Entscheidungsstichwort (Thema)
Kriegsopferversorgung. Ausgleichsrente für Schwerbeschädigte. Anrechnung von Einkünften aus Hausbesitz. Bruchteileigentum
Orientierungssatz
Nach Sinn und Zweck des § 12 Abs 1 der Verordnung zur Durchführung des § 33 des Bundesversorgungsgesetzes (juris: BVG§33DV) idF vom 11.1.1961 ist der Fall des Bruchteileigentums ebenso zu behandeln wie der des vollen Eigentums, dh Einkünfte aus Hausbesitz können nur dann auf eine Ausgleichsrente angerechnet werden, wenn der auf den Rentenberechtigten entfallende Anteil des Gesamtheitswerts über 6000 Mark beträgt (Anschluss an BSG vom 26.2.1965 - 9 RV 760/64 = SozR Nr 1 zu § 33 BVG).
Normenkette
BVG§33DV § 12 Abs. 1 Fassung: 1961-01-11; BVG § 33 Abs. 1, 5; BGB § 741
Verfahrensgang
Tenor
Auf die Revision des Klägers wird das Urteil des Schleswig-Holsteinischen Landessozialgerichts vom 29. November 1963 aufgehoben. Die Berufung des Beklagten gegen das Urteil des Sozialgerichts Lübeck vom 24. April 1963 wird zurückgewiesen.
Der Beklagte hat dem Kläger die außergerichtlichen Kosten des Berufungs- und Revisionsverfahrens zu erstatten.
Gründe
Wegen einer Kriegsverletzung aus dem ersten Weltkrieg bezieht der Kläger Versorgung nach dem Bundesversorgungsgesetz (BVG) auf Grund des Umanerkennungsbescheides vom 9. Juni 1952 entsprechend einer Minderung der Erwerbsfähigkeit (MdE) um 50 v.H.; neben der Grundrente wird Ausgleichsrente gewährt. Auf die Ausgleichsrente wurde - durch Bescheid vom 4. Oktober 1961 - ua das Einkommen des Klägers aus dem Einfamilienhaus angerechnet, welches im Erbbaurecht errichtet ist, ihm und seiner Ehefrau je zur Hälfte gehört und einen Einheitswert von 7.100,- DM hat. Die Anrechnung war für die Zeit vom 1. Juni bis 31. Dezember 1960 endgültig, darüber hinaus vorläufig. Durch den weiteren Bescheid vom 1. Februar 1962 wurde ebenfalls unter Berücksichtigung der Einkünfte aus Grundbesitz die Ausgleichsrente für die Zeit vom 1. Januar bis 31. Dezember 1961 endgültig und von da ab vorläufig festgestellt. Der Widerspruch gegen beide Bescheide blieb erfolglos (Widerspruchsbescheid vom 26. Oktober 1962), weil die Berechnung nach § 12 Abs. 2 der Durchführungsverordnung (DVO) zu § 33 BVG richtig vorgenommen sei.
Auf die Klage hat das Sozialgericht (SG) durch Urteil vom 24. April 1963 die Verwaltungsbescheide aufgehoben, den Beklagten verurteilt, die anrechnungsfähigen Teile der Einkünfte aus Grundbesitz nach § 12 Abs. 3 der DVO zu berechnen und die Berufung zugelassen.
Der Beklagte hat Berufung eingelegt und vorgetragen, die tatbestandsmäßigen Voraussetzungen des § 12 Abs. 3 der DVO zu § 33 BVG seien nicht gegeben. Durch Urteil vom 29. November 1963 hat das Landessozialgericht (LSG) das Urteil des SG geändert und die Klage abgewiesen. Es hat festgestellt, der Kläger und seine Ehefrau seien Miteigentümer je zur ideellen Hälfte; der Einheitswert betrage nach einer Auskunft des zuständigen Finanzamts 7.100,- DM. Das LSG ist der Ansicht gewesen, bei der Ertragsberechnung sei - obwohl es sich um ein im Erbbau errichtetes Gebäude handele - von dem gesamten Einheitswert und nicht, wie der Kläger erstrebe, von dem nach Abzug des Einheitswerts des Grund und Bodens in Höhe von 1.100,- DM verbleibenden Einheitswert auszugehen; zwischen den Eheleuten bestehe eine Gemeinschaft zur gesamten Hand. Bei dieser sei jeder Teilhaber auf das gesamte Grundstück berechtigt. Deshalb müßten die Einkünfte aus dem Einfamilienhaus nach § 12 Abs. 2 DVO berechnet werden. Es hat die Revision wegen der grundsätzlichen Bedeutung der der Entscheidung zugrunde liegenden Rechtsfragen zugelassen.
Der Kläger hat Revision eingelegt und beantragt,
unter Aufhebung des LSG-Urteils vom 29. November 1963 den Beklagten gemäß Klageantrag zu verurteilen.
Er rügt mit näherer Begründung, die Ertragsberechnung des Versorgungsamts sei fehlerhaft. Es sei zu berücksichtigen, daß der Gesamteinheitswert 7.100,- DM betrage; dieser werde aber für den Kläger dadurch geschmälert, daß Eigentümer des Grund und Bodens mit einem Einheitswert von 1.100,- DM die Stadt M sei. Ferner sei die Ehefrau des Klägers Miteigentümerin zur ideellen Hälfte.
Der Beklagte beantragt,
die Revision zurückzuweisen.
Er hält das angefochtene Urteil für zutreffend.
Beide Beteiligten haben sich mit einer Entscheidung ohne mündliche Verhandlung einverstanden erklärt.
Der Kläger hat die durch Zulassung statthafte Revision form- und fristgerecht eingelegt und begründet. Das Rechtsmittel ist zulässig und auch begründet.
Streitig ist die Berechnung der Ausgleichsrente. Nach § 33 Abs. 1 BVG ist die volle Ausgleichsrente um das anzurechnende Einkommen zu mindern. Nach § 33 Abs. 5 BVG ist die Bundesregierung ermächtigt worden, mit Zustimmung des Bundesrats durch Rechtsverordnung ua näher zu bestimmen, was als Einkommen gilt und welche Einkünfte bei Feststellung der Ausgleichsrente unberücksichtigt bleiben. Auf Grund dieser Ermächtigung ist die Verordnung zur Durchführung des § 33 BVG vom 11. Januar 1961 (BGBl I 19) ergangen. Nach § 12 Abs. 1 dieser Verordnung bleiben Einkünfte aus Hausbesitz bei der Feststellung der Ausgleichsrente unberücksichtigt, wenn der Einheitswert der Grundstücke insgesamt nicht höher als 6.000,- Deutsche Mark ist. Abs. 2 aaO regelt die Fälle, in denen der Schwerbeschädigte im eigenen Einfamilienhaus, und Abs. 3 aaO regelt die Errechnung der Einkünfte ua auch dann, wenn der Schwerbeschädigte im eigenen Mehrfamilienhaus wohnt. Die Vorschrift des § 12 DVO haben die Verwaltung und die Vorinstanzen ihren Entscheidungen zutreffend zugrunde gelegt. Allerdings ist die Anwendung sowohl durch die Verwaltung als auch die Vorinstanzen nicht frei von Rechtsirrtum.
Nach den Feststellungen des LSG gehört das Einfamilienhaus dem Kläger und seiner Ehefrau je zur ideellen Hälfte. Zu Unrecht aber hat das Berufungsgericht angenommen, es bestehe eine Gemeinschaft zur gesamten Hand. Diese Rechtsfigur setzt ein Sondervermögen voraus, das den Berechtigten zusammen in der Weise zusteht, daß jeder von ihnen auf das gesamte Sondervermögen berechtigt, aber durch die gleichen Rechte der übrigen beschränkt ist und alle Berechtigten nur gemeinsam über das Sondervermögen und seine einzelnen Gegenstände verfügen können.
Derartige Sondervermögen bestehen nur in den im Bürgerlichen Gesetzbuch (BGB) und Handelsgesetzbuch (HGB) geregelten Fällen, von denen hier keiner vorliegt. Außerhalb der gesetzlich geregelten Fälle ist eine vertragliche Begründung eines Gesamthandsverhältnisses wegen der Verknüpfung des Verhältnisses mit dem Vorhandensein eines Sondervermögens nicht möglich. Bei Gemeinschaften mit ideellen Anteilen handelt es sich hingegen um eine Gemeinschaft nach Bruchteilen (§§ 741 ff BGB). Hier liegt also eine Bruchteilsgemeinschaft vor, und der Kläger ist nur entsprechend seinem Anteil berechtigt. Da nach § 163 des Sozialgerichtsgesetzes (SGG) der Senat nur an die tatsächliche Feststellung des Miteigentums je zur ideellen Hälfte gebunden ist, ist davon auszugehen, daß hier eine echte Bruchteilgemeinschaft besteht.
Was die Anwendung des § 12 der VO zu § 33 BVG auf die Ausgleichsrente des Klägers anlangt, so ist dem Beklagten zuzugeben, daß die Fälle eines anteilmäßigen Eigentums von Rentenberechtigten nicht ausdrücklich geregelt sind. Der insoweit eindeutige Gesetzestext spricht regelmäßig nur von Grundstücken, vom eigenen Einfamilienhaus und vom eigenen Mehrfamilienhaus. Die Verwaltung hat angenommen, in der VO sei absichtlich ein anteilsmäßiges Eigentumsrecht nicht aufgeführt worden, vielmehr könnten Einkünfte nur aus Anteilen an Grundstücken mit einem Einheitswert von nicht mehr als 6.000,- DM unberücksichtigt bleiben. Diese Auslegung wird in dem Rundschreiben des Bundesarbeitsministers vom 29. März 1961 (BVBl 1961, 58 f) vertreten. Doch kann dieses nicht als authentische Interpretation angesehen werden. Vielmehr haben die Gerichte zu prüfen, ob die Auslegung des Bundesministers für Arbeit und Sozialordnung und die entsprechende Auslegung der Verwaltung mit dem Gesetz vereinbar sind.
Gegenstand der Auslegung ist allein der objektive Wille des Gesetzgebers, wie er aus dem Wortlaut der gesetzlichen Vorschrift und dem Sinnzusammenhang sich ergibt, in den die Vorschriften hineingestellt sind; nicht entscheidend ist die subjektive Vorstellung der am Gesetzgebungsverfahren beteiligten Organe oder die Auffassung der Behörden, in deren Zuständigkeit die Ausführung des Gesetzes fällt. Daß die Auslegung von dem Wortlaut des Gesetzes auszugehen hat, schließt nicht aus, daß auch zu ermitteln ist, welchen Zweck der Gesetzgeber insgesamt und im einzelnen verfolgt; dabei sind die Entstehungsgeschichte und der Zusammenhang mit anderen Vorschriften zu berücksichtigen; es ist aber auch zu prüfen, ob der Wortlaut des Gesetzes diesem Zweck gerecht geworden ist, d.h. ob dieser Zweck einen wenn auch nur unvollkommenen Ausdruck im Gesetzestext gefunden hat (BSG 8, 133).
Der Wortlaut des § 12 Abs. 1 der VO zwingt nicht dazu, nur den gesamten Einheitswert von Grundstücken zugrunde zu legen. Insbesondere ist das Wort “insgesamt„ nach seiner Stellung im Texte der VO nicht auf den Einheitswert, sondern auf das Wort “Grundstücke„ zu beziehen. Hierdurch sollte der Fall geregelt werden, daß ein Rentenberechtigter mehrere Grundstücke hat. Die wörtliche Interpretation kann also im vorliegenden Fall die von der Verwaltung vorgenommene Auslegung nicht rechtfertigen. Sinn und Zweck der VO dürfte mit dem Bundesarbeitsminister darin erblickt werden, daß mit ihr eine Vereinfachung von Verwaltungsarbeit erstrebt worden ist. Ferner ist aber auch zu berücksichtigen, daß bei der Ermittlung von Einkünften nicht ausschließlich juristische, sondern auch wirtschaftliche Erwägungen maßgebend sind. Die Verwaltung verkennt, daß die durch § 12 Abs. 1 der VO erstrebte Ersparung von Verwaltungsarbeit typische Verhältnisse und die aus ihnen gewonnenen Erfahrungen zugrunde gelegt hat. Die Praxis hatte gezeigt, daß ein wesentliches Einkommen aus einem Hausbesitz mit einem Einheitswert bis zu 6.000,- DM nicht erzielt wird, weshalb sich der Arbeitsaufwand in diesen Fällen nicht lohnte. Sinn und Zweck des § 12 Abs. 1 DVO ist sonach, verhältnismäßig geringe Einkünfte aus Hausbesitz unberücksichtigt zu lassen.
Die gleichen Erwägungen eines Mißverhältnisses zwischen dem Arbeitsaufwand für die Verwaltung und der Möglichkeit, Beträge auf die Ausgleichsrente anzurechnen, gelten aber auch in den für Berechtigte nach dem BVG typischen Fällen einer Teilberechtigung unter 6.000,- DM an einem Grundstück mit höherem Einheitswert. In solchen typischen Fällen handelt es sich bei Teilberechtigungen am Grundbesitz im allgemeinen entweder um ein Bruchteilseigentum mit der Ehefrau - oder den Kindern -, allenfalls auch mit Verwandten, mit denen eine Wohngemeinschaft besteht, oder auch um Gemeinschaften zur gesamten Hand als Miterben. In allen diesen typischen Fällen sind die Anteile überschaubar. Verhältnisse, wie sie von der Versorgungsverwaltung gelegentlich vorgetragen worden sind, sind nicht typisch, nämlich daß ein in zentraler städtischer Lage gelegenes Hochhaus auch bei einem Bruchteilseigentum von 6.000,- DM - berechnet aus dem Bruchteil des Kriegsbeschädigten am festgestellten Einheitswert des Gesamtgrundstücks - eine beachtliche Rendite abwerfen könnte. Rein rechnerisch und theoretisch mag dieses Beispiel nicht abwegig erscheinen. Es ist aber nicht typisch und kann deshalb für die Ersparung von Verwaltungsarbeit nicht als Grundlage genommen werden. Infolgedessen ergibt sich, daß in der Verordnung zu § 33 BVG das anteilsmäßige Eigentum des Schwerbeschädigten nicht absichtlich nicht aufgeführt worden ist, weil es nicht berücksichtigt werden sollte, sondern daß es versehentlich nicht mitgeregelt worden ist. Es handelt sich hier also um eine echte Lücke im Gesetz. Diese ist vom Gericht im Wege der Rechtsergänzung zu schließen (vgl. BSG 14, 241, 242; 18, 60).
Bei wirtschaftlicher Betrachtungsweise und bei dem Bestreben, vermeidbare Verwaltungsarbeit auszuscheiden, wobei auch verhältnismäßig geringe Einkünfte unberücksichtigt bleiben, ist der Fall des Bruchteileigentums ebenso zu behandeln wie der des vollen Eigentums, d.h. Einkünfte aus Hausbesitz können nur dann angerechnet werden, wenn der auf den Rentenberechtigten entfallende Anteil des Gesamteinheitswertes über 6.000,- DM beträgt. Dies hat im Ergebnis der 9. Senat in den Urteilen vom 26. Januar 1965 (SozR DVO zu § 33 BVG § 12 Nr. 1) und vom 26. Februar 1965 (9 RV 760/64) entschieden; diesen Entscheidungen tritt der Senat im Ergebnis bei.
Nach den nicht angefochtenen Feststellungen des LSG beträgt der Einheitswert des Einfamilienhauses 7.100,- DM und der Bruchteil des Klägers einhalb. Infolgedessen entfällt auf ihn nur ein Betrag von 3.550,- DM als Anteil des Einheitswertes. Da dieser unter der in der VO aufgestellten Grenze von 6.000,- DM liegt, durften bei der Berechnung der Ausgleichsrente Einkünfte aus Grundbesitz nicht berücksichtigt werden. Die Verwaltungsbescheide sind insoweit rechtswidrig. Dies hat die angefochtene Entscheidung verkannt, so daß sie nicht aufrechterhalten werden konnte.
Der Senat hatte bei seiner Entscheidung zu berücksichtigen, daß ebenfalls das SG die vorstehend dargelegte Rechtslage verkannt hat. Gegen dessen auch den Kläger belastendes Urteil hatte nur die - ebenfalls belastete - Verwaltung, nicht aber der Kläger Berufung oder Anschlußberufung eingelegt. Infolgedessen kann zugunsten des Klägers nicht über das Urteil des SG hinausgegangen werden. Das SG hat außerdem dargelegt, daß maßgebend der Einheitswert von 7.100,- DM ist und nicht etwa - da es sich um ein im Erbbaurecht erstelltes Einfamilienhaus handelt - ein um den Wert des Grundstücks zu vermindernder Einheitswert. Auch insoweit hat der Kläger von Rechtsmitteln keinen Gebrauch gemacht, so daß auf sein Vorbringen zu diesem Punkte in der Revisionsinstanz nicht eingegangen werden kann.
Dementsprechend war auf die Revision des Klägers das angefochtene Urteil aufzuheben und die Berufung des Beklagten gegen das Urteil des Sozialgerichts Lübeck zurückzuweisen.
Die Entscheidung über die Kosten beruht auf § 193 Abs. 1 SGG.
Da die Voraussetzungen der §§ 165, 153 Abs. 1, 124 Abs. 2 SGG vorliegen, konnte der Senat ohne mündliche Verhandlung durch Urteil entscheiden.
Fundstellen