Entscheidungsstichwort (Thema)
Kriegsopferversorgung. Witwenausgleichsrente. Anrechnung von Einkünften aus Hausbesitz. Bruchteilseigentum
Orientierungssatz
Auch im Fall des Bruchteileigentums sind Einkünfte aus Hausbesitz bei der Anwendung der Verordnung zur Durchführung des § 33 des Bundesversorgungsgesetzes (juris: BVG§33DV) nur dann anrechnungsfähig, wenn der auf den Rentenberechtigten entfallende Anteil des Gesamteinheitswerts über 6000 DM beträgt (Anschluss an BSG vom 26.2.1965 - 9 RV 760/64 = SozR Nr 1 zu § 33 BVG).
Normenkette
BVG§33DV § 12 Abs. 1 Fassung: 1961-01-11; BVG § 41 Abs. 4 S. 1 Fassung: 1960-06-27, S. 2 Fassung: 1960-06-27, § 33 Abs. 5 Fassung: 1960-06-27
Verfahrensgang
LSG Baden-Württemberg (Urteil vom 30.06.1964) |
SG Reutlingen (Urteil vom 09.04.1963) |
Tenor
Die Revision des Beklagten gegen das Urteil des Landessozialgerichts Baden-Württemberg vom 30. Juni 1964 wird zurückgewiesen.
Die Beklagte hat der Klägerin die außergerichtlichen Kosten des Revisionsverfahrens zu erstatten.
Gründe
Die Klägerin erhält Witwenversorgung nach dem Bundesversorgungsgesetz (BVG), und zwar neben der Witwengrundrente, auf Grund des Antrages vom 13. Dezember 1960, Witwenausgleichsrente (Bescheid vom 15. Juni 1961). Dabei wurde das Einkommen ermittelt und angerechnet, das sie aus dem Einfamilienhaus bezieht, welches ihr und ihrem Sohn je zur Hälfte gehört und einen Einheitswert von 10.600.- DM hat. Der Widerspruch, mit dem die Klägerin auf ihr Bruchteilseigentum hinwies und nur einen anteiligen Einheitswert von 5.300.- DM berücksichtigt wissen wollte, blieb erfolglos (Widerspruchsbescheid vom 11. September 1961).
Auf die Klage hat das Sozialgericht (SG) durch Urteil vom 9. April 1963 die Verwaltungsbescheide abgeändert und den Beklagten verurteilt, vom 1. Oktober 1960 an Ausgleichsrente ohne Anrechnung eines Einkommens aus Hausbesitz zu gewähren, weil von dem Gesamteinheitswert nur die Hälfte für die Klägerin zu berücksichtigen sei. Diese Hälfte aber liege wertmäßig unter der Grenze von 6.000.- DM.
Es hat die Berufung zugelassen.
Der Beklagte hat Berufung eingelegt. Durch Urteil vom 30. Juni 1964 hat das Landessozialgericht (LSG) die Berufung des Beklagten zurückgewiesen. Es hat ausgeführt, in der Verordnung (VO) zu § 33 BVG sei der Fall nicht geregelt worden, daß einem Rentenberechtigten Eigentum an einem Grundstück nur zu einem Bruchteil zustehe. Diese Gesetzeslücke sei dahin zu schließen, daß bei Bruchteilseigentum nur der auf den betreffenden Rentenberechtigten entfallende Bruchteil des Einheitswertes zu berücksichtigen sei; sei aber der Bruchteil niedriger als 6.000.- DM, so sei das Einkommen aus Hausbesitz bei der Berechnung der Ausgleichsrente außer Ansatz zu lassen. Es hat die Revision zugelassen, weil es sich bei der Frage der Auslegung des § 12 Abs. 1 der Durchführungsverordnung zu § 33 BVG um eine Rechtsfrage von grundsätzlicher Bedeutung handele.
Der Beklagte hat Revision eingelegt und beantragt,
das Urteil des LSG Baden-Württemberg und das des SG Reutlingen aufzuheben und die Klage gegen den Bescheid des Versorgungsamts R vom 15. Juni 1961 in der Fassung des Widerspruchsbescheides des Landesversorgungsamts Baden-Württemberg vom 11. September 1961 als unbegründet abzuweisen.
Er rügt mit näherer Begründung eine unrichtige Anwendung der VO zur Durchführung des § 33 BVG und bleibt bei seiner Ansicht, auch bei Bruchteilseigentum könne die VO nur dann angewandt werden, wenn der gesamte Einheitswert des Grundstücks unter 6.000.- DM liege.
Die Klägerin beantragt,
die Revision als unbegründet zurückzuweisen.
Sie hält die angefochtene Entscheidung für zutreffend.
Beide Beteiligten haben sich mit einer Entscheidung ohne mündliche Verhandlung einverstanden erklärt.
Der Beklagte hat die durch Zulassung statthafte Revision form- und fristgerecht eingelegt und begründet. Das Rechtsmittel ist also zulässig. Es ist aber nicht begründet.
Streitig ist die Berechnung der Witwenausgleichsrente der Klägerin, und zwar die Frage, ob Einkünfte aus dem Teileigentum an einem Hausgrundstück angerechnet werden müssen. Nach § 41 Abs. 4 Satz 1 BVG in der Fassung des Ersten Neuordnungsgesetzes - 1. NOG - (BVG aF) ist die volle Witwen-Ausgleichsrente um das anzurechnende Einkommen zu mindern. Was als Einkommen anzusehen ist, ist in der auf Grund der §§ 33 Abs. 5, 41 Abs. 4 Satz 2 BVG aF erlassenen VO der Bundesregierung vom 11. Januar 1961 (BG Bl I, 19) im einzelnen bestimmt worden. Nach § 12 Abs. 1 aaO bleiben Einkünfte aus Hausbesitz bei der Feststellung der Ausgleichsrente unberücksichtigt, wenn der Einheitswert der Grundstücke insgesamt nicht höher als 6.000.- DM ist. Diese Vorschrift haben die Verwaltung und die Vorinstanzen ihren Entscheidungen zutreffend zugrunde gelegt. Allerdings ist die Anwendung durch die Verwaltung nicht frei von Rechtsirrtum, während die Auffassung des SG und des LSG zutreffend ist.
Dem Beklagten ist zuzugeben, daß in § 12 dieser VO die Fälle eines anteilmäßigen Eigentums von Rentenberechtigten nicht ausdrücklich geregelt sind. Der insoweit eindeutige Gesetzestext spricht regelmäßig nur von Grundstücken, vom eigenen Einfamilienhaus und vom eigenen Mehrfamilienhaus. Die Verwaltung hat angenommen, in der VO sei absichtlich ein anteilsmäßiges Eigentumsrecht nicht aufgeführt worden, vielmehr könnten Einkünfte nur aus Anteilen an Grundstücken mit einem Einheitswert von nicht mehr als 6.000,-- DM unberücksichtigt bleiben. Diese Auslegung wird in dem Rundschreiben des Bundesarbeitsministers vom 29. März 1961 (BVBl 1961, 58) vertreten. Doch kann dieses nicht als authentische Interpretation angesehen werden. Vielmehr haben die Gerichte zu prüfen, ob die Auslegung des Bundesministers für Arbeit und Sozialordnung und die entsprechende Auslegung der Verwaltung mit dem Gesetz vereinbar sind.
Gegenstand der Auslegung ist allein der objektive Wille des Gesetzgebers, wie er aus dem Wortlaut der gesetzlichen Vorschrift und dem Sinnzusammenhang sich ergibt, in den die Vorschriften hineingestellt sind; nicht entscheidend ist die subjektive Vorstellung der am Gesetzgebungsverfahren beteiligten Organe oder die Auffassung der Behörden, in deren Zuständigkeit die Ausführung des Gesetzes fällt. Daß die Auslegung von dem Wortlaut des Gesetzes auszugehen hat, schließt nicht aus, daß auch zu ermitteln ist, welchen Zweck der Gesetzgeber insgesamt und im einzelnen verfolgt; dabei sind die Entstehungsgeschichte und der Zusammenhang mit anderen Vorschriften zu berücksichtigen; es ist aber auch zu prüfen, ob der Wortlaut des Gesetzes diesem Zweck gerecht geworden ist, d.h. ob dieser Zweck einen wenn auch nur unvollkommenen Ausdruck im Gesetzestext gefunden hat (BSG 8, 133).
Der Wortlaut des § 12 Abs. 1 der VO zwingt nicht dazu, nur den gesamten Einheitswert von Grundstücken zugrunde zu legen. Insbesondere ist das Wort “insgesamt„ nach seiner Stellung im Texte der VO nicht auf den Einheitswert, sondern auf das Wort “Grundstücke„ zu beziehen. Hierdurch sollte der Fall geregelt werden, daß ein Rentenberechtigter mehrere Grundstücke hat. Die wörtliche Interpretation kann also im vorliegenden Fall die Auslegung der Verwaltung nicht rechtfertigen. Sinn und Zweck der VO dürfte mit dem Bundesarbeitsminister darin erblickt werden, daß mit ihr eine Vereinfachung von Verwaltungsarbeit erstrebt worden ist. Ferner ist aber auch zu berücksichtigen, daß bei der Ermittlung von Einkünften nicht ausschließlich juristische, sondern auch wirtschaftliche Erwägungen maßgebend sind. Die Verwaltung verkennt, daß die durch § 12 Abs. 1 der VO erstrebte Ersparung von Verwaltungsarbeit typische Verhältnisse und die aus ihnen gewonnenen Erfahrungen zugrunde gelegt hat. Die Praxis hatte gezeigt, daß ein wesentliches Einkommen aus einem Hausbesitz mit einem Einheitswert bis zu 6.000.- DM nicht erzielt wird, weshalb sich der Arbeitsaufwand in diesen Fällen nicht lohnte. Sinn und Zweck des § 12 Abs. 1 der Durchführungs-VO ist sonach, verhältnismäßig geringe Einkünfte aus Hausbesitz unberücksichtigt zu lassen.
Die gleichen Erwägungen eines Mißverhältnisses zwischen dem Arbeitsaufwand für die Verwaltung und der Möglichkeit, Beträge auf die Ausgleichsrente anzurechnen, gelten aber auch in den für Berechtigte nach dem BVG typischen Fällen einer Teilberechtigung unter 6.000.- DM an einem Grundstück mit höherem Einheitswert. In solchen typischen Fällen handelt es sich bei Teilberechtigungen am Grundbesitz im allgemeinen entweder um ein Bruchteilseigentum mit der Ehefrau - oder den Kindern -, allenfalls auch mit Verwandten, mit denen eine Wohngemeinschaft besteht, oder auch um Gemeinschaften zur gesamten Hand als Miterben. In allen diesen typischen Fällen sind die Anteile überschaubar. Verhältnisse, wie sie von der Versorgungsverwaltung vorgetragen worden sind, sind nicht typisch, nämlich daß ein in zentraler städtischer Lage gelegenes Hochhaus auch bei einem Bruchteilseigentum von 6.000.- DM - berechnet aus dem Bruchteil des Kriegsbeschädigten am festgestellten Einheitswert des Gesamtgrundstücks - eine beachtliche Rendite abwerfen könnte. Rein rechnerisch und theoretisch mag dieses Beispiel nicht abwegig erscheinen. Es ist aber nicht typisch und kann deshalb für die Ersparung von Verwaltungsarbeit nicht als Grundlage genommen werden. Infolgedessen ergibt sich, daß in der VO zu § 33 BVG das anteilsmäßige Eigentum nicht absichtlich nicht aufgeführt worden ist, weil es nicht berücksichtigt werden sollte, sondern daß es versehentlich nicht mitgeregelt worden ist. Es handelt sich hier also - wie das LSG zutreffend ausgeführt hat - um eine echte Lücke im Gesetz. Diese ist vom Gericht im Wege der Rechtsergänzung zu schließen (vgl. BSG 14, 241, 242, 18, 60).
Bei wirtschaftlicher Betrachtungsweise und bei dem Bestreben, vermeidbare Verwaltungsarbeit auszuschließen, wobei auch verhältnismäßig geringe Einkünfte unberücksichtigt bleiben, hat das LSG zutreffend den Fall des Bruchteileigentums ebenso behandelt wie den des vollen Eigentums, d.h. es hat Einkünfte aus Hausbesitz nur dann für anrechnungsfähig erachtet, wenn der auf den Rentenberechtigten entfallende Anteil des Gesamteinheitswertes über 6.000.- DM beträgt. Dies hat im Ergebnis der 9. Senat in den Urteilen vom 26. Januar 1965 (SozR DVO zu § 33 BVG § 12 Nr. 1) und 26. Februar 1965 (9 RV 760/64) entschieden; diesen Entscheidungen tritt der Senat im Ergebnis bei.
Nach den nicht angefochtenen Feststellungen des LSG beträgt der Einheitswert des Einfamilienhauses 10.600.- DM und der Bruchteil der Klägerin 1/2. Infolgedessen entfällt auf sie ein Betrag von 5.300.- DM als Anteil des Einheitswertes. Da dieser unter der in der VO aufgestellten Grenze von 6.000.- DM liegt, durften bei der Berechnung der Ausgleichsrente Einkünfte aus Grundbesitz nicht berücksichtigt werden. Die Verwaltungsbescheide sind daher insoweit rechtswidrig, so daß das SG sie zu Recht abgeändert und den Beklagten verurteilt sowie das LSG die Berufung des Beklagten zurückgewiesen hat. Da sonach das angefochtene Urteil der Sach- und Rechtslage entspricht, mußte die unbegründete Revision - wie geschehen zurückgewiesen werden.
Die Entscheidung über die Kosten beruht auf § 193 Abs. 1 SGG.
Da die Voraussetzungen der §§ 165, 153 Abs. 1, 124 Abs. 2 SGG erfüllt waren, konnte der Senat ohne mündliche Verhandlung durch Urteil entscheiden.
Fundstellen