Entscheidungsstichwort (Thema)
Rückforderung überzahlter Leistungen
Leitsatz (amtlich)
Der Senat hält an seiner Rechtsprechung fest (vergleiche BSG 1971-03-25 5 RKn 75/67 = SozR Nr 10 zu § 1288 RVO), daß die Erben eines Versicherten zur Fortsetzung des Verfahrens berufen sind, wenn der Versicherungsträger einen Rückerstattungsanspruch gegen den Versicherten vor dessen Tod durch Bescheid festgestellt hat.
Leitsatz (redaktionell)
1. Hat ein Rentenempfänger die Überzahlung seiner Rente vorsätzlich herbeigeführt oder grob fahrlässig verschuldet, so ist der Rentenversicherungsträger durch eigenes Verschulden nicht gehindert, die zu Unrecht erbrachte Leistung zurückzufordern, sofern auch die übrigen Voraussetzungen des RKG § 93 Abs 2 (AVG § 80 Abs 2, RVO § 1301) gegeben sind.
Nur bei einfacher Fahrlässigkeit kann ein schutzwürdiges Vertrauen des Rentenempfängers in die Rechtmäßigkeit der zuerkannten Leistung unterstellt werden.
Im Notfall wird man von einen Rentner erwarten können, daß er einen Rentenfeststellungsbescheid des Rentenversicherungsträgers nicht unbesehen hinnimmt, sondern ihn näher betrachtet und den Versicherungsträger auf offenbare, ohne schwierige Überlegungen für ihn erkennbare Unrichtigkeiten hinweist.
Eine bei Anwendung des RKG § 75 (AVG § 55, RVO § 1278) entstandene Überzahlung der Rente hat der Rentenempfänger deshalb grob fahrlässig verschuldet, wenn er den Rentenversicherungsträger nicht darauf hingewiesen hat, daß im Rentenbescheid der 10fache Beitrag des wirklichen Jahresarbeitsverdienstes der Unfallversicherung der Rentenberechnung zugrunde gelegt worden ist.
2. Bei Streitigkeiten wegen der Rückerstattung von zu Unrecht gezahlten Leistungen nach RKG § 93 Abs 2 (AVG § 80, RVO § 1301) richtet sich die Frage des Berufungsausschlusses nicht nach SGG § 146, sondern nach SGG § 149.
Normenkette
RKG § 88 Abs. 2 Fassung: 1957-05-21; RVO § 1288 Abs. 2 Fassung: 1957-02-23; RKG § 93 Abs. 2 S. 2 Fassung: 1965-06-09; AVG § 80 Abs. 2 S. 2 Fassung: 1965-06-09; RVO § 1301 S. 2 Fassung: 1965-06-09; AVG § 55 Fassung: 1965-06-09; SGG § 146 Fassung: 1958-06-25; RKG § 75 Fassung: 1965-06-09; RVO § 1278 Fassung: 1965-06-09; SGG § 149 Fassung: 1958-06-25
Tenor
Auf die Revision der Beklagten wird das Urteil des Landessozialgerichts Nordrhein-Westfalen vom 13. Mai 1969 aufgehoben.
Der Rechtsstreit wird zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an das Landessozialgericht zurückverwiesen.
Gründe
I
Die Beteiligten streiten darüber, ob der Beklagten ein Rückforderungsanspruch in Höhe von 4.349,80 DM zusteht. Die Klägerin ist die Witwe des während des Berufungsverfahrens am 14. August 1967 verstorbenen Versicherten A T. Sie setzt das durch den Tod des Versicherten unterbrochene Verfahren fort.
Der Ehemann der Klägerin bezog von der Bergbau-Berufsgenossenschaft (Bergbau-BG) zwei Unfallrenten von zusammen monatlich 303,50 DM, denen ein Jahresarbeitsverdienst (JAV) von 7.095,93 DM zugrundelag. Die Beklagte gewährte dem Versicherten mit Bescheid vom 17. Januar 1963 die Knappschaftsrente wegen Erwerbsunfähigkeit für die Zeit vom 1. Oktober 1962 an. Bei der Rentenberechnung trug der Sachbearbeiter versehentlich in die Unterlagen für die maschinelle Rentenberechnung den den Unfallrenten zugrunde liegenden JAV mit 70.959,30 DM ein. Dieser Irrtum führte dazu, daß die Knappschaftsrente wegen Erwerbsunfähigkeit vom Ruhen nach § 75 des Reichsknappschaftsgesetzes (RKG) freiblieb, da weder der irrtümlich mit monatlich 5.913,28 DM berechnete Höchstbetrag noch die persönliche Rentenbemessungsgrundlage von 6.588,37 DM von den Renten ohne Kinderzuschuß und Leistungszuschlag erreicht wurden. Die Beklagte errechnete die Knappschaftsrente wegen Erwerbsunfähigkeit mit monatlich 602,50 DM statt mit 341,30 DM. Am 18. Februar 1964 erhielt die Beklagte Kenntnis von der Erhöhung der Unfallrenten aufgrund des 6. Rentenanpassungsgesetzes (RAG). Sie bemerkte nun ihren Irrtum bei der Rentenberechnung und stellte die Gesamtleistung mit Bescheid vom 31. März 1964 unter Berücksichtigung des § 75 RKG vom 1. November 1962 an neu fest; sie errechnete für die Zeit vom 1. November 1962 bis zum 31. März 1964 eine Überzahlung von 4.349,80 DM, die sie von dem Ehemann der Klägerin zurückforderte, indem sie einmalig 79,80 DM und vom 1. Mai 1964 an laufend monatlich 70,- DM von der Knappschaftsrente einbehielt. Die Beklagte stellte mit Bescheid vom 28. April 1964 das Knappschaftsruhegeld für die Zeit vom 1. Mai 1964 an mit monatlich 381,70 DM fest. Die Nachzahlung in Höhe von 341,10 DM behielt die Beklagte ein; außerdem behielt sie monatlich 70,- DM von dem Ruhegeld ein. Der gegen die Rückforderung gerichtete Widerspruch blieb ohne Erfolg.
Das Sozialgericht (SG) hat die Klage nach Vernehmung der Zeugen H B und O H mit Urteil vom 8. Februar 1966 abgewiesen. Nach Einlegung der Berufung ist der Ehemann der Klägerin am 14. August 1967 gestorben, ohne ein Testament errichtet zu haben. Er hinterließ außer der Klägerin zwei volljährige Kinder. Die Klägerin hat das durch den Tod des Versicherten unterbrochene Verfahren aufgenommen.
Das Landessozialgericht (LSG) hat mit Urteil vom 13. Mai 1969 auf die Berufung der Klägerin den Widerspruchsbescheid und die Bescheide der Beklagten vom 31. März 1964 insoweit aufgehoben, als die Beklagte die dort festgestellte Rentenüberzahlung von 4.349,80 DM zurückverlangt. Das LSG hat angenommen, die Überzahlung beruhe nicht auf einem Versagen der maschinellen Berechnung, sondern auf einem Fehlverhalten von Bediensteten der Beklagten. Die Beklagte habe daher die Überzahlung in rechtlich wesentlichem Umfang verschuldet. Es komme nicht darauf an, ob der Versicherte die Unrichtigkeit des Bescheides erkannt habe oder habe erkennen müssen. Das Verschulden der Beklagten sei nur dann ohne Bedeutung, wenn der Versicherte an der Überzahlung schuldhaft in einem solchen Maße beteiligt gewesen sei, daß demgegenüber das schuldhafte Verhalten der Beklagten als unwesentlich angesehen werden müsse. Ein solcher Tatbestand liege nicht vor. Das Ergebnis der Beweisaufnahme könne allenfalls für eine gewisse Fahrlässigkeit des Versicherten sprechen. Doch auch bei Unterstellung einer solchen Fahrlässigkeit könne in der Unterlassung einer alsbaldigen Benachrichtigung der Beklagten kein so wesentlich einseitiges Verschulden des Versicherten erblickt werden, daß damit die in dem Verantwortungsbereich der Beklagten gelegenen Gründe für die Überzahlung außer Betracht bleiben dürften.
Die Beklagte macht mit der - vom LSG zugelassenen - Revision geltend, sie sei berechtigt, den überzahlten Betrag zurückzufordern. Zwar könne ein Verschulden ihrerseits an der Überzahlung nicht geleugnet werden. Dieses Verschulden sei aber ohne Bedeutung, da der Versicherte an der Entstehung der Überzahlung in einem solchen Maße schuldhaft beteiligt gewesen sei, daß demgegenüber das Verschulden der Beklagten als unwesentlich angesehen und demgemäß unberücksichtigt bleiben müsse. Hätte der Ehemann der Klägerin den Bescheid vom 17. Januar 1963 auch nur grob auf Fehler hin durchgesehen, so wäre ihm die darin enthaltene offenbare Unrichtigkeit aufgefallen. Er hätte sich zur Durchsicht des Bescheides umso mehr gedrängt fühlen müssen, als er schon bei der Antragstellung von dem Knappschaftsältesten darauf hingewiesen worden sei, daß er bei der Feststellung der Rente wegen Erwerbsunfähigkeit keine wesentlich höhere Leistung zu erwarten habe. Außerdem sei dem Versicherten nahegelegt worden, den Bescheid überprüfen zu lassen. Der Versicherte habe sich nicht über seine Bedenken gegen die Richtigkeit der Rentenberechnung hinwegsetzen dürfen, sondern sei als redlicher Versicherter verpflichtet gewesen, den Versicherungsträger auf die offenbare Unrichtigkeit hinzuweisen und ihm Gelegenheit zu geben, den fehlerhaften Bescheid zu berichtigen. Der Ehemann der Klägerin habe die Überzahlung bei sorgfältigem und redlichem Verhalten verhindern können. Er sei an ihrer Entstehung in einem Maße beteiligt gewesen, daß demgegenüber das Verschulden der Beklagten entscheidend zurücktrete. Bei der Verschuldensabwägung sei zu berücksichtigen, daß die Beklagte ihre Sorgfalt und Aufmerksamkeit auf eine Vielzahl von Fällen zu erstrecken habe, während der Versicherte sich jeweils nur seiner eigenen Angelegenheit widmen könne. Hinzu komme, daß die maschinelle Rentenberechnung Ende 1962 gerade erst eingeführt und daher noch nicht eingefahren gewesen sei. Außerdem sei die Ursache für die unrichtige Berechnung in der Vorbereitungszeit für das 5. RAG gesetzt worden. Das Verschulden der Beklagten sei also gering. Der Versicherte habe auch wissen müssen, daß ihm die Leistung nicht in der gezahlten Höhe zustand. Er habe die Unrichtigkeit bei der zu erwartenden Sorgfalt bemerken müssen und erkennen können, daß ihm die Rente nicht in der gezahlten Höhe zustand. Auch die wirtschaftlichen Verhältnisse des Versicherten im Zeitpunkt der letzten Verwaltungsentscheidung ständen der Rückforderung nicht entgegen, denn bei einem monatlichen Nettoeinkommen von 654,80 DM, das über der Pfändungsfreigrenze und dem Regelsatz der Sozialhilfe liege, sei der Unterhalt des Versicherten und der seiner Ehefrau hinreichend gesichert.
Die Beklagte beantragt,
das angefochtene Urteil aufzuheben und die Berufung der Klägerin gegen das Urteil des Sozialgerichts Dortmund vom 8. Februar 1966 zurückzuweisen.
Die Klägerin beantragt,
die Berufung der Beklagten gegen das Urteil des Landessozialgerichts Nordrhein-Westfalen vom 13. Mai 1969 zurückzuweisen.
Sie hält das angefochtene Urteil im Ergebnis und in der Begründung für richtig. Sie trägt zusätzlich vor, die unrichtige Auszahlung der höheren Rente durch die Beklagte sei allein auf deren Verschulden bei der Berechnung zurückzuführen. Von einem Verschulden des Versicherten könne nicht die Rede sein, denn er habe keine unrichtigen Angaben gemacht. Er habe auch nicht gewußt oder wissen müssen, daß ihm die Rente nicht in der gezahlten Höhe zustand, denn er habe die komplizierte Rentenberechnung nicht nachprüfen können. Wenn zwei Bedienstete der Beklagten, die ausgesprochene Fachleute seien, die Rente unrichtig berechneten, so könne die Beklagte von dem verstorbenen Versicherten nicht verlangen und nicht erwarten, daß er einen Fehler erkenne, den selbst der Prüfungsbeamte der Beklagten nicht bemerkt habe. Die Rentenhöhe, die nicht so außergewöhnlich hoch sei, habe dem Versicherten keine Veranlassung geben müssen, an der Richtigkeit des errechneten Betrages zu zweifeln. Im übrigen sei ein Verschulden des Versicherten auch unbeachtlich, denn nach § 93 RKG, der die Rückforderung abschließend regele, komme es allein auf das schuldhafte Verhalten der Beklagten und nicht auf ein schuldhaftes Verhalten des Leistungsempfängers an. Der § 254 des Bürgerlichen Gesetzbuches (BGB) sei nicht entsprechend anwendbar. Die Rückforderung sei auch wirtschaftlich nicht vertretbar, denn sowohl der Versicherte als auch die Klägerin seien auf das Renteneinkommen angewiesen, das lediglich zur Bestreitung des Unterhalts ausreiche. Die Pfändungsfreigrenze und der Richtsatz der Sozialhilfe seien keine Maßstäbe, an denen die wirtschaftliche Vertretbarkeit zu messen sei, denn weder der Versicherte noch seine Witwe brauchten sich auf diese Mindestsätze verweisen zu lassen.
II
Die zulässige Revision der Beklagten ist insofern begründet, als das angefochtene Urteil aufgehoben und der Rechtsstreit zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an das LSG zurückverwiesen wird. Die vom LSG festgestellten Tatsachen reichen für eine abschließende Entscheidung nicht aus.
Das LSG ist im Ergebnis zutreffend davon ausgegangen, daß die Klägerin berechtigt ist, das durch den Tod ihres Ehemannes unterbrochene Berufungsverfahren aufzunehmen und fortzusetzen. Da der Ehemann der Klägerin gestorben ist, ohne ein Testament errichtet zu haben, ist die gesetzliche Erbfolge eingetreten. Nach § 1931 BGB ist die Klägerin als Ehefrau des Versicherten neben dessen Kinder Miterbin geworden. Nicht der in § 88 RKG genannte Sonderrechtsnachfolger, sondern jeder Miterbe ist - auch allein - berechtigt, ein unterbrochenes Verfahren fortzusetzen, in dem es um die Aufhebung eines Verwaltungsaktes geht, der einen Rückforderungsanspruch des Versicherungsträgers gegen den Versicherten feststellt (vgl. SozR Nr. 10 zu § 1288 RVO). Die gegen diese Rechtsprechung in der Literatur vorgetragenen Bedenken (vgl. Tannen in DRV 1971 S. 314 f) sind unbegründet und geben keine Veranlassung, an der früheren Entscheidung nicht mehr festzuhalten. Zunächst einmal ist darauf hinzuweisen, daß § 88 RKG die Sonderrechtsnachfolge nur insoweit abweichend vom allgemeinen Erbrecht begründet, als es sich um einen Anspruch gegen den Versicherungsträger handelt. Aus dieser den Sonderrechtsnachfolger begünstigenden Norm kann nicht im Umkehrschluß abgeleitet werden, daß der Sonderrechtsnachfolger auch in die Verpflichtungen des Versicherten gegenüber dem Versicherungsträger eintritt. Zwar wird der Sonderrechtsnachfolger in vielen Fällen den vom Versicherungsträger zuviel gezahlten Betrag mit dem Versicherten gemeinsam verbraucht haben. Das muß aber keinesfalls so sein. Es ist durchaus denkbar, daß der Versicherte den zuviel gezahlten Betrag entweder allein oder gar nicht verbraucht hat, so daß er - im letzteren Fall - Bestandteil der Erbmasse geworden ist. In beiden Fällen wäre es unbillig, den Sonderrechtsnachfolger in die Rückzahlungsverpflichtung des Versicherten eintreten zu lassen. Dies gilt besonders dann, wenn er nicht Erbe ist, wenn ihm also etwaiges Vermögen des Erblassers, also auch die Ersparnisse, nicht zufließen. Dies wäre besonders unbillig, weil der Sonderrechtsnachfolger im Gegensatz zum Erben nicht die Möglichkeit hat, die Haftung entsprechend den §§ 1975 ff BGB zu beschränken. Es kann nicht der Wille des Gesetzgebers sein, den Sonderrechtsnachfolger in jedem Falle unbeschränkbar haften zu lassen. Der Senat hält deshalb an seiner Auffassung fest, daß jeder Miterbe allein berechtigt ist, ein unterbrochenes Verfahren fortzusetzen, in dem es um die Aufhebung eines Verwaltungsaktes geht, der einen Rückforderungsanspruch des Versicherungsträgers gegen den Versicherten feststellt.
Das LSG hat auch mit Recht angenommen, daß die Berufung statthaft ist. Gegenstand des Verfahrens ist nicht der Rentenanspruch für die Zeit vom 1. November 1962 bis zum 31. März 1964, denn der Neufeststellungsbescheid der Beklagten vom 31. März 1964 ist nicht angefochten worden, soweit er die Rentenfeststellung betrifft. Insoweit ist er vielmehr bindend. Gegenstand des Verfahrens ist der Bescheid der Beklagten nur insoweit, als er einen Rückforderungsanspruch des Beklagten feststellt. Es handelt sich hier, wenn auch der Anspruch des Versicherungsträgers auf Rückerstattung nicht Streitgegenstand ist, doch um eine Streitigkeit wegen Rückerstattung von Leistungen im Sinne des § 149 des Sozialgerichtsgesetzes (SGG), da es letztlich darum geht, ob der Rückerstattungsanspruch besteht. Es liegt also nicht der Berufungsausschließungstatbestand des § 146 SGG vor. Der Rückerstattungsanspruch des Versicherungsträgers gegen den Versicherten ist ein Anspruch auf eine einmalige Leistung. Die Rentenüberzahlung ist zwar der Grund für die Entstehung dieses Anspruchs, berührt aber seine Art und seinen Inhalt nicht; er hat rechtlich nichts mit dem Rentenanspruch des Versicherten gegen den Versicherungsträger zu tun. Die Frage des Berufungsausschlusses richtet sich daher nicht nach § 146 SGG, sondern ausschließlich nach der für Rückerstattungsansprüche erlassenen Sondervorschrift des § 149 SGG. Die Berufung ist deshalb bei Streitigkeiten wegen Rückerstattung von zu Unrecht gezahlten Leistungen nur dann ausgeschlossen, wenn der Beschwerdewert 500,- DM nicht übersteigt. Dieser Wert wird im vorliegenden Fall aber eindeutig überschritten.
Da der Bescheid vom 31. März 1964 nicht angefochten worden ist, soweit er die Rente für die Zeit vom 1. November 1962 bis zum 31. März 1964 neu und niedriger feststellt, steht bindend fest, daß der Versicherte den Betrag von 4. 349,80 DM zu Unrecht erhalten hat. Zu Unrecht erbrachte Leistungen darf der Versicherungsträger aber grundsätzlich zurückfordern. Wenn auch weder das RKG noch die sonstigen Sozialversicherungsgesetze eine den Rückforderungsanspruch ausdrücklich begründende Norm enthalten, so ergibt sich doch aus dem Gesamtzusammenhang des Gesetzes, insbesondere aus den §§ 90 und 93 Abs. 2 RKG mit genügender Deutlichkeit, daß der Gesetzgeber vom Bestehen eines Rückforderungsanspruches des Versicherungsträgers ausgeht und ihn als gegeben voraussetzt. Wenn dieser nach § 93 Abs. 2 RKG eine zu Unrecht erbrachte Leistung nicht zurückzufordern braucht, so setzt das notwendig voraus, daß er sie zurückfordern darf. Auch die in § 90 RKG für zulässig erklärte Aufrechnung ist nur denkbar, wenn ein Rückforderungsanspruch des Versicherungsträgers besteht. Es ist daher davon auszugehen, daß der Versicherungsträger grundsätzlich einen Anspruch auf Rückerstattung zu Unrecht gezahlter Leistungen hat (vgl. SozR Nr. 2 zu § 93 RKG).
Indessen besteht auch wegen zu Unrecht gezahlter Leistungen ein Rückforderungsanspruch nur unter den einschränkenden Voraussetzungen des § 93 Abs. 2 Satz 2 RKG. Danach darf der Versicherungsträger eine zu Unrecht erbrachte Leistung nur zurückfordern, wenn ihn "für die Überzahlung kein Verschulden trifft (1. Regelung), soweit der Leistungsempfänger bei Empfang wußte oder wissen mußte, daß ihm die Leistung nicht oder nicht in der gewährten Höhe zustand (2. Regelung), und soweit die Rückforderung wegen der wirtschaftlichen Verhältnisse des Empfängers vertretbar ist (3. Regelung)".
Im vorliegenden Fall trifft die Beklagte ein Verschulden daran, daß dem Versicherten für die Zeit vom 1. November 1962 bis zum 31. März 1964 eine zu hohe Rente gezahlt worden ist. Dieses Verschulden besteht darin, daß der Sachbearbeiter der Beklagten bei der ersten Feststellung der Knappschaftsrente wegen Erwerbsunfähigkeit in die Unterlagen für die maschinelle Rentenberechnung einen JAV von 70.939,30 DM statt von 7.095,93 DM eingetragen hat, obwohl er seinen Unterlagen den richtigen JAV hätte entnehmen können und müssen, zumal es offensichtlich ist, daß der Versicherte einen so hohen JAV nicht gehabt haben kann. Bei genügender Sorgfalt hätte der Sachbearbeiter der Beklagten diesen Fehler und die daraus resultierende unrichtige Berechnung der Knappschaftsrente vermeiden können. Das Verschulden ihres Bediensteten ist der Beklagten im Rahmen des § 93 Abs. 2 RKG zuzurechnen (vgl. SozR Nr. 3 zu § 93 RKG); auf den Grad des Verschuldens des Versicherungsträgers kommt es nicht an.
Indessen läßt sich im Rahmen der Prüfung eines Verschuldens an der Überzahlung nicht übersehen, daß auch den Versicherten ein Verschulden traf. Bei der ihm zuzumutenden Sorgfalt hätte dem Versicherten auffallen müssen, daß die Beklagte den JAV unrichtig eingesetzt hat. Er hat es entgegen der ihm aus dem Versicherungsverhältnis obliegenden Pflicht unterlassen, die Beklagte nach Erhalt des Rentenfeststellungsbescheides von dem ins Auge fallenden Fehler zu unterrichten.
Der Senat hat sich bereits früher im Zuge der Auslegung des § 93 Abs. 2 Satz 2 RKG mit der Frage befaßt, ob und welche rechtlichen Auswirkungen ein Mitverschulden des Leistungsempfängers auf den Rückforderungsanspruch hat (vgl. SozR Nr. 3 zu § 93 RKG). Es besteht im vorliegenden Fall Anlaß, diese Rechtsprechung fortzuentwickeln und zu ergänzen.
Die erste Regelung in § 93 Abs. 2 Satz 2 RKG, nach welcher der an der Überzahlung schuldige Versicherungsträger nicht zurückfordern darf, erfaßt sicher den Fall, daß der Versicherungsträger die unrechtmäßige Zahlung schuldhaft allein verursacht hat. Im Gesetz nicht erwähnt, jedoch stillschweigend mitgeregelt ist - u. a. - der Fall, daß der Rentenempfänger die Überzahlung allein verschuldet hat: In diesem Fall trifft den Versicherungsträger kein Verschulden, so daß dieser unter den weiteren Voraussetzungen der 2. und 3. Regelung aaO gegen den Empfänger einen Anspruch auf Rückerstattung hat. Keine ausdrückliche Bestimmung trifft § 93 Abs. 2 Satz 2 RKG dagegen für den - "dazwischen-liegenden" - Fall, daß sowohl Versicherungsträger als auch Rentenempfänger die Überzahlung durch ihr Tun oder pflichtwidriges Unterlassen schuldhaft herbeigeführt haben.
Zwar könnte der Wortlaut der ersten Regelung in § 93 Abs. 2 Satz 2 RKG so verstanden werden, daß selbst schon ein bloßes Mitverschulden des Versicherungsträgers neben dem Verschulden des Rentenempfängers die Rückforderung überzahlter Leistungen ausschlösse. Der wirkliche Regelungsinhalt der Vorschrift ist indessen enger. Wenngleich in der 1. Regelung aaO jeder Grad des Verschuldens des Versicherungsträgers zu berücksichtigen ist; so wird doch dort die Frage nicht beantwortet, was im Falle nur eines Mitverschuldens des Versicherungsträgers zu gelten habe. Abgesehen davon, daß der Gesetzgeber die Folgen schuldhaften Verhaltens nur eingleisig, d. h. allein im Blick auf nur eine Person zu regeln und die Fälle eines Mitverschuldens oder einer Mitverursachung eines Dritten - wenn er nicht, wie etwa in § 254 BGB, eine Sondervorschrift erläßt - der Regelung durch die Rechtsprechung zu überlassen pflegt, würde eine andere Auslegung zu einem vom Gesetz offensichtlich nicht gewollten Ergebnis führen. Denn wenn schon das bloße Mitverschulden des Versicherungsträgers stets die Rückforderung ausschlösse, müßte dies auch dann der Fall sein, wenn dem Versicherungsträger nur Fahrlässigkeit zur Laste gelegt werden könnte, der Versicherte dagegen die Überzahlungen vorsätzlich herbeigeführt hätte. Daß der Gesetzgeber demjenigen eine unrechtmäßige Leistung belassen möchte, der nicht nur nicht auf ihre Rechtmäßigkeit vertraut, sondern sie in Kenntnis ihrer Rechtswidrigkeit arglistig erwirkt hat, muß schlechtweg ausgeschlossen werden.
Alles dies spricht für eine enge Auslegung der ersten Regelung in § 93 Abs. 2 Satz 2 RKG und führt zu dem Schluß, daß der Gesetzgeber den rechtlichen Tatbestand, nach welchem der Versicherungsträger die Überzahlung nur mitverschuldet und mitverursacht hat, nicht gesehen und in dieser Bestimmung daher nicht geregelt hat.
Es handelt sich bei der fehlenden Regelung für den Fall des Verschuldens sowohl des Versicherungsträgers als auch des Versicherten mithin um eine - Ausfüllung fordernde - Gesetzeslücke. Bei der Frage, wie diese Lücke auszufüllen ist, sind folgende Überlegungen anzustellen: Die 2. Regelung in § 93 Abs. 2 Satz 2 RKG gestattet dem Versicherungsträger die Rückforderung ausdrücklich, wenn der Versicherte oder Hinterbliebene bei Empfang der zu Unrecht erbrachten Leistung wußte oder wissen mußte, daß sie ihm nicht oder nicht in der gewährten Höhe zustand. Damit verbietet die Regelung zugleich dem beim Empfang der Leistung "gutgläubigen" Rentenempfänger gegenüber die Rückforderung. Daß der Gesetzgeber den Gutgläubigen in § 93 Abs. 2 Satz 2 RKG vor Rückforderungen schützt, hat offensichtlich seinen Grund darin, daß er dessen Vertrauen in die Rechtmäßigkeit der - tatsächlich unrechtmäßigen - Leistung honoriert. Der Gedanke des Vertrauensschutzes hat freilich auch seine Kehrseite; den bösgläubigen Versicherten oder Hinterbliebenen, der um die Unrechtmäßigkeit der Leistung weiß oder nur infolge Fahrlässigkeit nicht weiß, schützt die 2. Regelung aaO naturgemäß nicht vor Rückerstattungsansprüchen des Versicherungsträgers.
Indessen stellt sich die nach § 93 Abs. 2 Satz 2 RKG gewichtige und bedeutsame Frage, ob in der Person des Rentenempfängers ein zu schützendes Vertrauen gegeben ist, bei der Prüfung des Rückerstattungsanspruches drängender und nachdrücklicher schon bei einem vor Auszahlung und Empfangnahme der Leistung liegenden rechtlichen Sachverhalt, nämlich bei der Frage, ob etwa der Empfänger zuvor schon - sei es bei der Rentenfeststellung, sei es nach Erhalt des Rentenfeststellungsbescheides durch pflichtwidrige Unterlassung - vorwerfbar daran mitgewirkt hat, daß es überhaupt zur Zahlung der unrechtmäßigen Leistung gekommen ist. Es liegt - wie oben angedeutet - auf der Hand, daß sich auf ein zu schützendes Vertrauen in die Rechtmäßigkeit der Leistung nicht berufen kann, wer in Kenntnis der wahren Rechtslage bewußt die Gewährung der ihm nicht zustehenden Leistung herbeiführt: Läßt doch der Gesetzgeber - wie dargetan - die Rückforderung schon dann zu, wenn der Versicherte oder Hinterbliebene "bei Empfang", also bei bloß passivem Hinnehmen der Leistung wußte oder infolge Fahrlässigkeit nicht wußte, daß sie ihm nicht oder nicht in dieser Höhe zustand. Nach allem wäre zu erwarten gewesen, daß der Gesetzgeber den von ihm in § 93 Abs. 2 Satz 2 RKG mit einem hervorragenden Stellenwert ausgestatteten Gedanken des Vertrauensschutzes, der die Schutzunwürdigkeit des bösen Glaubens einschließt, vorrangig schon bei der Frage nach einem Verschulden an der Überzahlung, also bei der 1. Regelung des § 93 Abs. 2 Satz 2 RKG Geltung verschafft und die Rückforderung dem Rentenempfänger gegenüber zugelassen hätte, der die Überzahlung vorsätzlich verursacht hat. Die dort gegebene Gesetzeslücke ist mithin nach dem - dargestellten - Plan des Gesetzgebers dahin auszufüllen, daß bei durch den Empfänger vorsätzlich herbeigeführter Überzahlung den Versicherungsträger das eigene Verschulden nicht hindert, die zu Unrecht erbrachte Leistung zurückzufordern, sofern die übrigen Voraussetzungen des § 93 Abs. 2 Satz 2 RKG gegeben sind.
Das gleiche muß aber gelten, wenn der Empfänger die Gewährung der unrechtmäßigen Leistung grob fahrlässig verschuldet hat; nur bei einfacher Fahrlässigkeit kann ein schutzwürdiges Vertrauen des Versicherten oder Hinterbliebenen in die Rechtmäßigkeit der zuerkannten Leistung noch unterstellt werden (vgl. dazu § 152 Abs. 1 Nr. 2 des Arbeitsförderungsgesetzes; § 87 Abs. 2 des Bundesbeamtengesetzes; § 11 Abs. 2 Nr. 2 des Lohnfortzahlungsgesetzes; BSG in SozR Nr. 4 zu § 223 RVO).
In dem zu entscheidenden Fall hat der Versicherte die Gewährung der unrechtmäßigen Leistung grob fahrlässig verursacht. Schon im Normalfall wird man vom Versicherten erwarten können, daß er einen Rentenfeststellungsbescheid des Versicherungsträgers nicht unbesehen hinnimmt, sondern ihn näher betrachtet und den Versicherungsträger auf offenbare, ohne schwierige Überlegungen für ihn erkennbare Unrichtigkeiten hinweist, so daß er, wenn er dies unterläßt, selbst mitschuldig an der unrichtigen Rentenleistung ist (vgl. BSG 28, 282, 287). Das gilt im vorliegenden Fall umso mehr, als der Versicherte von dem Knappschaftsältesten schon bei der Rentenantragstellung darauf hingewiesen worden war, daß wegen des Bezuges der beiden Unfallrenten ein teilweises Ruhen der Knappschaftsrente wegen Erwerbsunfähigkeit und daher keine hohe Rente zu erwarten sei. Hinzu kommt noch, daß dem Versicherten kurz nach Empfang des Rentenfeststellungsbescheides von der Ehefrau des Knappschaftsältesten in dessen Auftrag nahegelegt worden war, den Rentenfeststellungsbescheid zur Prüfung dem stellvertretenden Knappschaftsältesten vorzulegen. Der Versicherte hatte also besonderen Anlaß, sich den Rentenfeststellungsbescheid näher anzusehen. Bei Durchsicht des Bescheides hätte er erkennen können und müssen, daß die Beklagte den ihm bekannten JAV unrichtig eingesetzt hatte und daß das vom Knappschaftsältesten vorausgesagte teilweise Ruhen der Rente möglicherweise deshalb nicht eingetreten war. Hätte der Versicherte - wie es seine Pflicht war - die Beklagte auf den offensichtlichen und leicht erkennbaren Fehler hingewiesen, so hätte, die Beklagte den Bescheid rechtzeitig berichtigen können, so daß es zu der Rentenüberzahlung nicht gekommen wäre. Das schuldhafte Verhalten des Versicherten ist so gravierend, daß es als grob fahrlässig angesehen werden muß.
Der Umstand, daß angesichts der groben Fahrlässigkeit des Versicherten das Verschulden der Beklagten der 1. Regelung in § 93 Abs. 2 Satz 2 RKG die Rückforderung der Überzahlung nicht ausschließt, gestattet dem Versicherungsträger noch nicht, nun in Ausübung pflichtgemäßen Ermessens über die Rückforderung zu befinden. Denn nach der 2. Regelung der genannten Vorschrift darf er auch in diesen Fällen die Überzahlung nur zurückfordern, wenn der Leistungsempfänger bei Empfang wußte oder wissen mußte, daß ihm die Leistung nicht oder nicht in der geleisteten Höhe zustand. Im vorliegenden Fall ist aber auch diese Voraussetzung aus den bereits dargelegten Gründen erfüllt.
Gleichwohl läßt sich nicht abschließend beurteilen, ob die Beklagte einen Rückforderungsanspruch hat. Das LSG hat es - nach seiner materiellen Rechtsauffassung mit Recht - unterlassen, die wirtschaftlichen Verhältnisse des Versicherten festzustellen. Erst wenn die Vermögens- und Einkommensverhältnisse sowie die bestehenden Verpflichtungen festgestellt sind, läßt sich beurteilen, ob und in welchem Umfang die Rückforderung wegen der wirtschaftlichen Verhältnisse vertretbar ist (3. Regelung aaO). Der Senat ist nicht berechtigt, die fehlenden Feststellungen nachzuholen, so daß die Zurückverweisung des Rechtsstreits an das LSG geboten ist.
Über die außergerichtlichen Kosten des Revisionsverfahrens wird das LSG mitzuentscheiden haben.
Fundstellen