Entscheidungsstichwort (Thema)

Zuständiger Unfallversicherungsträger. Feststellungsklage. notwendige Beiladung des Versicherten

 

Orientierungssatz

1. Bei der Klage gleichgeordneter Rechtsträger auf Feststellung, wer von ihnen der zuständige Versicherungsträger ist, handelt es sich um eine Feststellungsklage gemäß § 55 Abs 1 Nr 2 SGG. Das gilt insbesondere, aber nicht nur für Fälle der Zuwendung vorläufiger Leistungen gemäß § 1735 RVO und § 43 SGB 1 (vgl BSG vom 25.8.1961 - 2 RU 195/60 = BSGE 15, 52, BSG vom 13.12.1984 - 2 RU 47/84 -).

2. Beim Streit zwischen zwei Unfallversicherungsträgern, wer von ihnen der für die Entschädigung eines Unfalls zuständige Versicherungsträger ist, ist der Versicherte notwendig beizuladen.

 

Normenkette

SGG § 75 Abs 2 Alt 1; RVO § 1735; SGB 1 § 43; SGG § 55 Abs 1 Nr 2

 

Verfahrensgang

LSG Rheinland-Pfalz (Urteil vom 22.10.1986; Aktenzeichen L 3 U 206/85)

SG Koblenz (Entscheidung vom 17.09.1985; Aktenzeichen S 10 U 305/84)

 

Tatbestand

Der freiberuflich tätige Tierarzt Dr. H. war seit Sommer 1961 für das Veterinäramt des Kreises D. im Rahmen der Tuberkulinisierung der Rindviehbestände tätig, wodurch er sich eine Tuberkulose zuzog. Der Kläger gewährte ihm durch Bescheid vom 24. Juli 1968 wegen einer produktiv-cirrhotischen Lungentuberkulose beiderseits (Berufskrankheit nach Nr 38 der Anlage zur Sechsten Berufskrankheiten-Verordnung vom 28. April 1961 -BGBl I 505-), die er sich im Unternehmen Landratsamt D. zugezogen habe, Rente aus der gesetzlichen Unfallversicherung nach einer Minderung der Erwerbsfähigkeit (MdE) von 80 vH. Nachdem Dr. H. am 9. Jui 1982 an den Folgen der Berufskrankheit gestorben war, gewährt der Kläger dessen Witwe E. H. durch Bescheid vom 23. November 1982 als vorläufige Leistungen (§ 1735 Reichsversicherungsordnung -RVO-, § 43 des Sozialgesetzbuches, Allgemeiner Teil -SGB 1-) Witwenrente, Überbrückungshilfe und Sterbegeld. Der Kläger vertrat nunmehr die Auffassung, nicht er, sondern die Beklagte sei der zuständige Versicherungsträger. Die Beklagte hat ihre Zuständigkeit verneint.

Der freiberuflich tätige Tierarzt Dr. M. führte für das Veterinäramt des Kreises B.-P. Maul- und Klauenseucheimpfungen durch. Dabei wurde er am 14. Februar 1980 von einem Bullen angegriffen und verletzt. Der Kläger gewährte ihm durch Bescheid vom 21. August 1980 wegen der Unfallfolgen eine Gesamtvergütung für die Zeit vom 5. Mai 1980 bis 30. April 1981, der eine unfallbedingte MdE von 20 bzw 10 vH zugrunde lag. Der Kläger vertrat die Auffassung, nicht er, sondern die Beklagte sei der zuständige Versicherungsträger. Die Beklagte hat ihre Zuständigkeit verneint.

Der freiberuflich tätige Tierarzt Dr. A. führte ebenfalls für das Veterinäramt des Kreises B.-P. Maul- und Klauenseucheimpfungen durch. Dabei wurde er am 6. März 1982 von einem Bullen angegriffen und verletzt. Der Kläger gewährte ihm deswegen Heilbehandlung und Übergangsgeld. Die Beklagte hat ihre Zuständigkeit verneint.

Das Sozialgericht (SG) Koblenz hat die Klage des Klägers festzustellen, daß die Beklagte der zuständige Unfallversicherungsträger für die Erkrankung des Tierarztes Dr. H., den Unfall des Tierarztes Dr. M. sowie den Unfall des Tierarztes Dr. A. ist, und die Beklagte zu verurteilen, ihm die gewährten Leistungen zu ersetzen, abgewiesen (Urteil vom 17. September 1985). Die Tierärzte seien bei ihren Tätigkeiten für die Veterinärämter wie in einem Beschäftigungsverhältnis bei den Veterinärämtern stehende Versicherte tätig gewesen (§ 539 Abs 2 iVm Abs 1 Nr 1 RVO). Dafür sei der Kläger der zuständige Unfallversicherungsträger. Auf die Berufung des Klägers hat das Landessozialgericht (LSG) Rheinland-Pfalz das erstinstanzliche Urteil geändert und antragsgemäß festgestellt, daß die Beklagte der zuständige Unfallversicherungsträger für die Erkrankung bzw die Unfälle der drei Tierärzte sei (Urteil vom 22. Oktober 1986). Die Tierärzte seien bei ihren Tätigkeiten für die Veterinärämter im Rahmen ihrer nach § 539 Abs 1 Nr 7 RVO versicherten freiberuflichen Tätigkeit gegen Arbeitsunfall versichert gewesen. Zu den Tätigkeiten im Veterinärwesen gehöre auch die vorübergehende, veterinärpolizeiliche Staatsheilkunde; sie seien nicht auf die rein kurative Tiermedizin beschränkt. Die Tierärzte seien dabei nicht in einem wirtschaftlichen Abhängigkeitsverhältnis zu den Behörden tätig gewesen, sondern hätten eine Vergütung nach der Zahl der geimpften Tiere erhalten, womit alle Unkosten abgedeckt worden seien.

Auf die Nichtzulassungsbeschwerde der Beklagten hat das Bundessozialgericht (BSG) die Revision zugelassen (Beschluß vom 23. April 1987 - 2 BU 192/86 -).

Die Beklagte hat dieses Rechtsmittel eingelegt und wie folgt begründet: Sie sei in den Fällen der vorliegenden Art nicht für die an sich ihrem Versicherungsschutz unterstellten Tierärzte zuständig. Es gehöre nicht zu den allgemeinen, ständigen und regelmäßigen Aufgaben einer Tierarztpraxis, für behördliche Auftraggeber Tierseuchenmaßnahmen vorzunehmen oder sich durch Behörden zu solchen einsetzen zu lassen. Im vorliegenden Fall seien die drei Tierärzte im Rahmen der allgemeinen Tierseuchenbekämpfung von einer staatlichen Behörde, nämlich der örtlich zuständigen Kreisverwaltung, zu Tierseuchenbekämpfungsmaßnahmen herangezogen und damit in den Bereich und Betrieb derselben weisungsverpflichtet eingegliedert worden. Es erscheine sinnwidrig, den Versicherungsschutz dem für die Kreisverwaltung zuständigen Unfallversicherungsträger zu entziehen und ihn ihr zu überlassen, die für die normale Tierarztpraxis zuständig sei. Zudem sei sie der Ansicht, daß eine Entscheidung über die Zuständigkeit nicht ohne Beiladung der betreffenden Tierärzte erfolgen könne.

Die Beklagte beantragt, unter Aufhebung des Urteils des Landessozialgerichts Rheinland-Pfalz vom 22. Oktober 1986 die Berufung gegen das Urteil des Sozialgerichts Koblenz vom 17. September 1985 zurückzuweisen, hilfsweise, die Sache zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an die Vorinstanz zurückzuverweisen.

Der Kläger beantragt, die Revision zurückzuweisen.

Das LSG habe nach seiner Auffassung den Versicherungsschutz für Tierärzte, die zur staatlichen Tierseuchenbekämpfung mit Einzelverträgen herangezogen worden seien, zu Recht durch die Beklagte für gegeben erachtet.

 

Entscheidungsgründe

Die Revision der Beklagten ist zulässig und insofern begründet, als das angefochtene Urteil aufzuheben und die Sache zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an das LSG zurückzuverweisen ist.

Die Zurückverweisung ist geboten, weil gemäß § 75 Abs 2 Alternative 1 des Sozialgerichtsgesetzes (SGG) die Beiladung der Witwe E. H. sowie der Tierärzte Dr. M. und Dr. A. erforderlich war. Das Unterlassen einer notwendigen Beiladung nach § 75 Abs 2 Alternative 1 SGG ist - unabhängig von der hier vorliegenden Rüge der Beklagten - bei einer zulässigen Revision von Amts wegen als Verfahrensmangel zu beachten (BSG SozR 1500 § 75 Nr 1).

Nach § 75 Abs 2 Alternative 1 SGG sind Dritte beizuladen, wenn sie an dem streitigen Rechtsverhältnis derart beteiligt sind, daß die Entscheidung auch ihnen gegenüber nur einheitlich ergehen kann.

Bei der Klage gleichgeordneter Rechtsträger auf Feststellung, wer von ihnen der zuständige Versicherungsträger ist, handelt es sich um eine Feststellungsklage gemäß § 55 Abs 1 Nr 2 SGG. Das gilt insbesondere, aber nicht nur für Fälle der Zuwendung vorläufiger Leistungen gemäß § 1735 RVO und § 43 SGB 1 (vgl BSGE 15, 52; s auch BSG-Urteil vom 13. Dezember 1984 - 2 RU 47/84 -). An der von dem Kläger begehrten Feststellung, daß die Beklagte der für die Entschädigung der Witwe des Tierarztes Dr. H. sowie der Tierärzte Dr. M. und Dr. A. zuständige Unfallversicherungsträger ist - das ist das zwischen dem Kläger und der Beklagten streitige Rechtsverhältnis - sind die Witwe und die beiden Tierärzte derart beteiligt, daß die Feststellung auch ihnen gegenüber nur einheitlich ergehen kann.

Bezüglich der beiden Tierärzte Dr. M. und Dr. A., die - anders als die Witwe des Tierarztes Dr. H. - keine laufenden Leistungen beziehen, könnte auf eine Beiladung nur dann verzichtet werden, wenn der Kläger insoweit gegen die Beklagte lediglich Erstattungsansprüche hinsichtlich der ihnen in der Vergangenheit gewährten Leistungen (Dr. M.: 14.960,09 DM; Dr. A.: 7.385,18 DM) geltend machen würde. Eine erfolgreiche Leistungsklage hätte allerdings keine Rechtskraft bezüglich der Zuständigkeit der Beklagten wegen etwaiger künftiger Leistungen, falls solche überhaupt noch in Betracht kommen, was dem angefochtenen Urteil nicht zu entnehmen ist. Eine entsprechende Änderung der Klage - von der Feststellungsklage zur Leistungsklage - kann jedoch im Revisionsverfahren nicht erfolgen (§ 168 SGG), sondern erst nach Aufhebung des angefochtenen Urteils und Zurückverweisung der Sache an das LSG.

Eine Kostenentscheidung entfällt (§ 193 Abs 4 SGG).

 

Fundstellen

Dokument-Index HI1659001

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