Entscheidungsstichwort (Thema)

Arbeitsunfall. Wegeunfall. Kausalität

 

Orientierungssatz

Nur dann, wenn die Beeinträchtigung der Fahrfähigkeit durch einen mit der versicherten Tätigkeit nicht im Zusammenhang stehenden Alkoholgenuß rechtlich die allein wesentliche Ursache für das Zustandekommen des Unfalles ist, besteht zwischen der versicherten Tätigkeit und dem Unfallereignis kein ursächlicher Zusammenhang im Rechtssinne (vgl BSG 1960-06-30 2 RU 86/56 = BSGE 12, 242).

 

Normenkette

RVO §§ 542-543

 

Verfahrensgang

LSG Nordrhein-Westfalen (Entscheidung vom 17.09.1957)

 

Tenor

Das Urteil des Landessozialgerichts Nordrhein-Westfalen vom 17. September 1957 wird mit den ihm zugrundeliegenden Feststellungen aufgehoben.

Die Sache wird zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an das Landessozialgericht zurückverwiesen.

Von Rechts wegen.

 

Gründe

I.

Der Kläger beansprucht Entschädigung für die Folgen eines Verkehrsunfalls. Er stieß am 2. Juli 1955, als er mit seinem Moped von der Arbeit nach Hause fuhr, mit einem anderen Mopedfahrer zusammen und erlitt hierbei Verletzungen.

Durch Bescheid vom 18. Oktober 1955 lehnte die Beklagte die Gewährung von Krankenbehandlung und Entschädigung mit folgender Begründung ab: Die Blutuntersuchung durch das Chemische Untersuchungsamt in Moers habe eine Blutalkoholkonzentration (BAK) von 1,36 0 / 00 ergeben. Der Verletzte habe durch das Führen eines Kraftfahrzeuges nach dem Genuß einer nicht unerheblichen Menge alkoholischer Getränke selbst eine Gefahr geschaffen und sei in seinem Zustand nicht mehr in der Lage gewesen, eine versicherte Tätigkeit auszuüben.

Das Sozialgericht (SG) Düsseldorf hat durch Urteil vom 27. Juni 1956 den Bescheid aufgehoben und festgestellt, daß die Gesundheitsstörungen, die der Kläger sich bei dem Geschehen am 2. Juli 1955 zugezogen habe, Folgen eines Arbeitsunfalles seien. Zur Begründung hat das SG ausgeführt: Es sehe keine Veranlassung, beim Kläger Fahruntüchtigkeit zu vermuten. Er habe nicht ein Motorrad, sondern ein Moped gefahren, dessen Benutzung nicht so gefährlich sei wie die eines Motorrades. Nach der Auffassung des Gerichtes sei es auch zu dem Unfall nicht durch eigenes Verschulden des Klägers gekommen; dieser habe sich nicht irgendwie verkehrswidrig verhalten. Alleinige Ursache des Unfalles dürfte das Verschulden des Jungen gewesen sein, der dem Kläger unter Mißachtung der Vorfahrt in die Fahrbahn gefahren sei.

Auf die Berufung der Beklagten hat das Landessozialgericht (LSG) Nordrhein-Westfalen, nachdem es ein Gutachten des Prof. Dr. P (Institut für gerichtliche Medizin der Universität Münster) beigezogen hatte, durch Urteil vom 17. September 1957 unter Änderung des Urteils des SG Düsseldorf die Klage abgewiesen und die Revision zugelassen.

Der Kläger, dem dieses Urteil am 5. Oktober 1957 zugestellt worden ist, hat am 30. September 1957 beim Bundessozialgericht (BSG) Revision eingelegt und diese am 5. November 1957 begründet.

Er beantragt,

unter Aufhebung des angefochtenen Urteils festzustellen, daß die Gesundheitsstörungen, die der Kläger sich beim Geschehen am 2. Juli 1955 zugezogen hat, Folgen eines Arbeitsunfalls sind.

Die Beklagte beantragt,

die Revision zurückzuweisen.

II.

Die durch Zulassung statthafte Revision ist in der gesetzlichen Form und Frist eingelegt und begründet worden und somit zulässig. Sie ist auch begründet.

Das angefochtene Urteil beruht in tatsächlicher Beziehung auf der Feststellung, der Kläger sei infolge einer BAK von 1,36 0 / 00 im Zeitpunkt des Unfalls außerstande gewesen, sein Moped verkehrssicher zu führen.

Gegen diese Feststellung wendet sich die Revision. Sie will offenbar die Richtigkeit des vom LSG angewendeten Erfahrungssatzes, daß ein Kraftradfahrer schon bei einer BAK von 1,3 0 / 00 fahruntüchtig sei (vgl. hierzu BSG 12, 242; SozR RVO § 542 Bl. Aa 19 Nr. 30, Aa 27 Nr. 36; § 543 Bl. Aa 23 Nr. 30), nicht bezweifeln, ist jedoch der Auffassung, daß dieser für Motorradfahrer gültige Erfahrungssatz nicht uneingeschränkt auf den Fahrer eines Mopeds angewendet werden könne, weil insoweit zwischen Fahrzeugen, die eine Höchstgeschwindigkeit von 60 km/st erreichten, und solchen Fahrzeugen unterschieden werden müssen, deren Höchstgeschwindigkeit nur 35 km/st betrage. Es kann dahingestellt bleiben, ob diese Rüge geeignet ist, die Bindung des Revisionsgerichts an diese Feststellung des LSG zu beseitigen (§ 163 des Sozialgerichtsgesetzes - SGG -). Denn sie ist ohnehin nicht ausreichend, um die vom LSG gezogenen rechtlichen Folgerungen zu rechtfertigen.

Das Urteil des LSG beruht auf der Auffassung, der Fahrer eines Kraftfahrzeuges verliere den Versicherungsschutz der gesetzlichen Unfallversicherung, wenn er sich aus unternehmensfremden Gründen durch Alkoholgenuß in einen Zustand versetzt habe, in dem er nicht mehr verkehrssicher fahren könne. Diese Auffassung ist auch vom erkennenden Senat im Anschluß an die Rechtsprechung des Reichsversicherungsamts vertreten worden (vgl. BSG 3, 116). Der Senat hat sie jedoch inzwischen als zu weitgehend aufgegeben (vgl. BSG 12, 242).

Nach der Auffassung des Senats ist es entscheidend, welche Ursachen für das Zustandekommen des Unfalls rechtlich wesentlich waren. Nur, wenn die Beeinträchtigung der Fahrfähigkeit durch einen mit der versicherten Tätigkeit nicht im Zusammenhang stehenden Alkoholgenuß rechtlich die allein wesentliche Ursache für das Zustandekommen des Unfalles war, besteht zwischen der versicherten Tätigkeit und dem Unfallereignis kein ursächlicher Zusammenhang im Rechtssinne.

Das LSG hat es auf Grund seines Rechtsstandpunkts unterlassen, Feststellungen zu treffen, die es ermöglichen, die verschiedenen Ursachen für das Zustandekommen des Unfalls vom 2. Juli 1955 hinsichtlich ihrer rechtlichen Bedeutung zu werten; insbesondere fehlt es an Feststellungen darüber, welche Bedeutung das Verhalten des anderen am Unfall beteiligten Mopedfahrers für das Zustandekommen des Unfalls hatte. Da infolge des Fehlens dieser tatsächlichen Feststellungen eine Entscheidung des Senats in der Sache selbst nicht möglich ist, mußte auf die Revision des Klägers das angefochtene Urteil aufgehoben und die Sache zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an das LSG zurückverwiesen werden.

Die Entscheidung über die Kosten des Revisionsverfahrens bleibt der das Verfahren abschließenden Entscheidung vorbehalten.

 

Fundstellen

Dokument-Index HI2297122

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