Leitsatz (redaktionell)
Invalidenrente in Höhe von 91,60 DM für den Versicherten zZt seines Todes.
Normenkette
RVO § 1265 S. 1 Fassung: 1957-02-23
Tenor
Die Revision der Klägerin gegen das Urteil des Landessozialgerichts Nordrhein-Westfalen vom 30. März 1960 wird zurückgewiesen.
Die Beteiligten haben einander Kosten nicht zu erstatten.
Von Rechts wegen.
Gründe
Die Klägerin begehrt Hinterbliebenenrente nach § 1265 der Reichsversicherungsordnung - RVO - (sog. Geschiedenen-Witwenrente) aus der Rentenversicherung ihres früheren Ehemannes.
Die Ehe der im Jahre 1886 geborenen Klägerin mit dem im Jahre 1879 geborenen Versicherten wurde durch Urteil des Landgerichts in Dortmund vom 16. April 1937 aus alleinigem Verschulden des Versicherten geschieden. Durch Urteil des Amtsgerichts in Hamm (Westf.) vom 27. Oktober 1937 wurde der Versicherte, der damals noch erwerbstätig war, verurteilt, an die Klägerin monatlich 30,- RM Unterhalt zu zahlen. Er kam dieser Verpflichtung teilweise nach. Seit dem 1. Mai 1944 lebte der Versicherte nur noch von seiner Rente in Höhe von monatlich 57,10 RM, von 1949 an 91,60 DM. Nach September 1944 leistete er keinen Unterhalt mehr an die Klägerin. Am 4. Oktober 1952 starb er.
Die Beklagte lehnte den Antrag der Klägerin auf Gewährung von Hinterbliebenenrente vom 19. Dezember 1956 durch Bescheid vom 24. März 1958 ab.
Das Sozialgericht (SG) in Dortmund hat die Beklagte durch Urteil vom 2. Oktober 1958 verurteilt, der Klägerin Hinterbliebenenrente zu gewähren. Das Unterhaltsurteil vom 27. Oktober 1937 stelle im Sinne des § 1265 RVO einen "sonstigen Grund" dar, aus dem der Versicherte zur Zeit seines Todes der Klägerin Unterhalt zu leisten gehabt habe.
Das Berufungsgericht hat durch Urteil vom 30. März 1960 das sozialgerichtliche Urteil abgeändert und die Klage abgewiesen; es hat die Revision zugelassen. Der Versicherte sei nach den §§ 58, 59 des Ehegesetzes (EheG) von 1946 nicht zur Unterhaltsleistung verpflichtet gewesen, da seine Rente in Höhe von 91,90 DM erforderlich gewesen sei, um seinen eigenen notwendigen Unterhalt zu bestreiten. Das Unterhaltsurteil vom 27. Oktober 1937 stelle keinen "sonstigen Grund" im Sinne des § 1265 RVO dar. Eine Unterhaltszahlung sei in der Zeit vor dem Tode des Versicherten nicht erfolgt. Daher seien die Voraussetzungen des § 1265 RVO nicht erfüllt, so daß der Klägerin ein Anspruch auf Hinterbliebenenrente nicht zustehe.
Gegen dieses Urteil hat die Klägerin Revision eingelegt.
Sie ist der Auffassung, daß das Unterhaltsurteil vom 27. Oktober 1937 ein sonstiger Grund im Sinne des § 1265 RVO sei, da es nicht abgeändert worden sei; ihr stehe daher Hinterbliebenenrente zu.
Sie beantragt,
unter Aufhebung des Urteils des Landessozialgerichts Nordrhein-Westfalen vom 30. März 1960 die Beklagte zu verurteilen, ihr Rente gemäß § 1265 des Arbeiterrentenversicherungs-Neuregelungsgesetzes (ArVNG) zu gewähren sowie ihr die zur zweckentsprechenden Rechtsverfolgung notwendigen Aufwendungen zu erstatten.
Die Beklagte beantragt,
die Revision zurückzuweisen.
Sie hält das angefochtene Urteil für zutreffend. Insbesondere ist sie der Auffassung, daß ein Unterhaltsurteil kein sonstiger Grund im Sinne des § 1265 RVO sei.
Die Beteiligten haben sich mit einer Entscheidung ohne mündliche Verhandlung einverstanden erklärt.
Der zulässigen Revision mußte der Erfolg versagt bleiben.
Im Ergebnis zu Recht hat das Berufungsgericht entschieden, daß der Klägerin keine Hinterbliebenenrente zusteht.
Obwohl der Versicherte vor dem Inkrafttreten des ArVNG gestorben ist, richtet sich der Anspruch der Klägerin gemäß Art. 2 § 19 ArVNG nach § 1265 RVO in der Fassung des ArVNG, weil der Versicherte nach dem 30. April 1942 gestorben ist.
Die Voraussetzungen des § 1265 RVO sind aber nicht erfüllt. Sie wären es nur dann, wenn der Versicherte zur Zeit seines Todes der Klägerin Unterhalt nach den Vorschriften des EheG oder aus sonstigen Gründen zu leisten gehabt hätte oder wenn er im letzten Jahr vor seinem Tode Unterhalt geleistet hätte.
Wie das Bundessozialgericht (BSG) bereits entschieden hat (BSG 5, 277 ff), ist für die Frage, ob eine gesetzliche Unterhaltsverpflichtung eines geschiedenen Mannes gegenüber seiner früheren Ehefrau besteht, dasjenige Ehegesetz anzuwenden, welches im Zeitpunkt des Todes des Versicherten, d.h. hier im Jahre 1952, galt. Maßgebend ist also das EheG von 1946. Nach den §§ 58, 59 EheG von 1946 besteht eine Unterhaltsverpflichtung des geschiedenen Mannes seiner früheren Ehefrau gegenüber, wenn er für allein oder überwiegend schuldig erklärt worden ist, soweit er unterhaltsfähig und die Frau unterhaltsbedürftig ist. Der Versicherte war zur Zeit seines Todes auch nicht nur in einem geringen Umfang unterhaltsfähig. Denn die ihm damals allein zur Verfügung stehende Invalidenrente in Höhe von 91,60 DM war zur Bestreitung seines eigenen notdürftigen Unterhalts (für Wohnung, Kleidung und Nahrungsmittel) erforderlich (vgl. dazu Godin, Ehegesetz, 2. Aufl., Anm. 3, letzter Absatz zu § 59; Hoffmann-Stephan, Ehegesetz, Anm. 3 B, vorletzter Absatz zu § 58). Hierin ist dem Berufungsgericht zuzustimmen.
Ob aus dem Umstand, daß das Unterhaltsurteil auf Reichsmark lautet und noch nicht auf Deutsche Mark umgestellt ist, entsprechende Folgerungen zu ziehen wären, kann dahingestellt bleiben, da der Anspruch schon aus anderen Gründen unbegründet ist. Entgegen der Auffassung des Berufungsgerichts ist zwar ein Unterhaltsurteil als ein "sonstiger Grund" im Sinne des § 1265 RVO anzusehen, wie der Große Senat des BSG in seinem Beschluß vom 27. Juni 1963 (GS 5/61) entschieden hat. Jedoch hat der Große Senat sich weiter auf den Standpunkt gestellt, daß dies dann nicht mehr der Fall ist, wenn der Versicherte zur Zeit seines Todes die Wirkungen des Titels nach den Grundsätzen der §§ 323, 767 der Zivilprozeßordnung (ZPO) hätte beseitigen können. Während im vorliegenden Falle der Versicherte zur Zeit des Ergehens des Unterhaltsurteils noch in einem Arbeitsverhältnis stand und daher noch über ein entsprechendes Arbeitseinkommen verfügte, ist er seit Juli 1944, also schon seit einigen Jahren vor seinem Tode, auf seine niedrige Invalidenrente angewiesen gewesen. Diese reichte kaum zur Bestreitung seines eigenen notdürftigen Unterhalts aus, wie bereits ausgeführt wurde. Hätte der Versicherte daher eine Abänderungsklage nach § 323 ZPO erhoben, so wäre das Unterhaltsurteil für die Zukunft aufgehoben worden. In dem vorliegenden Fall kann daher dieses Unterhaltsurteil ausnahmsweise nicht als "sonstiger Grund" im Sinne des § 1265 RVO angesehen werden.
Da das Berufungsgericht unangefochten festgestellt hat, daß der Versicherte im letzten Jahr vor seinem Tode die Klägerin nicht unterhalten hat, sind auch die Voraussetzungen der letzten Alternative des § 1265 RVO nicht gegeben.
Sind somit die Voraussetzungen keiner der Alternativen des § 1265 RVO erfüllt, so erweist sich das angefochtene Urteil im Ergebnis als zutreffend. Die Revision mußte daher als unbegründet zurückgewiesen werden.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 des Sozialgerichtsgesetzes.
Fundstellen