus veranlaßt worden ist. Ferner wird unter Berücksichtigung der vertraglichen Abmachungen, der bestehenden Richtlinien und der herrschenden Übung zu klären sein, ob das Krankenhaus die Kosten dieser fachärztlichen Behandlung selbst zu tragen hatte, ob es sie den von der Klägerin zu vergütenden Pflegesätzen zuschlagen mußte oder ob es die Fachärzte wegen ihres Honoraranspruchs an die Klägerin verweisen konnte und diese demnach neben den Krankenhauskosten noch eine gesonderte Vergütung für ambulante Behandlung im Sinne des § 19 Abs. 3 BVG gewähren mußte. Nur im letzten Falle bedarf die hier strittige Frage einer Entscheidung.
Da das LSG zu diesen für die Beurteilung des Erstattungsanspruchs der Klägerin wesentlichen Vorfragen keine tatsächlichen Feststellungen getroffen hat und der Senat die fehlenden Feststellungen nicht nachholen kann, ist der von der Revision gestellte Hilfsantrag begründet. Der Senat konnte, da die tatsächlichen Feststellungen für eine Entscheidung nicht ausreichten, zu der Rechtsfrage, wegen der die Revision zugelassen worden ist, nicht abschließend Stellung nehmen. Er neigt jedoch dazu, eine Gewährung von Pauschbeträgen im Sinne des § 19 Abs. 3 BVG neben einem Kostenersatz für Heilanstaltspflege dann für rechtmäßig zu erachten, wenn die ambulante Behandlung der Krankenhausbehandlung nicht zuzurechnen ist, d. h. selbständig neben der Anstaltspflege erforderlich und die Krankenkasse verpflichtet war, die ambulante Behandlung neben den Krankenhauskosten gesondert zu vergüten. Aber auch in diesem Fall wird der Pauschbetrag von 3,- DM, wenn - wie im vorliegenden Fall - an einem Tag (9. Oktober 1951) zwei ambulante Behandlungen (wenn auch durch verschiedene Fachärzte) stattfanden, nur einmal gewährt werden können, da § 19 Abs. 3 BVG hinsichtlich der Pauschvergütung auf den "Behandlungstag" und nicht auf die "Behandlung" abstellt.
Entsprechend dem Hilfsantrag des Beklagten war sonach das angefochtene Urteil des LSG aufzuheben und die Sache zu erneuter Verhandlung und Entscheidung an das LSG zurückzuverweisen.
Das LSG wird die noch fehlenden Feststellungen nachzuholen und daneben auch zu prüfen haben, ob die Feststellung auf Seite 2 des Urteils, die Klägerin habe für die stationäre Behandlung " Krankengeld " gewährt, unter Berücksichtigung der Krankenkassenunterlagen und der Vorschriften der §§ 184 Abs. 1, 186 RVO zutreffend ist.
Die Entscheidung über die Kosten bleibt der das Verfahren abschließenden Entscheidung vorbehalten.
Fundstellen