Leitsatz (amtlich)
Keine Anrechnung von Ersatz- und Ausfallzeiten nach früherer selbständiger Erwerbstätigkeit im Ausland (Anschluß an BSG 1977-03-08 11 RA 126/75 = SozR 5750 Art 2 § 9a Nr 2).
Normenkette
AnVNG Art. 2 § 9a Abs. 2 Fassung: 1972-10-16; ArVNG Art. 2 § 9a Abs. 2 Fassung: 1972-10-16; AnVNG Art. 2 § 13a Fassung: 1972-10-16; ArVNG Art. 2 § 13a Fassung: 1972-10-16
Verfahrensgang
SG München (Entscheidung vom 02.07.1975; Aktenzeichen S 13 An 1990/74 WG) |
Tenor
Auf die Sprungrevision der Beklagten wird das Urteil des Sozialgerichts München vom 2. Juli 1975 aufgehoben.
Die Klage gegen den Bescheid der Beklagten vom 1. Juli 1974 wird abgewiesen.
Außergerichtliche Kosten des Rechtsstreits sind nicht zu erstatten.
Tatbestand
Zwischen den Beteiligten ist streitig, ob der Kläger infolge der Nachentrichtung von Beiträgen nach dem Rentenreformgesetz (RRG) die rentensteigernde Anrechnung von Ersatz- und Ausfallzeiten verlangen kann.
Der 1897 geborene Kläger ist Verfolgter im Sinne des Bundesentschädigungsgesetzes. Er betrieb nach seiner verfolgungsbedingten Auswanderung von 1934 an eine Kaffeeplantage in Tansania. Nachdem er diese selbständige Tätigkeit Mitte 1964 aufgegeben hatte, kehrte er im Oktober des gleichen Jahres in die Bundesrepublik Deutschland zurück.
Nach Inkrafttreten des RRG entrichtete der Kläger für die Zeit von Januar 1956 bis September 1973 gemäß Art. 2 § 49 a Abs. 2 des Angestelltenversicherungs-Neuregelungsgesetzes (AnVNG) Beiträge zur Angestelltenversicherung nach. Die Beklagte gewährte ihm sodann unter Zugrundelegung eines am 30. September 1973 eingetretenen Versicherungsfalles mit Wirkung vom 1. Oktober 1973 Altersruhegeld wegen Vollendung des 65. Lebensjahres. Ersatz- und Ausfallzeiten berücksichtigte sie dabei nicht (Bescheid vom 1. Juli 1974).
Mit der hiergegen erhobenen Klage begehrte der Kläger, auf seine Rente die Zeiten vom 20. Oktober 1913 bis 5. August 1914 und 1. Oktober 1921 bis 24. Juli 1923 als Ausfallzeiten sowie die Zeiten vom 6. August 1914 bis 27. Januar 1918 und 1. April 1933 bis 31. Dezember 1949 als Ersatzzeiten - insgesamt begrenzt auf 213 Monate - anzurechnen. Das Sozialgericht (SG) gab der Klage statt: Der Kläger habe gemäß Art. 2 §§ 9 a Abs. 2 und 13 a AnVNG Anspruch auf Anrechnung der von der Beklagten dem Grunde nach anerkannten Ersatz- und Ausfallzeiten. Nach Art. 2 § 9 a Abs. 2 AnVNG genüge es, daß der Kläger eine selbständige Erwerbstätigkeit von wenigstens fünf Jahren im Ausland ausgeübt und dort aufgegeben habe. Entgegen der Ansicht der Beklagten sei es gleichgültig, wo die selbständige Tätigkeit ausgeübt worden sei. Die Regelung des Art. 2 §§ 9 a Abs. 2 und 13 a AnVNG sei einer Auslegung nicht zugänglich. Weder aus dem Gesamtzusammenhang der im Rahmen des RRG erlassenen Vorschriften noch im Wege einer allgemeinen teleologischen Auslegung lasse sich eine Beschränkung auf im Inland ausgeübte selbständige Tätigkeiten herleiten, so daß der Begriff "selbständige Erwerbstätigkeit" allein wörtlich zu nehmen sei und mangels einer entsprechenden ausdrücklichen Präzisierung oder Einschränkung in den genannten Vorschriften hierzu auch eine selbständige Erwerbstätigkeit im Ausland zähle (Urteil vom 2. Juli 1975).
Die Beklagte hat mit schriftlicher Zustimmung des Klägers die vom SG zugelassene Revision eingelegt. Sie rügt eine Verletzung des Art. 2 § 9 a Abs. 2 AnVNG durch das Erstgericht.
Die Beklagte beantragt, das angefochtene Urteil aufzuheben und die Klage abzuweisen.
Der Kläger beantragt, die Revision zurückzuweisen.
Entscheidungsgründe
Die gemäß § 161 des Sozialgerichtsgesetzes (SGG) statthafte Sprungrevision ist begründet.
Der Kläger kann nach Art. 2 § 9 a Abs. 2 AnVNG keine Anrechnung einer Ersatzzeit auf das ihm gewährte Altersruhegeld verlangen, weil er keine selbständige Erwerbstätigkeit von wenigstens fünf Jahren im Sinne dieser Vorschrift aufgegeben hat. Entgegen der Ansicht des SG kann es nämlich nicht gleichgültig sein, wo die selbständige Tätigkeit ausgeübt worden ist. Vielmehr ist für die Anwendung der Vorschrift jedenfalls grundsätzlich erforderlich, daß die aufgegebene Erwerbstätigkeit im Geltungsbereich des Gesetzes stattgefunden hat. Daran fehlt es im Falle des Klägers.
Dem Erstgericht ist zwar zuzugeben, daß der Wortlaut des Art. 2 § 9 a Abs. 2 AnVNG keine solche Einschränkung enthält; ihm kann indes nicht in der Annahme gefolgt werden, eine dahingehende Auslegung der Vorschrift lasse auch ihr Sinn und Zweck nicht zu. Der 11. Senat des Bundessozialgerichts (BSG) hat im Urteil vom 8. März 1977 - 11 RA 126/75 - (SozR 5750 Art. 2 § 9 a Nr. 2) aus dem Verhältnis von Absatz 1 zu Absatz 2 des Art. 2 § 9 a AnVNG sowie aus seiner Verknüpfung mit der durch das RRG neu ermöglichten Versicherungspflicht nach § 2 Abs. 1 Nr. 11 des Angestelltenversicherungsgesetzes (AVG), die ausdrücklich auf eine selbständige Erwerbstätigkeit im Geltungsbereich dieses Gesetzes beschränkt ist, den Willen des Gesetzgebers hergeleitet, in Art. 2 § 9 a Abs. 2 AnVNG im Anschluß an Absatz 1 der Vorschrift zusätzlich nur Personen zu begünstigen, die nach § 2 Abs. 1 Nr. 11 AVG hätten versicherungspflichtig werden können, wenn diese Vorschrift schon während ihrer früheren Selbständigkeit gegolten hätte.
Dieser Rechtsauffassung schließt sich der erkennende Senat grundsätzlich an. Dabei ist für ihn maßgeblich, daß Art. 2 § 9 a Abs. 2 AnVNG - wie bereits im Urteil vom 8. März 1977 aaO betont wird - lediglich zu Absatz 1 der Vorschrift eine Ergänzung für frühere Selbständige bringen soll, die aus Altersgründen im Wege der Versicherungspflicht auf Antrag (§ 2 Abs. 1 Nr. 11 AVG) die verkürzte Halbbelegung zur Anrechnung von Ersatzzeiten im Sinne des Art. 2 § 9 a Abs. 1 AnVNG nicht mehr erreichen können. Da aber die Versicherungspflicht auf Antrag nur bei Ausübung der selbständigen Erwerbstätigkeit im Geltungsbereich des Gesetzes eintreten kann und demnach für Selbständige nur unter dieser Voraussetzung die Anwendung des Art. 2 § 9 a Abs. 1 AnVNG möglich ist, kann für den von dieser Regelung ausgehenden Absatz 2 der Vorschrift nichts anderes gelten. Nach dem Gesamtzusammenhang der aufgezeigten, durch das RRG neu eingeführten Regelungen muß daher angenommen werden, daß auch in Art. 2 § 9 a Abs. 2 AnVNG eine im Geltungsbereich des Gesetzes ausgeübte Erwerbstätigkeit gemeint ist. Ob ausnahmsweise bei der Zugehörigkeit eines Versicherten zum Personenkreis des Fremdrentengesetzes im Hinblick auf das für dieses maßgebende Eingliederungsprinzip (Gleichstellung der Fremdzeiten mit Inlandszeiten) eine andere Auslegung der Vorschrift geboten ist, braucht im vorliegenden Fall nicht entschieden zu werden, weil der Kläger zu diesem Personenkreis nicht gehört.
Da somit Art. 2 § 9 a Abs. 2 AnVNG in der verkündeten Gesetzesfassung nicht zur Anrechnung der vom Kläger begehrten Ersatzzeiten führt, können die im BSG-Urteil vom 8. März 1977 aaO angeführten Zweifel an seiner Gültigkeit offenbleiben. Im Falle der Ungültigkeit der Vorschrift gäbe es für eine mit der Nachentrichtung von Beiträgen nach Art. 2 § 49 a Abs. 2 AnVNG verbundene Anrechnung von Ersatzzeiten ohnehin keine Rechtsgrundlage.
Die Anwendung der vom Kläger außerdem geltend gemachten Ausfallzeiten kommt gemäß Art. 2 § 13 a AnVNG ebenfalls nicht in Betracht, weil diese Vorschrift die entsprechende Anwendung des Art. 2 § 9 a AnVNG voraussetzen würde.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.
Fundstellen