Orientierungssatz
Geschäftsweg - gemischte Tätigkeit - Ausführen eines Wachhundes - haftungsbegründende Kausalität - Sturz durch Ausführen eines Hundes:
1. Stürzt eine Versicherte auf dem Weg zur Aufgabe von Geschäftspost durch die Mitnahme ihres Hundes, so ist es für die Beurteilung des Unfallversicherungsschutzes erheblich, ob das Ausführen des Hundes wesentlich allein ihrem eigenwirtschaftlichen Bereich zuzurechnen ist. In diesem Fall besteht selbst dann kein ursächlicher Zusammenhang zwischen der versicherten Tätigkeit der Versicherten und ihrem Unfall, wenn der Weg von dem Zweck bestimmt gewesen ist, die Geschäftsbriefe zur Post zu bringen, und nur gelegentlich dieser versicherten Tätigkeit der Hund ausgeführt wurde. Eine andere rechtliche Beurteilung ist jedoch geboten, wenn das Mitführen des Hundes nicht nur dem eigenwirtschaftlichen Bereich der Versicherten, sondern wesentlich auch ihrer versicherten Tätigkeit zuzurechnen ist.
2. Betriebsbedingte Gründe für das Mitführen eines Hundes auf Betriebswegen sind das Mitführen zum persönlichen Schutz zB bei der Aufgabe von Wertbriefen oder, wenn der Hund zur Bewachung des Betriebes eingesetzt wird, die Ermöglichung des Auslaufs gelegentlich des Betriebsweges
Normenkette
RVO § 539 Abs. 2, § 548 Abs. 1 S. 1
Verfahrensgang
LSG Niedersachsen (Entscheidung vom 29.10.1985; Aktenzeichen L 6 U 54/85) |
SG Osnabrück (Entscheidung vom 12.02.1985; Aktenzeichen S 5 U 133/84) |
Tatbestand
Die Klägerin war als Buchhalterin im Baugeschäft ihres Ehemannes beschäftigt. Am 22. April 1983 wollte sie Geschäftsbriefe zur Post bringen. Sie nahm ihren Hund mit. Als dieser an der Leine riß, stürzte die Klägerin und erlitt einen Trümmerbruch des rechten Oberarmkopfes.
Die Beklagte lehnte durch Bescheid vom 16. März 1984 Entschädigungsleistungen ab, da sie sich nicht davon überzeugen konnte, daß sich der Unfall auf einem Betriebsweg ereignet hatte. Zudem wäre der Unfall durch das Führen des Hundes verursacht worden.
Das Sozialgericht (SG) hat durch Urteil vom 12. Februar 1985 die Klage abgewiesen, da sich der Unfall durch das Ausführen des Hundes und nicht durch das Befördern der Briefe ereignet habe.
Das Landessozialgericht (LSG) hat das Urteil des SG und den Bescheid der Beklagten aufgehoben und festgestellt, daß die Gesundheitsstörung "Versteifung der rechten Schulter mit weitgehender Einschränkung der Schultergelenksbeweglichkeit" Folge des Arbeitsunfalls am 22. April 1983 gewesen sei (Urteil vom 29. Oktober 1985). Das LSG hat zur Begründung ua ausgeführt: Die Klägerin sei auf einem Betriebsweg gestürzt. Der ursächliche Zusammenhang zwischen der versicherten Tätigkeit und dem Sturz werde nicht dadurch infrage gestellt, daß der Sturz auf das Mitführen eines Hundes zurückzuführen sei. Es brauche nicht entschieden zu werden, ob es sich bei dem von der Klägerin und ihrem Ehemann gehaltenen Airedale-Terrier um einen für den Betrieb erforderlichen Wachhund gehandelt habe, da, auch wenn der Hund ausschließlich aus privaten Gründen gehalten würde, die Klägerin unter Versicherungsschutz gestanden hätte, denn dann hätte es sich um eine gemischte Tätigkeit gehandelt. An dem Sturz seien beide Tätigkeiten gleichwertig, die Besorgung der Geschäftspost und die Betreuung des Airedale-Terriers. Es habe auch kein Fall der selbstgeschaffenen Gefahr vorgelegen. In medizinischer Hinsicht sei der Sachverhalt aufgrund der von der Beklagten getroffenen Feststellungen und der vom Senat durchgeführten Ermittlungen geklärt.
Der Senat hat durch Beschluß vom 23. April 1987 (2 BU 94/86) die Revision zugelassen.
Die Beklagte hat dieses Rechtsmittel eingelegt und zur Begründung ua ausgeführt: Die Rechtsgrundsätze, welche das Bundessozialgericht (BSG) in seinem Urteil vom 27. Juni 1969 (BSGE 30, 14) aufgestellt habe, seien uneingeschränkt auf den vorliegenden Fall anzuwenden. Bereits aus den eigenen Angaben der Klägerin ergebe sich, daß für die Mitnahme des Hundes keinerlei betriebliche Interessen maßgebend gewesen seien. Den Weg zur Post hätte die Klägerin, wie an jedem Tage die Büroangestellte, ohne den Schutz des Hundes zurücklegen können. Der Hund hätte auch nicht ausgeführt zu werden brauchen, denn das hätte regelmäßig morgens und abends ihr Ehemann besorgt. Aus diesen Gründen habe das LSG zu Recht die Frage offengelassen, ob es sich bei dem Airedale-Terrier um einen Wachhund gehandelt habe. Soweit das LSG jedoch weiter gefolgert habe, daß die Klägerin auch dann unter Versicherungsschutz gestanden habe, wenn der Hund ausschließlich aus privaten Gründen gehalten werde, so sei dies unvereinbar mit der Rechtsprechung des BSG. Die Klägerin habe sich durch das Anleinen und die Mitnahme des Hundes einer Gefahr ausgesetzt, die ihr ohne dieses freiwillige Zutun auf dem Weg zum Postkasten nicht zugestoßen wäre. Die daraus entstandene Verletzungsgefahr habe im Verhältnis zu den Gefahren, mit denen auf dem vorgesehenen Weg hätte gerechnet werden können, ein zusätzliches Risiko dargestellt.
Die Beklagte beantragt, das Urteil des Landessozialgerichts Niedersachsen vom 29. Oktober 1985 aufzuheben und die Berufung der Klägerin gegen das Urteil des Sozialgerichts Osnabrück vom 12. Februar 1985 zurückzuweisen.
Die Klägerin beantragt, die Revision zurückzuweisen.
Sie hält das angefochtene Urteil für zutreffend. Die Auffassung der Revision finde in dem Urteil des BSG vom 27. Juni 1969 keine Stütze, da in dem damaligen Fall die Unfallverletzte anläßlich eines Heimweges einen fremden Hund von einer anderen Person übernommen hatte, um ihn eine gewisse Zeit festzuhalten. Im vorliegenden Fall habe sie - die Klägerin - jedoch den eigenen Hund noch auf dem Betriebsgrundstück an die Leine genommen und sei noch auf diesem Grundstück verunglückt. Sie hätte sonst das Risiko eingehen müssen, daß ihr der Hund nachgelaufen wäre. Der Hund hätte nicht nur morgens und abends ausgeführt werden müssen. Jedenfalls seien betriebsfremde Motive für die Mitnahme des Hundes nicht maßgebend gewesen.
Die Beteiligten haben sich mit einer Entscheidung durch Urteil ohne mündliche Verhandlung einverstanden erklärt (§ 124 Abs 2 des Sozialgerichtsgesetzes -SGG-).
Entscheidungsgründe
Die Revision ist insoweit begründet, als das angefochtene Urteil aufzuheben und die Sache zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an das LSG zurückzuverweisen ist.
Nach den mit begründeten Verfahrensrügen nicht angegriffenen tatsächlichen Feststellungen des LSG hat sich die Klägerin im Unfallzeitpunkt auf einem mit ihrer versicherten Tätigkeit in der Firma ihres Ehemannes im inneren Zusammenhang stehenden Betriebsweg befunden, um Geschäftsbriefe zur Post zu bringen. Die Klägerin hat dabei nach § 539 Abs 1 Nr 1 iVm § 548 Abs 1 Satz 1 der Reichsversicherungsordnung (RVO) unter Versicherungsschutz gestanden.
Dem Versicherungsschutz auf diesem Wege hat nicht entgegengestanden, daß der Weg zugleich hat dazu dienen sollen, den Hund der Klägerin und ihres Ehemannes auszuführen; denn der Weg ist jedenfalls wesentlich - hier sogar in erster Linie - zu dem Zweck angetreten worden, die Geschäftspost aufzugeben. Das Zurücklegen des Weges selbst war von dem Mitnehmen des Hundes auf diesem Wege nicht zu trennen, so daß insoweit selbst dann, wenn das Halten des Hundes nicht wenigstens wesentlich auch betrieblichen Zwecken gedient hat, die Klägerin eine sogenannte gemischte Tätigkeit ausgeübt und dabei unter Versicherungsschutz gestanden hat (Brackmann, Handbuch der Sozialversicherung, 10. Aufl, S 480r). Nur insoweit allerdings ist es in Übereinstimmung mit dem LSG unfallversicherungsrechtlich unerheblich, ob der Hund als Wachhund wesentlich betrieblichen Zwecken gedient hat.
Dagegen ist diese Frage für die Entscheidung erheblich, ob der Unfall der Klägerin im ursächlichen Zusammenhang mit der versicherten Tätigkeit in dem Betrieb ihres Ehemannes steht.
Ist das Ausführen des Hundes wesentlich allein dem eigenwirtschaftlichen Bereich der Klägerin zuzurechnen, so besteht selbst dann kein ursächlicher Zusammenhang zwischen der versicherten Tätigkeit der Klägerin und ihrem Unfall, wenn der Weg der Klägerin von dem Zweck bestimmt gewesen ist, die Geschäftsbriefe zur Post zu bringen, und nur gelegentlich dieser versicherten Tätigkeit der Hund ausgeführt wurde. Entscheidend ist dann, daß die Gefahr, der die Klägerin erlegen ist, ausschließlich in dem eigenwirtschaftlichen Bereich entstanden ist. Dieser Gefahr wäre sie bei der Aufgabe der Geschäftspost ohne die Mitnahme des Hundes nicht begegnet. Ein ursächlicher Zusammenhang zwischen der versicherten Tätigkeit und dem Unfall durch das Ausführen des Hundes besteht dann nicht. Dies ist nicht nur dem Urteil des Senats vom 22. Juni 1969 (BSGE 30, 14, 16), worauf die Revision zutreffend hinweist, sondern auch der Entscheidung des Senats vom 26. Januar 1978 (SozR 2200 § 550 Nr 37) zu entnehmen. Beiden Entscheidungen des Senats hat ein Sachverhalt zugrunde gelegen, in dem das Zurücklegen des Weges wesentlich dem betrieblichen Bereich zugeordneten Zwecken zu dienen bestimmt war. Der Senat hat in seinem Urteil vom 26. Januar 1978 (aaO) ua ausgeführt, die Grenze, jenseits der aber auch in derartigen Fällen der Schutz der gesetzlichen Unfallversicherung nicht mehr besteht, ist ua dort zu ziehen, wo das Zurücklegen des Weges den Unfall nicht wesentlich mitbedingt hat, sondern nur als Gelegenheitsursache anzusehen ist. Das Unfallgeschehen ist - so hat der Senat in dieser Entscheidung ausgeführt - nach den tatsächlichen Feststellungen des LSG dadurch gekennzeichnet, daß der Verletzte einer ausschließlich in seiner privaten Sphäre entstandenen Gefahr erlegen ist, ohne daß Umstände, die mit der Zurücklegung des Weges aus betrieblichen Gründen zusammenhängen, wirksam geworden sind. Dies trifft auch auf den vorliegenden Fall zu, wenn man das Ausführen des Hundes dem eigenwirtschaftlichen Bereich der Klägerin zurechnet; sie ist dann einer mit diesem Bereich zusammenhängenden Gefahr erlegen, die ihr bei der Aufgabe der Geschäftspost ohne Mitnahme des Hundes nicht begegnet wäre.
Eine andere rechtliche Beurteilung ist jedoch geboten, wenn das Mitführen des Hundes nicht nur dem eigenwirtschaftlichen Bereich der Klägerin, sondern wesentlich auch ihrer versicherten Tätigkeit zuzurechnen ist. Das kann der Fall sein (s BSGE aaO), wenn die Klägerin den Hund zum persönlichen Schutz zB bei der Aufgabe von Wertbriefen mitgenommen hätte. Dafür sind zwar nach den tatsächlichen Feststellungen des LSG und auch nach dem bisherigen Vorbringen der Klägerin keine Anhaltspunkte ersichtlich. Das Mitführen des Hundes wäre aber entgegen der Auffassung der Revision auch dann der versicherten Tätigkeit der Klägerin zuzurechnen, wenn der Hund zwar nicht zum persönlichen Schutz der Klägerin mitgenommen worden ist, das Tier aber als Wachhund wesentlich dem Schutz der Betriebsgebäude oder von Betriebsräumen oder betrieblicher Gegenstände (zB größerer Geldbeträge) gedient hat und die Klägerin ihm einen Auslauf mit ihr hat ermöglichen wollen. Dabei kann es auch unfallversicherungsrechtlich keinen Unterschied machen, ob der Hund in der Regel morgens und abends von dem Ehemann der Klägerin ausgeführt worden ist. Zum Halten eines Wachhundes gehört es auch, zusätzliche Möglichkeiten des Auslaufes wahrzunehmen, um auch dadurch zugleich die erforderliche Verbindung zwischen Halter und Hund zu sichern.
Da es das LSG offengelassen hat, zu welchen Zwecken der Hund wesentlich gehalten worden ist und der Senat die hierfür erforderlichen tatsächlichen Feststellungen nicht selbst treffen darf, war der Rechtsstreit für die notwendigen Tatsachenfeststellungen und zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an das LSG zurückzuverweisen, das auch über die Kosten des Revisionsverfahrens zu entscheiden hat.
Fundstellen
RegNr, 17318 |
USK, 87144 (T) |
EzS, 40/425 (OT1) |