Leitsatz (amtlich)
1. Für Rückerstattungsansprüche wegen zu Unrecht gezahlter Renten gilt die Berufungsausschließungsvorschrift des SGG § 149 und nicht die des SGG § 146.
2. Hat neben dem Versicherungsträger auch der Rentenempfänger eine Überzahlung - durch sein Handeln oder pflichtwidriges Unterlassen - schuldhaft verursacht, so hat der Versicherungsträger unter den weiteren Voraussetzungen des RKG § 93 Abs 2 S 2 (= RVO § 1301 S 2) gegen den Rentenempfänger Anspruch auf Rückerstattung, wenn diesem Vorsatz oder grobe Fahrlässigkeit zur Last fällt.
Normenkette
SGG § 146 Fassung: 1958-06-25, § 149 Fassung: 1958-06-25; RKG § 93 Abs. 2 S. 2 Fassung: 1965-06-09; RVO § 1301 S. 2 Fassung: 1965-06-09
Tenor
Die Revision des Klägers gegen das Urteil des Landessozialgerichts Nordrhein-Westfalen vom 11. Juni 1970 wird zurückgewiesen.
Die Beteiligten haben einander außergerichtliche Kosten nicht zu erstatten.
Gründe
I
Die Beteiligten streiten darüber, ob die Beklagte gegen den Kläger einen Rückforderungsanspruch von 766,40 DM hat.
Der Kläger bezieht von der Bergbau-Berufsgenossenschaft (Bergbau-BG) zwei Unfallrenten. Die Beklagte gewährte ihm mit Bescheid vom 21. Juli 1965 die Knappschaftsrente wegen Erwerbsunfähigkeit für die Zeit vom 1. April 1965 an. In dem Bescheid wurden bei der Anwendung der Ruhensbestimmungen die Höhe der zu berücksichtigenden Unfallrentenbezüge mit 244,60 DM angegeben (die 1. Unfallrente betrug 185,90 DM und die 2. Unfallrente 58,70 DM). Danach ruhte die Knappschaftsrente in Höhe von 107,30 DM. Nach dem 8. Rentenanpassungsgesetz erhöhte sich ab 1. Januar 1966 die erste Unfallrente auf 202,40 DM und die zweite Unfallrente auf 63,90 DM; für die erstmalig im Vorjahr gewährte Knappschaftsrente kam keine Anpassung in Betracht. Die Änderungen der Unfallrenten wurden der Beklagten weder vom Unfallversicherungsträger noch vom Kläger mitgeteilt. Die Beklagte erteilte aber dem Kläger von sich aus eine Mitteilung über die Umrechnung der Leistung aus der Knappschaftsversicherung wegen Änderung der Unfallrentenbezüge. In dieser Mitteilung gab sie die Höhe der Unfallrentenbezüge mit 202,40 DM an, die zweite Unfallrente blieb irrtümlich unberücksichtigt, weil der Sachbearbeiter der Beklagten bei der ersten Feststellung der Knappschaftsrente in den Lochbelegen für diese Rente als Zahl der Unfallrenten eine "1" hatte stehen lassen, obwohl sich aus den sonstigen Unterlagen ergibt, daß ihm damals - offenbar nachträglich - bekannt geworden war, daß der Kläger zwei Unfallrenten bezog. Durch die irrtümliche Nichtberücksichtigung der zweiten Unfallrente ergab sich kein Ruhensbetrag mehr, so daß die Beklagte dem Kläger die Knappschaftsrente ab 1. Januar 1966 von 726,70 DM auf 833,90 DM erhöhte und die bereits einbehaltenen Ruhensbeträge in Höhe von 321,60 DM für die Monate Januar bis März 1966 auszahlte. In der Mitteilung an den Kläger hieß es, eine Anpassung der Knappschaftsrente komme nicht in Frage. Auch bei der nach dem 9. Rentenanpassungsgesetz (RAG) für die Zeit vom 1. März 1967 an durchgeführten Anpassung setzte die Beklagte nur die inzwischen erhöhte Unfallrente wegen Quarzstaublungenerkrankung von 220,60 DM ein und kam wiederum zu dem Ergebnis, daß ein Ruhen nicht stattfinde. Nachdem die Beklagte diesen Irrtum bemerkt hatte, stellte sie die Knappschaftsrente wegen Erwerbsunfähigkeit mit Bescheid vom 17. April 1967 für die Zeit vom 1. Januar 1966 an neu fest. Sie errechnete für die Zeit vom 1. Januar 1966 bis zum 31. Mai 1967 eine Überzahlung von 766,40 DM, die sie vom Kläger zurückforderte, indem sie im Juni 1967 einmalig 106,40 DM und vom 1. Juli 1967 an fortlaufend monatlich 110,- DM an der Rente einbehielt. Der Widerspruch des Klägers gegen die Rückforderung blieb ohne Erfolg.
Das Sozialgericht (SG) hat die Klage mit Urteil vom 29. August 1968 abgewiesen. Das Landessozialgericht (LSG) hat die Berufung des Klägers mit Urteil vom 11. Juni 1970 zurückgewiesen. Zur Begründung hat es im wesentlichen ausgeführt, es stehe fest, daß der Kläger den Betrag von 766,40 DM zu Unrecht erhalten habe, denn er greife die rückwirkende Neufeststellung seiner Knappschaftsrente wegen Erwerbsunfähigkeit nicht an, sondern wende sich allein gegen den einen Rückforderungsanspruch der Beklagten feststellenden Teil des Bescheides. Die Rückforderung zu Unrecht erbrachter Leistungen richte sich nach § 93 Abs. 2 des Reichsknappschaftsgesetzes (RKG). Die Überzahlung sei zwar insofern auf ein Verschulden eines Bediensteten der Beklagten zurückzuführen, als schon bei der Feststellung der Knappschaftsrente wegen Erwerbsunfähigkeit als Zahl der Unfallrenten eine "1" eingesetzt worden sei, wodurch es später dazu gekommen sei, daß nur eine Unfallrente berücksichtigt worden sei. Dem Verschulden der Beklagten gegenüber dürfe aber das Verschulden des Klägers nicht außer acht gelassen werden. Der Kläger habe den Fehler der Beklagten bemerken müssen. Ihm habe insbesondere auffallen müssen, daß der Betrag, um den sich seine Knappschaftsrente wegen Erwerbsunfähigkeit für die Zeit vom 1. Januar 1966 an erhöht habe, praktisch der Höhe nach dem Betrag entsprochen habe, um den die Knappschaftsrente wegen Erwerbsunfähigkeit nach dem Bescheid vom 21. Juli 1966 geruht habe. Dieser Betrag habe weit über dem in den Tageszeitungen bekanntgemachten Rentenerhöhungssatz für 1966 gelegen. Der Kläger habe deshalb Zweifel an der Richtigkeit der Rentenberechnung haben müssen. Er habe die Beklagte um Aufklärung ersuchen müssen. Das habe er schuldhaft unterlassen. Sein Verschulden sei für die Überzahlung so wesentlich, daß demgegenüber das Verschulden der Beklagten in den Hintergrund trete und unberücksichtigt bleiben könne. Die Rückforderung sei auch wirtschaftlich vertretbar, denn der Lebensunterhalt des Klägers sei bei seinem relativ hohen Renteneinkommen auch unter Berücksichtigung besonderer familiärer Verhältnisse nicht gefährdet.
Mit der vom LSG zugelassenen Revision macht der Kläger geltend, die Beklagte dürfe den überzahlten Rentenbetrag von 766,40 DM nach § 93 Abs. 2 RKG nicht zurückfordern. Wie das LSG mit Recht angenommen habe, treffe die Beklagte an der Überzahlung ein Verschulden, denn sie habe Kenntnis von der zweiten Unfallrente des Klägers gehabt. Eine vom Versicherungsträger verschuldete Überzahlung könne aber nicht zurückgefordert werden. Das LSG habe unzutreffend angenommen, daß auch der Kläger die Überzahlung schuldhaft verursacht habe. Er habe nicht wissen müssen, daß ihm die Knappschaftsrente wegen Erwerbsunfähigkeit nicht in der gezahlten Höhe zustand. Man könne von einem Versicherten nicht erwarten, daß er sich in der komplizierten Gesetzesmaterie über die Anpassungen auskenne. Mit der Erhöhung der Unfallrenten nach den Rentenanpassungsgesetzen werde zunächst der Jahresarbeitsverdienst erhöht. Dieser Jahresarbeitsverdienst bilde aber in sehr vielen Fällen die Bemessungsgrundlage der Knappschaftsrente, so daß der Ruhensbetrag geringer und der Auszahlungsbetrag der Knappschaftsrente höher werde. Diesen Vorgang könnten die wenigsten Versicherten überblicken. Man könne daher nicht grundsätzlich davon ausgehen, daß jeder Versicherte eine Überzahlung seiner Knappschaftsrente erkennen müsse. Selbst wenn man ihm ein gewisses Mitverschulden anlasten wolle, so trete es gegenüber dem Verschulden des Versicherungsträgers in den Hintergrund. Überwiege jedoch das Verschulden des Versicherungsträgers, so sei eine Rückforderung nicht möglich.
Der Kläger beantragt,
das angefochtene Urteil aufzuheben und den Bescheid der Beklagten vom 17. April 1967 in der Fassung des Widerspruchsbescheids vom 15. September 1967 insoweit aufzuheben, als mit dem Bescheid ein Rückforderungsanspruch von 766,40 DM erhoben wird.
Die Beklagte beantragt,
die Revision des Klägers zurückzuweisen.
Sie hält das angefochtene Urteil im Ergebnis und in der Begründung für richtig. Sie führt zusätzlich aus, ursächlich für die Überzahlung sei nicht der Umstand gewesen, daß der Sachbearbeiter die Zahl der Renten irrtümlich mit "1" angegeben habe, sondern der Umstand, daß die Beklagte keine Kenntnis von der Erhöhung der dem Kläger von der Bergbau-BG wegen Preßluftschäden gewährten Verletztenrente infolge Anpassung bekommen habe. Die Schuld hierfür liege eindeutig bei dem Kläger, der es trotz wiederholter schriftlicher Belehrung in den verschiedenen Bescheiden der Beklagten unterlassen habe, dieser die Veränderung in der Höhe der Verletztenrente mitzuteilen. Ein weiteres Verschulden des Klägers liege darin, daß er nach Mitteilung über die Umrechnung der Knappschaftsrente wegen Änderung der Unfallrente für die Zeit vom 1. Januar 1966 an untätig geblieben sei, obwohl er die Unrichtigkeit dieser Mitteilung schon bei flüchtiger Durchsicht hätte erkennen müssen. Ihr Verschulden sei demgegenüber so geringfügig, daß es in den Hintergrund trete und unbeachtlich sei. Die Rückforderung sei auch wirtschaftlich vertretbar, wie das LSG mit Recht angenommen habe.
II
Die zulässige Revision des Klägers hat keinen Erfolg, denn das LSG hat das die Klage abweisende Urteil des SG mit Recht bestätigt. Die Beklagte ist berechtigt, von dem Kläger den Betrag von 766,40 DM zurückzufordern.
Das LSG ist zutreffend davon ausgegangen, daß die Berufung statthaft ist. Die Rentenneufeststellung für die Zeit vom 1. Januar 1966 bis zum 31. Mai 1967 in dem Bescheid vom 17. April 1967 ist nicht angefochten und daher bindend. Streitgegenstand ist vielmehr allein der Anspruch des Klägers auf Aufhebung dieses Bescheids, soweit darin die Überzahlung von 766,40 DM zurückgefordert wird. Es handelt sich hier, wenn auch der Anspruch auf Rückerstattung nicht Streitgegenstand ist, doch um eine Streitigkeit wegen Rückerstattung von Leistungen im Sinne von § 149 des Sozialgerichtsgesetzes (SGG) und es liegt nicht der Berufungsausschließungstatbestand des § 146 SGG vor. Der Rückerstattungsanspruch des Versicherungsträgers gegen den Versicherten ist ein Anspruch auf eine einmalige Leistung. Die Rentenüberzahlung ist zwar der Grund für die Entstehung dieses Anspruchs, berührt aber seine Art und seinen Inhalt nicht; er hat rechtlich nichts mit dem Rentenanspruch des Versicherten gegen den Versicherungsträger zu tun. Die Frage des Berufungsausschlusses richtet sich daher nicht nach § 146 SGG, sondern ausschließlich nach der für Rückerstattungsansprüche erlassenen Sondervorschrift des § 149 SGG. Die Berufung ist deshalb bei Streitigkeiten wegen Rückerstattung von zu Unrecht gezahlten Leistungen nur dann ausgeschlossen, wenn der Beschwerdewert 500,- DM nicht übersteigt. Dieser Wert wird im vorliegenden Fall aber überschritten.
Da der Kläger den Bescheid vom 17. April 1967 nicht angefochten hat, soweit er die Rente vom 1. Januar 1966 bis zum 31. Mai 1967 neu und niedriger feststellt, steht bindend fest, daß der Kläger den Betrag von 766,40 DM zu Unrecht erhalten hat. Zu Unrecht erbrachte Leistungen darf der Versicherungsträger aber grundsätzlich zurückfordern. Wenn auch weder das RKG noch die sonstigen Sozialversicherungsgesetze eine den Rückforderungsanspruch ausdrücklich begründende Norm enthalten, so ergibt sich doch aus dem Gesamtzusammenhang des Gesetzes, insbesondere aus §§ 90 und 93 Abs. 2 RKG mit genügender Deutlichkeit, daß der Gesetzgeber vom Bestehen eines Rückerstattungsanspruchs des Versicherungsträgers ausgeht und ihn als gegeben voraussetzt. Wenn dieser nach § 93 Abs. 2 RKG eine zu Unrecht erbrachte Leistung nicht zurückzufordern braucht, so setzt das voraus, daß er sie zurückfordern darf. Auch die in § 90 RKG für zulässig erklärte Aufrechnung ist nur möglich, wenn ein Rückforderungsanspruch des Versicherungsträgers besteht. Es ist daher davon auszugehen, daß der Versicherungsträger grundsätzlich einen Anspruch auf Rückerstattung zu Unrecht gezahlter Leistungen hat (vgl. SozR Nr. 2 zu § 93 RKG).
Indessen besteht auch wegen zu Unrecht gezahlter Leistungen ein Rückerstattungsanspruch nur unter den einschränkenden Voraussetzungen des § 93 Abs. 2 Satz 2 RKG. Danach darf der Versicherungsträger zu Unrecht erbrachte Leistungen nur zurückfordern, wenn ihn "für die Überzahlung kein Verschulden trifft (1. Regelung), soweit der Leistungsempfänger bei Empfang wußte oder wissen mußte, daß ihm die Leistung nicht oder nicht in der gewährten Höhe zustand (2. Regelung), und soweit die Rückforderung wegen der wirtschaftlichen Verhältnisse des Empfängers vertretbar ist (3. Regelung)".
Im vorliegenden Fall trifft die Beklagte ein Verschulden daran, daß dem Kläger die Rente überzahlt worden ist. Es besteht darin, daß der Sachbearbeiter der Beklagten bei der ersten Feststellung der Knappschaftsrente wegen Erwerbsunfähigkeit in den Lochbelegen für die Versichertenrente als Zahl der Unfallrenten eine "1" hat stehen lassen, obwohl er seinen sonstigen Unterlagen hätte entnehmen können und entnehmen müssen, daß der Kläger zwei Unfallrenten bezog. Bei genügender Sorgfalt hätte der Bearbeiter diesen Fehler und die daraus resultierende falsche Berechnung der Knappschaftsrente vermeiden können. Das Verschulden ihres Bediensteten ist der Beklagten im Rahmen des § 93 Abs. 2 Satz 2 RKG zuzurechnen (vgl. SozR Nr. 3 zu § 93 RKG); auf den Grad des Verschuldens des Versicherungsträgers kommt es nicht an.
Indessen läßt sich im Rahmen der Prüfung eines Verschuldens an der Überzahlung nicht übersehen, daß auch den Kläger ein Verschulden trifft. Er hat es nämlich entgegen der ihm aus dem Versicherungsverhältnis obliegenden Pflicht unterlassen, die Beklagte nach Erhalt der "Mitteilung über die Umstellung der Leistung der Rentenversicherung wegen Änderung der Unfallrente" vom Frühjahr 1966 davon zu unterrichten, daß sie darin offensichtlich nur eine seiner beiden Unfallrenten, nämlich diejenige, die ab 1. Januar 1966 in Höhe von 202,40 DM gezahlt wurde, bei Anwendung der Ruhensbestimmung des § 75 RKG (= § 1278 RVO) berücksichtigt hat.
Der Senat hat sich bereits früher im Zuge der Auslegung des § 93 Abs. 2 Satz 2 RKG mit der Frage befaßt, ob und welche rechtlichen Auswirkungen ein Mitverschulden des Leistungsempfängers auf den Erstattungsanspruch hat (vgl. SozR Nr. 3 zu § 93 RKG). Es besteht im vorliegenden Fall Anlaß, diese Rechtsprechung fortzuentwickeln und zu ergänzen.
Die 1. Regelung in § 93 Abs. 2 Satz 2 RKG, nach welcher der an der Überzahlung schuldige Versicherungsträger nicht zurückfordern darf, erfaßt sicher den Fall, daß der Versicherungsträger die unrechtmäßige Zahlung schuldhaft allein verursacht hat. Im Gesetz nicht erwähnt, jedoch stillschweigend mitgeregelt, ist - u. a. - der Fall, daß der Rentenempfänger die Überzahlung allein verschuldet hat: In diesem Fall trifft den Versicherungsträger kein Verschulden, so daß dieser unter den weiteren Voraussetzungen der 2. und 3. Regelung aaO gegen den Empfänger Anspruch auf Rückerstattung hat. Keine ausdrückliche Bestimmung trifft § 93 Abs. 2 Satz 2 RKG dagegen für den - "dazwischen liegenden" - Fall, daß sowohl Versicherungsträger als auch Rentenempfänger die Überzahlung durch ihr Tun oder pflichtwidriges Unterlassen schuldhaft herbeigeführt haben.
Zwar könnte der Wortlaut der 1. Regelung in § 93 Abs. 2 Satz 2 RKG so verstanden werden, daß selbst schon ein bloßes Mitverschulden des Versicherungsträgers neben dem Verschulden des Rentenempfängers die Rückforderung überzahlter Leistungen ausschlösse. Der wirkliche Regelungsinhalt der Vorschrift ist indessen enger. Wenngleich in der 1. Regelung aaO jeder Grad des Verschuldens des Versicherungsträgers zu berücksichtigen ist, so wird doch dort die Frage nicht beantwortet, was im Fall nur eines Mitverschuldens des Versicherungsträgers zu gelten habe. Abgesehen davon, daß der Gesetzgeber die Folgen schuldhaften Verhaltens nur eingleisig, d. h. allein im Blick auf nur eine Person zu regeln und die Fälle eines Mitverschuldens oder einer Mitverursachung eines Dritten der Regelung durch die Rechtsprechung zu überlassen pflegt, würde eine andere Auslegung zu einem vom Gesetzgeber offensichtlich nicht gewollten Ergebnis führen. Denn wenn schon das bloße Mitverschulden des Versicherungsträgers stets die Rückerstattung ausschlösse, müßte dies auch dann der Fall sein, wenn dem Versicherungsträger nur Fahrlässigkeit zur Last gelegt werden könnte, der Versicherte dagegen die Überzahlungen vorsätzlich herbeigeführt hätte. Daß der Gesetzgeber demjenigen eine unrechtmäßige Leistung belassen möchte, der nicht nur nicht auf ihre Rechtmäßigkeit vertraut, sondern sie in Kenntnis ihrer Rechtswidrigkeit arglistig erwirkt hat, muß schlechtweg ausgeschlossen werden.
Alles dies spricht für eine enge Auslegung der 1. Regelung in § 93 Abs. 2 Satz 2 RKG und führt zu dem Schluß, daß der Gesetzgeber den rechtlichen Tatbestand, nach welchem der Versicherungsträger die Überzahlung nur mitverschuldet und mitverursacht hat, nicht gesehen und in dieser Bestimmung daher nicht geregelt hat.
Es handelt sich bei der fehlenden Regelung für den Fall des Verschuldens sowohl des Versicherungsträgers als auch des Versicherten mithin um eine - Ausfüllung fordernde - Gesetzeslücke. Bei der Frage, wie diese Lücke auszufüllen ist, sind folgende Überlegungen anzustellen:
Die 2. Regelung in § 93 Abs. 2 Satz 2 RKG gestattet dem Versicherungsträger die Rückforderung ausdrücklich, wenn der Versicherte oder Hinterbliebene bei Empfang der zu Unrecht erbrachten Leistung wußte oder wissen mußte, daß sie ihm nicht oder nicht in der gewährten Höhe zustand. Damit verbietet die Regelung zugleich dem beim Empfang der Leistung "gutgläubigen" Rentenempfänger gegenüber die Rückforderung. Daß der Gesetzgeber den Gutgläubigen in § 93 Abs. 2 Satz 2 RKG vor Rückforderungen schützt, hat offensichtlich seinen Grund darin, daß er dessen Vertrauen in die Rechtmäßigkeit der - tatsächlich unrechtmäßigen - Leistung honoriert. Der Gedanke des Vertrauensschutzes hat freilich auch seine Kehrseite; den bösgläubigen Versicherten oder Hinterbliebenen, der um die Unrechtmäßigkeit der Leistung weiß oder nur infolge Fahrlässigkeit nicht weiß, schützt die 2. Regelung aaO naturgemäß nicht vor Rückerstattungsansprüchen des Versicherungsträgers.
Indessen stellt sich die nach § 93 Abs. 2 Satz 2 RKG gewichtige und bedeutsame Frage, ob in der Person des Rentenempfängers ein zu schützendes Vertrauen gegeben ist, bei der Prüfung des Rückerstattungsanspruches drängender und nachdrücklicher schon bei einem vor Auszahlung und Empfangnahme der Leistung liegenden rechtlichen Sachverhalt, nämlich bei der Frage, ob etwa der Empfänger zuvor schon - sei es bei der Rentenfeststellung, sei es nach Erhalt des Rentenbescheids durch pflichtwidrige Unterlassung vorwerfbar daran mitgewirkt hat, daß es überhaupt zur Zahlung der unrechtmäßigen Leistung gekommen ist. Es liegt - wie oben angedeutet - auf der Hand, daß sich auf ein zu schützendes Vertrauen in die Rechtmäßigkeit der Leistung nicht berufen kann, wer in Kenntnis der wahren Rechtslage bewußt die Gewährung der ihm nicht zustehenden Leistung herbeiführt: Läßt doch der Gesetzgeber - wie dargetan - die Rückforderung schon dann zu, wenn der Versicherte oder Hinterbliebene "bei Empfang", also bei bloß passivem Hinnehmen der Leistung wußte oder infolge Fahrlässigkeit nicht wußte, daß sie ihm nicht oder nicht in dieser Höhe zustand. Nach allem wäre zu erwarten gewesen, daß der Gesetzgeber den von ihm in § 93 Abs. 2 Satz 2 RKG mit einem hervorragenden Stellenwert ausgestatteten Gedanken des Vertrauensschutzes, der die Schutzunwürdigkeit des bösen Glaubens einschließt, vorrangig schon bei der Frage nach einem Verschulden an der Überzahlung, also bei der 1. Regelung des § 93 Abs. 2 Satz 2 RKG Geltung verschafft und die Rückforderung dem Rentenempfänger gegenüber zugelassen hätte, der die Überzahlung vorsätzlich verursacht hat. Die dort gegebene Gesetzeslücke ist mithin nach dem - dargestellten - Plan des Gesetzgebers dahin auszufüllen, daß bei durch den Empfänger vorsätzlich herbeigeführter Überzahlung den Versicherungsträger das eigene Verschulden nicht hindert, die zu Unrecht erbrachte Leistung zurückzufordern, sofern die übrigen Voraussetzungen des § 93 Abs. 2 Satz 2 RKG gegeben sind.
Das gleiche aber muß gelten, wenn der Empfänger die Gewährung der unrechtmäßigen Leistung grob fahrlässig verschuldet hat; nur bei einfacher Fahrlässigkeit kann ein schutzwürdiges Vertrauen des Versicherten oder Hinterbliebenen in die Rechtmäßigkeit der zuerkannten Leistung noch unterstellt werden (vgl. dazu § 152 Abs. 1 Nr. 2 des Arbeitsförderungsgesetzes; § 87 Abs. 2 des Bundesbeamtengesetzes; § 11 Abs. 2 Nr. 2 des Lohnfortzahlungsgesetzes; BSG in SozR Nr. 4 zu § 223 RVO).
Im zu entscheidenden Fall hat der Kläger die Gewährung der unrechtmäßigen Leistung grob fahrlässig verursacht. Es mag dahinstehen, ob er nicht schon grob fahrlässig die unrichtige Feststellung der Rente dadurch mitverursacht hat, daß er es unterließ, der Beklagten die am 1. Januar 1966 eingetretene Erhöhung seiner Verletztenrenten mitzuteilen. Jedenfalls hat der Kläger die Überzahlung dadurch grob fahrlässig mitverursacht, daß er es unterließ, die Beklagte auf den offensichtlichen und leicht erkennbaren Fehler in der Mitteilung über die Umrechnung der Leistung der Rentenversicherung wegen Änderung der Unfallrentenbezüge hinzuweisen. Von einem Rentenempfänger kann erwartet werden, daß er eine Mitteilung des Versicherungsträgers nicht unbesehen hinnimmt, sondern näher betrachtet und den Versicherungsträger auf offenbare, für ihn ohne schwierige Überlegungen erkennbare Unrichtigkeit hinweist. Unterläßt er dies, so nimmt er dem Versicherungsträger die Möglichkeit, noch rechtzeitig vor der Auszahlung der Leistung den Feststellungsbescheid zurückzunehmen oder zu berichtigen und dadurch eine Überzahlung zu vermeiden. Der Kläger hatte besonderen Anlaß, sich die Mitteilung über die Umrechnung der Knappschaftsrente genauer anzusehen. Wenn er es nicht ohnehin wußte, so konnte er zumindest aus dem Text der Mitteilung ersehen, daß eine Anpassung und damit eine Erhöhung der Knappschaftsrente selbst nach dem 8. Rentenanpassungsgesetz nicht in Frage kam. Die gleichwohl festgestellte Erhöhung der knappschaftlichen Rente um mehr als 100,- DM mußte ihn daher stutzig machen und ihn veranlassen, die Mitteilung genauer zu lesen. Dabei hätte dem Kläger auffallen müssen, daß die Beklagte im Gegensatz zu dem Feststellungsbescheid vom 21. Juli 1965 nur noch eine Unfallrente eingesetzt und die Knappschaftsrente vom Ruhen freigelassen hatte. Es mag dahingestellt bleiben, ob von einem Rentenempfänger allgemein die Kenntnis erwartet werden kann, daß für das Ruhen der Knappschaftsrente die Summe der Unfallrenten von Bedeutung ist. Der Kläger jedenfalls mußte dies wissen, weil die Beklagte im Rentenbescheid vom 21. Juli 1965 beide Unfallrenten berücksichtigt hatte. Er wußte aus diesem Bescheid, daß ein Teil der Knappschaftsrente wegen des Bezuges der beiden Unfallrenten ruhen muß und daß daher höhere Unfallrentenbezüge grundsätzlich zu einer Kürzung der Knappschaftsrente führen. Er konnte also nicht davon ausgehen, daß die Erhöhung seiner Unfallrenten auch eine Erhöhung seiner Knappschaftsrente von 726,70 DM auf 833,90 DM bewirken konnte. Als redlicher Versicherter war er verpflichtet, die Beklagte auf den ihrer Mitteilung augenfällig zu entnehmenden Fehler hinzuweisen. Die pflichtwidrige Unterlassung des Klägers hat mit dazu beigetragen, daß die Beklagte die Rentenberechnung nicht rechtzeitig berichtigt und die Zahlung in der richtigen Höhe geleistet hat. Die grobe Fahrlässigkeit des Versicherten berechtigte die Beklagte daher trotz eigenen Verschuldens, vom Kläger Rückerstattung der unrechtmäßigen Leistung zu verlangen.
Der Umstand, daß die 1. Regelung in § 93 Abs. 2 Satz 2 RKG die Rückforderung der Überzahlung nicht ausschließt, gestattet dem Versicherungsträger noch nicht, nun in Ausübung pflichtgemäßen Ermessens über die Rückforderung zu befinden. Denn nach der 2. Regelung der genannten Vorschrift darf er auch in diesen Fällen die Überzahlung nur zurückfordern, wenn der Leistungsempfänger bei Empfang wußte oder wissen mußte, daß ihm die Leistung nicht oder nicht in der geleisteten Höhe zustand. Im vorliegenden Fall ist aber auch diese Voraussetzung aus den bereits dargelegten Gründen erfüllt.
Das LSG ist auch zutreffend davon ausgegangen, daß die Rückforderung wegen der wirtschaftlichen Verhältnisse des Klägers vertretbar ist (3. Regelung aaO).
Es liegt kein Anhalt dafür vor, daß die Beklagte von dem ihr in § 93 Abs. 2 RKG eingeräumten Ermessen einen fehlerhaften Gebrauch gemacht hätte. Selbst wenn die Beklagte für verhältnismäßig kurze Zeit die festgesetzten Ratenbeträge an der Rente einbehält, verbleibt dem Kläger ein so hohes Renteneinkommen, daß sein und seiner Familie Unterhalt nicht wesentlich beeinträchtigt wird.
Die danach unbegründete Revision des Klägers mußte zurückgewiesen werden.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.
Fundstellen