Entscheidungsstichwort (Thema)
Alterssicherung der Landwirte. Aufrechnung. Beitragszuschuß. Beitragserstattung. Anfechtungsklage. maßgebendes Recht. Rücknahme. rechtswidriger begünstigender Verwaltungsakt. Vertrauensschutz
Leitsatz (amtlich)
Hat die Landwirtschaftliche Alterskasse beim Wegfall der Beitragspflicht zur Altershilfe für Landwirte entgegen der gesetzlichen Maßgabe, für den gleichen Zeitraum gezahlte Zuschüsse zum Beitrag gegen den Erstattungsanspruch aufzurechnen, die Beiträge ungekürzt erstattet, so schließt dies eine spätere teilweise Rücknahme und Erstattung der zu Unrecht erbrachten Zuschüsse nicht grundsätzlich aus.
Stand: 24. Oktober 2002
Normenkette
SGB X § 50 Abs. 1 S. 1; ALG § 76 Abs. 1 S. 2, Abs. 4 S. 3, § 77; GAL § 32 Abs. 1 S. 2; SGB IV § 26 Abs. 2; SGB X §§ 45, 48; SGG § 54 Abs. 1
Verfahrensgang
Tenor
Die Revision des Klägers gegen das Urteil des Landessozialgerichts Nordrhein-Westfalen vom 28. März 1996 wird zurückgewiesen.
Außergerichtliche Kosten sind nicht zu erstatten.
Tatbestand
I
Der Rechtsstreit betrifft die Erstattung von Beitragszuschüssen für die Jahre 1990 bis 1993, nachdem der Kläger rückwirkend von der Beitragspflicht befreit worden war.
Der Kläger war seit dem 1. Juni 1985 beitragspflichtiges Mitglied der Beklagten, von der er einen Beitragszuschuß gemäß § 3c Abs 1 des Gesetzes über eine Altershilfe für Landwirte (GAL) erhielt, so daß der Kläger im Streitzeitraum folgenden Unterschiedsbetrag auf seine Beitragsschuld zahlte:
|
1990 |
1991 |
1992 |
1993 |
Gesamtbetrag 1990 –1993 |
Beitrag |
monatlich jährlich |
236,– 2.832,– |
250,– 3.000,– |
269,– 3.228,– |
281,– 3.372,– |
12.432,– |
Zuschuß |
monatlich jährlich |
128,– 1.536,– |
185,– 2.220,– |
190,– 2.280,– |
245,– 2.940,– |
8.976,– |
Unterschiedsbetrag |
monatlich |
108,– |
65,– |
79,– |
36,– |
|
|
jährlich |
1.296,– |
780,– |
948,– |
432,– |
3.456,– |
Antragsgemäß befreite die Beklagte den Kläger mit Bescheid vom 1. März 1994 von der Beitragspflicht ab dem 1. September 1986 unter Anwendung von § 14 Abs 2 Satz 1 Buchst a und Satz 2 GAL; danach sind landwirtschaftliche Unternehmer auf Antrag von der Beitragspflicht zu befreien, wenn sie vor der Antragstellung mindestens 60 Kalendermonate versicherungspflichtig in der gesetzlichen Rentenversicherung waren und zur Zeit der Antragstellung versicherungspflichtig beschäftigt sind. Die für die Zeit nach dem 1. Januar 1990 gezahlten Beiträge erstattete ihm die Beklagte gemäß § 26 Sozialgesetzbuch Viertes Buch – Gemeinsame Vorschriften für die Sozialversicherung – (SGB IV). Dem Kläger wurden daraufhin 12.723,00 DM für den Streitzeitraum einschließlich eines Erstattungsbetrages von 291,00 DM für den Beitrag im Januar 1994 überwiesen.
Mit weiterem Bescheid vom 9. August 1994 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 10. Januar 1995 hob die Beklagte die Bewilligungen der Beitragszuschüsse für die Jahre 1990 bis 1993 auf und forderte den darauf entfallenden Betrag von 8.976,00 DM mit der Begründung zurück, der Kläger sei aufgrund der rückwirkenden Befreiung nicht mehr beitragspflichtiger landwirtschaftlicher Unternehmer und habe deshalb die Zuschüsse zu Unrecht erhalten.
Der Klage hat das Sozialgericht (SG) Münster mit Urteil vom 25. Oktober 1995 mit der Begründung stattgegeben, § 32 Abs 1 Satz 2 GAL erlaube nur eine Aufrechnung der Beitragszuschüsse mit den Beiträgen, nicht aber eine nachträgliche Rückforderung der Beitragszuschüsse.
Auf die Berufung der Beklagten hat das Landessozialgericht (LSG) Nordrhein-Westfalen das Urteil des SG aufgehoben und die Klage abgewiesen. Der angefochtene Verwaltungsakt sei gemäß § 43 Abs 1 Zehntes Buch Sozialgesetzbuch – Verwaltungsverfahren – (SGB X) in einen Rücknahme- und Rückforderungsbescheid nach den §§ 45, 50 Abs 1 SGB X umzudeuten. Auch eine Rücknahme des Bescheides vom 1. März 1994 insoweit, als dieser die Aufrechnung des Erstattungsanspruchs mit den Zuschüssen – rechtswidrig – nicht erklärt habe, sei möglich, da der Kläger wenigstens hätte erkennen können, daß er über den Gesamtbetrag seiner auf die Beitragsschulden geleisteten Einzahlungen in den Jahren 1990 bis 1993 hinaus keinen Anspruch auf die Erstattung gehabt habe.
Mit seiner Revision rügt der Kläger eine Verletzung der §§ 32, 27a GAL, § 26 Abs 2 und 3 SGB IV, §§ 45 und 50 SGB X. Entgegen der Auffassung des LSG sei der Befreiungsbescheid vom 1. März 1994 nicht mangels Aufrechnungserklärung rechtswidrig, da eine Aufrechnungserklärung in diesem Bescheid nicht zwingend gesetzlich vorgeschrieben sei. Eine Rücknahme nach § 45 SGB X als Voraussetzung der Rückforderung nach § 50 SGB X komme daher nicht in Betracht. Fehle es an einer Aufrechnung nach der abschließenden Spezialvorschrift des § 32 Abs 1 Satz 2 GAL, so habe die Verwaltung keine Möglichkeit mehr, im nachhinein als Teil des Beitrags erstattete Zuschüsse zurückzufordern.
Der Kläger beantragt,
das angefochtene Urteil des LSG aufzuheben und die Berufung der Beklagten zurückzuweisen.
Die Beklagte beantragt unter näherer Darlegung,
die Revision zurückzuweisen.
Die Beteiligten haben sich mit einer Entscheidung des Senats ohne mündliche Verhandlung durch Urteil gemäß § 124 Abs 2 Sozialgerichtsgesetz (SGG) einverstanden erklärt.
Entscheidungsgründe
II
Die Revision des Klägers ist unbegründet.
Das Berufungsgericht hat zutreffend erkannt, daß der Kläger die im streitigen Zeitraum von 1990 bis 1993 gezahlten Beitragszuschüsse der Beklagten zu erstatten hat. Der Erstattungsanspruch folgt aus § 50 Abs 1 Satz 1 SGB X, wonach bereits erbrachte Leistungen zu erstatten sind, soweit ein Verwaltungsakt aufgehoben worden ist. Die Beklagte hat im angefochtenen Bescheid die Festsetzung der zu erstattenden Leistung in Höhe von 8.976,00 DM – wie in § 50 Abs 3 Satz 2 SGB X vorgesehen – mit der Aufhebung jener Verwaltungsakte verbunden, deren Aufhebung die Erstattung voraussetzt, nämlich der Bewilligungsbescheide für den Beitragszuschuß in den streitigen Jahren. Dazu ist die Beklagte durch die – von ihr nicht benannten – §§ 77 iVm 76 Abs 1 Satz 2 des Gesetzes über die Alterssicherung der Landwirte (ALG) vom 29. Juli 1994 (BGBl I S 1890) ermächtigt gewesen. Zum Zeitpunkt der letzten Verwaltungsentscheidung (hier: Widerspruchsbescheid vom 10. Januar 1995), auf den es wie vorliegend in Fällen der Anfechtungsklage ankommt, hat dieses am 1. Januar 1995 in Kraft getretene Gesetz (Art 48 Abs 1 Gesetz zur Reform der agrarsozialen Sicherung ≪ASRG 1995≫ vom 29. Juli 1994, BGBl I S 1890) bereits gegolten. Bei der von § 26 SGB IV vorgeschriebenen Erstattung zu Unrecht entrichteter Beiträge ordnet § 77 ALG an, daß § 76 Abs 1 Satz 2 und Abs 4 Satz 3 ALG entsprechend gilt. Gemäß der – den allgemeinen Bestimmungen der §§ 45, 48 SGB X vorgehenden – Sondervorschrift des § 76 Abs 4 Satz 3 ALG sind Verwaltungsakte über die Erbringung von Zuschüssen zum Beitrag mit Wirkung für die Vergangenheit zurückzunehmen. Anders als bei den og allgemeinen Bestimmungen ist nach dem ausdrücklichen Willen des Gesetzgebers dabei kein Vertrauensschutz zu berücksichtigen (s die Motive in BT-Drucks 12/5700 S 82 zu § 76). Damit war die Beklagte befugt, die dem Kläger gemäß § 3c GAL gewährten Zuschüsse zu entziehen, nachdem er auf seinen Antrag nach § 14 Abs 2 Satz 1 Buchst a GAL von der Beitragspflicht – rückwirkend ab dem 1. September 1986 (§ 14 Abs 2 Satz 2 GAL) – befreit worden war und sich deshalb die Beiträge zur landwirtschaftlichen Altershilfe iS von § 26 Abs 2 SGB IV als zu Unrecht entrichtet erwiesen haben (vgl § 27 Abs 2 SGB IV zur Verjährung des Erstattungsanspruchs hier vor dem 1. Januar 1990).
Der Erstattungsanspruch der Beklagten scheitert entgegen der Ansicht des Klägers nicht daran, daß eine Aufrechnung der für den gleichen Zeitraum gezahlten Zuschüsse zum Beitrag gegen den Erstattungsanspruch unterblieben ist. Der Kläger hat insbesondere keine verfahrensrechtliche Position erlangt, aufgrund derer er die Beitragszuschüsse behalten darf, weil ihm in Übereinstimmung mit seiner vollen Beitragspflicht (§ 12 GAL) auch die vollen Beiträge ungekürzt erstattet worden sind.
Der Bescheid der Beklagten vom 1. März 1994 enthält – über die Befreiung von der Beitragspflicht und die Erstattung der in den Jahren 1990 bis 1993 gezahlten Beiträge hinaus – keine ausdrückliche Verfügung oder Erläuterung, daß sich die Höhe der Beitragserstattung nach Aufrechnung mit den für den gleichen Zeitraum gezahlten Zuschüssen zum Beitrag ermittelte, wie dies § 32 Abs 1 Satz 2 GAL (außer Kraft getreten am 31. Dezember 1994) bzw § 76 Abs 1 Satz 2 ALG vorsieht. Auch aus der Sicht des Empfängers stützt dieser Bescheid keine Vermutung des Inhalts, die Höhe des Erstattungsbetrages ergebe sich nach entsprechender Aufrechnung: Dem gesetzesunkundigen Empfänger konnte die Nichtbeachtung der gesetzlichen Maßgabe (seinerzeit des § 32 Abs 1 Satz 2 GAL) gar nicht erst auffallen; dem gesetzeskundigen Empfänger mußte sich ganz im Gegenteil das Unterbleiben der Aufrechnung schon aus dem Vergleich der erstatteten mit den tatsächlich gezahlten Beiträgen erschließen.
Aus dem Umstand, daß der Bescheid vom 1. März 1994 die gesetzlich vorgesehene Aufrechnung nicht vollzogen hat, folgt kein subjektives Recht des Klägers, den gesamten aufgrund des Bescheides vom 1. März 1994 einschließlich der empfangenen Beitragszuschüsse erstatteten Betrag behalten zu dürfen. Dies gilt namentlich im Blick darauf, daß der Anspruch auf Beitragszuschuß landwirtschaftlicher Unternehmer stets neben der auf den vollen Beitrag gerichteten Beitragsschuld stand (§§ 12, 14, § 3 Buchst c Abs 1 GAL). Zwar hat die Beklagte bei Erlaß des Bescheides vom 1. März 1994 gegen die Maßgabe des § 32 Abs 1 Satz 2 GAL verstoßen, „für den gleichen Zeitraum gezahlte Zuschüsse zum Beitrag gegen den Erstattungsanspruch aufzurechnen”. Indes wurde damit der Bescheid nicht rechtswidrig iS des § 45 Abs 1 SGB X, denn es wurde durch das Unterlassen der Aufrechnung kein Recht oder rechtlich erheblicher Vorteil des Klägers begründet oder bestätigt. Die vom LSG vorgenommene Umdeutung des angefochtenen Bescheides vom 9. August 1994 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 10. Januar 1995 in einen Rücknahmebescheid nach § 45 SGB X kommt deshalb nicht in Betracht, und es erübrigt sich damit die Prüfung, ob die weiteren Voraussetzungen für die Rücknahme des Erstattungsbescheides vom 1. März 1994 vorliegen. Die von der Beklagten übergangene Pflicht zur Aufrechnung und das dementsprechende Aufrechnungsrecht hat die Befugnisse der Beklagten nicht zugunsten des Empfängers eingeschränkt, sondern zugunsten des Versicherungsträgers erweitert (vgl zur Auslegung einer entsprechenden Bestimmung in § 48 GAL bereits das Urteil des 4. Senats des BSG vom 28. Juni 1990, SozR 3-5850 § 48 Nr 2 S 9). Die Maßgabe soll bestimmungsgemäß allein sicherstellen, daß landwirtschaftliche Unternehmer bei der Erstattung zu Unrecht entrichteter Beiträge nicht bevorzugt werden (vgl zur Gesetzesbegründung BT-Drucks 10/3483 S 22 zu Nr 19 ≪§ 32≫). Beiträge, die dem landwirtschaftlichen Unternehmer bereits von Dritten erstattet (meint: bezuschußt) worden seien, sollten von der landwirtschaftlichen Alterskasse nicht mehr erstattet werden (vgl aaO S 21 zu Nr 17 ≪§ 27a≫, Buchst a). Die vom Kläger geltend gemachte Anwendung dieser Regelung zur Verfolgung seiner subjektiven Interessen würde im vorliegenden Zusammenhang genau das Gegenteil dieses gesetzlichen Zwecks bewirken und eine unzulässige Bevorzugung bedingen, indem er erstattungspflichtige, von Dritten als Zuschuß geleistete Beitragsanteile behalten dürfte.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.
Fundstellen
Haufe-Index 1175167 |
SozR 3-5868 § 76, Nr.1 |