Verfahrensgang

LSG Nordrhein-Westfalen (Urteil vom 15.11.1960)

 

Tenor

Das Urteil des Landessozialgerichts Nordrhein-Westfalen vom 15. November 1960 wird mit den ihm zugrunde liegenden Feststellungen aufgehoben.

Die Sache wird zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an das Landessozialgericht zurückverwiesen.

Von Rechts wegen.

 

Tatbestand

I

Zwischen den Beteiligten ist streitig, ob der Verkehrsunfall, den der Kläger am 22. Dezember 1955 gegen 9.30 Uhr erlitt, einen Arbeitsunfall darstellt. Das Landessozialgericht (LSG) hat hierzu im angefochtenen Urteil folgendes festgestellt:

„Der Kläger war Abgeordneter des Landtages in Nordrhein-Westfalen und gehörte dem Kulturausschuß des Landtages an. Bei der Firma I. H. KG in Kornelimünster, die dort ein Kalkwerk betreibt, war der Kläger in der kaufmännischen Verwaltung beschäftigt und war gleichzeitig Kommanditist des Unternehmens. Ihm oblag insbesondere die geschäftliche Verhandlung mit auswärtigen Firmen. Das Kalkwerk beabsichtigte eine Erweiterung seiner Anlagen. Der Kläger war von seiner Firma beauftragt, mit der Firma Wärmestelle Steine und Erden GmbH (Wärmestelle) in Düsseldorf Besprechungen zu führen. Am 22. Dezember 1955 war in Düsseldorf im Landtagsgebäude für 10.00 Uhr eine Sitzung des Kulturausschusses anberaumt. Gegen 8.30 Uhr begab sich der Kläger mit einem Personenkraftwagen der Firma L. H. KG von Kornelimünster aus auf die Fahrt nach Düsseldorf. Er wollte nach seiner Angabe zunächst in Düsseldorf die geschäftliche Besprechung bei der Wärmestelle erledigen und im Anschluß daran an der Sitzung des Kulturausschusses teilnehmen. Infolge Nebels und Straßenglätte wurde der Kläger auf seiner Fahrt aufgehalten, wegen der eingetretenen Verzögerung und weil er nicht mehr zeitig genug zur Wärmestelle gelangen konnte, änderte der Kläger seinen Plan und entschloß sich, zunächst an der Sitzung des Kulturausschusses teilzunehmen und nach deren Beendigung die Wärmestelle aufzusuchen. Nachdem der Kläger diesen Entschluß gefaßt hatte, verunglückte er mit seinem Kraftfahrzeug auf der Strecke zwischen Höngen und Schieiden infolge verkehrswidrigen Verhaltens eines ihm entgegenkommenden anderen PKW-Fahrers. Durch den Unfall erlitt der Kläger erhebliche Verletzungen.”

Durch rechtsverbindlichen Bescheid lehnte die Ausführungsbehörde für Unfallversicherung Land Nordrhein-Westfalen den Entschädigungsanspruch des Klägers ab, weil der Kläger in seiner Eigenschaft als Landtagsabgeordneter nach den Bestimmungen der Reichsversicherungsordnung (RVO) nicht gegen Arbeitsunfall versichert sei.

Die Beklagte lehnte den Entschädigungsanspruch des Klägers durch den hier angefochtenen Bescheid vom 28. August 1956 ebenfalls ab mit der Begründung, die Fahrt nach Düsseldorf habe in erster Linie dem Aufsuchen des Landtags in der Eigenschaft des Klägers als Landtagsabgeordneter und sodann erst der geschäftlichen Besprechung gedient. Rein zeitlich sei es dem Verletzten nicht möglich gewesen, die geschäftliche Besprechung vor Beginn der Landtagssitzung durchzuführen.

Das Sozialgericht (SG) hat durch Urteil vom 29. Oktober 1957 unter Aufhebung des angefochtenen Bescheids den Unfall des Klägers als Arbeitsunfall anerkannt und die Beklagte verurteilt, einen Bescheid auf dieser Grundlage über die gesetzliche Unfallentschädigung zu erlassen. Zur Begründung hat das SG ausgeführt, die Fahrt nach Düsseldorf habe der Kläger sowohl zu betrieblichen Zwecken als auch zur Ausübung der unversicherten Abgeordnetentätigkeit unternommen. Ob der Kläger sogleich nach seiner Ankunft in Düsseldorf oder erst während einer Beratungspause der Ausschußsitzung die Wärmestelle aufgesucht hätte, habe nicht mehr eindeutig geklärt werden können, sei aber auch unerheblich, weil der Unfall auf einer zum Betriebsweg gehörenden Wegstrecke eingetreten sei. Eine Trennung des Weges in einen Teil, der der versicherten, und in einen Teil, der der unversicherten Tätigkeit gedient habe, sei nicht möglich gewesen, so daß die Gesamtwegstrecke unter dem Versicherungsschutz gestanden habe.

Auf die Berufung der Beklagten hat das LSG durch Urteil vom 15. November 1960 die Entscheidung des SG dahin gehändert, daß die Klage abgewiesen wird: Nach der Rechtsprechung (BSG 3, 240) genüge es bei Wegen der hier vorliegenden Art. wenn sie als gemischte Tätigkeiten den betrieblichen Interessen wesentlich dienten. Ob aber ein weg wesentlich aus betrieblichen Gründen unternommen werde und ob eine Trennung des Weges in einen versicherten und einen unversicherten Teil möglich sei, hänge entscheidend davon ab, ob der zeitliche und der innere Zusammenhang des Weges mit der betrieblichen Tätigkeit gewahrt sei. Im Gegensatz zur Auffassung des SG komme es daher für die rechtliche Beurteilung der Fahrt von Kornelimünster nach Düsseldorf als Betriebsweg darauf an, ob unmittelbares und erstes Ziel des Klägers die Besprechung bei der Wärmestelle oder aber seine Teilnahme als Landtagsabgeordneter an der Ausschußsitzung gewesen sei und welche Bedeutung der einen Tätigkeit im Verhältnis zur anderen zukomme. Selbst wenn der Weg zunächst zu einem betrieblichen Wirken führen sollte, bestehe kein Versicherungsschutz, wenn die betriebliche im Verhältnis zur späteren eigenwirtschaftlichen Verrichtung derart in den Hintergrund trete, daß sie als rechtlich unerheblich nicht ins Gewicht falle.

Hiernach hätte ein Arbeitsunfall schon nicht vorgelegen, wenn der Kläger beabsichtigte, nach seinem Eintreffen in Düsseldorf zunächst die Wärmestelle für eine betriebliche Besprechung aufzusuchen und erst danach als Abgeordneter an der Ausschußsitzung teilzunehmen. Denn die betriebliche Besprechung wäre nur als Nebenzweck der Fahrt zum Besuch der Ausschußsitzung in Betracht gekommen. Der Kläger habe bei Antritt der Reise die Besprechung bei der Wärmestelle noch vor der Ausschußsitzung erledigen wollen. Berücksichtige man, daß die Besprechung durch den Kläger nicht vorbereitet worden sei, daß er sich dort nicht angemeldet und auch nicht sichergestellt habe, die für die Verhandlungen mit der Wärmestelle maßgebenden Herren anzutreffen, und daß insbesondere dem Kläger für diese Verhandlungen vor der Ausschußsitzung nur eine ganz geringe Zeitspanne zur Verfügung gestanden habe, so zeige sich, daß die geschäftlichen Besprechungen keine für den Betrieb der Kalkwerke ins Gewicht fallende Erheblichkeit haben konnten. Da der Kläger zu der für 10 Uhr anberaumten Ausschußsitzung etwa um 8.30 Uhr aus Kornelimünster abgefahren sei, wäre es ihm bei einer Fahrtdauer von etwa 1 1/2 Stunden für die 100 km rein zeitlich nicht möglich gewesen, eine nach Art. und Umfang auch nur einigermaßen bedeutende Besprechung vor der Ausschußsitzung zu führen. Gegenüber der von 10 bis 13 Uhr dauernden Sitzung des Kulturausschusses wäre also der betrieblichen Unterredung mit der Wärmestelle nur eine untergeordnete Rolle zugefallen. Bei seiner Anhörung habe der Kläger selbst erklärt, seine betriebliche Tätigkeit vor der Ausschußsitzung hätte nur darin bestehen können, mit der Wärmestelle für einen Zeitpunkt nach der Ausschußsitzung ein Treffen zu verabreden. Diese gelegentlich des Besuchs der Ausschußsitzung persönlich oder telefonisch zu erledigende Verabredung hätte keine Betriebstätigkeit dargestellt, die der Fahrt nach Düsseldorf am frühen Morgen den rechtlichen Gehalt eines Betriebswegs verliehen hätte. Der Weg wäre vielmehr wesentlich allein zur Ausschußsitzung unternommen worden. An dieser Rechtslage ändere sich nichts, wenn der Kläger beabsichtigte, im Anschluß an die Ausschußsitzung nachmittags oder abends bei der Wärmestelle eine für das Kaliwerk bedeutungsvolle Besprechung durchzuführen.

Daß der Kläger im Landtag zunächst habe feststellen wollen, ob dort Vertreter seiner Partei und auch ein Abgeordneter als Vertreter für seine Person anwesend seien, schließe sein Vorhaben nicht aus, selbst als Abgeordneter in der Ausschußsitzung zu verweilen, falls kein Vertreter erreichbar gewesen wäre. Der Kläger habe sich also endgültig darauf eingestellt gehabt, an der Ausschußsitzung teilzunehmen und hierauf seinen Weg nach Düsseldorf eingerichtet. Demgegenüber sei eine nach Art. und Dauer erhebliche Besprechung bei der Wärmestelle lediglich in Aussicht genommen worden, je nach dem, wie sie sich mit der Teilnahme an der Ausschußsitzung vereinbaren ließ. Die Möglichkeit der Durchführung dieser geschäftlichen Besprechung hätte der Kläger erst nach seinem Eintreffen in Düsseldorf endgültig klären können. Da die Absicht, unter Umständen statt einer Teilnahme an der Ausschußsitzung die betriebliche Besprechung auszuführen, nur die Möglichkeit einer betrieblichen Betätigung in Düsseldorf, aber keine begründete Wahrscheinlichkeit hierfür zugelassen habe, hätte eine solche Absicht für die Würdigung, welchen Zwecken der unfallbringende Weg rechtserheblich diente, nicht beachtet werden dürfen.

Da bei dem Weg von Kornelimünster nach Düsseldorf eine räumliche Abgrenzung des eigenwirtschaftlichen vom betrieblichen Bereich nicht möglich sei, komme es entscheidend darauf an, welchem Zweck die Fahrt im Augenblick des Unfalls gedient habe. Dies sei nach den eigenen Erklärungen des Klägers die parlamentarische Betätigung gewesen. Wegen der Bedeutung dieser Tätigkeit und im Hinblick auf die für die Ausschußsitzung vorgesehene Arbeitszeit von drei Stunden sei der zur Unfallzeit auf diese Betätigung gerichtete und für sie zurückgelegte weg als unversichert anzusehen. Mit der Betriebstätigkeit habe der Weg im Unfallzeitpunkt weder in dem erforderlichen zeitlichen noch in dem notwendigen inneren Zusammenhang gestanden, weil die betriebliche Tätigkeit zunächst überhaupt ungewiß, aber auch nach Zeit und Ort unbestimmt gewesen sei und jedenfalls erst mehrere Stunden nach Verrichtung der Abgeordnetentätigkeit vor sich gehen konnte und sollte. Der Versicherungsschutz hätte erst begonnen, wenn sich der Kläger nach Beendigung der Ausschußsitzung auf den Weg zur Wärmestelle begeben hätte. Das LSG hat die Revision zugelassen.

Gegen das am 17. Januar 1961 zugestellte Urteil hat der Kläger am 4. Februar 1961 Revision eingelegt und sie am 25. Februar 1961 wie folgt begründet: Das LSG habe § 542 RVO verletzt. Die in BSG 3, 240 für den Versicherungsschutz bei gemischten Wegen aufgestellten Erfordernisse seien nach dem Ergebnis der Beweisaufnahme hier gegeben. Der Kläger sei beauftragt gewesen, am Unfalltag bei der Wärmestelle vorzusprechen, um die Einrichtung einer von der Betriebsleitung geplanten Kalklöschanlage zu besprechen. Nur nebenher habe er auch an der Ausschußsitzung im Landtag teilnehmen wollen, falls seine Teilnahme notwendig werden sollte. Diese Notwendigkeit habe nicht einmal festgestanden. Bei Fahrtantritt habe daher der Kläger beabsichtigt, erst zur Wärmestelle zu fahren, um dort den betrieblichen Auftrag auszuführen und beim Landtag telefonisch anzufragen, ob seine Anwesenheit bei der Ausschußsitzung notwendig sei. Wäre diese Frage bejaht worden, so hätte er die Besprechung bei der Wärmestelle – falls diese noch nicht beendet war – unterbrochen, um zwischendurch zum Landtag zu fahren und später die Besprechung bei der Wärmestelle fortzusetzen. Das LSG hätte zumindest feststellen müssen, ob am Unfalltag die Anwesenheit des Klägers in der Ausschußsitzung überhaupt notwendig geworden wäre. Auch habe es nicht einmal festgestellt, ob der Weg zur Wärmestelle am Landtagsgebäude vorbeiführte oder nicht.

Der Kläger beantragt,

unter Aufhebung des angefochtenen Urteils die Beklagte zur Anerkennung des Unfalls vom 22. Dezember 1955 als Arbeitsunfall und zur Erteilung eines Bescheids über die gesetzliche Unfallentschädigung, zu verurteilten,

hilfsweise,

die Sache zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an das LSG zurückzuverweisen.

Die Beklagte beantragt Zurückweisung der Revision. Sie pflichtet dem angefochtenen Urteil bei und meint, die darin vertretenen Auffassungen deckten sich mit der Rechtsprechung des BSG (BSG 3, 240).

 

Entscheidungsgründe

II

Die Revision ist statthaft durch Zulassung nach § 162 Abs. 1 Nr. 1 des Sozialgerichtsgesetzes (SGG). Sie ist form- und fristgerecht eingelegt und begründet worden, daher zulässig. Sie hatte auch Erfolg.

Am Tage des Unfalls hatte der Kläger vor, in Düsseldorf als Landtagsabgeordneter in der Ausschußsitzung und als Beauftragter seines Unternehmens in Besprechungen bei der Wärmestelle tätig zu werden. Sein Weg diente mithin sowohl unternehmensfremden als auch betrieblichen Zwecken; bis zur Unfallstelle, die sich auf dem Wege nach Düsseldorf befand, ließen sich ein unternehmensfremder und ein unternehmensbedingter Teil des Weges räumlich nicht voneinander abgrenzen. Für das Klagbegehren kommt es somit darauf an, ob der Weg als gemischte Tätigkeit unter Versicherungsschutz gestanden hat. Dies hat der erkennende Senat für Fälle dieser Art. angenommen, wenn der Weg dem versicherten Unternehmen wesentlich dient (BSG 3, 240). Von dieser Rechtsauffassung gehen das LSG und die Beteiligten dieses Rechtsstreits gleichermaßen aus. Das LSG hat jedoch den angeführten Grundsatz auf den hier gegebenen Sachverhalt in einer Weise angewandt, die nicht frei von Bedenken ist.

Bedenken bestehen zunächst gegen die allzu nachdrückliche Hervorhebung des zeitlichen Zusammenhangs; in den Gründen des angefochtenen Urteils wird zwar an sich mit Recht auf den Grundsatz der sogenannten Lösung des Zusammenhangs mit der betrieblichen Tätigkeit hingewiesen, nach dem der Versicherungsschutz für den Heimweg von einer auswärtigen betrieblichen Verrichtung entfällt, wenn zwischen dieser Verrichtung und dem Beginn der Rückkehr eine betriebsfremde Betätigung liegt, die nach Art. und Ausmaß dem Heimweg das entscheidende Gepräge gibt. Das LSG meint, in folgerichtiger Umkehr dieses Grundsatzes komme es bei dem Hinweg ausschlaggebend darauf an, ob unmittelbares und erstes Ziel die betriebliche oder die betriebsfremde Tätigkeit gewesen sei. Diese Schlußfolgerung erscheint auf den ersten Blick überzeugend. Indessen hat das LSG hierbei nicht hinreichend beachtet, daß der Grundsatz der Lösung des Zusammenhangs ein besonderes Übergewicht der betriebsfremden Betätigungen voraussetzt, wobei es nicht allein auf die zeitliche Ausdehnung, sondern auch auf die näheren Umstände ankommen kann, unter denen diese Betätigungen stattgefunden haben. Den bisher vom erkennenden Senat entschiedenen Fällen (vgl. SozR RVO § 542 aF Aa 36 Nr. 43; ferner Urteil vom 30.10.1963, 2 RU 23/60) sind jedenfalls keine Gesichtspunkte zu entnehmen, mit denen die Auffassung des LSG von der schlechthin maßgebenden Bedeutung des zeitlichen Zusammenhangs zu rechtfertigen wäre.

Grundsätzlich ist vielmehr – übereinstimmend mit der Rechtsprechung des Bayerischen Landesversicherungsamts (vgl. EuM 5, 226; Bayer. Amtsbl. 1950, 720; Breith. 1951, 908) – davon auszugehen, daß es auf die zeitliche Aufeinanderfolge der vom Kläger bei der Fahrt nach Düsseldorf geplanten Tätigkeiten nicht entscheidend ankommt. Den Gründen des angefochtenen Urteils, soweit sie die Bedeutung gerade der zeitlichen Reihenfolge von Landtagsausschußsitzung und geschäftlicher Besprechung betonen, kann daher nicht vorbehaltlos beigepflichtet werden. In erster Linie muß es in Fällen der hier gegebenen Art. darauf abgestellt werden, ob die gemischte Tätigkeit dem Unternehmen, wenn auch nicht überwiegend, so doch wesentlich gedient hat, oder ob das betriebliche Interesse nur einen unwesentlichen Nebenzweck dieser Tätigkeit darstellt. Diese Frage hat das LSG unter dem Gesichtspunkt des inneren Zusammenhangs geprüft. Das Ergebnis dieser Prüfung ist zum Teil widersprüchlich.

Das LSG hat aus dem Umstand, daß der um 8.30 Uhr in Kornelimünster abgefahrene Kläger bereits um 10 Uhr im Landtag zur Ausschußsitzung erscheinen mußte, gefolgert, daß die Besprechung bei der Wärmestelle nur von ganz geringem zeitlichen Umfang sein konnte. Hierbei ist das LSG offenbar der Angabe des Klägers gefolgt, er habe die geschäftliche Besprechung noch vor der Ausschußsitzung erledigen wollen. Es erscheint jedoch zweifelhaft, ob das LSG den Kläger auf diese Schilderung festlegen wollte; denn in den Urteilsgründen wird anschließend auch die hiervon abweichende Darstellung erörtert, der Kläger habe eventuell auch am Nachmittag oder Abend die Wärmestelle aufsuchen und dort eine für sein Unternehmen bedeutungsvolle, also doch wohl zeitlich nicht so knapp bemessene Besprechung durchführen wollen, jedenfalls aber hat das LSG, indem es auch diese Eventualität berücksichtigt hat, seinen vorstehenden Erwägungen über die Belanglosigkeit der geschäftlichen Besprechung eine wesentliche Stütze entzogen; denn das Argument, dem Kläger hätte bis 10 Uhr nur eine ganz geringe Zeitspanne für das Aufsuchen der Wärmestelle zur Verfügung gestanden, ist so gut wie entwertet, wenn man gelten läßt, daß der Kläger die Besprechung bei dieser Firma ganz oder überwiegend erst nach der Landtagsausschußsitzung erledigt haben würde.

Als Anzeichen für die Unwesentlichkeit der geschäftlichen Besprechung hat es das LSG ferner betrachtet, daß der Kläger sich bei der Wärmestelle nicht angemeldet und auch nicht sichergestellt hatte, die für die Besprechung maßgebenden Herren dort anzutreffen. Diese mangelnde Vorbereitung mag nun zwar in der Tat auffällig erscheinen; es ist aber grundsätzlich nicht unbedenklich, daß der Tatrichter das Verhalten des Versicherten nach denjenigen Maßstäben beurteilt, die dem Gericht bei objektiver Betrachtungsweise für eine ordentliche und erfolgversprechende Erledigung der betrieblichen Tätigkeit angemessen erscheinen.

Der Unfallversicherungsschutz besteht nicht nur für Tätigkeiten, die in jeder Hinsicht einwandfrei verrichtet werden und dem Unternehmen Erfolge garantieren; auch die mißlungene Arbeit ist betriebsbedingt und bleibt es jedenfalls solange, wie ihr die Bezeichnung „Arbeit” zukommt; der Versicherungsschutz entfällt nicht deshalb, weil die Arbeitsleistung dem Betrieb objektiv keinen Nutzen gebracht hat (vgl. BSG 5, 168, 172). Auf die Vernachlässigung der einem objektiven Betrachter geboten erscheinenden Sorgfalt bei Vorbereitung und Ausführung der Betriebstätigkeit kann es somit nicht entscheidend ankommen, sondern in erster Linie auf die subjektiven Vorstellungen des Tätigwerdenden, jedenfalls sofern sie nicht offensichtlich den Rahmen vernünftigen Handelns überschreiten. Das LSG hat nicht ermittelt, ob der Kläger sonst die Gewohnheit hatte, auswärtige geschäftliche Verhandlungen sorgfältiger vorzubereiten. Infolgedessen kann dem Umstand, daß er für die Fahrt nach Düsseldorf solche Vorbereitungen unterließ, für sich allein kein entscheidendes Gewicht beigelegt werden.

Auf die Vorstellungen und Erwartungen, die der Kläger selbst während der Fahrt hegte, hatte es das LSG auch abstellen müssen bei der Prüfung der Frage, ob für ein Zustandekommen der in Aussicht genommenen geschäftlichen Besprechung am Unfalltag in Düsseldorf eine begründete Wahrscheinlichkeit oder nur eine entfernte Möglichkeit bestand. Die objektive Betrachtungsweise, die das LSG auch hierbei angewandt hat, wird dem Umstand nicht gerecht, daß der Kläger schon auf der Hinfahrt verunglückt ist, als die Verwirklichung der mit dem Weg nach Düsseldorf verknüpften verschiedenartigen Zwecke noch in der Zukunft lag. Alle Bestrebungen, die im angefochtenen Urteil aufgezählt worden sind – Aufsuchen des Landtags und Bemühungen um Vertretung für die Ausschußsitzung, Kontaktaufnahme und Terminvereinbarung mit der Wärmestelle können unter diesen Umständen in der Vorstellung des Klägers derart untereinander verbunden gewesen sein, daß der geschäftliche Zweck der Fahrt dabei nicht in den Hintergrund treten mußte. Es bedarf keiner näheren Darlegung, daß z. B. Beweiserhebungen, darüber, ob an jenem Tage der Kläger im Landtagsausschuß tatsächlich abkömmlich gewesen wäre und ob für eine Besprechung bei der Wärmestelle die dort maßgebenden Repräsentanten zur Verfügung gestanden hätten, neben der Sache liegen würden. Denn der Versicherungsschutz hängt eben nicht vom Gelingen der Arbeitsleistung – in diesem Falle vom Erreichen der mit der Geschäftsreise verfolgten Zwecke – ab, sondern davon, ob der Reisende nach seiner – noch im Rahmen vernünftigen Verhaltens bleibenden – Überzeugung solche Zwecke verfolgte. Die vom LSG hervorgehobenen Hemmnisse, die der Kläger erst hätte beseitigen müssen, um eine Besprechung mit der Wärmestelle herbeizuführen, reichen nach Ansicht des Senats nicht aus, um diese Überzeugung beim Kläger bis zum Unfallzeitpunkt als undenkbar erscheinen zu lassen.

Entscheidungserheblich sind nach alledem die beiden Fragen, ob die Besprechung bei der Wärmestelle für den Kläger so bedeutungsvoll war, daß er ihretwegen auch dann am 22. Dezember 1955 nach Düsseldorf gefahren wäre, wenn er nicht gleichzeitig im Landtag zu tun gehabt hätte, und ob es sich um eine nach Inhalt und Zeitaufwand so ins Gewicht fallende betriebliche Betätigung gehandelt haben würde, daß sie im Vergleich zu der dreistündigen Ausschußsitzung nicht als unwesentlicher Nebenzweck in den Hintergrund gerückt wird. Hierüber fehlt es im angefochtenen Urteil an ausreichenden Feststellungen. Die Angaben des Klägers bei seiner persönlichen Anhörung vor dem LSG enthalten zwar einige Hinweise, jedoch hat sich das LSG bisher nicht mit ihnen auseinandergesetzt. Der erkennende Senat kann diese Angaben im Revisionsverfahren nicht verwerten, zumal da er sonst der Beweiswürdigung des Tatrichters vorgreifen würde.

Da das angefochtene Urteil auf einer nicht zu billigenden Rechtsauffassung beruht, ist die Revision begründet. Eine Entscheidung in der Sache selbst ist mangels ausreichender Feststellungen nicht möglich. Die Sache war daher an das LSG zurückzuverweisen (§ 170 Abs. 2 Satz 2 SGG), dem auch die Entscheidung über die außergerichtlichen Kosten des Revisionsverfahrens obliegen wird.

 

Unterschriften

Brackmann, Hunger, Dr. Baresel

 

Fundstellen

Haufe-Index 929570

BSGE, 215

MDR 1964, 540

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