Leitsatz (amtlich)

Die Bundesregierung hat mit der Vorschrift der DV § 33 BVG § 16 Abs 2 S 2 vom 1961-01-11 die ihr in BVG § 51 Abs 9 nF erteilte Ermächtigung nicht überschritten. Die hier bestimmte Anrechnung nicht bezogener (fiktiver) Unterhaltsbeträge als sonstiges Einkommen der Elternrentenberechtigten wird durch die DV § 1 Abs 2 eingeschränkt. Diese Regelung verstößt nicht gegen GG Art 3, 20 oder 28.

 

Normenkette

BVG§33DV 1961 § 16 Abs. 2 S. 2 Fassung: 1961-01-11; BVG§33DV § 1 Abs. 2 Fassung: 1961-01-11; BVG § 51 Abs. 9 Fassung: 1964-02-21; GG Art. 3, 20, 28

 

Tenor

Auf die Sprungrevision des Beklagten wird das Urteil des Sozialgerichts Regensburg vom 3. Dezember 1963 aufgehoben.

Die Sache wird zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an das Sozialgericht zurückverwiesen.

 

Gründe

Mit Bescheid des Versorgungsamts vom 15. Dezember 1961 wurde die Elternrente der Kläger neu festgestellt, wobei nicht nur, wie früher, ein Unterhaltsbeitrag des Sohnes W von 10,- DM, sondern nun auch des Sohnes Karl von 25,- DM neben der Invalidenrente als sonstiges Einkommen berücksichtigt wurde. Hierdurch ermäßigte sich die Elternrente ab 1. Dezember 1961 von 90,- DM auf 87,- DM. Dabei wurden die Versorgungsbezüge vom 1. Juni 1960 bis 30. November 1961 endgültig und für die Zeit danach vorläufig festgestellt. Der Widerspruch blieb erfolglos. Im Klageverfahren stellte die Versorgungsbehörde mit Bescheid vom 14. Dezember 1962 die Elternrente für die Zeit vom 1. Dezember 1961 bis 30. Dezember 1962 endgültig fest und rechnete einen Unterhaltsbeitrag des Sohnes W nicht an. Mit Urteil vom 3. Dezember 1963 änderte das Sozialgericht (SG) die Bescheide vom 15. Dezember 1961, 14. Mai 1962 und 14. Dezember 1962 dahin ab, daß der Beklagte den Klägern ab 1. Juni 1960 Elternrente ohne Anrechnung von Unterstützungsleistungen der Söhne W und K zu gewähren hat. Die Berufung wurde zugelassen. Das SG hielt § 16 Abs. 2 Satz 2 der Verordnung zur Durchführung des § 33 BVG vom 11. Januar 1961 (BGBl I 19) - DVO - für nichtig, weil diese Vorschrift ihrem Inhalt nach über die in § 51 Abs. 9 Buchst. a des Bundesversorgungsgesetzes (BVG) enthaltene Ermächtigung hinausgehe. Hiernach könne die Bundesregierung näher bestimmen, was als Einkommen gilt. Wenn § 16 Abs. 2 DVO bestimme, daß als Einkommen der Eltern nicht nur die Leistungen auf Grund bürgerlich-rechtlicher Unterhaltsansprüche, sondern auch die fiktiven, tatsächlich nicht erbrachten Leistungen zu berücksichtigen sind, so werde damit der Begriff des Einkommens in unzulässiger Weise ausgeweitet. Ansprüche auf Unterhaltsleistungen würden weder steuerrechtlich noch bisher versorgungsrechtlich als Einkommen angesehen. Nicht erbrachte Unterhaltsleistungen könnten begrifflich nicht als Einkommen auf die Elternrente angerechnet werden. Die in § 51 Abs. 9 BVG nF erteilte Ausnahmeermächtigung, die grundsätzlich eng auszulegen sei, enthalte keinen Hinweis, daß der Gesetzgeber der Bundesregierung das Recht eingeräumt hätte, bloße Unterhaltsansprüche als Einkommen zu behandeln. Die Ermächtigung gehe im Gegenteil dahin, daß bestimmte Einkünfte unberücksichtigt bleiben könnten. Auch sei im BVG von Anfang an bis heute keine gesetzliche Bestimmung enthalten, die die Anrechnung von fiktivem Einkommen zulasse. Außerdem verstoße § 16 Abs. 2 Satz 2 der DVO gegen die zwingenden Normen der Artikel 20 und 28 des Grundgesetzes (GG). Hiernach seien Gesetze, insbesondere versorgungsrechtliche Bestimmungen nach sozialstaatlichen Grundsätzen auszulegen. Die sonach gebotene Interessenabwägung (vgl. auch Entsch. des Reichsversorgungsgerichts - RVG - vom 25.9.1925) müsse berücksichtigen, daß der Anspruch auf Elternrente mehr sei als ein Unterhaltsanspruch, denn die Eltern sollten auch eine Entschädigung dafür erhalten, daß sie ihren Ernährer der Allgemeinheit aufgeopfert haben. Der Staat sei ihnen gegenüber in einem höheren Umfange verpflichtet, als etwa gegenüber einem nach dem Bundessozialhilfegesetz (BSHG) Berechtigten. Die Elternrenten-Berechtigten seien nach der fraglichen DVO-Bestimmung erheblich schlechter gestellt als die Sozialhilfe-Empfänger nach den §§ 1, 2, 4 BSHG. Letzteren werde grundsätzlich nichts angerechnet, was ihnen nicht tatsächlich zufließe. Sie würden nicht gezwungen, eine Leistung von Unterhaltsverpflichteten zwangsweise beizutreiben. Das gleiche gelte für das Lastenausgleichsgesetz - LAG - (§ 267 Abs. 2 Nr. 1 LAG). § 16 Abs. 2 Satz 2 der DVO verstoße daher gegen das Sozialstaatsprinzip der Art. 20 und 28 GG und sei deshalb nichtig. Ein Verstoß gegen Art. 3 GG liege darin, daß nur bei den Elternrenten-Berechtigten, nicht aber bei den anderen Hinterbliebenen und Ausgleichsrenten-Empfängern fiktive Unterhaltsleistungen als Einkommen angerechnet würden, obwohl sich alle Ansprüche der Versorgungsberechtigten einheitlich aus einer "Mischung von Aufopferungs- und Fürsorgeprinzipien" ergäben. Die durch das 1. NOG geschaffene Verbesserung der Elternversorgung dürfe durch eine nachträgliche Anrechnung von kaum durchsetzbaren Unterhaltsbeiträgen nicht gegenstandslos gemacht werden. Die Verwaltungsbehörde verstoße gegen Treu und Glauben, wenn sie jahrelang das Einkommen der noch lebenden Kinder nicht anrechne, später jedoch durch Einkommenskonstruktionen eine gesetzliche Rentenverbesserung zunichte mache.

Mit der Sprungrevision rügt der Beklagte Verletzung des § 16 Abs. 2 Satz 2 der DVO. Diese Vorschrift sei rechtswirksam, da der Begriff des Einkommens nicht in unzulässiger Weise ausgeweitet worden sei. Der steuerrechtliche, zu enge Einkommensbegriff könne hierbei nicht herangezogen werden. Die Ermächtigung zum Erlaß von Vorschriften sei zwar eng auszulegen, nicht jedoch der Begriff des Einkommens. Dieser könne nur dem Gesetz - hier § 51 Abs. 2 BVG - entnommen werden. Bei der vom SG zitierten Entscheidung des erkennenden Senats vom 7. September 1962 - 9 RV 250/59 - sei es nicht um "Unterhaltsansprüche" gegangen. Im Urteil vom 31. Januar 1963 - 9 RV 886/61 - habe der Senat entschieden, daß der bloße Unterhaltsanspruch unter Umständen Anrechnung finden könne. (Ebenso Urteil des Bundessozialgerichts - BSG - vom 19. Februar 1959 - 8 RV 875/57. -). Auch die Vorschrift des § 50 Abs. 2 und 3 BVG in der vor dem 1. NOG geltenden Fassung spreche von "Unterhaltsanspruch". Sonach zählten zum Begriff des Einkommens auch Unterhaltsansprüche. Die Vorschrift verstoße auch nicht gegen Art. 20 und 28 GG. Das SG wende sich im Grunde dagegen, daß Einkommen auf die Elternrente angerechnet werde; dies richte sich gegen § 51 BVG, also gegen das Gesetz, mit der Folge, daß Art. 100 GG beachtet werden müßte. Auch Art. 3 GG sei nicht verletzt. Im übrigen gelte auch für Schwerbeschädigte und Waisen Ähnliches hinsichtlich nicht bezogener Unterhaltsleistungen. Der Vorwurf, die Verwaltungsbehörde habe früher das Einkommen jahrelang nicht angerechnet, richte sich gegen die Behörde, nicht gegen die Rechtsgültigkeit der DVO. Abgesehen davon seien auch früher schon Unterhaltsansprüche angerechnet worden; so sei auch hier schon mit Bescheid vom 1. Oktober 1959, also vor dem 1. NOG, für den Sohn Walter ein Betrag von 10,- DM in Anrechnung gebracht worden.

Der Beklagte beantragt, das Urteil des SG aufzuheben und die Klage gegen die Bescheide abzuweisen, hilfsweise, die Sache an die Vorinstanz zurückzuverweisen. Die Kläger beantragen, die Sprungrevision als unbegründet zurückzuweisen. Das angefochtene Urteil sei nicht zu beanstanden.

Die Sprungrevision ist form- und fristgerecht eingelegt und begründet worden (§§ 161, 164, 166 des Sozialgerichtsgesetzes - SGG -). Sie ist im Sinne einer Zurückverweisung des Rechtsstreits an das SG sachlich begründet (§ 162 Abs. 2 SGG).

§ 51 Abs. 9 BVG in der Fassung des 1. NOG - nF - ermächtigt die Bundesregierung, mit Zustimmung des Bundesrats durch Rechtsverordnung näher zu bestimmen, a) was als Einkommen gilt und welche Einkünfte bei der Feststellung der Elternrente oder Elternbeihilfe unberücksichtigt bleiben, b) wie das Nettoeinkommen zu ermitteln ist. Eine ähnliche Ermächtigung enthalten auch die §§ 33 Abs. 5 u. 47 Abs. 4 BVG nF sowie durch Verweisung auf § 33 BVG die Vorschrift des § 41 Abs. 4. Demgemäß hat die Bundesregierung die DVO erlassen, die durch die Verordnung zur Änderung und Ergänzung der DVO vom 13. November 1961 (BGBl I 1925) geringfügig geändert wurde. Wenn hier in § 16 Abs. 2 bestimmt ist, daß bei bürgerlich-rechtlichen Unterhaltsansprüchen "der Betrag anzusetzen (ist), den der Verpflichtete zu leisten imstande ist, auch wenn die tatsächliche Leistung diesen Betrag nicht erreicht", so hat die Bundesregierung damit die in § 51 Abs. 9 BVG nF enthaltene Ermächtigung nicht überschritten.

Nach Art. 80 Abs. 1 Satz 2 GG müssen Inhalt, Zweck und Ausmaß der Ermächtigung im Gesetz bestimmt werden. Der Inhalt der Ermächtigung ist in der Vorschrift des § 51 Abs. 9 BVG festgelegt, wonach die Bundesregierung u. a. bestimmen kann, "was als Einkommen gilt". Zweck und Ausmaß dieser Ermächtigung ergeben sich eindeutig aus dem in § 51 Abs. 2 BVG gesetzlich bestimmten Erfordernis, das nach Abzug der absetzbaren Ausgaben verbleibende Einkommen in dem hier ziffernmäßig bestimmten Umfange auf die Elternrente anzurechnen. An der nach Art. 80 Abs. 1 Satz 2 GG erforderlichen Bestimmtheit würde es fehlen, wenn nicht mehr vorausgesehen werden könnte, in welchem Fall und mit welcher Tendenz von der Ermächtigung Gebrauch gemacht wird und welchen Inhalt die auf Grund der Ermächtigung erlassenen Vorschriften haben können (vgl. BVerfG 1, 14, 60; 2, 307, 334; 4, 7, 21; 5, 71, 76; Entsch. des BSG vom 27.11.1962 - 11 RV 888/61 -). Eine solche Besorgnis ist jedoch durch die zwar weiter aber ausreichend bestimmte Fassung der Ermächtigung nicht begründet; der Inhalt der von der Bundesregierung erlassenen DVO hält sich im Rahmen der Ermächtigung. Insbesondere hat § 16 Abs. 2 Satz 2 der DVO nicht, wie das SG meint, den Begriff des Einkommens in unzulässiger Weise ausgeweitet.

Daß im Recht der Kriegsopferversorgung (KOV) als Einkommen auch Unterhaltsansprüche in Betracht kommen, war schon z. Z. des Reichsversorgungsgesetzes geltendes Recht. So heißt es in der Entscheidung des RVG vom 7. Mai 1924 (RVGE 4, 89, 90), daß die Leistungen, die der Berechtigte auf Grund des gesetzlichen Unterhaltsanspruchs erhält, nach dem allgemeinen Sprachgebrauch und im Sinne der Steuergesetzgebung für ihn Einkommen sind, das den Anspruch auf Elternrente ausschließt, wenn es zur Bestreitung des Lebensunterhalts des Berechtigten ausreicht (vgl. auch RVGE 7, 307, 310, vorletzter Abs. und 5, 132). Der erkennende Senat hat bereits zu § 51 BVG aF ausgesprochen, daß zum Einkommen eines Elternteils auch der Geldeswert eines Unterhaltsanspruchs gegen den anderen Ehegatten gehört (BSG 4, 165). Das BVG selbst hat in der vor dem 1. NOG geltenden Fassung des § 44 Abs. 7 bestimmt, daß Unterhaltsansprüche geltend zu machen seien und die Leistungen auf die Witwenrente und Witwenbeihilfe anzurechnen sind. In seiner Entscheidung vom 31. Januar 1963 (BSG 18, 263) hat der erkennende Senat demgemäß Unterhaltsansprüche, die mit Aussicht auf Erfolg geltend gemacht werden können, für anrechenbar (auf Witwenbeihilfe) erklärt (vgl. zum gesetzlichen "Unterhaltsanspruch" der Waisen gegen die Mutter auch BSG 9, 158, 164; ferner BSG 4, 70, 73; 6, 125, 128). Schließlich hat das BSG auch ausgesprochen, daß Bezüge, die von einem Dritten als Unterhaltsleistungen gewährt werden, eigenes Einkommen des Unterhaltsberechtigten sind (vgl. Urt. des BSG vom 27.11.62 - 11 RV 888/61 - und andererseits BSG 9, 158). Somit waren auch schon vor dem Inkrafttreten des 1. NOG Unterhaltsansprüche dem Einkommen grundsätzlich gleichgestellt, insbesondere auch die Unterhaltsansprüche desjenigen, der Elternrente begehrte.

Ergibt sich sonach, daß bereits vor dem Inkrafttreten des 1. NOG im Recht der KOV als Einkommen auch "Unterhaltsansprüche" in Betracht kamen, so sind diese eingeschlossen in das, was im Sinne des § 51 Abs. 9 BVG "als Einkommen gilt" und hat die Bundesregierung ihre Ermächtigung zum Erlaß der Rechtsverordnung nicht überschritten, wenn sie in § 16 Abs. 2 Satz 1 DVO bestimmte, daß auch Unterhaltsansprüche Einkommen der Eltern sind. Das SG sieht allerdings nicht diesen, sondern den 2. Satz dieser Bestimmung als nichtig an.

Die Bundesregierung konnte hier jedoch im Rahmen der Ermächtigung auch bestimmen, daß bei bestehenden bürgerlich-rechtlichen Unterhaltsansprüchen der Betrag anzusetzen ist, den der Verpflichtete zu leisten imstande ist, auch wenn die tatsächliche Leistung diesen Betrag nicht erreicht. Damit ist noch kein "fiktives Einkommen" im eigentlichen Sinne für anrechenbar erklärt, wie z. B. bei Anrechnung von Ansprüchen, auf die bindend verzichtet wurde, sondern der Elternrentenberechtigte wird lediglich darauf verwiesen, einen tatsächlich bestehenden bürgerlich-rechtlichen Unterhaltsanspruch geltend zu machen, ehe er stattdessen Elternrente begehrt. Diese Regelung führt nur dann zur Anrechnung eines nicht bezogenen (fiktiven) Einkommens, wenn der Elternrenten-Berechtigte die ihm zustehenden gesetzlichen Unterhaltsleistungen nicht in Anspruch nimmt, obwohl diese mit Aussicht auf Erfolg geltend gemacht werden können (vgl. BSG 18, 264). Wie der erkennende Senat in BSG 18, 9 ausgesprochen hat, soll verhindert werden, daß das Fehlen einer tatsächlich vorhandenen Sicherstellung des Lebensunterhalts vorgetäuscht oder der Anschein einer in Wirklichkeit nicht vorhandenen Bedürftigkeit erweckt wird. Dem Gesetzgeber ist es nicht verwehrt, bei einer einkommensabhängigen Versorgungsleistung, wie sie die Elternrente darstellt, vom Anspruchsberechtigten zu verlangen, daß er die ihm sonst zur Verfügung stehenden Einkommensquellen, soweit zumutbar, nutzt. Damit trägt er der Notwendigkeit Rechnung, die für die Versorgung der Kriegsopfer zur Verfügung stehenden beschränkten Mittel in erster Linie denjenigen zugute kommen zu lassen, die auf die Hilfe des Staates besonders angewiesen sind (Amtliche Begründung zum BVG, Deutscher Bundestag, 1. Wahlperiode 1949, Drucks. Nr. 1333 S. 43; siehe auch BSG 2, 10, 19 und die oben zitierte BSG-Entscheidung vom 27.11.1962). Durch eine solche Regelung wird insbesondere auch der Grundsatz der Sozialstaatlichkeit (Art. 20 u. 28 GG) nicht verletzt, sondern ihm im Gegenteil Rechnung getragen (vgl. auch BSG 2, 18 ff). Wenn der erkennende Senat in BSG 18, 263, 264 ausgesprochen hat, daß es keinen allgemeinen Rechtssatz gebe, wonach der Versorgungsberechtigte jede denkbare Einkommensquelle auszuschöpfen habe, eine solche Verpflichtung vielmehr ausdrücklich im Gesetz festgelegt sein müsse, so ist damit jedenfalls für die Zeit ab 1. Juni 1960 nichts gegen die zumutbare Anrechnung durchsetzbarer gesetzlicher Unterhaltsansprüche gesagt, nachdem dem Erfordernis einer gesetzlichen Regelung durch den Erlaß einer entsprechenden Rechtsverordnung Rechnung getragen ist. Darüber hinaus hat das BSG schon in erweiternder Auslegung des § 68 Abs. 2 des Angestelltenversicherungsgesetzes, d. h. ohne eine ausdrückliche Grundlage durch Gesetz oder Rechtsverordnung, entschieden, daß sich die Witwe Unterhaltsansprüche anrechnen lassen muß, auf die sie verzichtet hat; die vom Gesetz gegebene Versorgungsgarantie entfalle, wenn - bzw. insoweit als - die Witwe selbst die Mindestversorgung vereitele, die ihr nach dem Gesetz zusteht (vgl. Urt. des BSG vom 2.9.1964 - 11/1 RA 189/61 -). Daß die Anrechnung nicht geltend gemachter Unterhaltsansprüche im Recht der KOV grundsätzlich nicht zu beanstanden ist bzw. nicht im Widerspruch zum Gesetz steht, hat der erkennende Senat für Unterhaltsansprüche der Witwe nach altem Recht (§ 44 Abs. 7 BVG aF) bereits ausgesprochen (BSG 18, 263, 264). Er hat in dieser Entscheidung auch für die Zeit ab 1. Juni 1960 entschieden, daß die Frage, ob sich die Witwe nach einem Unterhaltsverzicht einen "fiktiven Unterhaltsbeitrag" ihres früheren Ehemannes anrechnen lassen muß, nach § 14 Abs. 1 i. V. m. § 1 Abs. 2 der DVO zu beurteilen ist. Der Senat hat sonach in dieser DVO eine ausreichende Rechtsgrundlage für die Anrechnung nicht bezogener (fiktiver) Unterhaltsbeiträge erblickt. Was dort für die Witwenrente (§ 14 Abs. 1 der DVO) entschieden wurde, gilt im vorliegenden Fall auch für Elternrenten-Berechtigte nach § 1 Abs. 2 der DVO, denn § 16 Abs. 1 schreibt die entsprechende Anwendung des § 1 der DVO vor. Die vom SG beanstandete Bestimmung des § 16 Abs. 2 Satz 2 der DVO wird sonach - was das SG nicht beachtet hat - in ihrer Anwendung durch die für die Anrechnung nicht bezogenen (fiktiven) Einkommens maßgebende Grundvorschrift des § 1 Abs. 2 der DVO dahin eingeschränkt, daß Ansprüche auf Leistungen in Geld oder Geldeswert den Einkünften dann nicht gleichstehen, d. h. nicht als Einkommen anzurechnen sind, soweit sie nicht zu verwirklichen sind oder aus Unkenntnis oder aus einem verständigen Grund nicht geltend gemacht worden sind oder werden (§ 1 Abs. 2 Satz 1 der DVO). Durch diese wesentliche Einschränkung wird verhindert, daß nicht bezogenes (fiktives) Einkommen auch dann angerechnet wird, wenn dies mit dem Grundsatz von Treu und Glauben, der das Verhältnis des Bürgers zum Staat beherrscht (vgl. BSG 18, 264), in Widerspruch stünde. Nach alledem steht die vom SG beanstandete Bestimmung des § 16 Abs. 2 Satz 2 der DVO in Einklang mit den in der KOV geltenden und vom Senat bereits bestätigten Grundsätzen über die Anrechnung von nicht bezogenen (fiktiven) Unterhaltsbeträgen. Damit entfällt die Annahme, die Bundesregierung habe in der DVO den Begriff des Einkommens durch die vorgeschriebene Anrechnung fiktiven Einkommens in unzulässiger Weise ausgeweitet und die Vorschrift des § 16 Abs. 2 Satz 2 der DVO sei deshalb nichtig. Deren Regelung steht auch nicht in Widerspruch zu den Bestimmungen der §§ 4, 2 Abs. 1 Nr. 19 DVO. Wenn in § 2 Nr. 19 DVO bestimmt ist, daß Leistungen auf Grund von Unterhaltsansprüchen sowie freiwillige Unterhaltsleistungen bei Feststellung der Ausgleichsrente unberücksichtigt bleiben, so führt dies schon deshalb zu keinem abweichenden Ergebnis, weil die Anrechnung von solchen Unterhaltsleistungen hiernach nur dann entfällt, "soweit in dieser Verordnung nichts anderes bestimmt ist." Etwas Gegenteiliges bestimmt § 4 der DVO auch für Schwerbeschädigte.

Entspricht sonach - nicht nur bei der Elternrente - die Anrechnung nicht bezogener (fiktiver) Einkünfte nach Maßgabe der §§ 1 Abs. 2, 16 Abs. 1 und 2 der DVO den in der KOV geltenden Grundsätzen, so brauchte nicht näher darauf eingegangen zu werden, ob der Anspruch auf Elternrente seinem Wesen nach als Unterhalts- und Aufopferungsanspruch angesehen werden muß. Das SG kann sich für seine Rechtsauffassung auch nicht auf § 267 Abs. 2 Nr. 1 LAG beziehen, wo bestimmt ist, daß gesetzliche und freiwillige Unterhaltsleistungen von Verwandten nicht als Einkünfte anzusehen sind. Wenn hier der Gesetzgeber im Hinblick darauf, daß die Unterhaltshilfe nach dem LAG wegen Verlustes bzw. Schadens infolge Vertreibung oder Zerstörung usw. (§ 1 LAG) gewährt wird, Unterhaltsansprüche nicht anrechnen wollte, so kann dies für die Regelung im ganz anders gearteten Kriegsopferrecht nicht maßgebend sein. Auch der Hinweis des SG auf § 2 (Abs. 1) BSHG, wonach Sozialhilfe nicht erhält, wer die erforderliche Hilfe von anderen, besonders von Angehörigen "erhält", überzeugt nicht, denn er berücksichtigt nicht hinreichend, daß der Unterhaltsanspruch gegen einen Angehörigen gemäß §§ 90, 91 BSHG durch schriftliche Anzeige auf den Träger der Sozialhilfe übergeht. Der Sozialhilfeträger kann also die dem Bedürftigen nicht gewährten gesetzlichen Unterhaltsleistungen bis zur Höhe seiner Aufwendungen selbst in Anspruch nehmen, wodurch sich eine Anrechnung "fiktiven" Einkommens erübrigt. Der vom SG angenommene Verstoß gegen Art. 3 GG liegt schon deshalb nicht vor, weil die für die Anrechnung nicht bezogenen (fiktiven) Einkommens maßgebende Grundvorschrift des § 1 Abs. 2 der DVO nicht nur für Elternrenten-Berechtigte, sondern auch grundsätzlich für Schwerbeschädigte und Hinterbliebene gilt (vgl. §§ 1. 14 Abs. 1, 16 Abs. 1 der DVO). Wenn in § 16 Abs. 2 der DVO für Elternrenten-Berechtigte auf die Anrechnung bürgerlich-rechtlicher Unterhaltsansprüche daneben noch zusätzlich hingewiesen ist, so offenbar nur deshalb, weil die Abkömmlinge erfahrungsgemäß sehr häufig die ihnen gegenüber den Eltern gesetzlich auferlegte Unterhaltspflicht nicht erfüllen, sei es auch nur deshalb, weil die Eltern, die ein Leben lang selbst ihre Kinder unterhalten haben, diesen eine Unterhaltsleistung häufig nicht zumuten.

Die Erwägung des SG, die durch das 1. NOG geschaffene Verbesserung der Elternversorgung dürfe durch eine nachträgliche Anrechnung von kaum durchsetzbaren Unterhaltsbeiträgen nicht gegenstandslos gemacht werden, vermag - abgesehen davon, daß der Anrechnung von nicht durchsetzbaren Ansprüchen § 1 Abs. 2 DVO entgegensteht - gleichfalls die Nichtigkeit des § 16 Abs. 2 Satz 2 der DVO nicht darzutun. Auch mit dem Einwand des SG, die Verwaltungsbehörde verstoße gegen Treu und Glauben, wenn sie jahrelang das Einkommen der Kinder nicht ermittele und anrechne, später jedoch eine gesetzliche Rentenverbesserung hierdurch zunichte mache, wird die Nichtigkeit des § 16 Abs. 2 Satz 2 der DVO nicht bewiesen; vielmehr richtet sich dieses Vorbringen gegen das Verhalten der Versorgungsbehörde. Diese verstieß nicht gegen Treu und Glauben, wenn sie im vorliegenden Falle nach einer rechtswirksamen Rechtsverordnung verfahren ist. Schließlich kann auch der Hinweis des SG auf die Entscheidung des RVG vom 25. September 1925 (Bd. 5, 125 ff) zu keinem anderen Ergebnis führen, abgesehen davon, daß das RVGes . hier nicht anzuwenden ist. Zwar hat das RVG hier ausgeführt, der Unterhaltsanspruch als solcher könne "nicht schon" zum Einkommen gezählt werden. Das RVG hatte hier aber nicht zu prüfen, ob in den Fällen, in denen ein tatsächlich bestehender und auch zu verwirklichender Unterhaltsanspruch nicht geltend gemacht wird, dieser Anspruch als Einkommen angerechnet werden kann, sondern nur, ob sich der Elternrenten-Berechtigte den Zuschuß nach dem Pensionsergänzungsgesetz als Einkommen anrechnen lassen muß. Im übrigen gehören auch nach dieser Entscheidung alle auf Grund einer Unterhaltsverpflichtung empfangenen "oder mit Sicherheit zu erwartenden Beträge" zum Einkommen des nach § 45 RVG Elternrenten-Berechtigten (Bd. 5, 132).

Da das SG nach alledem zu Unrecht eine Nichtigkeit des § 16 Abs. 2 Satz 2 der DVO angenommen hat, ist die Revision des Beklagten begründet und war das Urteil, da es auf dieser Gesetzesverletzung beruht, aufzuheben.

Der Senat konnte nicht in der Sache selbst entscheiden. Wenn es auch - wie sich aus den obigen Ausführungen ergibt - rechtlich zulässig ist, unter Umständen geschuldete Unterhaltsbeiträge wie tatsächlich bezogenes Einkommen auf die Elternrente anzurechnen, so bedarf es doch in jedem Einzelfalle einer sorgfältigen Prüfung, ob und inwieweit die Kinder bei Berücksichtigung ihrer eigenen Bedürfnisse tatsächlich verpflichtet sind, Unterhalt zu leisten. Tatsächliche Feststellungen in dieser Hinsicht hat das SG - von seinem Rechtsstandpunkt aus zutreffend - nicht getroffen. Nach der Bestätigung der Stadtverwaltung vom 21. November 1960 sind die Kinder bis auf eines verheiratet und nicht in der Lage, die Eltern zu unterstützen; der Ledige befinde sich im Ausland. Der verheiratete Sohn K hat ein Darlehen mit monatlich 40,- DM abzuzahlen. Auch der Sohn W hat nach der Mitteilung der Kreissparkasse größere Zinsenlasten zu tragen und anscheinend auch Tilgungsbeträge zu leisten. Das SG wird sonach festzustellen haben, ob und inwieweit ein bürgerlich-rechtlicher Unterhaltsanspruch der Kläger gegen die Söhne W und K besteht, ferner ob die Ansprüche im Sinne des § 1 Abs. 2 der DVO zu verwirklichen sind oder aus einem verständigen Grund nicht geltend gemacht werden müssen. Zu diesem Zweck war die Sache an das SG zur erneuten Verhandlung und Entscheidung zurückzuverweisen.

Die Kostenentscheidung bleibt der das Verfahren abschließenden Entscheidung vorbehalten.

 

Fundstellen

Dokument-Index HI1917238

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