Leitsatz (amtlich)
Für die Berechnung der pauschalen Ausfallzeit nach AnVNG Art 2 § 14 (= ArVNG Art 2 § 14) idF des RVÄndG vom 1965-06-09 ist eine Ersatzzeit der Verfolgung (AVG § 28 Abs 1 Nr 4) auch unter Berücksichtigung des ÄndG WGSV vom 1970-12-22 (BGBl 1970 I 1846) nicht als Pflichtbeitragszeit zu berücksichtigen (Fortführung von BSG 1967-01-24 11 RA 182/65 = BSGE 26, 65 und BSG 1971-06-22 11 RA 206/69).
Normenkette
ArVNG Art. 2 § 14 Fassung: 1965-06-09; AnVNG Art. 2 § 14 Fassung: 1965-06-09; RVO § 1251 Abs. 1 Nr. 4 Fassung: 1957-02-23; AVG § 28 Abs. 1 Nr. 4 Fassung: 1957-02-23
Tenor
Die Revision des Klägers gegen das Urteil des Landessozialgerichts Berlin vom 13. November 1970 wird zurückgewiesen.
Außergerichtliche Kosten des Rechtsstreits sind nicht zu erstatten.
Gründe
I
Der im Jahre 1903 geborene Kläger bezieht von der Beklagten seit dem 1. April 1968 Altersruhegeld wegen Vollendung des 65. Lebensjahres.
In dem im Laufe des Verfahrens ergangenen und nach § 96 des Sozialgerichtsgesetzes (SGG) Gegenstand des anhängigen Verfahrens gewordenen Bescheid vom 11. November 1968 hatte die Beklagte die Ersatzzeit des verfolgungsbedingten Auslandsaufenthaltes vom April 1934 bis Dezember 1949 mit den sich aus § 32 a des Angestelltenversicherungsgesetzes (AVG) ergebenden Werteinheiten berücksichtigt. Außerdem hatte sie dem Kläger 28 Monate pauschale Ausfallzeit nach Art. 2 § 14 des Angestelltenversicherungs-Neuregelungsgesetzes (AnVNG) idF des Rentenversicherungs-Änderungsgesetzes (RVÄndG vom 9. Juni 1965 angerechnet. Dabei war sie von einer Gesamtheit von 181 Monaten vom 13. März 1919 bis zum 31. März 1934 (Kalendermonate des ersten und letzten Pflichtbeitrages) ausgegangen. Auf sie entfallen 141 Versicherungsmonate, so daß das nach Art. 2 § 14 Satz 5 AnVNG von der verbleibenden Zeit höchstens zu berücksichtigende ein Viertel der Versicherungszeit 35 Monate ergibt. Wird dieses mit dem Verhältnis vervielfältigt, in dem die Versicherungszeit zur Gesamtzeit steht, so ergeben sich nach der erforderlichen Abrundung die genannten 28 Monate Ausfallzeit.
Das Sozialgericht (SG) Berlin hat u.a. durch Ergänzungsurteil vom 3. April 1970 die Beklagte verurteilt, die Rente des Klägers neu festzustellen, indem bei der Ermittlung der pauschalen Ausfallzeit die verfolgungsbedingte Ersatzzeit als Beitragszeit berücksichtigt wird, da es sich bei der Ersatzzeit nach § 28 Abs. 1 Nr. 4 AVG um eine Ersatzzeit besonderer Art handele, die grundsätzlich einer Beitragszeit gleichzusetzen sei.
Auf die Berufung des Klägers hat das Landessozialgericht (LSG) Berlin durch Urteil vom 13. November 1970 die Beklagte verurteilt, die Ersatzzeit von April 1934 bis Februar 1948 mit den Werten, die sich aus der Leistungsgruppe 4, und die Ersatzzeit von März 1948 bis Dezember 1949 mit den Werten, die sich aus der Leistungsgruppe 3 für männliche Angestellte der Anlage I B zu § 4 der Versicherungsunterlagen-Verordnung ergeben, zu berücksichtigen und ein dementsprechend höheres Altersruhegeld zu zahlen. Im übrigen hat das LSG auf die Berufung der Beklagten das genannte Ergänzungsurteil vom 3. April 1970 insoweit geändert, als die Beklagte zur Anrechnung einer höheren pauschalen Ausfallzeit verurteilt worden ist, und in diesem Umfang die Klage abgewiesen.
Gegen diese Klageabweisung richtet sich die vom LSG zugelassene Revision des Klägers, der sinngemäß beantragt,
das Urteil des LSG Berlin vom 13. November 1970 aufzuheben, soweit es der Berufung der Beklagten stattgegeben hat, und deren Berufung gegen das Urteil des SG Berlin vom 3. April 1970 zurückzuweisen.
Die Beklagte beantragt,
die Revision zurückzuweisen.
II.
Die Revision des Klägers ist nicht begründet.
Das LSG hat zur Begründung seiner Entscheidung ausgeführt, die Beklagte wende sich mit Recht gegen ihre Verurteilung, bei der Ermittlung der pauschalen Ausfallzeit im Rahmen des Art. 2 § 14 AnVNG idF des RVÄndG die Ersatzzeit wie eine Beitragszeit zu behandeln. Nach der genannten Vorschrift begrenzten der erste und der letzte Pflichtbeitrag die für die Berechnung wesentliche Gesamtzeit. Hiervon sei die auf sie entfallene Versicherungszeit abzuziehen. Sowohl der Begriff der Versicherungszeit als auch der der Beitragszeit seien in § 27 AVG geregelt. Danach setzten sich die Versicherungszeiten zusammen aus Zeiten, für die Beiträge entrichtet sind oder als entrichtet gelten, und aus Zeiten ohne Beitragsleistungen nach § 28 AVG, den sog. Ersatzzeiten. Diese klare Trennung der Begriffe Beitragszeit und Ersatzzeit verbiete eine Gleichsetzung von Verfolgtenersatzzeiten mit Beitragszeiten. Auch das Bundessozialgericht (BSG) habe es abgelehnt, Ersatzzeiten der Verfolgung den Beitragszeiten gleichzusetzen (BSG 25, 90; 26, 65). Hieran ändere sich nichts dadurch, daß bei der Ermittlung der persönlichen Rentenbemessungsgrundlage im vorliegenden Fall die Ersatzzeit nicht nach § 32 a AVG, sondern nach § 4 Abs. 4 des Gesetzes über die Behandlung der Verfolgten des Nationalsozialismus in der Sozialversicherung (NVG) vom 28. August 1949 zu bewerten sei. Der Ansicht des LSG Berlin in dem Urteil vom 28. Mai 1969 (L 6/10 J 19/68), die in dieser Bestimmung vorgenommene Gleichstellung der Ersatzzeiten mit Beitragszeiten müsse sich auch auf die Berechnung der Ausfallzeiten auswirken, könne nicht gefolgt werden. Die Berechnung der Ersatzzeiten nach Werteinheiten nach dieser Vorschrift ändere an ihrem Wesen als Ersatzzeit ebensowenig etwas wie die Berechnung nach § 32 a AVG. Die Ersatzzeit werde dadurch nicht zu einer Pflichtbeitragszeit. Daraus folge zugleich, daß sie auch bei der Berechnung nach Art. 2 § 14 AnVNG nicht als Pflichtbeitragszeit für die Ermittlung der Gesamtzeit zu berücksichtigen sei.
Diese Ausführungen entsprechen der bisherigen, bereits vom LSG angeführten Rechtsprechung des BSG zu Art. 2 § 14 AnVNG aF. Der 11. Senat des BSG hat inzwischen in einem Urteil vom 22. Juni 1971 (11 RA 206/69) diese seine bisherige Rechtsprechung (BSG 26, 65) zu Art. 2 § 14 AnVNG aF bestätigt. Der erkennende Senat schließt sich dieser Auffassung für Art. 2 § 14 AnVNG nF an. Der Wortlaut des Art. 2 § 14 AnVNG alter und neuer Fassung und die Systematik des Gesetzes lassen es nicht zu, Ersatzzeiten nach § 28 Abs. 1 Nr. 4 AVG anders zu behandeln als andere Ersatzzeiten und beim Kläger den Dezember 1949 als letzten mit einem Pflichtbeitrag belegten Kalendermonat anzusehen.
Allerdings wendet die Revision hiergegen ein, inzwischen habe der Gesetzgeber durch das Gesetz zur Änderung und Ergänzung der Vorschriften über die Wiedergutmachung nationalsozialistischen Unrechts in der Sozialversicherung vom 22. Dezember 1970 (BGBl I 1846) mit der Neufassung des § 12 NVG ausdrücklich angeordnet, daß bei der Ermittlung der pauschalen Ausfallzeit Ersatzzeiten der Verfolgung wie Beitragszeiten zu behandeln seien. Dieser Ansicht kann nicht gefolgt werden.
Soweit § 12 NVG eine Gleichstellung der Verfolgtenzeiten mit Pflichtbeitragszeiten vorsieht, bezieht sich dies nur auf die Berechnung der sog. Halbbelegung im Sinne von § 36 Abs. 3 AVG und auf entsprechende andere Vorschriften. Nach Satz 1 des § 12 NVG nF sind Verfolgungszeiten unter bestimmten Voraussetzungen bei Anwendung des § 36 Abs. 3 AVG den Zeiten mit Beiträgen für eine rentenversicherungspflichtige Beschäftigung oder Tätigkeit hinzuzuzählen. Diese Regelung läßt sich nicht im Wege der Auslegung dahin verstehen, daß die Verfolgungszeiten auch bei der Anwendung des Art. 2 § 14 AnVNG Pflichtbeitragszeiten gleichstehen sollen. Nach dem seinen Sinn deutlich wiedergebenden und nicht erweiterungsfähigen Wortlaut des § 12 NVG nF bezieht er sich nur auf Vorschriften über die Halbbelegung und entsprechende andere Bestimmungen, zu denen Art. 2 § 14 AnVNG aber nicht gehört.
Auch aus anderen Vorschriften des NVG nF ergibt sich nicht, daß der Gesetzgeber die vom Kläger vertretene Auffassung teilt. Die Verfolgungszeit wird insbesondere nicht dadurch zu einer Beitragszeit, daß ihr für die Rentenberechnung bestimmte Beitragsklassen und Arbeitsentgelte zuzuordnen sind (§ 13 NVG nF). Hierdurch wird nur für die Rentenberechnung die Bewertung von Verfolgungszeiten geregelt, sie werden aber darüber hinaus nicht den Pflichtbeitragszeiten gleichgestellt. Das bestätigt insbesondere der letzte Satz des § 13 Abs. 1 NVG nF, wonach u.a. § 32 Abs. 4 AVG "entsprechende" Anwendung findet, der eine besondere Berücksichtigung der mit Pflichtbeiträgen belegten Kalendermonate der ersten fünf Kalenderjahre seit dem Eintritt in die Versicherung vorschreibt. Diese Regelung wäre überflüssig gewesen, wenn die Verfolgungszeiten bereits ohnehin Pflichtbeitragszeiten gleichstünden.
Ebensowenig kann davon ausgegangen werden, daß das Gesetz eine Lücke enthielte, indem es bei der Anwendung von Art.2 § 14 AnVNG nicht die Behandlung der Verfolgungszeit als Beitragszeit vorgeschrieben hat. Die Lösung der hier maßgebenden Rechtsfrage ergibt sich vielmehr aus § 11 NVG nF, wonach für die Berechnung der Rente die Verfolgungszeiten grundsätzlich nach den für Ersatzzeiten geltenden allgemeinen Vorschriften zu berücksichtigen sind. Hierdurch sollten, wie die amtliche Begründung zu dem Gesetz vom 22. Dezember 1970 (BT-Drucks, VI/715 S. 8) ergibt, die Vorschriften über die Wiedergutmachung nationalsozialistischen Unrechts in der Sozialversicherung dem neuen Rentenrecht angepaßt werden. Zudem war dem Gesetzgeber das Problem bekannt, da das BSG bereits in dem schon genannten Urteil vom 24. Januar 1967 (BSG 26, 65) ausgesprochen hatte, daß bei der Anwendung des Art. 2 § 14 AnVNG aF eine Ersatzzeit der Verfolgung nicht als eine mit Pflichtbeiträgen belegte Zeit zu berücksichtigen ist. Deshalb muß daraus, daß der Gesetzgeber bei der Schaffung des Gesetzes vom 22. Dezember 1970 insoweit keine besondere Regelung getroffen hat, geschlossen werden, daß er es bei der nach der Rechtsprechung des BSG gegebenen Gesetzeslage belassen wollte.
Das von der Revision angeführte Urteil des 4. Senats des BSG - 4 RJ 125/70 - vom 20. Juli 1971 rechtfertigt keine andere Entscheidung. Dort ist entschieden, daß auch nach Inkrafttreten des Gesetzes vom 22. Dezember 1970 auf vorher eingetretene Versicherungsfälle § 4 Abs. 4 NVG aF weiterhin sinngemäß anzuwenden ist. Von dieser Auffassung war auch das LSG ausgegangen; sie wirkt sich ausschließlich auf die Bewertung der Ersatzzeit aus, ohne sie im übrigen zu einer Beitragszeit zu machen.
Das so gefundene Ergebnis steht auch allein im Einklang mit dem Zweck des Gesetzes. Mit der Berücksichtigung von Ausfallzeiten will es in erster Linie, wie die Nummernfolge des § 36 Abs. 1 AVG ergibt, einen Ausgleich für Unterbrechungen der versicherungspflichtigen Beschäftigung durch Zeiten der Krankheit und der Arbeitslosigkeit gewähren. Dem Kläger wird aber bereits die ganze Zeit vom April 1934 bis Dezember 1949 durchgehend als Ersatzzeit angerechnet. Damit entfällt jeder Grund, hierauf noch einen Zuschlag durch Erhöhung der pauschalen Ausfallzeit zu gewähren.
Somit ist die Revision als unbegründet zurückzuweisen.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.
Fundstellen