Entscheidungsstichwort (Thema)

Kriegsopferversorgung. Ergänzung der orthopädischen Versorgung. Rückwirkung von Rechtsvorschriften

 

Orientierungssatz

Die in § 13 Abs 1 S 4 iVm der DVO zu § 13 BVG idF vom 30.10.1964 vorgesehenen Möglichkeit der Gewährung von Zuschüssen zu den Kosten der Herstellung von Unterstellmöglichkeiten für Motorfahrzeuge zur Ergänzung der orthopädischen Versorgung von Kriegsbeschädigten ist am 1. Januar 1964 in Kraft getreten. Diese Regelung bestimmt zwar nicht ausdrücklich eine zeitliche Grenze für die Herstellung der Garagen, für die ein Zuschuß gewährt werden kann. Sie enthält aber auch keine Vorschrift, aus der zu entnehmen ist, daß die neue Regelung rückwirkend anzuwenden ist. Deshalb gilt hier der Grundsatz, daß die Voraussetzungen, an welche das Gesetz die Entstehung des Anspruchs knüpft, während der zeitlichen Geltung des Gesetzes verwirklicht sein müssen. Daraus folgt, daß für eine bereits im Jahre 1961 gebaute Garage ein Zuschuß aufgrund der oben genannten erst am 1. Januar 1964 in Kraft getretenen Vorschrift nicht gewährt werden kann.

 

Normenkette

BVG § 13 Abs. 1 S. 4 Fassung: 1964-02-21, § 13 DV § 2 Nr. 6 Fassung: 1964-10-30, § 13 DV § 5 Abs. 6 S. 2 Fassung: 1964-10-30

 

Verfahrensgang

LSG Nordrhein-Westfalen (Entscheidung vom 10.11.1967)

SG Köln (Entscheidung vom 08.06.1967)

 

Tenor

Die Revision des Klägers gegen das Urteil des Landessozialgerichts Nordrhein-Westfalen vom 10. November 1967 wird zurückgewiesen.

Kosten sind nicht zu erstatten.

 

Gründe

Der Kläger, geb. am 16. März 1915, ist anerkannter Schwerbeschädigter des zweiten Weltkriegs; er bezieht eine Versorgungsrente nach einer Minderung der Erwerbsfähigkeit um 100 v. H. Durch das - rechtskräftig gewordene - Urteil des Sozialgerichts (SG) Köln vom 18. Februar 1965 wurde ihm "zur Ergänzung der orthopädischen Versorgung" ein Zuschuß zur Beschaffung eines Motorfahrzeugs zugesprochen.

Im vorliegenden Rechtsstreit streiten die Beteiligten darüber, ob dem Kläger auch ein Zuschuß (von 700,- DM) zu den Erstellungskosten seiner Garage gewährt werden kann. Die Versorgungsbehörden verneinten dies, weil die Garage bereits vor dem 1. Januar 1964 errichtet worden sei (Fertigstellung 1961); die Möglichkeit, einen Zuschuß zu den Erwerbs- oder Herstellungskosten einer Garage zu gewähren, bestehe erst auf Grund des Zweiten Neuordnungsgesetzes (2. NOG) zum Bundesversorgungsgesetz (BVG) vom 21. Februar 1964 - BGBl I 85 - i. V. m. der Durchführungsverordnung (DVO) zu § 13 BVG idF vom 30. Oktober 1964 seit dem 1. Januar 1964 (Bescheide vom 6. Mai 1966 und 14. Juli 1966).

Die Klage beim SG Köln ist ohne Erfolg geblieben (Urteil vom 8. Juni 1967).

Die - nach § 150 Nr. 1 des Sozialgerichtsgesetzes - SGG - zugelassene - Berufung des Klägers ist durch Urteil des Landessozialgerichts (LSG) Nordrhein-Westfalen vom 10. November 1967 zurückgewiesen worden. Das LSG hat ausgeführt, die Vorschrift des § 13 Abs. 1 Satz 4 BVG idF des 2. NOG vom 21. Februar 1964 habe erstmalig die Gewährung eines Zuschusses zur Herstellung einer Unterstellmöglichkeit für ein Motorfahrzeug eröffnet, und zwar vom 1. Januar 1964 an; diese Neuregelung habe keine rückwirkende Kraft.

Das LSG hat die Revision zugelassen.

Der Kläger hat fristgemäß und formgerecht Revision eingelegt. Er beantragt,

die Entscheidungen der Vorinstanzen aufzuheben und den Beklagten zu verurteilen, dem Kläger einen neuen Bescheid über den beantragten Zuschuß zur Herstellung einer Garage zu erteilen,

hilfsweise,

das Urteil des LSG Nordrhein-Westfalen vom 10. November 1967 aufzuheben und die Sache zu neuer Entscheidung an das LSG zurückzuverweisen.

Er rügt, das LSG habe § 13 Abs. 1 BVG idF des 2. NOG i. V. m. §§ 2 Nr. 6, 5 Abs. 6 DVO zu § 13 BVG idF vom 30. Oktober 1964 verletzt. Den genannten Vorschriften sei nicht zu entnehmen, daß die Gewährung des Zuschusses von einer zeitlichen Grenze für die Herstellung der Garage abhängig sei; der beantragte Zuschuß müsse daher - entgegen der Auffassung des Berufungsgerichts - auch gewährt werden, wenn die Garage schon vor dem 1. Januar 1964 errichtet worden sei.

Der Beklagte beantragt,

die Revision zurückzuweisen.

Die Beteiligten wurden auf das zur gleichen Rechtsfrage ergangene Urteil des 9. Senats des Bundessozialgerichts (BSG) vom 23. April 1968 - 9 RV 700/67 - hingewiesen; ihnen wurde Gelegenheit gegeben, hierzu Stellung zu nehmen.

Die Beteiligten erklärten sich mit einem Urteil ohne mündliche Verhandlung (§§ 124 Abs. 2, 153 Abs. 1, 165 SGG) einverstanden.

Die Revision des Klägers ist zulässig (§§ 162 Abs. 1 Nr. 1, 164 Abs. 2, 166 SGG); sie ist jedoch unbegründet.

Das LSG hat zu Recht entschieden, daß dem Kläger ein Zuschuß zu den Kosten der Unterbringung seines Motorfahrzeuges nach § 13 Abs. 1 Satz 4 BVG (2. NOG) nicht zu gewähren ist, weil seine Garage nicht nach dem 31. Dezember 1963 errichtet oder erworben worden ist. Die Auffassung des LSG steht im Einklang mit dem Urteil des 9. Senats des BSG vom 23. April 1968 - 9 RV 700/67 - (BSG in SozR DVO zu § 13 Nr. 1). In diesem Urteil ist ausgeführt, die mit dem 2. NOG zum BVG neu eingeführte Vorschrift des § 13 Abs. 1 Satz 4 BVG i. V. m. § 2 Nr. 6 DVO zu § 13, daß Zuschüsse bis zu 700,- DM zu den Erwerbs- oder Herstellungskosten einer Unterstellmöglichkeit für "bezuschußte" Motorfahrzeuge gewährt werden können, gelte nur für Unterbringungsmöglichkeiten (Garagen), die nach dem 31. Dezember 1963 errichtet oder erworben worden sind. Der erkennende Senat schließt sich diesem Urteil des 9. Senats und seiner Begründung an. Das 2. NOG vom 21. Februar 1964 hat in § 13 Abs. 1 Satz 4 i. V. m. der DVO zu § 13 BVG idF vom 30. Oktober 1964 die Gewährung von Zuschüssen zu den Kosten der Herstellung von Unterstellmöglichkeiten für Motorfahrzeuge "zur Ergänzung der orthopädischen Versorgung" vorgesehen; diese Regelung ist am 1. Januar 1964 in Kraft getreten. Sie bestimmt zwar nicht ausdrücklich eine zeitliche Grenze für die Herstellung der Garagen, für die ein Zuschuß gewährt werden kann; sie enthält aber auch keine Vorschrift, aus der, wenn auch nur dem Sinne nach, zu entnehmen ist, daß die neue Regelung rückwirkend anzuwenden ist. Mit Recht hat das LSG ausgeführt, für die zeitliche Geltung des materiellen Rechts gelte der Grundsatz, daß die Voraussetzungen, an welche das Gesetz die Entstehung eines Anspruchs knüpft, während der zeitlichen Geltung des Gesetzes verwirklicht sein müßten, es sei denn, daß sich die gesetzliche Neuregelung ausdrücklich rückwirkende Kraft beilege. Daraus folgt, daß dem Kläger für die bereits im Jahre 1961 gebaute Garage ein Zuschuß auf Grund der erwähnten, erst am 1. Januar 1964 in Kraft getretenen Vorschrift nicht gewährt werden kann. Die Einwendungen des Klägers gegen die Rechtsauffassung des LSG sind unbegründet. Er würde den Zuschuß auch dann nicht erhalten können, wenn er im Zeitpunkt der Antragstellung noch mit Verpflichtungen aus einer Kapitalaufnahme für die Erstellung der Garage belastet wäre; einen Zuschuß zu laufenden Zins- und Tilgungsleistungen sieht die neue Regelung nicht vor. Auch aus § 5 Abs. 6 Satz 2 DVO zu § 13 BVG, wonach der Zuschuß zu den Erwerbs- oder Herstellungskosten in der Regel erneut frühestens zehn Jahre nach Gewährung des vorhergehenden Zuschusses gezahlt werden kann, kann nicht gefolgert werden, daß "ohne Rücksicht auf den Zeitpunkt der Herstellung der Unterbringungsmöglichkeit ab 1. Januar 1964 immer dann ein Zuschuß gewährt werden kann, wenn die Unterbringung tatsächlich noch oder wieder Kosten bereitet". Diese Vorschrift will lediglich verhindern, daß vor Ablauf von zehn Jahren ohne zwingenden Grund erneut ein Zuschuß für eine neu errichtete Garage gezahlt wird, nachdem bereits ein Zuschuß für eine (nach dem 31. Dezember 1963) errichtete Garage gewährt worden ist. Wenn hiernach dem Kläger kein Zuschuß zu gewähren ist, weil er seine Garage schon vor dem 1. Januar 1964 errichtet hat, während andere Beschädigte, die ihre Garage nach dem 1. Januar 1964 errichtet haben oder errichten - beim Vorliegen der sonstigen Voraussetzungen - einen Zuschuß erhalten können, so liegt darin kein Verstoß gegen den Gleichheitssatz (Art. 3 Abs. 1 GG). Es muß dem Gesetzgeber überlassen bleiben, Gesetze mit Wirkung nur für die Zukunft zu erlassen und neu eingeführte Vergünstigungen, insbesondere auch solche mit finanziellen Auswirkungen, nicht auf abgeschlossene, in der Vergangenheit liegende Sachverhalte auszudehnen. Eine begünstigende Neuregelung, die erst mit Wirkung für solche Ereignisse in Kraft gesetzt wird, die unter ihrer Geltung eintreten, ist daher ebenso wie die Festlegung eines Stichtags für die von einer Leistungsverbesserung erfaßten Tatbestände sachgerecht; sie entspricht dem Zweck und Wesen einer Neuregelung. Wäre dem Gesetzgeber eine solche Möglichkeit verschlossen, müßte im Einzelfall unter Umständen von einer Neuregelung überhaupt abgesehen werden, und eine Fortentwicklung des Sozialrechts wäre in Frage gestellt (BSG 14, 95; 15, 51; 16, 179).

Das LSG hat danach die Rechtslage zutreffend gewürdigt.

Die Revision des Klägers ist danach als unbegründet zurückzuweisen.

Die Kostenentscheidung folgt aus § 193 Abs. 1 SGG.

 

Fundstellen

Dokument-Index HI2284791

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