Leitsatz (amtlich)
Für eine Klage gegen einen vor 1975-01-01 von einem Sozialversicherungsträger erlassenen Ordnungsstrafbescheid ist der Rechtsweg zur Sozialgerichtsbarkeit auch dann gegeben, wenn die Klage erst nach 1974-12-31 - Einführung des Rechts der Ordnungswidrigkeiten für den Bereich der Sozialversicherung - erhoben worden ist.
Normenkette
OWiG § 65 Fassung: 1968-05-24, § 67 Fassung: 1968-05-24, § 68 Fassung: 1968-05-24; SGG § 51 Abs. 1 Fassung: 1969-07-27; StGBEG Art. 253 Nr. 6 Fassung: 1974-03-02; StGBEG Art. 318 Abs. 2 Fassung: 1974-03-02; AVG § 151 Fassung: 1957-02-23; AVG § 151 Fassung: 1974-03-02; RVO § 1429 Fassung: 1957-02-23, § 1429 Fassung: 1974-03-02
Verfahrensgang
SG Würzburg (Entscheidung vom 28.06.1976; Aktenzeichen S 5 An 121/75) |
Tenor
Auf die Revision der Beklagten wird das Urteil des Sozialgerichts Würzburg vom 28. Juni 1976 aufgehoben. Die Sache wird zu neuer Verhandlung und Entscheidung an dieses Gericht zurückverwiesen.
Tatbestand
Die Beteiligten streiten um die Frage, ob in dem gegen einen Ordnungsstrafbescheid der beklagten Bundesversicherungsanstalt für Angestellte (BfA) angestrengten Rechtsbehelfsverfahren der Rechtsweg zu den Sozialgerichten oder zu den ordentlichen Gerichten gegeben ist.
Der Kläger war Geschäftsführer einer Gesellschaft mit beschränkter Haftung (GmbH), über die im Oktober 1973 der Konkurs eröffnet worden ist. Mit Bescheid vom 18. Juli 1974, bestätigt durch Widerspruchsbescheid vom 6. Juni 1975, verhängte die Beklagte über den Kläger eine Ordnungsstrafe in Geld, weil er es gesetzwidrig unterlassen habe, für Angestellte der GmbH Beiträge zur Angestelltenversicherung abzuführen.
Auf die im Juli 1975 erhobene Klage hat das Sozialgericht (SG) im angefochtenen Urteil vom 28. Juni 1976 den Rechtsweg zum SG für unzulässig erklärt und den Rechtsstreit auf den hilfsweise gestellten Antrag des Klägers an das Amtsgericht (AG) Berlin verwiesen. In der Begründung heißt es, Art. 318 Abs. 2 des Einführungsgesetzes zum Strafgesetzbuch (EGStGB) vom 2. März 1974 (BGBl I 469) sei nach seinen Materialien so auszulegen, daß es für vor dem 1. Januar 1975 begangene Zuwiderhandlungen nach § 151 des Angestelltenversicherungsgesetzes (AVG) bei der bisherigen sachlichen Zuständigkeit der Sozialgerichte nur verbleiben solle, wenn schon vor dem genannten Zeitpunkt ein Verfahren vor dem SG anhängig gewesen sei. Vorliegend sei das Verfahren vor dem SG aber erst im Juli 1975 anhängig gemacht worden.
Das SG hat in dem Urteil die Sprungrevision zugelassen.
Die Beklagte hat mit dem Einverständnis des Klägers die Sprungrevision eingelegt. Sie trägt vor, Art. 318 Abs. 2 EGStGB bringe hinreichend deutlich zum Ausdruck, daß unter dem anzuwendenden "bisherigen Recht" sowohl das materielle wie das formelle Recht zu verstehen sei. Der gleichen Auffassung sei das Landessozialgericht (LSG) Berlin (DAngV 1977, 258) und das Kammergericht Berlin (AR (B) - 2 Ws (B) 216/76).
Die Beklagte beantragt,
unter Aufhebung des angefochtenen Urteils die Klage abzuweisen.
Der Kläger schließt sich der Rechtsauffassung der Beklagten an.
Beide Beteiligten haben sich mit einer Entscheidung ohne mündliche Verhandlung für einverstanden erklärt (§ 124 Abs. 2 des Sozialgerichtsgesetzes -- SGG).
Entscheidungsgründe
Die Sprungrevision der Beklagten ist zulässig und im Sinne der Zurückverweisung der Sache an die Vorinstanz begründet.
Nach § 51 Abs. 1 SGG entscheiden die Gerichte der Sozialgerichtsbarkeit über öffentlich-rechtliche Streitigkeiten in Angelegenheiten u. a. der Sozialversicherung. Zu diesen gehören, worüber auch kein Streit besteht, die Ordnungsstrafen, die ein Rentenversicherungsträger gegen einen Arbeitgeber wegen unterlassener Abführung von Beiträgen zur gesetzlichen Rentenversicherung nach § 151 AVG (= § 1429 der Reichsversicherungsordnung -- RVO) in der bis zum 31. Dezember 1974 geltenden Fassung verhängen durfte (allgemeine Meinung, vgl. z. B. Brackmann, Handbuch der Sozialversicherung, Bd. I/2, S. 285, mit weiteren Nachweisen). Hiernach bestimmt sich der Rechtsweg zu den Sozialgerichten letztlich nach dem anzuwendenden sachlichen Recht; dieses Prinzip des "Rechtswegs kraft Sachzusammenhangs" (vgl. Rosenberg/Schwab, Zivilprozeßrecht, 12. Aufl., S. 44) gilt auch für alle anderen Gerichtsbarkeiten (vgl. § 13 des Gerichtsverfassungsgesetzes; § 40 Abs. 1 der Verwaltungsgerichtsordnung; § 33 der Finanzgerichtsordnung). An dieser sachlichen Zuständigkeit der Sozialgerichtsbarkeit in bezug auf von Sozialversicherungsträgern wegen Zuwiderhandlung gegen sozialversicherungsrechtliche Vorschriften verhängte Ordnungsstrafen könnte sich für Fälle der vorliegenden Art durch Art. 253 Nr. 6 EGStGB (aaO) etwas geändert haben. Diese Vorschrift hat mit Wirkung ab 1. Januar 1975 die gesetzwidrig unterlassene Abführung von Beiträgen zur Rentenversicherung zu einer Ordnungswidrigkeit im Sinne des Gesetzes über Ordnungswidrigkeiten (OWiG) umgestaltet (§ 151 AVG nF = § 1429 RVO nF), und zwar aufgrund des Prinzips des Sachzusammenhangs mit der Folge, daß dem Betroffenen gegen den vom Rentenversicherungsträger nunmehr zu erlassenden Bußgeldbescheid der Einspruch zum AG zusteht (§§ 65, 67, 68 OWiG). Indessen fehlt eine Vorschrift, die für bei einem Gericht anzubringende Rechtsbehelfe gegen einen vor dem 1. Januar 1975 nach § 151 AVG aF erlassenen Ordnungsstrafbescheid, d. h. in einer Angelegenheit der Sozialversicherung unter Abänderung des § 51 Abs. 1 SGG eine sachliche Zuständigkeit der ordentlichen Gerichtsbarkeit neu begründet hätte. Entgegen der Ansicht des SG enthält auch Art. 318 Abs. 2 EGStGB keine solche vom Grundsatz des Sachzusammenhangs abweichende Neuregelung der Rechtswegzuständigkeit.
Art. 318 Abs. 2 EGStGB trifft keinerlei Bestimmung über die Anwendung von Verfahrensrecht; er enthält eine Bestimmung allein über die Anwendung von materiellem Recht, wie sein Wortlaut und der mit ihm zu verbindende Sinngehalt deutlich ergeben. Die Vorschrift ordnet an, daß bezüglich eines vor dem 1. Januar 1975 erlassenen Ordnungsstrafbescheids "in dem weiteren Verfahren", d. h. nach Einlegung eines Rechtsbehelfs "das bisherige Recht anzuwenden" ist. Es kann dahinstehen, ob - wofür sich einiges anführen ließe - sachlicher Gehalt und Wortlaut schon dieses Absatzes 2 allein hinreichend ergeben, daß als "bisheriges Recht" das materielle Ordnungsstrafrecht auf dem Gebiet der Sozialversicherung gemeint ist. Hält man, wie dies unumgänglich ist, Absatz 2 mit Absatz 1 des Art. 318 aaO zusammen, so bleibt hieran kein begründeter Zweifel. Absatz 2 trifft mit der an Absatz 1 anschließenden Bestimmung, daß unter den genannten näheren Umständen "jedoch" das "bisherige Recht" anzuwenden ist, eine Ausnahme von Absatz 1, in dem die Anwendung von "neuem Recht" vorgeschrieben ist. Nur das neue materielle Bußgeldrecht nach dem OWiG kann aber gemeint sein, wenn Absatz 1 aaO vorschreibt, daß "auf Zuwiderhandlungen, die ... nach neuem Recht Ordnungswidrigkeiten sind, das neue Recht ... anzuwenden (ist)". Der Gesetzgeber durfte in Art. 318 Abs. 1 EGStGB in bezug auf das für die Anwendung durch Sozialversicherungsträger neue Bußgeldrecht von einer Bestimmung darüber, welches Verfahren nunmehr anzuwenden sei, schon deswegen absehen, weil - auch hier gemäß dem Grundsatz des Sachzusammenhangs - die §§ 35 ff OWiG das "für die Verfolgung von Ordnungswidrigkeiten" anzuwendende Verfahren - einschließlich des durch Einspruch des Betroffenen ausgelösten gerichtlichen Verfahrens (§§ 67 ff aaO) - ausdrücklich und im einzelnen regeln.
Hiernach bestimmt auch Art. 318 Abs. 2 EGStGB als ausdrückliche Ausnahme von Absatz 1 nur, daß in einem gegen einen vor dem 1. Januar 1975 erlassenen Ordnungsstrafbescheid angestrengten Rechtsbehelfsverfahren des materielle Ordnungsstrafrecht auf dem Gebiet der Sozialversicherung anwendbar bleibt. Für diese Fälle verbleibt es dann aber bei der an das sachliche Recht anknüpfenden Rechtswegzuständigkeit der Sozialgerichte nach § 51 Abs. 1 SGG. Einer Regelung für das Verfahren bedurfte es aus den gleichen Gründen wie zu Absatz 1 aaO nicht.
Dieses Ergebnis befriedigt; die gegenteilige Auffassung des SG führt dazu, daß die ordentlichen Gerichte - dazu noch in den relativ wenigen auslaufenden Fällen - nicht Bußgeldrecht, sondern das außer Kraft getretene sozialversicherungsrechtliche Ordnungsstrafrecht anzuwenden hätten.
Die Begründung, die der Sonderausschuß für Strafrechtsreform in der BT-Drucks. 7/1261 zu dem von ihm vorgeschlagenen Art. 292 a EGStGB, der dem Gesetz gewordenen Art. 318 aaO entspricht, gegeben hat, stützt die Ansicht des SG nicht. Wenn der Ausschuß davon ausging, daß die von ihm vorgeschlagene Anordnung, auf unter altem Recht ergangene Ordnungsstrafbescheide altes materielles Recht anzuwenden, die Beibehaltung auch des alten Verfahrensrechts bewirkt, dann durfte er mit dieser Regelung auch darauf abzielen zu "vermeiden ..., daß die einmal beim Sozialgericht anhängigen Verfahren an die ordentlichen Gerichte abgegeben werden". Daß der Sonderausschuß aaO als Hauptanwendungsfälle der vorgeschlagenen Überleitungsvorschrift nur die bereits "beim Sozialgericht anhängigen Verfahren" erwähnt hat, ist erklärlich. Dieser Formulierung läßt sich aber nicht entnehmen, daß der Ausschuß darauf ausgegangen wäre, die - nach Erschöpfung des Zeit beanspruchenden Widerspruchsverfahrens (§§ 78 SGG) - zufällig erst nach dem 31. Dezember 1974 bei einem SG anhängig gemachten Klagen an die ordentlichen Gerichte zu verweisen, obschon der angefochtene Ordnungsstrafbescheid auch in diesen Fällen schon vor dem 1. Januar 1975 nach § 151 AVG aF erlassen war. Eine solche Absicht hätte überdies im Wortlaut des Art. 318 Abs. 2 EGStGB keinerlei Ausdruck gefunden und wäre daher unbeachtlich.
Auch im vorliegenden Fall blieb mithin gemäß Art. 318 Abs. 2 aaO i. V. m. § 51 Abs. 1 SGG die Rechtswegzuständigkeit der Sozialgerichte erhalten. Das angefochtene Urteil ist hiernach auf die Revision der Beklagten aufzuheben. Da das SG - von seinem verfahrensrechtlichen Standpunkt aus zu Recht - keine tatsächlichen Feststellungen getroffen hat, die Grundlage einer Entscheidung in der Sache sein können, mußte der Senat den Rechtsstreit zu neuer Verhandlung und Entscheidung an dieses Gericht zurückverweisen (§ 170 Abs. 2 Satz 2 SGG).
Der Kostenausspruch bleibt der das Verfahren abschließenden Entscheidung vorbehalten.
Fundstellen