Entscheidungsstichwort (Thema)
Heimatloser Ausländer
Leitsatz (amtlich)
Beitragszeiten iS von FRG § 15 Abs 1 sind nur dann bei einem nichtdeutschen Träger der gesetzlichen Rentenversicherungen zurückgelegt, wenn sie spätestens zu ihrem Endzeitpunkt rückwirkend in ein auf Beitragsleistung beruhendes System der sozialen Sicherheit einbezogen waren, der Versicherte also damals bereits eine entsprechende Rechtsposition erworben hatte; es genügt nicht, wenn aufgrund späteren Rechts des Herkunftslandes Zeiten den Beitragszeiten gleichgestellt oder als solche anrechenbar gemacht werden (Anschluß an BSG 1979-03-15 11 RA 46/78 = SozR 5050 § 15 Nr 11).
Leitsatz (redaktionell)
Auf heimatlose Ausländer findet der Vertrag zwischen der Bundesrepublik Deutschland und Jugoslawien vom 1956-03-10 (BGBl II 1958, 168) keine Anwendung; ebensowenig ist FRG § 16 anzuwenden.
Orientierungssatz
Zur Frage, ob Zeiten einer Beschäftigung in den Jahren 1932 bis 1947, die ein staatenloser Ausländer in Jugoslawien zurückgelegt hat, bei der Rentenberechnung als Versicherungszeiten anzurechnen sind.
Normenkette
FRG § 15 Abs. 1 Fassung: 1960-02-25; SVVtr YUG Fassung: 1956-03-10; FRG § 1 Buchst. d Fassung: 1960-02-25, § 16
Verfahrensgang
LSG Niedersachsen (Entscheidung vom 27.04.1976; Aktenzeichen L 10 J 487/73) |
SG Oldenburg (Entscheidung vom 07.09.1973; Aktenzeichen S 8 J 344/72) |
Tenor
Die Revision des Klägers gegen das Urteil des Landessozialgerichts Niedersachsen vom 27. April 1976 wird zurückgewiesen.
Kosten sind nicht zu erstatten.
Tatbestand
Umstritten ist, ob der Kläger Anspruch auf höheres Altersruhegeld durch Berücksichtigung von in Jugoslawien zurückgelegten Zeiten hat.
Der 1907 in Jugoslawien geborene staatenlose Kläger war in seinem Herkunftsland von November 1932 an in der Verwaltung der "B V" tätig. Er nahm in der jugoslawischen Wehrmacht am Krieg teil und befand sich ab April 1941 in deutscher Kriegsgefangenschaft. Danach blieb er im Gebiet der Bundesrepublik und war seit Februar 1947 hier beschäftigt.
Die Pensions- und Invalidenversicherungsgemeinschaft Bosnien-Herzegowina lehnte mit Bescheid vom 22. Januar 1976 eine Alterspension gemäß dem Abkommen zwischen Jugoslawien und der Bundesrepublik Deutschland über soziale Sicherheit ab, da es über die Arbeit in Jugoslawien keine Nachweise gebe. Die Beklagte gewährte dem Kläger mit Bescheid vom 23. August 1972 Altersruhegeld. Dabei rechnete sie Versicherungszeiten seit dem 17. Februar 1947 an. Der Kläger meint unter Hinweis auf die von ihm vorgelegten Urkunden der Königlich-Banschaftlichen Verwaltung aus den Jahren 1934 und 1937, die Zeiten von November 1932 bis zum 16. Februar 1947 müßten als weitere Versicherungszeiten berücksichtigt werden.
Das Sozialgericht Oldenburg (SG) hat die Klage abgewiesen (Urteil vom 7. September 1973), das Landessozialgericht Niedersachsen (LSG) die Berufung zurückgewiesen und im Urteil vom 27. April 1976 ausgeführt: Der Kläger könne aus dem deutsch-jugoslawischen Vertrag vom 10. März 1956 nichts herleiten, da er als heimatloser Ausländer nicht zum Personenkreis dieses Vertrages gehöre. Beitragszeiten iSd § 15 Fremdrentengesetz (FRG) seien nicht nachgewiesen; nach dem jugoslawischen Gesetz vom 30. Oktober 1933 (übernommen für ganz Jugoslawien ab 1. Januar 1938) über die Pensionsversicherung der Privatangestellten seien die Angestellten der Länder, Bezirke und Gemeinden unter bestimmten Voraussetzungen - erworbene Anwartschaft auf Versorgung - von der Versicherungspflicht ausgenommen gewesen. Beschäftigungszeiten nach § 16 FRG kämen für den Kläger als heimatlosen Ausländer wegen § 17 Abs 2 Satz 2 FRG nicht in Betracht. Auch Ersatzzeiten nach § 1251 Reichsversicherungsordnung (RVO) seien nicht anzurechnen. Da der Kläger nicht Vertriebener iS des § 1 des Bundesvertriebenengesetzes (BVFG) und auch kein deutscher Staatsangehöriger sei, stehe der jugoslawische Militärdienst dem Dienst in der deutschen Wehrmacht nicht gleich (§ 2 Abs 2 und 3 Bundesversorgungsgesetz - BVG -); auch die Zeit der Kriegsgefangenschaft und anschließenden Arbeitslosigkeit könne nicht als Ersatzzeit angerechnet werden, weil der Kläger nicht die Voraussetzungen der §§ 2 und 3 BVG erfülle.
Der Kläger hat - die vom Senat zugelassene - Revision eingelegt. Er rügt die Verletzung des § 15 FRG. Hierzu verweist er auf die die Sozialversicherung betreffenden jugoslawischen Gesetze (vom 26. Juli 1946 und 8. Februar 1950) sowie Verordnungen (vom 25. Juli 1952 und 13. Januar 1953), wonach frühere Tätigkeiten als Beschäftigungszeiten angerechnet würden, obwohl damals keine Beiträge entrichtet worden seien. Im Rahmen einer zweckorientierten Auslegung müßten derartige Zeiten nach § 15 FRG berücksichtigt werden.
Der Kläger beantragt,
unter Aufhebung der Urteile des Landessozialgerichts Niedersachsen vom 27. April 1976 und des Sozialgerichts Oldenburg vom 7. September 1973 die Beklagte unter Abänderung des Bescheides vom 23. August 1972 zu verurteilen, das Altersruhegeld des Klägers neu zu berechnen und hierbei die Zeiten vom 10. November 1932 bis 16. Februar 1947 als weitere Versicherungszeiten zu berücksichtigen.
Die Beklagte und die Beigeladene beantragen,
die Revision zurückzuweisen.
Nach ihrer Ansicht können dafür, ob im Herkunftsland Beitragszeiten zurückgelegt worden sind, nur die Gesetze maßgebend sein, die dort während dieser Zeiten gegolten haben.
Entscheidungsgründe
Die Revision des Klägers ist unbegründet. Es besteht kein Anspruch, bei der Berechnung des Altersruhegeldes die Zeit vom 10. November 1932 bis zum 16. Februar 1947 als weitere Versicherungszeit zu berücksichtigen.
Wie das Berufungsgericht von der Revision unangefochten festgestellt hat, ist der Kläger staatenloser Ausländer und wird deshalb nicht vom "Vertrag zwischen der Bundesrepublik Deutschland und der Föderativen Volksrepublik Jugoslawien über die Regelung gewisser Forderungen aus der Sozialversicherung vom 10. März 1956" (BGBl II 1958, 170) erfaßt. Dagegen findet auf ihn das FRG Anwendung, das nach § 1 Buchst d in seinen persönlichen Geltungsbereich grundsätzlich Ausländer im Sinne des Gesetzes über die Rechtsstellung heimatloser Ausländer vom 25. April 1951 (BGBl I 269) einbezieht.
Die Voraussetzungen des § 15 Abs 1 FRG liegen jedoch nicht vor. Der Kläger hat keine Beitragszeit bei einem nichtdeutschen Träger der gesetzlichen Rentenversicherung zurückgelegt, die nach Bundesrecht zurückgelegten Beitragszeiten gleichstehen würde. Soweit es im angefochtenen Urteil zunächst heißt, der Kläger könne Beitragszeiten bei dem jugoslawischen Versicherungsträger nicht nachweisen, ist dies allerdings für sich allein genommen, ungenau oder unvollständig. Beitragszeiten iSd § 15 Abs 1 FRG brauchen nicht nachgewiesen, sondern nur glaubhaft gemacht zu werden (§ 4 Abs 1 FRG; vgl auch § 19 Abs 2 FRG, wonach im Grundsatz nicht nachgewiesene - also nur glaubhaft gemachte - Zeiten zu fünf Sechstel anzurechnen sind). Das LSG hat aber dann hinreichend deutlich eine Glaubhaftmachung verneint, indem es die Behauptung des Klägers, für ihn seien aufgrund versicherungspflichtiger Beschäftigung in Jugoslawien Beiträge entrichtet worden, als unwahrscheinlich bezeichnet. In diesem Zusammenhang hat das Berufungsgericht in Anwendung nichtrevisiblen jugoslawischen Rechts und somit für das Revisionsgericht bindend festgestellt (§ 162 Sozialgerichtsgesetz - SGG -, § 562 Zivilprozeßordnung - ZPO - iVm § 202 SGG), in dem Teil (des ehemaligen Königsreichs) von Jugoslawien, wo der Kläger gewohnt habe, sei die Angestelltenversicherung erst am 1. Januar 1938 eingeführt worden; da der Kläger damals bereits fünf Jahre als Büroangestellter tätig gewesen sei, müsse davon ausgegangen werden, daß er einen Pensionsanspruch mit der daraus folgenden Befreiung von der Versicherungspflicht erworben habe.
Auch der Kläger räumt - jedenfalls in der Revisionsbegründung - ein, es sei sehr unwahrscheinlich, daß er in der Zeit seiner Beschäftigung als technischer Beamter vom 10. November 1932 bis Anfang April 1941 Beiträge zur Rentenversicherung entrichtet habe. Er möchte jedoch die Entwicklung der Sozialversicherung in Jugoslawien nach dem Ende des Zweiten Weltkrieges in diesem Zusammenhang berücksichtigt wissen und meint, danach seien die früher versicherungsfrei gewesenen Angestellten und Beamten in das System der sozialen Sicherheit einbezogen worden; wenn deren frühere beitragslose Zeiten nachträglich nach jugoslawischem Recht Beitragszeiten gleichstünden, müsse dies auch bei der Auslegung des § 15 FRG Berücksichtigung finden. An dieser Rechtsauffassung des Klägers ist soviel richtig, daß § 15 FRG, der noch - anders als das jetzt herrschende Eingliederungsprinzip - den im früheren Fremdrentenrecht maßgeblich gewesenen Entschädigungsgedanken zum Ausdruck bringt, dem Fremdrentner nicht für im Herkunftsland gezahlte Beiträge, sondern für die dort verlorene Anwartschaft auf Sozialleistungen entschädigen soll; auch Zeiten, in denen der Versicherte selbst keine Beiträge geleistet hat, die vielmehr nach dem Recht des Herkunftslandes als Versicherungszeiten gelten, können Beitragszeiten iS von § 15 Abs 1 FRG sein (SozR 5050 § 15 Nr 8 S 22, 23; SozR Nr 16 zu § 15 FRG Aa 13 R, Aa 14). Das wird besonders auch an dem vom Kläger erwähnten § 15 Abs 2 FRG deutlich, der als gesetzliche Rentenversicherung iS des Abs 1 jedes System genügen läßt, in das in abhängiger Beschäftigung stehende Personen durch öffentlich-rechtlichen Zwang einbezogen sind, um sie für den Fall der Minderung der Erwerbsfähigkeit, des Alters und des Todes oder für einen oder mehrere dieser Fälle durch Renten zu sichern. Es genügt ein "irgendwie gestaltetes Beitragsaufkommen", auch wenn nur der Arbeitgeber oder der Staat die Deckung der Rentenleistung bewirkt (vgl BSGE 6, 263, 265 noch zu § 1 Abs 6 und 7 Fremdrentengesetz vom 7. August 1953).
Der Kläger erfüllt jedoch aus anderen Gründen nicht die Voraussetzungen des § 15 Abs 1 FRG. Zweifelhaft ist bereits, ob in seinem Falle nach jugoslawischem Recht überhaupt frühere beitragslose Zeiten den Versicherungszeiten gleichgestellt werden könnten, obwohl er nach 1945 in Jugoslawien weder in einem Arbeitsverhältnis (Stichtag: 15. Mai 1945) gestanden noch dort seinen Wohnsitz gehabt und auch keiner privilegierten Personengruppe angehört hat. Doch kann dies für die Entscheidung auf sich beruhen. Denn von einer - hier nicht durchgeführten - Beitragsnachentrichtung abgesehen, liegen Beitragszeiten iSd § 15 FRG nur vor, wenn der Versicherte spätestens mit dem Ende dieser Zeiten (ex tunc) in ein auf Beitragsleistung beruhendes Sicherungssystem einbezogen war; eine Einbeziehung nach diesem Zeitpunkt genügt nicht. Das hat der 11. Senat des Bundessozialgerichts (BSG) in dem zur Veröffentlichung bestimmten Urteil vom 15. März 1979 - 11 RA 46/78 - entschieden. Dem schließt sich der erkennende Senat an. Diese Auslegung entspricht dem Wortlaut der Vorschrift sowie dem Sinn des Gesetzes, die Entschädigung auf den Verlust einer bereits bei der tatsächlichen Zurücklegung der Beitragszeiten im Herkunftsland erworbenen Rechtsposition zu beschränken (vgl SozR Nr 6 zu § 1 FRG, Aa 7) und nicht auf erst kraft späterer Gesetzgebung des fremden Landes geschaffene fiktive Beitragszeiten auszudehnen. Unterstellt man, im vorliegenden Fall sei nach jugoslawischem Recht (nachträglich) eine "Arbeitszeit" des Klägers als Beitragszeit einbezogen worden, so könnte dies frühestens mit dem Gesetz betreffend die Sozialversicherung für Lohn- und Gehaltsempfänger und Beamte vom 26. Juli 1946 geschehen sein und die Zeit bis spätestens April 1941, dem Zeitpunkt der Einberufung zur jugoslawischen Wehrmacht, betreffen. Damit wäre das Erfordernis - Einbeziehung der streitigen Zeit spätestens zu deren Endzeitpunkt - nicht zu erfüllen.
Daß § 16 FRG (Anrechnung beitragsloser Beschäftigungszeiten) zugunsten des Klägers als heimatlosen Ausländer keine Anwendung finden kann, hat das Berufungsgericht bereits dargelegt (§ 17 Abs 2 Satz 2 FRG; BSGE 24, 20). Ebenso hat das LSG zutreffend erkannt, daß dem Kläger der Kriegsdienst in der jugoslawischen Wehrmacht, die deutsche Kriegsgefangenschaft und behauptete anschließende Arbeitslosigkeit nicht als Ersatzzeit angerechnet werden kann, da er weder Deutscher oder deutscher Volkszugehöriger noch Vertriebener im Sinn des BVFG ist (§ 1251 Abs 1 Nr 1 RVO; §§ 2, 3 BVG).
Nach alledem erweisen sich die Urteile der Vorinstanzen als richtig.
Die Kostenentscheidung folgt aus § 193 SGG.
Fundstellen