Leitsatz (amtlich)
Hat ein Versicherter vor Beginn von Rehabilitationsmaßnahmen Antrag auf Gewährung der Knappschaftsrente wegen Berufsunfähigkeit gestellt und wird ihm das vorgezogene Übergangsgeld bewilligt, so ist als Zeitpunkt der Zubilligung der Rente wegen Berufsunfähigkeit iS des RVO § 183 Abs 5 der Zeitpunkt anzusehen, von dem an die Rente ohne Durchführung der Rehabilitationsmaßnahmen nach RKG § 82 zu zahlen gewesen wäre.
Leitsatz (redaktionell)
Tritt das vorgezogene Übergangsgeld an die Stelle eines an sich bestehenden Anspruchs auf Rente wegen Berufsunfähigkeit, so gebietet es der Sinn des RVO § 183 Abs 5, für den Zeitpunkt der Zubilligung der Rente wegen Berufsunfähigkeit auf den Beginn des vorgezogenen Übergangsgeldes abzustellen, der mit dem regelmäßigen Rentenbeginn nach RVO § 1290 identisch ist. Anwendbarkeit oder Unanwendbarkeit des RVO § 183 Abs 5 kann nicht davon abhängig sein, daß der in RVO § 1290 geregelte Rentenbeginn gemäß RVO § § 1241, 1242 wegen der Zahlung des Übergangsgeldes hinausgeschoben wird. Die Interessenlage iS des RVO § 183 Abs 5 ist in diesen Fällen die gleiche, als ob Übergangsgeld nicht gezahlt worden wäre und die Rente schon zu dem in RVO § 1290 geregelten Zeitpunkt begonnen hätte. Die Zahlung eines Übergangsgeldes für die Zeit, für die normalerweise Rente zu zahlen gewesen wäre, kann den Versicherten hinsichtlich der Höhe des Krankengeldes nicht schlechter und auch nicht besser stellen, als wenn diese Maßnahmen nicht durchgeführt worden wären.
Normenkette
RVO § 183 Abs. 5 Fassung: 1961-07-12, § 1290 Fassung: 1957-02-23, § 1241 Fassung: 1957-02-23, § 1242 Fassung: 1957-02-23; RKG § 40 Abs. 1, § 82
Tenor
Die Revision der Beklagten gegen das Urteil des Landessozialgerichts Nordrhein-Westfalen vom 2. April 1968 wird zurückgewiesen.
Die Beklagte hat dem Kläger auch die außergerichtlichen Kosten des Revisionsverfahrens zu erstatten.
Gründe
I
Die Beteiligten streiten darüber, ob die Beklagte dem Kläger für die Zeit vom 31. Dezember 1963 bis zum 28. Juli 1964 zuviel Krankengeld gezahlt hat und daher den Betrag von 3.182,17 DM an der aufgelaufenen Knappschaftsrente wegen Berufsunfähigkeit einbehalten durfte.
Der Kläger war vom 19. Februar 1963 bis zum 11. März 1963 arbeitsunfähig krank und bezog von der Beklagten für die Zeit vom 20. Februar 1963 bis zum 11. März 1963 Krankengeld. Er erkrankte am 19. März 1963 erneut und erhielt für die Zeit vom 20. März 1963 an wiederum Krankengeld. Am 21. März 1963 beantragte er die Gewährung der Knappschaftsrente wegen Berufsunfähigkeit. Die Beklagte ließ den Kläger zunächst zur Besserung des Gesundheitszustandes stationär im Knappschaftskrankenhaus behandeln. Danach führte sie vom 20. November 1963 bis zum 30. Dezember 1963 in einer Asthmaklinik ein Heilverfahren zu Lasten der Rentenversicherung durch.
Die Beklagte nahm zunächst an, der Kläger sei vom 19. März 1963 an berufsunfähig; sie gewährte ihm mit Bescheid vom 6. Juli 1964 unter Anrechnung des gezahlten Krankengeldes das Übergangsgeld für die Zeit vom 1. März 1963 bis zum 30. Dezember 1963 und mit Bescheid vom 29. Juli 1964 die Knappschaftsrente wegen Berufsunfähigkeit vom 31. Dezember 1963 an. Den für die Zeit vom 31. Dezember 1963 bis zum 31. August 1964 aufgelaufenen Rentenbetrag behielt die Beklagte zunächst zur Befriedigung von Ersatzansprüchen ein. Am 30. September 1964 teilte die Beklagte dem Kläger mit, daß die einbehaltene Rentennachzahlung sich um das für die Zeit vom 31. Dezember 1963 bis zum 28. Juli 1964 gezahlte Krankengeld in Höhe von 3.182,17 DM vermindere und deshalb nur noch 1.029,30 DM ausgezahlt würden. Später - mit Bescheid vom 9. November 1966 - nahm die Beklagte an, Berufsunfähigkeit liege bereits seit dem 19. Februar 1963 vor, und zahlte daher das Übergangsgeld für die Zeit vom 1. Februar 1963 an.
Mit Schreiben vom 19. Oktober 1964 bat der Kläger um Überprüfung des Rentenbescheides und der Abrechnung vom 30. September 1964; er vertrat die Ansicht, die Rentennachzahlung sei in voller Höhe auszuzahlen. Die Beklagte sah dieses Schreiben als Widerspruch an, sie wies diesen am 8. April 1965 zurück.
Mit der Klageschrift begehrte der Kläger zunächst die Auszahlung der für die Zeit vom 31. Dezember 1963 bis zum 28. Juli 1964 einbehaltenen Rente. In der mündlichen Verhandlung beantragte er die Aufhebung der angefochtenen Bescheide und die Verurteilung der Beklagten, ihm Knappschaftsrente wegen Berufsunfähigkeit vom 1. März 1963 an nach Maßgabe der gesetzlichen Bestimmungen zu gewähren. Das Sozialgericht (SG) hat die Klage abgewiesen und die Berufung zugelassen. Das Landessozialgericht (LSG) hat auf die Berufung des Klägers das Urteil des SG abgeändert und die Beklagte unter teilweiser Aufhebung ihres Bescheides vom 14. April 1965 verurteilt, dem Kläger die einbehaltene Rentennachzahlung in Höhe von 3.182,17 DM auszuzahlen. Zur Begründung hat es im wesentlichen ausgeführt, Krankengeld und Knappschaftsrente wegen Berufsunfähigkeit hätten mit dem 31. Dezember 1963 begonnen. In einem solchen Falle sei § 183 Abs. 5 der Reichsversicherungsordnung (RVO) nicht anwendbar. Die Vorschrift setze voraus, daß das Krankengeld mindestens einen Tag eher begonnen habe als die Rente. Der Fall könne auch nicht so angesehen werden, als sei statt des Übergangsgeldes Krankengeld gezahlt worden.
Mit der vom LSG zugelassenen Revision rügt die Beklagte die unrichtige Anwendung des § 183 Abs. 5 RVO. Sie ist der Ansicht, das Übergangsgeld sei mit der Rente nicht vergleichbar. Zubilligung der Rente im Sinne des § 183 Abs. 5 RVO sei daher der sich aus § 41 des Reichsknappschaftsgesetzes (RKG) ergebende Tag des Beginns der Rentenzahlung, also der 31. Dezember 1963. Für den Beginn des Krankengeldes im Sinne des § 183 Abs. 5 RVO sei dagegen auf den 20. März 1963 abzustellen, weil der Anspruch entgegen der Formulierung des § 183 Abs. 6 RVO nicht entfalle, sondern vielmehr dem Grunde nach weiter bestehe. Das werde schon daran deutlich, daß die Krankenkasse von dem Versicherten nichts zurückfordern könne, wenn der Anspruch auf das Übergangsgeld die Höhe des Krankengeldes nicht erreiche, so daß die Ausgaben der Kasse nicht gedeckt würden. Auch die Gesetzesmaterialien ließen erkennen, daß nach Konzeption des Gesetzgebers Doppelleistungen ausgeschlossen sein sollten. Dies lasse sich jedoch nur erreichen, wenn der Anspruch auf Krankengeld dem Grunde nach fortbestehe; sonst müßte für die Zeit nach Beendigung der Heilmaßnahmen das Krankengeld in voller Höhe neben der Rente gezahlt werden, und zwar für die Höchstdauer von 78 Wochen. Für die von ihr vertretene Ansicht spreche auch, daß der Anspruch auf Krankengeld, der wegen einer Erwerbsunfähigkeitsrente auf Zeit ende, nach Wegfall der Rente wieder auflebe, weil er dem Grunde nach weiterbestanden habe.
Die Beklagte beantragt,
das angefochtene Urteil aufzuheben und die Berufung des Klägers gegen das Urteil des SG Dortmund vom 6. Dezember 1965 zurückzuweisen.
Der Kläger beantragt,
die Revision zurückzuweisen.
Er hält das angefochtene Urteil im Ergebnis und in der Begründung für richtig.
II
Die zulässige Revision der Beklagten ist nicht begründet. Das LSG hat die Beklagte im Ergebnis mit Recht verurteilt, dem Kläger auch die einbehaltene Rentennachzahlung von 3.182,17 DM auszuzahlen. Der Kläger hatte in der streitigen Zeit vom 31. Dezember 1963 bis zum 28. Juli 1964 neben dem Anspruch auf das volle Krankengeld auch einen Anspruch auf die Berufsunfähigkeitsrente.
Die Voraussetzungen des nach § 20 RKG anwendbaren § 183 Abs. 5 RVO sind nicht erfüllt. Dem Kläger ist die Knappschaftsrente wegen Berufsunfähigkeit nicht während des Bezuges von Krankengeld zugebilligt worden, sondern bereits früher. Zeitpunkt der Zubilligung der Rente ist nicht erst der Zeitpunkt des Erlasses des Rentenfeststellungsbescheides und auch nicht der Zeitpunkt des Eintritts des Versicherungsfalles, sondern im allgemeinen der Beginn der Rente, d. h. der Zeitpunkt, von dem an die Rente dem Versicherten zusteht (vgl. BSG Bd. 19 S. 28; Bd. 20 S. 135; Bd. 28 S. 117). Das ergibt sich aus dem Sinn dieser Vorschrift. Sie will einerseits verhindern, daß ein Versicherter neben der Knappschaftsrente wegen Berufsunfähigkeit das volle Krankengeld erhält, das sich aus seinem höheren, vor Eintritt der Berufsunfähigkeit bezogenen Arbeitsverdienst errechnet. Andererseits soll nach dieser Vorschrift derjenige Versicherte neben dem Anspruch auf die Knappschaftsrente wegen Berufsunfähigkeit einen Anspruch auf das volle Krankengeld haben, dessen Krankengeld geringer ist, weil es sich aus einem Entgelt errechnet, das der Versicherte im Zustand der Berufsunfähigkeit erzielt hat. Dieser im Gesetzeswortlaut hinreichend zum Ausdruck gekommene Wille des Gesetzgebers rechtfertigt es aber, in Fällen der vorliegenden Art nicht auf den durch die §§ 40 Abs. 1, 41 RKG hinausgeschobenen tatsächlichen Rentenbeginn abzustellen, sondern auf den in § 40 Abs. 1 Satz 2 RKG bezogenen Zeitpunkt, von dem an die Rente ohne Durchführung der Rehabilitationsmaßnahmen zu zahlen gewesen wäre, also auf den in § 82 RKG geregelten normalen Rentenbeginn. Das ist nämlich der Zeitpunkt, der auf den nach § 183 Abs. 5 RVO bedeutsamen Zustand der Berufsunfähigkeit Rücksicht nimmt, während der nach den §§ 40 Abs. 1, 41 RKG hinausgeschobene Zeitpunkt des Rentenbeginns von dem Zeitpunkt des Eintritts der Berufsunfähigkeit unabhängig ist und von dem Versicherungsträger beeinflußt werden kann. Zwar hat es der Gesetzgeber in § 183 Abs. 5 RVO nicht auf den Eintritt des Versicherungsfalles, sondern auf den Rentenbeginn abgestellt. Der Gesetzgeber ist dabei aber davon ausgegangen, daß der regelmäßige Rentenbeginn, auf den § 40 Abs. 1 Satz 2 RKG Bezug nimmt, von dem Eintritt des Versicherungsfalles abhängig ist. Der Senat ist durch die zitierten Entscheidungen nicht gehindert, es für § 183 Abs. 5 RVO auf diesen Zeitpunkt abzustellen, denn die zitierten Entscheidungen haben nicht diese Frage entschieden, sondern lediglich, daß es weder auf den Zeitpunkt des Erlasses des Rentenbescheides noch auf den Eintritt des Versicherungsfalles, sondern auf den Rentenbeginn ankommt. Der erkennende Senat folgt den zitierten Entscheidungen darin, daß mit der Zubilligung der Rente wegen Berufsunfähigkeit der Zeitpunkt des Rentenbeginns gemeint ist. Jedoch ist entscheidend der Rentenbeginn, der sich aus § 82 RKG ergibt und nicht der nach den §§ 40 Abs. 1, 41 RKG hinausgeschobene Beginn der Rente. Das haben die zitierten Entscheidungen weder ausgeschlossen noch ausschließen wollen. Der entscheidende Zeitpunkt, von dem an die Knappschaftsrente wegen Berufsunfähigkeit ohne Durchführung der Rehabilitationsmaßnahmen nach § 82 RKG zu gewähren gewesen wäre, ist im vorliegenden Fall der 1. Februar 1963. Zwar hat der Kläger von diesem Zeitpunkt an nicht die Knappschaftsrente wegen Berufsunfähigkeit, sondern Übergangsgeld bezogen. Das vorgezogene Übergangsgeld tritt aber an die Stelle einer an sich zu zahlenden Rente wegen Berufsunfähigkeit. Wegen der engen Verknüpfung der Rente wegen Berufsunfähigkeit mit dem vorgezogenen Übergangsgeld können die Leistungsverpflichtungen für die genannten Renten und das an ihre Stelle tretende vorgezogene Übergangsgeld nur einheitlich beurteilt und gehandhabt werden (SozR Nr. 19 zu § 1241 RVO). Tritt das vorgezogene Übergangsgeld also an die Stelle eines an sich bestehenden Anspruchs auf Rente wegen Berufsunfähigkeit, so gebietet es der Sinn des § 183 Abs. 5 RVO, für den Zeitpunkt der Zubilligung der Rente wegen Berufsunfähigkeit auf den Beginn des vorgezogenen Übergangsgeldes abzustellen, der mit dem regelmäßigen Rentenbeginn des § 82 RKG identisch ist.
Dem Kläger ist danach also die Knappschaftsrente wegen Berufsunfähigkeit im Sinne des § 183 Abs. 5 RVO am 1. Februar 1963 zugebilligt worden. Zu diesem Zeitpunkt bezog der Kläger aber noch kein Krankengeld. Dabei kann man dahingestellt sein lassen, ob als Beginn des Krankengeldes der Zeitpunkt nach Wegfall des Übergangsgeldes, also der 31. Dezember 1963, oder aber - wie die Beklagte es will - der Zeitpunkt zu gelten hat, von dem an dem Kläger erstmalig das durch das Übergangsgeld abgelöste Krankengeld bewilligt worden ist, denn auch dieser Zeitpunkt liegt nach dem 1. Februar 1963. Ist dem Kläger danach die Knappschaftsrente wegen Berufsunfähigkeit nicht während des Bezuges von Krankengeld zugebilligt worden, so erlaubt § 183 Abs. 5 RVO es nicht, die Knappschaftsrente wegen Berufsunfähigkeit auf das Krankengeld anzurechnen. Der Kläger hat vielmehr neben dem Anspruch auf die Knappschaftsrente wegen Berufsunfähigkeit einen Anspruch auf das volle Krankengeld. Zwar führt auch diese Lösung zu dem vom Gesetzgeber nicht gewollten Ergebnis, daß der Kläger neben der Knappschaftsrente wegen Berufsunfähigkeit das volle Krankengeld erhält, das sich aus dem höheren Arbeitsentgelt errechnet, das der Kläger vor Eintritt der Berufsunfähigkeit erzielt hat. Das wäre aber auch dann nicht anders, wenn die Beklagte keine Heilmaßnahmen durchgeführt hätte und das Übergangsgeld nicht zu zahlen gewesen wäre. Das dem Sinn des Gesetzes nicht entsprechende Ergebnis resultiert daraus, daß die Rente nach der bis zum 31. Dezember 1967 geltenden Fassung des § 82 RKG vom Beginn des Monats an zu gewähren war, in dem ihre Voraussetzungen erfüllt sind. Das führte im allgemeinen dazu, daß bei gleichzeitigem Eintritt von Berufsunfähigkeit und Arbeitsunfähigkeit die Rente vor dem Krankengeld begann, so daß die Voraussetzungen des § 183 Abs. 5 RVO nicht vorlagen. Das hat sich seit dem 1. Januar 1968 geändert, weil die Rente nun mit Ablauf des Monats zu gewähren ist, in dem ihre Voraussetzungen erfüllt sind. Das führt im allgemeinen dazu, daß bei gleichzeitigem Eintritt von Berufsunfähigkeit und Arbeitsunfähigkeit das Krankengeld vor der Rente beginnt, so daß nach § 183 Abs. 5 RVO das Krankengeld um die Rente zu kürzen ist. Das Ergebnis - Anwendbarkeit oder Unanwendbarkeit des § 183 Abs. 5 RVO - kann sich nicht dadurch ändern, daß der in § 82 RKG geregelte Rentenbeginn gemäß §§ 40 Abs. 1, 41 RKG wegen der Durchführung von Rehabilitationsmaßnahmen und der Zahlung des Übergangsgeldes hinausgeschoben wird. Die Interessenlage im Sinne des § 183 Abs. 5 RVO ist in diesen Fällen die gleiche, als ob das Übergangsgeld nicht gezahlt worden wäre und die Rente schon zu dem in § 82 RKG geregelten Zeitpunkt begonnen hätte. Die Durchführung von Rehabilitationsmaßnahmen und die Zahlung des Übergangsgeldes für eine Zeit, für die normalerweise Rente zu zahlen gewesen wäre, kann den Versicherten hinsichtlich der Höhe des Krankengeldes nicht schlechter und auch nicht besser stellen, als wenn diese Maßnahmen nicht durchgeführt worden wären.
Hat die Beklagte dem Kläger aber nicht zuviel Krankengeld gezahlt, so war sie auch nicht berechtigt, einen Teil der Rentennachzahlung einzubehalten. Die im Ergebnis unbegründete Revision muß zurückgewiesen werden.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 des Sozialgerichtsgesetzes.
Fundstellen
Haufe-Index 1669603 |
BSGE, 186 |