Leitsatz (amtlich)

Zur Versorgungsberechtigung der Hinterbliebenen eines Soldaten der Bundeswehr, welcher die Rückfahrt von einem Kameradschaftsabend unter Alkoholeinfluß befehlswidrig mit dem eigenen Motorroller angetreten hatte und durch einen Verkehrsunfall tödlich verunglückt ist.

 

Orientierungssatz

1. Bei einem befehlswidrigen Verhalten kann nur dann nicht mehr von einem Dienst iS des SVG gesprochen werden, wenn das befehlswidrige Verhalten zu einer Tätigkeit führt, die nichts mehr mit der Erfüllung der zu verrichtenden dienstlichen Obliegenheiten zu tun hat.

2. Zur Auslegung des SVG § 81 kann SVG § 27 herangezogen werden.

 

Normenkette

SVG § 27 Abs. 3 Nr. 2 Fassung: 1957-07-26, § 81 Abs. 1 Fassung: 1957-07-26, § 27 Abs. 2 Fassung: 1957-07-26, § 80 Fassung: 1957-07-26

 

Tenor

Auf die Revision der Klägerinnen werden die Urteile des Landessozialgerichts Niedersachsen in Celle vom 6. Dezember 1962 und des Sozialgerichts Hannover vom 20. Juni 1961 sowie der Widerspruchsbescheid vom 30. März 1960 und der Bescheid des Versorgungsamtes vom 19. Januar 1960 aufgehoben.

Der Beklagte wird verurteilt, den Klägerinnen Hinterbliebenenversorgung zu gewähren.

Die außergerichtlichen Kosten des Verfahrens werden dem Beklagten auferlegt.

 

Gründe

Die Klägerinnen begehren die Gewährung von Hinterbliebenenrenten nach ihrem Ehemann bzw. Vater. Dieser ist am 27. Juni 1959 an den Folgen eines Verkehrsunfalls verstorben, den er als Soldat der Bundeswehr auf der Rückfahrt von einem militärischen Kameradschaftsabend zur Truppenunterkunft erlitten hatte. Gestützt auf das Ergebnis der militärischen und staatsanwaltschaftlichen Ermittlungen lehnte das Versorgungsamt (VersorgA) den Antrag durch den Bescheid vom 19. Januar 1960 ab, weil der Verkehrsunfall nicht auf die dem Wehrdienst eigentümlichen Verhältnisse, sondern auf den zu reichlichen Alkoholgenuß des Ehemanns der Klägerin zu 1) zurückzuführen sei, zumal er entgegen einem Befehl, die Dienstkraftfahrzeuge zu benutzen, mit seinem eigenen Motorroller die Rückfahrt angetreten habe. Der Widerspruch blieb erfolglos (Bescheid vom 30. März 1960).

Die Klage wurde mit der gleichen Begründung wie die Verwaltungsbescheide abgewiesen. Das Landessozialgericht (LSG) hat nach Beweisaufnahme durch Urteil vom 6. Dezember 1962 die Berufung der Klägerinnen zurückgewiesen und die Revision zugelassen. Es hat ausgeführt, der Kameradschaftsabend sei als dienstliche Veranstaltung ebenso anzusehen, wie der Weg von der Truppenunterkunft zum Kameradschaftsabend und zurück nach dessen Beendigung. Allerdings könnten diese Wege nur insoweit dem militärischen Dienst zugeordnet werden, wie der Umfang und die Art ihrer Zurücklegung durch dienstliche Befehle geregelt sei. Da der Ehemann der Klägerin zu 1) sich nach dem dienstlichen Befehl nicht gerichtet habe, habe er zur Zeit des Verkehrsunfalls keinen militärischen Dienst geleistet. Eine - von den Klägerinnen behauptete - Ausnahmegenehmigung des Hauptfeldwebels sei nicht bewiesen und habe den gegebenen Kompaniebefehl nicht abändern können.

Die Klägerinnen haben Revision eingelegt und beantragt,

1. a) das Urteil des LSG Niedersachsen vom 6. Dezember 1962,

b) das Urteil des SG Hannover vom 20. Juni 1961,

c) den Widerspruchsbescheid des Landesversorgungsamts vom 30. März 1960,

d) den Bescheid des Versorgungsamts I, H, vom 19. Januar 1960,

aufzuheben.

2. a) festzustellen, daß der Tod des Unteroffizieranwärters G K am 27. Juni 1959 durch einen Unfall während des Wehrdienstes eingetreten ist,

b) den Beklagten zu verurteilen, der Klägerin zu 1) Witwenrente und den Klägerinnen zu 2) und 3) Waisenrente in gesetzlicher Höhe ab 1. Dezember 1959 zu zahlen,

hilfsweise,

die Sache zur anderweiten Verhandlung und Entscheidung an das Berufungsgericht zurückzuverweisen.

Sie rügen mit näherer Begründung einen Verstoß gegen die §§ 80 - 81 des Soldatenversorgungsgesetzes vom 26. Juli 1957 (SVG). Die Tragweite eines dienstlichen Befehls für die zeitliche und begriffliche Abgrenzung des militärischen Dienstes sei überschätzt worden.

Der Beklagte hat keine Anträge gestellt.

Die Klägerinnen haben die durch Zulassung statthafte Revision form- und fristgerecht eingelegt und begründet. Das Rechtsmittel ist also zulässig. Es ist auch begründet.

Das Berufungsgericht hat seiner Entscheidung zutreffend die Vorschriften der §§ 80 und 81 SVG zugrundegelegt. Danach erhalten u. a. die Hinterbliebenen eines Soldaten, der eine Wehrdienstbeschädigung erlitten hat, auf Antrag Versorgung. Wehrdienstbeschädigung ist nach § 81 Abs. 1 aaO eine gesundheitliche Schädigung, die durch eine Dienstverrichtung, durch einen während der Ausübung des Wehrdienstes erlittenen Unfall oder durch die dem Wehrdienst eigentümlichen Verhältnisse herbeigeführt worden ist. Von diesen Voraussetzungen scheiden die Dienstverrichtung und die dem Wehrdienst eigentümlichen Verhältnisse von vornherein im vorliegenden Fall aus. Die Entscheidung hängt also davon ab, ob der Ehemann der Klägerin zu 1) an den Folgen eines während der Ausübung des Wehrdienstes erlittenen Unfalls gestorben ist. Insoweit hat das Berufungsgericht festgestellt, daß durch Kompaniebefehl der Kameradschaftsabend außerhalb der Truppenunterkunft angeordnet und weiter befohlen worden war, die Angehörigen der Einheit würden durch Truppenfahrzeuge von der Unterkunft zum Kameradschaftsabend und zurück befördert werden, die Benutzung privater Fahrzeuge sei nicht gestattet. Zu diesen tatsächlichen Feststellungen des Berufungsgerichts hat die Revision zwar Ausführungen gemacht. Sie hat sich aber darauf beschränkt vorzutragen, wie ihres Wissens die Angehörigen der Einheit - insbesondere das Stammpersonal - den Kompaniebefehl berücksichtigt haben. Sie ist auch nicht der Ansicht gewesen, die Anordnung des Kompaniechefs habe ihren Charakter eines Befehls dadurch verloren, daß zahlreiche Kompanieangehörige sich angeblich nicht nach ihr gerichtet hätten. Vor allem hat sie nicht formgerecht gerügt, das LSG habe diese Tatsachen zu Unrecht nicht berücksichtigt, habe insoweit Beweise - die ebenfalls nicht bezeichnet sind - erheben müssen und wäre wohl zu anderen tatsächlichen Feststellungen gelangt. Somit binden nach § 163 des Sozialgerichtsgesetzes (SGG) die bisherigen tatsächlichen Feststellungen - auch die über den Kompaniebefehl - das Revisionsgericht.

Der angeordnete Kameradschaftsabend sollte der Pflege der Kameradschaft dienen, welche nach § 12 des Soldatengesetzes eine wesentliche Grundlage für den Zusammenhalt der Bundeswehr darstellt. In Übereinstimmung mit der Entscheidung des 10. Senats vom 25. November 1958 (BSG 8, 264, 267) ist deshalb das Berufungsgericht zutreffend davon ausgegangen, daß diese Veranstaltung dem militärischen Dienst zuzurechnen ist. Daraus hat das LSG zutreffend gefolgert, daß bei einem auswärtigen Kameradschaftsabend auch der Hin- und Rückweg zur Truppenunterkunft militärischer Dienst ist.

Die weiteren Ausführungen des Berufungsgerichts, daß dieser militärische Dienst, nämlich der Hin- und Rückweg, durch Befehle näher abgegrenzt werden könne und im vorliegenden Falle auch abgegrenzt worden sei, ist nicht frei von Rechtsirrtum. Es kann unerörtert bleiben, welche Folgerungen sich aus der Gehorsamspflicht des Soldaten gegenüber militärischer Befehlen gemeinhin ergeben. Derartige allgemeine Erwägungen können dann nicht angestellt werden, wenn - wie vorliegend - das Gesetz eine Regelung enthält. In § 27 Abs. 2 SVG ist der Dienstunfall dahin begrifflich bestimmt worden, daß er ein auf äußeren Einwirkung beruhendes plötzliches, örtlich und zeitlich bestimmbares, einen Körperschaden verursachendes Ereignis ist, das in Ausübung oder infolge des Dienstes eingetreten ist. Zum Dienste gehören auch nach Abs. 3 Nr. 2 aaO u. a. das Zurücklegen des mit dem Dienst zusammenhängenden Weges nach und von der Dienststelle. Diese Vorschrift steht zwar im II. Abschnitt des Zweiten Teils und bezieht sich auf die Dienstzeitversorgung der Berufssoldaten, während § 80 im Dritten Teil des SVG steht, welcher von der Beschädigtenversorgung handelt und sowohl für Berufssoldaten als auch für Soldaten auf Zeit gilt. Schon wegen der Einheit der Bundeswehr rechtfertigt es aber dieser unterschiedliche Anwendungsbereich nicht, zur Auslegung des § 81 den § 27 SVG nicht heranzuziehen. Dies hat der 10. Senat des BSG bereits in der nichtamtlich veröffentlichten Entscheidung vom 18.3.1965 (10 RV 403/63) entschieden. Der Senat schließt sich dieser Auffassung an und macht sie sich zu eigen.

Aufgrund der von der Revision nicht angegriffenen und daher bindenden Feststellungen ist der Kameradschaftsabend eine dienstliche Veranstaltung gewesen, und die Teilnahme an ihn stellte für den Ehemann der Klägerin zu 1) Dienst im Sinne der vorerwähnten Vorschriften des SVG dar. War aber die Teilnahme Dienst, so war auch das Zurücklegen des Weges von der Truppenunterkunft zum Orte des Kameradschaftsabends und zurück Dienst für den Ehemann der Klägerin zu 1) (§ 27 Abs. 3 Nr. 2 SVG). Denn für ihn war der Ort des Kameradschaftsabends die Stelle, an welcher er seinen Dienst abzuleisten hatte. Der Weg hing auch mit dem Dienst zusammen, weil der Ehemann der Klägerin zu 1) nur mit dem Zurücklegen dieses Weges am Kameradschaftsabend teilnehmen konnte. Der Verkehrsunfall, der in Ausübung des Dienstes, hier beim Zurücklegen des Weges, eingetreten ist und bei dem es sich im übrigen um ein auf äußerer Einwirkung beruhendes plötzliches, örtlich und zeitlich bestimmbares und den Körperschaden verursachendes Ereignis handelt, ist somit ein "Dienstunfall" im Sinne des § 27 Abs. 2 SVG.

Der Auffassung des LSG, daß das Zurücklegen des Weges deshalb kein Dienst und der Unfall kein Dienstunfall gewesen sei, weil der Ehemann der Klägerin den Rückweg nicht mit dem Truppenfahrzeug, sondern befehlswidrig mit seinem eigenen Motorroller zurückgelegt habe, kann nicht gefolgt werden. Er hat keine dienstfremde Tätigkeit ausgeübt, als sich der Unfall ereignete, sondern hat sich gerade bei der Ausübung einer Tätigkeit befunden, die in diesem Zeitpunkt seinen Dienst ausmachte, nämlich bei dem Zurücklegen des Weges vom Kameradschaftsabend zur Truppenunterkunft. Wenn aber die Tätigkeit, die er ausübte, Dienst war, so konnte sie ihres Charakters als Dienst nicht dadurch entkleidet werden, daß der Ehemann der Klägerin diesen Dienst nicht gerade in der Art und Weise ausübte, wie es ihm befohlen war. Darauf hat die Revision zutreffend hingewiesen. So lange noch die ausgeübte Tätigkeit ihrem Wesen und Erfolg nach Dienst ist, bleibt sie Dienst im Sinne des Gesetzes, auch wenn dieser seiner Ausübung nach nicht allgemeinen Vorschriften oder besonderen Befehlen entspricht. Bei einem befehlswidrigen Verhalten kann nur dann nicht mehr von einem Dienst im Sinne des Gesetzes gesprochen werden, wenn das befehlswidrige Verhalten zu einer Tätigkeit führt, die nichts mehr mit der Erfüllung der zu verrichtenden dienstlichen Obliegenheiten zu tun hat. Soweit hatte sich aber der Ehemann der Klägerin durch sein befehlswidriges Verhalten nicht von der ihm obliegenden dienstlichen Tätigkeit, dem Zurücklegen des Weges vom Ort des Kameradschaftsabends zur Truppenunterkunft, entfernt. An diesem Ergebnis ändert nicht, daß der Verstorbene sich unter Umständen gem. § 23 des Soldatengesetzes eines Dienstvergehens schuldig gemacht hat.

Infolgedessen kann die Versorgungsberechtigung der Klägerinnen nicht mit der vom LSG gegebenen Begründung verneint werden.

Die Verwaltung und das SG haben den Antrag auf Gewährung von Hinterbliebenenversorgung auch deshalb abgelehnt, weil der Ehemann der Klägerin zu 1) infolge Alkoholgenusses nicht mehr fahrtüchtig gewesen sei. Hierzu hat das Berufungsgericht keine Tatsachen festgestellt, weil es nach seiner Rechtsauffassung schon aus anderen Gründen den Versorgungsanspruch der Klägerinnen für nicht gerechtfertigt gehalten hat.

Der Senat konnte jedoch trotzdem in der Sache selbst entscheiden, weil die streitigen Ansprüche - entgegen der Ansicht der Vorinstanzen und der Verwaltung - in jedem Falle begründet sind.

Selbst wenn unterstellt wird, daß der Ehemann der Klägerin zu 1) einen Blutalkoholgehalt von mehr als 1,3 Promille gehabt hat und deshalb fahruntüchtig gewesen ist (vgl. BSG 12 S. 242, 243/44), so wäre dieser Zustand durch die besonderen Umstände des Kameradschaftsabends herbeigeführt worden. Nach allgemeiner Erfahrung werden auf den Kameradschaftsabenden der Bundeswehr alkoholische Getränke - gelegentlich in nicht geringer Menge - verzehrt. Hierdurch und durch die Anregungen eines solchen Kameradschaftsabends werden die Teilnehmer in eine gehobene Stimmung versetzt, welche im Verein mit dem durch den Alkoholgenuß verursachten Blutalkoholgehalt es nicht immer gewährleistet erscheinen läßt, daß sie sämtlichen Anforderungen des Straßenverkehrs noch gerecht werden können. In jedem Falle aber ist dieser Zustand der Teilnehmer durch den Kameradschaftsabend herbeigeführt worden. Da andererseits die Teilnahme am Kameradschaftsabend - und zwar nicht durch bloßes Dabeisein oder untätiges Dabeisitzen, sondern auch aktives Teilnehmen in Gestalt des Alkoholgenusses - für die Soldaten - wie bereits ausgeführt worden ist - in diesem speziellen Fall Dienst gewesen ist, wäre die hier einmal unterstellte Fahruntüchtigkeit des Ehemannes der Klägerin zu 1) Folge des Dienstes gewesen und müßte diesem angerechnet werden. Es kann unerörtert bleiben, zu welchen Maßnahmen die Fürsorge des militärischen Vorgesetzten für die Soldaten hätte führen müssen, um eine befehlswidrige Benutzung eines eigenen Motorrollers und darüber hinaus zu verhindern, daß nicht mehr fahrtüchtige Kompanieangehörige ihre eigenen Fahrzeuge benutzt hätten, und ob hierzu ein bloßer Kompaniebefehl genügt hätte, oder ob und wie die Befolgung des Befehls durchgesetzt worden oder durchzusetzen gewesen wäre. Denn jedenfalls wird hierdurch der Versorgungsschutz der Soldaten nicht berührt. Wie bereits dargelegt stand an sich der Rückweg vom Kameradschaftsabend zur Truppenunterkunft hier unter Versorgungsschutz. Wurde dieser Rückweg zwar in einem durch Teilnahme am Dienst verursachten Zustande der Fahruntüchtigkeit, jedoch derart zurückgelegt, daß keine dienstfremden Erwägungen die Wahl des Weges und die Beförderungsart beeinflußt haben, was ebenfalls bereits ausgeführt ist, so genießt der Soldat trotz seiner Fahruntüchtigkeit weiterhin den Versorgungsschutz, wie die Klägerinnen in der Revisionsinstanz zutreffend vorgebracht haben.

Da sonach den Klägerinnen ein Anspruch auf Hinterbliebenenversorgung zusteht, mußten die Entscheidungen der Vorinstanzen und die Verwaltungsbescheide, welche das Vorliegen eines derartigen Anspruchs verkannt haben, aufgehoben und der Beklagte, wie geschehen, verurteilt werden, Hinterbliebenenversorgung zu gewähren.

Die Entscheidung über die Kosten beruht auf § 193 Abs. 1 SGG.

 

Fundstellen

Dokument-Index HI2380134

Dieser Inhalt ist unter anderem im Deutsches Anwalt Office Premium enthalten. Sie wollen mehr?


Meistgelesene beiträge