Leitsatz (redaktionell)
Beiträge, die nach AnVNG Art 2 § 44a (= ArVNG Art 2 § 46a) nachentrichtet sind, führen nicht zur Anrechnung von Ersatzzeiten.
Normenkette
ArVNG Art. 2 § 46a Abs. 3 Fassung: 1972-10-16; AnVNG Art. 2 § 44a Abs. 3 Fassung: 1972-10-16; AVG § 28 Abs. 2 S. 1 Fassung: 1957-02-23; RVO § 1251 Abs. 2 S. 1 Fassung: 1957-02-23; AVG § 9 Fassung: 1957-02-23; RVO § 1232 Fassung: 1957-02-23; AVG § 124 Abs. 4 Fassung: 1957-02-23; RVO § 1402 Abs. 4 Fassung: 1957-02-23
Verfahrensgang
SG Fulda (Entscheidung vom 24.10.1975; Aktenzeichen S 1a An 43/74) |
Tenor
Auf die Revision der Beklagten wird das Urteil des Sozialgerichts Fulda vom 24. Oktober 1975 aufgehoben. Die Klage gegen den Bescheid der Beklagten vom 21. März 1974 wird abgewiesen.
Außergerichtliche Kosten des Verfahrens sind nicht zu erstatten.
Tatbestand
Die Beteiligten streiten um die Frage, ob nach Art. 2 § 44 a des Angestelltenversicherungs-Neuregelungsgesetzes (AnVNG) nachentrichtete Beiträge eine Vorversicherung im Sinne des § 28 Abs. 2 Satz 1 des Angestelltenversicherungsgesetzes (AVG) mit der Folge begründen, daß ein Kriegsdienst (§ 28 Abs. 1 Nr. 1 aaO) als Ersatzzeit anzurechnen ist.
Der 1907 geborene Kläger, seit Mai 1934 Rechtsanwalt, war von Juli 1930 bis Januar 1934 versicherungsfrei als Referendar tätig. Er leistete später, von Februar 1940 bis Mai 1946, Kriegsdienst.
Im Jahre 1973 ließ die beklagte Bundesversicherungsanstalt für Angestellte (BfA) u. a. für die Referendarzeit des Klägers die Nachentrichtung von Beiträgen zur Angestelltenversicherung (AnV) nach Art. 2 § 44 a Abs. 3 AnVNG idF des Rentenreformgesetzes (RRG) vom 16. Oktober 1972 zu. Der Kläger entrichtete die Beiträge.
Mit dem Bescheid vom 21. März 1974 bewilligte die Beklagte dem Kläger ab 1. Februar 1973 Altersruhegeld, lehnte die rentensteigernde Anrechnung des Kriegsdienstes jedoch wegen mangelnder Vorversicherung ab.
Mit der hiergegen erhobenen Klage hatte der Kläger vor dem Sozialgericht (SG) Erfolg. In dem angefochtenen Urteil vom 24. Oktober 1974 hat das Gericht die Beklagte verurteilt, den Kriegsdienst des Klägers als Ersatzzeit anzurechnen. In der Begründung heißt es, es seien keine Gründe dafür ersichtlich, daß ein früher Versicherter bezüglich der Anerkennung einer Ersatzzeit günstiger behandelt werden könne als ein Versicherter, der im Wege der Nachversicherung Anschluß an die Solidarität der Versichertengemeinschaft gefunden hat.
Gegen dieses Urteil richtet sich die vom SG zugelassene Sprungrevision der Beklagten. Sie trägt vor, in einigen wenigen Vorschriften bestimme das Gesetz ausdrücklich, daß nachentrichtete Beiträge wie rechtzeitig entrichtete Beiträge zu behandeln seien. Daher verbiete sich der Schluß, das Gesetz messe nachentrichteten Beiträgen grundsätzlich die gleiche Bedeutung wie rechtzeitig entrichteten Beiträgen zu. Für das Erfordernis von vorher tatsächlich entrichteten Beiträgen spreche aber vor allem der mit der Anrechnung verfolgte Sinn und Zweck des § 28 Abs. 2 Satz 1 AVG. Ein Ausgleich dafür, daß der Versicherte auf Grund des Ersatzzeittatbestandes an der weiteren Beitragsentrichtung gehindert war, sei aber dann nicht gewährleistet, wenn die Anerkennung einer Ersatzzeit nicht mehr von der tatsächlichen Beitragsentrichtung in dem Zeitpunkt, für den die Rechtsfolgen gelten sollen, abhängig gemacht werde. Der Hinweis auf § 9 AVG gehe fehl.
Die Beklagte beantragt,
unter Aufhebung des angefochtenen Urteils die Klage abzuweisen.
Der Kläger beantragt,
die Revision der Beklagten kostenfällig zurückzuweisen.
Er ist der Auffassung, nirgends sei bestimmt, daß es sich bei der Nachversicherung für die Zeit einer wissenschaftlichen Ausbildung um freiwillige Beiträge handeln könne. Mithin gälten die allgemeinen Regeln. Danach stehe eine Nachversicherung grundsätzlich ordnungsgemäß geleisteten Pflichtversicherungsbeiträgen gleich. Die Entscheidung des Bundessozialgerichts (BSG) vom 25. Mai 1973 - 11 RA 236/72 - sei auf seinen Fall nicht anwendbar. Art. 2 § 44 a AnVNG habe lediglich von der zeitlichen Begrenzung der Beitragsentrichtung nach § 140 AVG befreit. Seine Beitragsnachzahlung für die Referendarzeit decke eine Pflichtversicherungszeit nach § 9 Abs. 1 und 2 AVG und sei daher wie eine solche zu behandeln.
Die Beteiligten haben sich mit einer Entscheidung ohne mündliche Verhandlung für einverstanden erklärt (§ 124 Abs. 2 des Sozialgerichtsgesetzes -- SGG).
Entscheidungsgründe
Die Sprungrevision der Beklagten ist zulässig und begründet.
Nach § 28 Abs. 2 Satz 1 AVG (= § 1251 Abs. 2 Satz 1 der Reichsversicherungsordnung -- RVO) kann ein vom Versicherten geleisteter Kriegsdienst (Abs. 1 Nr. 1 aaO) als Ersatzzeit u. a. nur angerechnet werden, "wenn eine Versicherung vorher bestanden hat". Nach den bindenden Feststellungen des SG hat der Kläger vor Aufnahme des Kriegsdienstes im Jahre 1940 keine Beiträge zur AnV entrichtet. Entgegen seiner und des SG Ansicht begründen die im Jahre 1973 für die Referendarzeit von 1930 bis 1934 nachentrichteten Beiträge keine Vorversicherung im Sinne des § 28 Abs. 2 Satz 1 AVG.
Der 11. Senat des BSG hat in einem Urteil vom 25. Mai 1973 (BSGE 36, 32, 34 = SozR Nr. 66 zu § 1251) bereits entschieden, daß eine solche Vorversicherung nur vorliege, wenn die Versicherung "tatsächlich" schon vor dem Ersatzzeittatbestand begonnen hatte, dessen Anrechnung als Ersatzzeit begehrt wird. Das BSG begründet dies mit der Überlegung, daß der Gesetzgeber generell nur dann vermute, daß der Ersatzzeittatbestand den Versicherten gehindert habe, Beiträge zur Rentenversicherung zu entrichten, wenn die Versicherung tatsächlich schon vorher begonnen wurde. Nur diese auf eine "tatsächlich vorherige Beitragsleistung" gegründete generelle Vermutung, daß der Versicherte bei Fehlen eines Ersatzzeittatbestandes die Beitragsleistung fortgeführt haben würde, rechtfertige aber die Anrechnung eines in § 28 Abs 1 genannten Tatbestandes als Ersatzzeit. Anderes könne deshalb nur dann gelten, wenn eine besondere Vorschrift nachentrichteten Beiträgen ausdrücklich die Wirkung von vorher tatsächlich entrichteten Beiträgen verleihe. Der erkennende Senat hat diese Rechtsprechung des 11. Senats im Urteil vom 31. März 1976 (SozR 2200 § 1251 Nr 20) weitergeführt und entschieden, daß für Zeiten vor der Ersatzzeit nachentrichtete Beiträge nur dann als vorhergehende Versicherungszeit im Sinne des § 28 Abs 2 Satz 1 AVG gelten könnten, "wenn ihnen das Gesetz ausdrücklich die Eigenschaft rechtzeitig entrichteter Beiträge zugesteht". Der Senat hat hierbei insbesondere darauf hingewiesen, daß eine Anzahl solcher Vorschriften mit Ausnahme-Charakter tatsächlich bestehe.
Nun bestreitet der Kläger selbst aber nicht, daß für nach Art 2 § 44 a Abs 3 AnVNG (= Art 2 § 46 Abs 3 des Arbeiterrentenversicherungs-Neuregelungsgesetzes -- ArVNG) nachentrichtete Beiträge keine solche Ausnahmevorschrift besteht.
Seine Argumentation, eine solche Vorschrift bestehe aber mit § 124 Abs 4 AVG (= § 1402 Abs 4 RVO) für den Personenkreis des § 9 AVG, der sich im wesentlichen mit den Nachversicherungsberechtigten nach Art 2 § 44 a Abs 3 AnVNG decke, kann nicht gefolgt werden. Es kommt nicht darauf an, daß die Personenkreise nach § 9 und Art 2 § 44 a Abs 3 AnVNG einander in etwa entsprechen. Entscheidend ist vielmehr, daß die letztere Vorschrift erst im Jahre 1972 zu der erstgenannten Vorschrift hinzugetreten ist und in bezug auf die Beitragsnachentrichtung für ursprünglich nicht pflichtversicherte Personen eine weitere, zusätzliche Regelung getroffen hat. Die beiden Vorschriften regeln daher verschiedenartige Tatbestände, wobei die Tatsache, daß der Gesetzgeber zu Art 2 § 44 a ArVNG keine dem § 124 Abs 4 AVG entsprechende Vorschrift erlassen und hierauf auch nicht verwiesen hat, mit besonderem Gewicht gegen die Auffassung des Klägers spricht.
Auch die besondere Zweckbestimmung und die Eigenart der vom Kläger vorgenommenen Beitragsnachentrichtung lassen es nicht zu anzunehmen, sie habe eine Vorversicherung im Sinne des § 28 Abs 2 Satz 1 AVG begründet. Vielmehr treffen die oben dargestellten Überlegungen insbesondere des 11. Senats, aus denen dieser für die Anrechenbarkeit der Tatbestände des § 28 Abs 1 AVG als Ersatzzeiten eine "tatsächliche" Vorversicherung fordert, uneingeschränkt auch auf den vom Kläger geleisteten Kriegsdienst zu.
Hiernach war auf die Revision der Beklagten das Urteil des SG aufzuheben und die Klage gegen den Bescheid der Beklagten vom 21. März 1974 abzuweisen.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.
Fundstellen