Leitsatz (redaktionell)
Der Anspruch aus RVO § 1265 ist nicht schon deshalb begründet, weil der inzwischen verstorbene Versicherte auf Grund des Unterhaltsurteils aus sonstigen Gründen iS des § 1265 zur Zeit seines Todes der Klägerin Unterhalt zu leisten hatte. Zwar kann ein Unterhaltsurteil ein "sonstiger Grund" iS des RVO § 1265 sein; ihm kommt jedoch diese Bedeutung ausnahmsweise dann nicht zu, wenn der Versicherte wegen wesentlicher Veränderungen seiner wirtschaftlichen Verhältnisse durch eine Abänderungsklage gemäß ZPO § 323 die Wirkungen des Unterhaltstitels hätte beseitigen können.
Normenkette
ZPO § 323 Abs. 1; RVO § 1265 S. 1 Alt. 2 Fassung: 1957-02-23
Tenor
Auf die Revision der Beklagten wird das Urteil des Landessozialgerichts Berlin vom 18. Dezember 1958 mit den ihm zugrunde liegenden Feststellungen aufgehoben.
Die Sache wird zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an das Landessozialgericht zurückverwiesen.
Von Rechts wegen.
Gründe
Gegen das in der Urteilsformel bezeichnete Urteil, in dem die Revision zugelassen worden ist, hat die Beklagte Revision eingelegt. Sie rügt unrichtige Anwendung des § 1265 der Reichsversicherungsordnung (RVO), der Vorschrift über die Hinterbliebenenrente einer früheren Ehefrau des Versicherten. Sie meint, die Voraussetzungen dieser Vorschrift seien nicht erfüllt, weil der geschiedene Ehemann der Klägerin, der Versicherte, dieser im letzten Jahr vor seinem Tode Unterhalt nicht geleistet habe und ihr zur Zeit seines Todes Unterhalt weder nach den Vorschriften des Ehegesetzes (EheG) noch aus sonstigen Gründen zu leisten gehabt habe. Ohne Rücksicht auf seine Vollstreckbarkeit könne allein aus dem Vorhandensein eines nach der Scheidung ergangenen Unterhaltstitels eine Verpflichtung zur Unterhaltsgewährung aus sonstigen Gründen im Sinne des § 1265 RVO nicht hergeleitet werden. Entscheidend sei vielmehr, ob der Unterhaltsanspruch auf Grund der Leistungsfähigkeit des geschiedenen Ehemannes verwirklicht worden sei oder hätte verwirklicht werden können. Nach den §§ 58, 59 EheG entfalle die Unterhaltspflicht des geschiedenen Ehemannes, wenn seine Einkommensverhältnisse die Zahlung von Unterhaltsgeldern nicht zuließen. Zur Zeit seines Todes sei der Versicherte zur Leistung von Unterhalt an die Klägerin nicht fähig gewesen.
Die Beklagte beantragt sinngemäß,
die Urteile des Landessozialgerichts (LSG) Berlin vom 18. Dezember 1958 und des Sozialgerichts (SG) Berlin vom 25. Juni 1958 aufzuheben und die Klage abzuweisen.
Die Klägerin beantragt,
die Revision zurückzuweisen.
Sie hält das angefochtene Urteil für richtig und die Revision für unbegründet. Sie ist insbesondere der Auffassung, das Berufungsgericht habe zu Recht das rechtskräftige Unterhaltsurteil als "sonstigen Grund" zur Unterhaltsverpflichtung im Sinne des § 1265 RVO angesehen.
Die zulässige Revision hatte insoweit Erfolg, als das angefochtene Urteil aufgehoben und die Sache zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an das LSG zurückverwiesen wurde.
Zutreffend ist das Berufungsgericht bei seiner Entscheidung davon ausgegangen, daß sich der von der Klägerin erhobene Anspruch auf Gewährung von Hinterbliebenenrente gemäß Art. 2 § 19 des Arbeiterrentenversicherungs-Neuregelungsgesetzes (ArVNG) nach § 1265 RVO richtet, weil der Versicherte zwar vor dem Inkrafttreten des ArVNG, aber nach dem 30. April 1942 gestorben ist.
Der Auffassung des Berufungsgerichts, daß der Anspruch der Klägerin aus § 1265 RVO schon deshalb begründet sei, weil der verstorbene Versicherte auf Grund des Unterhaltsurteils des Amtsgerichts Schöneberg vom 24. August 1950 als eines "sonstigen Grundes" im Sinne des § 1265 RVO zur Zeit seines Todes der Klägerin Unterhalt zu leisten hatte, vermochte der Senat nicht beizupflichten. Entgegen der Ansicht der Beklagten hat das Berufungsgericht zwar zu Recht angenommen, daß ein Unterhaltsurteil, das nach der Ehescheidung ergangen ist und den Versicherten zur Unterhaltszahlung an die geschiedene Ehefrau verpflichtet, grundsätzlich als ein sonstiger Grund zur Unterhaltsleistung im Sinne des § 1265 RVO anzusehen ist (Beschluß des Großen Senats des Bundessozialgerichts - BSG - vom 27. Juni 1963 - GS 5/61 -). Einem vollstreckbaren Unterhaltstitel kommt jedoch diese Bedeutung ausnahmsweise dann nicht mehr zu, wenn der Versicherte zur Zeit seines Todes durch eine Abänderungsklage gemäß § 323 der Zivilprozeßordnung (ZPO) oder durch eine Vollstreckungsgegenklage im Sinne des § 767 ZPO die vollstreckungsrechtlichen Wirkungen des Unterhaltstitels hätte beseitigen können, wie der Große Senat des BSG in dem vorstehend aufgeführten Beschluß bereits ebenfalls entschieden hat. Daß der versicherte frühere Ehemann der Klägerin eine Abänderungsklage gegen das Unterhaltsurteil des Amtsgerichts Schöneberg vom 24. August 1950 bis zu seinem Tode nicht erhoben hat und dieser Titel bis zum Tode fortgegolten hat, ist also nicht allein entscheidend. Entgegen der Auffassung des Berufungsgerichts kommt es vielmehr darauf an, ob für den Versicherten zur Zeit seines Todes die Voraussetzungen für eine Klage nach § 323 ZPO bzw. nach § 767 ZPO vorgelegen haben. Dies beurteilt sich nach den Vorschriften der §§ 58, 59 EheG von 1946, also insbesondere danach, ob der verstorbene Versicherte zur Zeit seines Todes nach seinen Einkommens- und Vermögensverhältnissen zur Unterhaltsgewährung an die Klägerin fähig und ob die Klägerin unterhaltsbedürftig gewesen ist (BSG 3, 197 ff).
Das angefochtene Urteil enthält, da es von seinem sachlich-rechtlichen Standpunkt aus hierzu keine Veranlassung hatte, keine ausreichenden tatsächlichen Feststellungen darüber, welches Einkommen der Versicherte zur Zeit seines Todes hatte und welches Vermögen er besaß. Aus dem angefochtenen Urteil ergibt sich lediglich, daß das Unterhaltsurteil des Amtsgerichts Schöneberg im Jahre 1950 zu einer Zeit ergangen ist, als der Versicherte noch in Arbeit stand, und daß dieses Urteil vor seiner Wiederverheiratung liegt, die nach den Angaben der Klägerin Ende 1952 erfolgt sein soll. Dem Vorbringen der Klägerin ist weiterhin zu entnehmen, daß der Versicherte seit seiner erneuten Eheschließung arbeitslos und krank gewesen ist, deshalb nicht mehr hat arbeiten können und vor seinem Tode Arbeitslosenunterstützung bezogen hat. Eindeutige tatsächliche Feststellungen in dieser Beziehung sind in dem angefochtenen Urteil nicht getroffen. Das Revisionsgericht konnte deshalb auch nicht darüber entscheiden, ob der geschiedene Ehemann der Klägerin zur Zeit seines Todes eine Abänderungsklage oder eine Vollstreckungsgegenklage mit Erfolg hätte durchführen können. Das Berufungsgericht wird die hierfür erforderlichen Feststellungen noch zu treffen haben.
Das angefochtene Urteil mußte aus diesen Gründen gemäß § 170 Abs. 2 SGG aufgehoben und die Sache zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an das LSG zurückverwiesen werden.
Die Kostenentscheidung bleibt dem abschließenden Urteil vorbehalten.
Fundstellen