Entscheidungsstichwort (Thema)
Grundsicherung für Arbeitsuchende. abschließende Festsetzung und Erstattung von Leistungen nach § 41a SGB 2. Ablauf der Jahresfrist des § 41a Abs 5 SGB 2. Antrag des Leistungsberechtigten auf abschließende Entscheidung. Einreichung von Unterlagen
Normenkette
SGB 2 § 41a Abs. 1 S. 1, Abs. 3 S. 1, Abs. 6 Sätze 1, 3, Abs. 5 Sätze 1, 2 Nr. 1, Abs. 3 S. 2
Verfahrensgang
Tenor
Die Revision des Beklagten gegen das Urteil des Landessozialgerichts Nordrhein-Westfalen vom 3. Februar 2022 wird zurückgewiesen.
Der Beklagte hat auch die Kosten des Revisionsverfahrens zu erstatten.
Tatbestand
Die Beteiligten streiten über eine Erstattungsforderung im Rahmen einer abschließenden Entscheidung für den Zeitraum Juli bis Dezember 2016.
Die 1959 geborene Klägerin ist selbstständig tätig ua für Kochkurse, die sie in verschiedenen Volkshochschulen anbietet. Sie bezieht eine Rente wegen teilweiser Erwerbsminderung, die im streitigen Zeitraum zum 1.7.2016 erhöht worden war. Dies teilte die Klägerin dem beklagten Jobcenter am 30.8.2016 mit.
Der Beklagte bewilligte der Klägerin für den Zeitraum Juli bis Dezember 2016 im Hinblick auf "zukünftige bzw. noch nicht nachgewiesene Einkünfte" vorläufig Alg II (Bescheid vom 4.7.2016; Widerspruchsbescheid vom 23.8.2016). Die vorläufige Bewilligung enthält unter Bezugnahme auf die Mitwirkungsobliegenheiten gemäß §§ 60 ff SGB I den Hinweis, dass die abschließende Entscheidung auf der Grundlage der abschließenden Angaben der Klägerin im Vordruck "EKS" ("Anlage zur vorläufigen oder abschließenden Erklärung zum Einkommen aus selbständiger Tätigkeit, Gewerbebetrieb oder Land- und Forstwirtschaft im Bewilligungszeitraum") erfolgen werde. Der Beklagte sei berechtigt, das Einkommen für den abgelaufenen Zeitraum zu schätzen, wenn die Erklärung der Klägerin nicht innerhalb von zwei Monaten nach Ablauf des Bewilligungszeitraums vorliege.
Die Klägerin hat gegen die vorläufige Bewilligung Klage erhoben. Parallel legte sie dem Beklagten Unterlagen zu ihren Einnahmen und Ausgaben im streitigen Zeitraum vor und übersandte das Formular "EKS", in dem sie ankreuzte, es handele sich um abschließende Angaben (Schreiben vom 20.3.2017). Im Rahmen eines Erörterungstermins im Oktober 2017 gab das SG dem Beklagten auf mitzuteilen, ob eine abschließende Entscheidung möglich sei oder unmittelbar bevorstehe. Die Klägerin antwortete auf eine entsprechende Aufforderung des Beklagten sodann wie folgt: "Wie eben telefonisch besprochen erhalten Sie in der Anlage noch einmal die abschl. Angaben für das 2. HJ 2016. Sie hatten gesagt, dass dies das einzige ist, was Ihnen für die Erstellung des abschließenden Bescheides noch fehlt und Ihnen sämtliche Unterlagen für die abschließende Bearbeitung für das 1. HJ 2016 vorliegen. Dann kann ja jetzt endlich die abschließende Bearbeitung vorgenommen werden" (E-Mail vom 24.11.2017). Im Anschluss erfolgten noch mehrere Aufforderungsschreiben des Beklagten im Hinblick auf ein Privatdarlehen, auf die die Klägerin zuletzt mit einer E-Mail vom 9.3.2018 antwortete.
Im Anschluss setzte der Beklagte die Leistungen für den Zeitraum Juli bis Dezember 2016 abschließend fest und forderte die Klägerin zugleich auf, aufgrund zu hoher vorläufiger Leistungen einen Betrag iHv 843,70 Euro zu erstatten (Bescheid vom 7.5.2018).
Die auf höhere Leistungen und auf Aufhebung des Festsetzungs- und Erstattungsverwaltungsakts gerichtete Klage hat das SG abgewiesen (Urteil vom 11.11.2020). Der Beklagte habe die Leistungen im Rahmen seiner abschließenden Entscheidung zutreffend berechnet. Die Klägerin habe die sich hieraus ergebende Überzahlung zu erstatten. Im Berufungsverfahren hat die Klägerin erklärt, dass sie sich nur noch gegen das Erstattungsverlangen wehre, und beantragt, das Urteil des SG zu ändern und den Festsetzungs- und Erstattungsbescheid vom 7.5.2018 aufzuheben. Das LSG hat die erstinstanzliche Entscheidung geändert und den Festsetzungs- und Erstattungsbescheid vom 7.5.2018 aufgehoben (Urteil vom 3.2.2022). Dieser Bescheid sei nunmehr - neben der Entscheidung des SG - alleiniger Streitgegenstand. Statthafte Klageart sei hier (ausnahmsweise) die reine Anfechtungsklage. Einer kombinierten Anfechtungs- und Verpflichtungsklage bedürfe es nicht, weil die vorläufig bewilligten Leistungen vor Erlass des Bescheids vom 7.5.2018 als abschließend festgesetzt galten (§ 41a Abs 5 Satz 1 SGB II). Rückausnahmen seien im Hinblick auf den Eintritt der Fiktion nicht einschlägig. Weder habe die Klägerin innerhalb der Jahresfrist eine abschließende Entscheidung beantragt (§ 41a Abs 5 Satz 2 Nr 1 SGB II), noch bestehe der Leistungsanspruch aus einem anderen Grund als dem für die Vorläufigkeit nur in geringerer Höhe (§ 41a Abs 5 Satz 2 Nr 2 SGB II). Dem Eintritt der Fiktion stehe auch nicht der Umstand entgegen, dass die vorläufige Entscheidung noch nicht bestandskräftig, sondern Gegenstand einer Klage gewesen sei. Offen bleiben könne, ob der Beklagte den im Wege der Fiktion endgültig gewordenen Bewilligungsbescheid vom 4.7.2016 in Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 23.8.2016 gemäß §§ 45, 48 SGB X (teilweise) hätte aufheben können. Der Bescheid vom 7.5.2018 treffe keine Regelung zur Aufhebung, weshalb sich die Erstattungsforderung nicht auf § 50 SGB X stützen könne.
Hiergegen wendet sich der Beklagte mit seiner vom LSG zugelassenen Revision. Er rügt eine Verletzung des § 41a Abs 5 Satz 2 Nr 1 SGB II. Bei der Einreichung des Formulars "EKS" mit abschließenden Angaben handele es sich um einen Antrag im Sinne dieser Regelung. Entscheidend sei allein, wie das Verhalten der Klägerin objektiv zu werten sei. Das Ergebnis könne nicht davon abhängen, ob die Klägerin eine Nachzahlung erwarten könne oder eine Überzahlung zu erstatten habe. Im Übrigen habe die Klägerin ursprünglich höhere Leistungen gewollt.
Der Beklagte beantragt,
das Urteil des Landessozialgerichts Nordrhein-Westfalen vom 3. Februar 2022 aufzuheben und die Berufung der Klägerin gegen das Urteil des Sozialgerichts Detmold vom 11. November 2020 zurückzuweisen.
Die Klägerin beantragt,
die Revision zurückzuweisen.
Sie betont, dass sie mit der Übersendung ihrer abschließenden Angaben ihrer Mitwirkungsobliegenheit nachgekommen sei und keine Spitzabrechnung beantragt habe.
Entscheidungsgründe
Die zulässige Revision des Beklagten ist unbegründet (§ 170 Abs 1 Satz 1 SGG). Zutreffend hat das LSG entschieden, dass der Festsetzungs- und Erstattungsbescheid vom 7.5.2018 rechtswidrig ist und die Klägerin in ihren Rechten verletzt.
1. Gegenstand des Revisionsverfahrens ist allein der Festsetzungs- und Erstattungsverwaltungsakt vom 7.5.2018. Dieser ersetzte den ursprünglich angefochtenen Bescheid vom 4.7.2016 in Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 23.8.2016 (§ 96 SGG). Unerheblich ist insoweit, dass der Beklagte sich bei Erlass des Bescheids vom 7.5.2018 teilweise - nämlich im Hinblick auf die Vorläufigkeit der Bewilligungsverfügung (hierzu BSG vom 18.5.2022 - B 7/14 AS 1/21 R - SozR 4-4200 § 41a Nr 4 RdNr 26) - im Irrtum befand über den Regelungsgegenstand des Bescheids vom 4.7.2016, indem er den inzwischen erfolgten Eintritt der Fiktionswirkung (§ 41a Abs 5 Satz 1 SGB II) unberücksichtigt gelassen hat (vgl hierzu sogleich Ziffer 4.). Die vorläufige Bewilligung vom 4.7.2016 wurde zudem nicht bereits ihrerseits durch einen (fiktiven) Verwaltungsakt ersetzt (BSG vom 18.5.2022 - B 7/14 AS 1/21 R - SozR 4-4200 § 41a Nr 4 RdNr 25). Höhere Leistungen sind nach der Erklärung der Klägerin in der Berufungsverhandlung nicht (mehr) Streitgegenstand.
2. Statthafte Klageart ist hier die (reine) Anfechtungsklage (§ 54 Abs 1 Satz 1 Var 1 SGG). Die Klägerin verfolgt mit ihrer Klage nur noch das Ziel, dass die als abschließend festgesetzt geltende Leistungsbewilligung bestehen bleibt. Hierfür begehrt sie die Aufhebung des Festsetzungs- und Erstattungsbescheids vom 7.5.2018. Dieses Ziel erreicht sie bereits mit einer Anfechtungsklage. Einer Verpflichtungsklage, gerichtet auf die Verurteilung zur abschließenden Festsetzung ihr vorläufig bewilligter Leistungen (vgl hierzu - sowie zu weiteren prozessualen Konstellationen im Zusammenhang mit der vorläufigen Entscheidung nach § 41a SGB II - BSG vom 11.11.2021 - B 14 AS 41/20 R - SozR 4-4200 § 11b Nr 14 RdNr 11 mwN), bedarf es nach Eintritt der Fiktionswirkung nicht mehr.
3. Rechtsgrundlage des Festsetzungs- und Erstattungsbescheids vom 7.5.2018 ist § 41a Abs 3 Satz 1 iVm Abs 6 Satz 3 SGB II (idF des Neunten Gesetzes zur Änderung des Zweiten Buches Sozialgesetzbuch - Rechtsvereinfachung - sowie zur vorübergehenden Aussetzung der Insolvenzantragspflicht vom 26.7.2016, BGBl I 1824, "9. SGB II-ÄndG"), wonach die Träger der Grundsicherung für Arbeitsuchende abschließend über den monatlichen Leistungsanspruch entscheiden, sofern die vorläufig bewilligte Leistung nicht der abschließend festzustellenden entspricht oder die leistungsberechtigte Person eine abschließende Entscheidung beantragt, und Überzahlungen, die nach der Anrechnung der vorläufigen auf die abschließend festgesetzten Leistungen fortbestehen, zu erstatten sind. Die Vorschrift ist mWv 1.8.2016 in das SGB II eingefügt worden (Art 4 Abs 1 des 9. SGB II-ÄndG). Gemäß § 80 Abs 2 Nr 2 SGB II idF des 9. SGB II-ÄndG ist § 41a SGB II anzuwenden auf die abschließende Entscheidung über zunächst vorläufig beschiedene Leistungsansprüche für Bewilligungszeiträume, die vor dem 1.8.2016 noch nicht beendet sind. Dies ist für den hier streitigen Bewilligungszeitraum 1.7. bis 31.12.2016 der Fall.
4. Die Voraussetzungen dieser Rechtsgrundlage liegen allerdings nicht vor. § 41a Abs 3 Satz 1 SGB II setzt voraus, dass zum Zeitpunkt der abschließenden Entscheidung noch eine vorläufige Bewilligung besteht, die ersetzt werden kann. Dies war hier nicht der Fall, weil die vorläufig bewilligten Leistungen zu diesem Zeitpunkt bereits als abschließend festgesetzt galten (§ 41a Abs 5 Satz 1 SGB II). Aus diesem Grund kann der Beklagte auch keine Erstattung der Leistungen gemäß § 41a Abs 6 Satz 3 SGB II verlangen.
§ 41a Abs 5 Satz 1 SGB II bestimmt, dass die vorläufig bewilligten Leistungen als abschließend festgesetzt gelten, wenn innerhalb eines Jahres nach Ablauf des Bewilligungszeitraums keine abschließende Entscheidung nach § 41a Abs 3 SGB II ergeht. Vorliegend endete die Jahresfrist am 31.12.2017, weil der Bewilligungszeitraum, für den Leistungen vorläufig bewilligt waren, am 31.12.2016 ablief (vgl zur Fristberechnung gemäß § 40 Abs 1 Satz 1 SGB II iVm § 26 SGB X nur Kallert in BeckOGK, § 41a SGB II RdNr 202, Stand 1.3.2022). Eine abschließende Entscheidung erging sodann erst am 7.5.2018.
Eine der gesetzlich vorgesehenen Ausnahmen zum Eintritt der Fiktionswirkung ist nicht einschlägig. Weder hat die Klägerin innerhalb der Jahresfrist eine abschließende Entscheidung beantragt (§ 41a Abs 5 Satz 2 Nr 1 SGB II, hierzu 5.) noch bestand der Leistungsanspruch aus einem anderen Grund als dem für die Vorläufigkeit nur in geringerer Höhe und hat der Beklagte hierauf innerhalb eines Jahres reagiert (§ 41a Abs 5 Satz 2 Nr 2 SGB II, hierzu 6.). Es ist auch nicht ersichtlich, dass dem Eintritt der Fiktionswirkung andere, gesetzlich nicht ausdrücklich genannte Gründe entgegenstehen könnten (hierzu 7.). Die abschließende Entscheidung vom 7.5.2018 kann zuletzt auch nicht im Sinne einer Aufhebungsentscheidung gemäß §§ 45, 48 SGB X ausgelegt oder in eine solche umgedeutet werden (hierzu 8.).
5. Entgegen der Ansicht des Beklagten hat die Klägerin auf der Grundlage der vom LSG festgestellten Tatsachen keine abschließende Entscheidung beantragt. Bei dem Antrag gemäß § 41a Abs 5 Satz 2 Nr 1 SGB II handelt es sich um eine einseitige, empfangsbedürftige, öffentlich-rechtliche Willenserklärung, auf die - weil das Sozialrecht keine speziellen Regelungen trifft - die Vorschriften des BGB, insbesondere § 133 BGB, Anwendung finden. Maßgebend für die Auslegung eines Antrags ist daher - unter Berücksichtigung aller Umstände - der erkennbare wirkliche Wille des Antragstellers (stRspr; vgl nur BSG vom 2.4.2014 - B 4 AS 29/13 R - BSGE 115, 225 = SozR 4-4200 § 37 Nr 6, RdNr 16; BSG vom 24.4.2015 - B 4 AS 22/14 R - SozR 4-4200 § 11 Nr 71 RdNr 19; BSG vom 24.10.2018 - B 6 KA 45/17 R - SozR 4-2500 § 135 Nr 28 RdNr 46).
Bei der Auslegung von Willenserklärungen ist das BSG dabei an die im Urteil des Berufungsgerichts getroffenen tatsächlichen Feststellungen gebunden, wenn nicht in Bezug auf diese Feststellungen zulässige und begründete Revisionsrügen vorgebracht sind (vgl § 163 SGG). Das Revisionsgericht darf die Würdigung einer Willenserklärung durch ein Tatsachengericht deshalb nur daraufhin prüfen, ob dieses Gericht auf Grundlage seiner Feststellungen die Auslegungsregeln (§§ 133, 157 BGB) beachtet und nicht gegen anerkannte Auslegungsgrundsätze, Denkgesetze, Erfahrungssätze oder Verfahrensvorschriften verstoßen hat (stRspr; vgl nur BSG vom 5.9.2019 - B 8 SO 20/18 R - SozR 4-3500 § 18 Nr 5 RdNr 14; BSG vom 4.11.2021 - B 6 KA 14/20 R - SozR 4-5540 Anl 9.1 Nr 16 RdNr 29; BSG vom 18.8.2022 - B 1 KR 30/21 R - BSGE 134, 283 = SozR 4-2500 § 129a Nr 3, RdNr 33; vgl auch BSG vom 2.4.2014 - B 4 AS 29/13 R - BSGE 115, 225 = SozR 4-4200 § 37 Nr 6, RdNr 15). Zu den das Revisionsgericht grundsätzlich bindenden Tatsachen zählen danach nicht nur Form und Wortlaut der Erklärung, sondern auch der Wille des Erklärenden (vgl BSG vom 24.11.1976 - 1 RA 151/75 - BSGE 43, 37 = SozR 2200 § 1265 Nr 24, juris RdNr 13; BSG vom 11.9.2001 - B 2 U 41/00 R - SozR 3-2200 § 1150 Nr 5, juris RdNr 25; May, Die Revision, 2. Aufl 1997, Kap VI RdNr 271; zuletzt zB BSG vom 18.8.2022 - B 1 KR 30/21 R - BSGE 134, 283 = SozR 4-2500 § 129a Nr 3, RdNr 33).
Soweit das LSG entschieden hat, dass es sich weder bei der mit Schreiben der Klägerin vom 20.3.2017 erfolgten Übersendung des EKS-Formulars mit der angekreuzten Option "abschließende Angaben" noch bei der mit E-Mail vom 24.11.2017 erfolgten Äußerung, dann könne "ja jetzt endlich die abschließende Bearbeitung vorgenommen werden", um einen Antrag auf eine abschließende Entscheidung handele, ist dies revisionsgerichtlich nicht zu beanstanden.
Der Beklagte greift im Rahmen seiner Revisionsbegründung allein die durch das LSG erfolgte Auslegung der mit Schreiben vom 20.3.2017 erfolgten Erklärung der Klägerin an. Dass die Klägerin mit ihrer E-Mail vom 24.11.2017 keine abschließende Entscheidung beantragen wollte, ergibt sich danach bereits aus den das Revisionsgericht bindenden Feststellungen des LSG (vgl § 163 SGG). Der Beklagte hat diese Feststellungen nicht mit Verfahrensrügen angegriffen und es ist nicht erkennbar, dass das LSG seiner Auslegung einen Maßstab zugrunde gelegt hat, der Bundesrecht verletzt.
Die revisionsgerichtliche Überprüfung reicht weiter im Hinblick auf die Erklärung der Klägerin vom 20.3.2017. Bei dieser Erklärung, die in dem Ankreuzen der Option "abschließende Angaben" im EKS-Formular lag, handelt es sich um eine für das SGB II "typische" Erklärung, die bundesweit in großer Zahl identisch abgegeben wird und deren Auslegung deshalb der uneingeschränkten revisionsgerichtlichen Überprüfung unterliegt (vgl zu solchen "typischen" Erklärungen nur BSG vom 17.5.1988 - 10 RKg 3/87 - BSGE 63, 167 = SozR 1500 § 54 Nr 85, juris RdNr 25 f; Meßling in Krasney/Udsching/Groth/Meßling, Handbuch des sozialgerichtlichen Verfahrens, 8. Aufl 2022, Kap IX RdNr 456). Am Ergebnis ändert dies nichts. Mit der Übersendung des Formulars erfüllte die Klägerin nur ihre Mitwirkungsobliegenheiten, auf die der Beklagte sie - unter Belehrung über die Rechtsfolgen bei unzureichender Mitwirkung - in der vorläufigen Bewilligung hingewiesen hatte. Der Wille, mit einem eigenen Antrag gemäß § 41a Abs 5 Satz 2 Nr 1 SGB II eine abschließende Entscheidung herbeizuführen (vgl zur Funktion des Antrags BSG vom 18.5.2022 - B 7/14 AS 1/21 R - SozR 4-4200 § 41a Nr 4 RdNr 18) oder auch nur höhere Leistungen zu beanspruchen als vorläufig bewilligt, wird mit dieser Erklärung nicht erkennbar.
Soweit es das LSG zuletzt hat dahinstehen lassen, ob eine entsprechende Auslegung auch dann geboten wäre, wenn der Antrag auf abschließende Entscheidung für die leistungsberechtigte Person vorteilhaft wäre, kritisiert der Beklagte, hierdurch werde "durch die Hintertür" eine Art "Vertrauensschutzprüfung" eingeführt. Hieran ist einerseits richtig, dass die Auslegung, ob ein Antrag vorliegt, nicht vom Ergebnis des Verfahrens - hier der "Spitzabrechnung" im Rahmen der abschließenden Entscheidung - abhängen kann, das durch den Antrag eingeleitet wird. Andererseits ist der Leistungsempfänger regelmäßig darauf angewiesen, dass das Jobcenter ihn über die Auswirkungen eines Antrags berät, um zu wissen, ob ein solcher für ihn von Vorteil ist (Kemper in Eicher/Luik/Harich, SGB II, 5. Aufl 2021, § 41a RdNr 67 f; Klerks in LPK-SGB II, 7. Aufl 2021, § 41a RdNr 36). Vor diesem Hintergrund kann allein das Ankreuzen der Option "abschließende Angaben" im EKS-Formular die spezifischen Rechtsfolgen des § 41a Abs 5 Satz 2 Nr 1 SGB II nicht auslösen.
6. Ein Fall der Rückausnahme nach § 41a Abs 5 Satz 2 Nr 2 SGB II liegt ebenfalls nicht vor. Hiernach tritt die Fiktionswirkung dann nicht ein, wenn der Leistungsanspruch aus einem anderen als dem nach § 41a Abs 2 Satz 1 SGB II anzugebenden Grund nicht oder nur in geringerer Höhe als die vorläufigen Leistungen besteht und das Jobcenter über den Leistungsanspruch innerhalb eines Jahres seit Kenntnis von diesen Tatsachen, spätestens aber nach Ablauf von zehn Jahren nach der Bekanntgabe der vorläufigen Entscheidung, abschließend entscheidet. Dies ist hier schon deswegen nicht der Fall, weil "zukünftige bzw. noch nicht nachgewiesene Einkünfte" als Grund der Vorläufigkeit angegeben wurden. Sollte sich dies nur auf Einkommen aus selbstständiger Tätigkeit bezogen haben und nicht auf das Renteneinkommen der Klägerin, ist die abschließende Entscheidung jedenfalls nicht innerhalb eines Jahres seit Kenntnis der Rentenerhöhung erfolgt.
7. Andere - gesetzlich nicht ausdrücklich geregelte - Gründe hindern den Eintritt der Fiktionswirkung ebenfalls nicht. Dies gilt zum einen im Hinblick auf den Umstand, dass die Klägerin gegen die vorläufige Leistungsbewilligung eine Klage erhoben hatte, die zum Zeitpunkt des Ablaufs der Jahresfrist gemäß § 41a Abs 5 Satz 1 SGB II noch anhängig war. Dies steht dem Eintritt der Fiktionswirkung nicht entgegen, wie der Senat inzwischen entschieden hat (BSG vom 18.5.2022 - B 7/14 AS 1/21 R - SozR 4-4200 § 41a Nr 4 RdNr 15 ff). Zum anderen kommt es im Hinblick auf den Eintritt der Fiktion nicht darauf an, ob das Jobcenter sich um die vollständige Aufklärung des leistungserheblichen Sachverhalts hinreichend bemüht oder die leistungsberechtigte Person die fehlende Aufklärung verschuldet hat (Hengelhaupt in Hauck/Noftz, § 41a SGB II RdNr 429, Stand Juni 2022; Kallert in BeckOGK, § 41a SGB II RdNr 214 f, Stand März 2022). Verletzt die leistungsberechtigte Person ihre Auskunfts- und Nachweispflichten (vgl § 41a Abs 3 Satz 2 SGB II), setzt das Jobcenter den Leistungsanspruch für diejenigen Kalendermonate nur in der Höhe abschließend fest, in welcher seine Voraussetzungen ganz oder teilweise nachgewiesen wurden und stellt im Übrigen fest, dass ein Leistungsanspruch nicht bestand (§ 41a Abs 3 Satz 3 und 4 SGB II; hierzu zuletzt BSG vom 29.11.2022 - B 4 AS 64/21 R - SozR 4-4200 § 41a Nr 7 RdNr 15 ff, vorgesehen auch für BSGE). Erfolgt dies nicht innerhalb der Jahresfrist, gelten die vorläufig bewilligten Leistungen gleichwohl als abschließend festgesetzt.
8. Die abschließende Entscheidung vom 7.5.2018 kann zuletzt auch nicht im Sinne einer Aufhebungsentscheidung gemäß §§ 45, 48 SGB X ausgelegt oder in eine solche umgedeutet werden.
Zwar sind die Regelungen über die nachträgliche Änderung von Verwaltungsakten (§§ 44 ff SGB X) auf die fiktive abschließende Entscheidung anwendbar. § 41a Abs 5 Satz 1 SGB II fingiert bereits nach seinem Wortlaut allein die abschließende Festsetzung, wodurch sich der auf die Vorläufigkeit der Leistungsbewilligung beziehende Teil der Bewilligungsverfügung erledigt (BSG vom 18.5.2022 - B 7/14 AS 1/21 R - SozR 4-4200 § 41a Nr 4 RdNr 26). Die Rechtmäßigkeit der als abschließende Festsetzung geltenden Bewilligung wird nicht fingiert. Eine solche "Rechtmäßigkeitsfiktion" sieht das Gesetz nicht vor. Der fiktiven abschließenden Festsetzung kommt keine höhere Bestandskraft zu als einer "normalen" abschließenden Entscheidung. §§ 44 ff SGB X bleiben deshalb - über § 40 Abs 1 Satz 1 SGB II - grundsätzlich uneingeschränkt anwendbar. Die Überprüfung der Bewilligung im Hinblick auf ihre inhaltliche Richtigkeit ist auch nicht darauf beschränkt, ob die Voraussetzungen für eine Fiktion der abschließenden Entscheidung vorliegen (Kemper in Eicher/Luik/Harich, SGB II, 5. Aufl 2021, § 41a RdNr 65; zweifelnd Blüggel in JurisPK-SGB XII, § 44a RdNr 86.1, Stand 27.8.2020 zu § 44a Abs 6 SGB XII; aA Merten in BeckOK SozR, § 41a SGB II RdNr 23, Stand 1.6.2023; Nachweise zum Streitstand bei Grote-Seifert in jurisPK-SGB II, 5. Aufl 2020, § 41a RdNr 66; Hengelhaupt in Hauck/Noftz, SGB II, § 41a RdNr 622a, Stand Juni 2022).
In der im Irrtum über den Eintritt der Fiktionswirkung erfolgten abschließenden Entscheidung liegt keine Aufhebung der Bewilligung gemäß § 40 Abs 1 Satz 1 SGB II iVm §§ 45, 48 SGB X. Eine ausdrückliche Aufhebungsentscheidung enthält der hier streitgegenständliche Bescheid vom 7.5.2018 ohnehin nicht. Ihm kann auch nicht im Wege der Auslegung der Regelungsgehalt einer Aufhebung zugeschrieben werden. Dies würde jedenfalls voraussetzen, dass dem Beklagten (erkennbar) bewusst war, dass die ursprünglich vorläufige Bewilligung als abschließend festgesetzt galt (vgl zur teilweise parallelen Diskussion im Rahmen des § 42a VwVfG im Hinblick auf den Erlass oder die Ablehnung einer Genehmigung nach Eintritt der Genehmigungsfiktion Stelkens in Stelkens/Bonk/Sachs, VwVfG, 10. Aufl 2023, § 42a RdNr 47, 60; Baer in Schoch/Schneider, Verwaltungsrecht, § 42a VwVfG RdNr 53, Stand Juli 2020), was hier gerade nicht der Fall war.
Die abschließende Entscheidung kann zuletzt nicht in eine Entscheidung über die Aufhebung umgedeutet werden (vgl § 43 SGB X). Dabei kann dahinstehen, ob die Umdeutung der abschließenden Entscheidung in eine Aufhebungsentscheidung der erkennbaren Absicht des Beklagten widerspräche (§ 43 Abs 2 Satz 1 SGB X; vgl hierzu BSG vom 24.2.2011 - B 14 AS 87/09 R - BSGE 107, 255 = SozR 4-4200 § 60 Nr 1, RdNr 21). Denn er hält bis zuletzt daran fest, dass die vorläufige Bewilligung nicht als abschließend festgesetzt gelte. Deshalb bedürfe es einer Aufhebung dieses Verwaltungsakts gerade nicht. Eine Umdeutung scheidet hier bereits deshalb aus, weil die Aufhebung gemäß §§ 45, 48 SGB X einerseits und die abschließende Entscheidung gemäß § 41a Abs 3 Satz 1 SGB II andererseits nicht auf das gleiche Ziel gerichtet sind (vgl § 43 Abs 1 SGB X). Dies setzt voraus, dass der Verwaltungsakt, in den umgedeutet wird, die gleiche materiell-rechtliche Tragweite hat, wie sie dem fehlerhaften Verwaltungsakt zukommen sollte (BT-Drucks 7/910 S 67) und Regelungszweck und Regelungswirkungen im Wesentlichen gleichartig sind (Schütze in Schütze, SGB X, 9. Aufl 2020, § 43 RdNr 7 mwN; ähnlich im Hinblick auf ein sog "Nachschieben von Gründen" BSG vom 25.6.2015 - B 14 AS 30/14 R - SozR 4-4200 § 60 Nr 3 RdNr 23 mwN). Hieran fehlt es. §§ 45, 48 SGB X bezwecken, das Spannungsverhältnis zwischen materieller Gerechtigkeit einerseits und Rechtssicherheit andererseits ggf mit der Folge der Durchbrechung der Bindungswirkung aufzulösen. Hierum geht es bei der abschließenden Entscheidung nach § 41a SGB II gerade nicht, weil die vorläufige Entscheidung ihrem Wesen nach auf Ersetzung durch einen abschließenden Verwaltungsakt angelegt ist, ohne dass von ihr Bindungswirkungen ausgehen oder der Leistungsempfänger - außerhalb der Fiktionswirkung des § 41a Abs 5 Satz 1 SGB II - auf ihren Inhalt vertrauen kann (vgl nur BSG vom 11.7.2019 - B 14 AS 44/18 R - SozR 4-4200 § 41a Nr 2 RdNr 33 mwN; Kemper in Eicher/Luik/Harich, SGB II, 5. Aufl 2021, § 41a RdNr 3; vgl zur nicht möglichen Umdeutung eines Aufhebungsbescheids in eine abschließende Entscheidung BSG vom 29.4.2015 - B 14 AS 31/14 R - SozR 4-4200 § 40 Nr 9 RdNr 30).
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Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG. |
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Siefert |
Neumann |
Harich |
Fundstellen