Entscheidungsstichwort (Thema)

Knappschaftliche KVdR. Auslandsaufenthalt

 

Orientierungssatz

1. KVdRV § 20 Abs 1 vom 1941-11-04 ist für die knappschaftliche KVdR auch jetzt noch anwendbares Recht (vgl BSG vom 1973-08-30 5 RKn 44/71 = SozR Nr 1 zu § 20 VO über KVdR vom 4. November 1941). Mithin gilt die KVdRV nicht für solche Rentner, deren knappschaftliche Rente ins Ausland gezahlt wird. Darauf, ob der Aufenthalt im Ausland freiwillig oder unfreiwillig ist, kommt es nicht an.

2. Eine Ungleichbehandlung der Rentner, die in der knappschaftlichen KVdR versichert sind, gegenüber denen in der allgemeinen Krankenversicherung der Rentner besteht nicht. Was in der knappschaftlichen KVdR kraft ausdrücklicher Vorschrift gilt, wird in der allgemeinen KVdR daraus hergeleitet, daß die deutsche Staatsgewalt an den Grenzen der Bundesrepublik endet und damit auch die Mitgliedspflicht, aufgrund derer die Mitgliedschaft in einer Krankenversicherung besteht (vgl BSG vom 1971-01-19 3 RK 101/67 = BSGE 32, 174).

3. Es verstößt nicht gegen das Willkürverbot des GG Art 3 Abs 1, daß in der Krankenversicherung anders als in der Rentenversicherung Leistungen grundsätzlich nicht ins Ausland gewährt werden.

 

Normenkette

RKG § 20; KnKVdRV § 2 Abs 1 Fassung: 1942-06-08; KVdRV § 20 Abs 1 Fassung: 1941-11-04; KVdRG Art 2 § 12 Fassung: 1956-06-12; KVdRG Art 4 Abs 2 Nr 2 Fassung: 1956-06-12

 

Verfahrensgang

LSG Nordrhein-Westfalen (Entscheidung vom 04.04.1978; Aktenzeichen L 15 Kn 172/77)

SG Dortmund (Entscheidung vom 26.09.1977; Aktenzeichen S 22 Kn 140/77)

 

Tatbestand

I.

Die Beteiligten streiten darüber, ob die Klägerin gegen die Beklagte einen Anspruch auf Sterbegeld aufgrund des Todes ihrer Stiefmutter E J (EJ) hat sowie auf Ersatz der Kosten einer 1976 in P durchgeführten Krankenhausbehandlung ihrer Stiefmutter.

Die Klägerin wohnt in P. Sie stammt aus der ersten Ehe des M J (J), der in der B lebte und 1973 hier verstarb. Er war in zweiter Ehe verheiratet mit EJ, die sich von 1970 bis August 1973 ebenfalls in der B aufhielt. Als J Mitte 1973 verstarb, gewährte die Beklagte seiner Ehefrau EJ die erhöhte Witwenrente von Juli 1973 an. Zu dieser Zeit war die Stiefmutter der Klägerin, EJ, bereits infolge eines Schlaganfalls gelähmt. Die Klägerin holte sie im August 1973 nach P und pflegte sie. Auf Antrag der für ihre Stiefmutter handelnden Klägerin wurde die Rente der EJ auf ein Bankkonto in der B überwiesen. Im Juli 1976 kam EJ ins Krankenhaus und verstarb dort im November 1976.

Unter Beifügung einer Sterbeurkunde beantragte die Klägerin im November 1976 die Erstattung der für die Stiefmutter aufgewendeten Krankenhauspflegekosten und der Bestattungskosten.

Die Beklagte lehnte den Antrag ab (Bescheid vom 12. Januar 1977; Widerspruchsbescheid vom 6. Mai 1977). Ein aus der Krankenversicherung der Rentner herzuleitender Versicherungsschutz sei in den Fällen nicht begründet, in denen der Empfänger einer nach deutschen Vorschriften gezahlten Rente ständig im Ausland wohne.

Das Sozialgericht (SG) hat die angefochtenen Bescheide aufgehoben und die Beklagte verurteilt, an die Klägerin die Krankenhauspflegekosten, die anläßlich der Erkrankung der Rentnerin EJ entstanden sind und das Sterbegeld zu zahlen (Urteil vom 26. September 1977).

Mit Urteil vom 4. April 1978 hat das Landessozialgericht (LSG) das Urteil des SG aufgehoben und die Klage abgewiesen. Es hat im wesentlichen ausgeführt: Für die k Krankenversicherung der Rentner seien Leistungsansprüche für im Ausland lebende Rentner kraft ausdrücklicher Vorschrift ausgeschlossen. Entsprechend den von jeher geltenden Vorschriften würden daher Krankenversicherungsleistungen nicht an solche Personen gezahlt, die sich dauernd im Ausland aufhielten. Auf die Freiwilligkeit des Auslandsaufenthaltes komme es nicht an. Die gesamten Umstände, unter denen sich die Stiefmutter der Klägerin nach P begeben und dort aufgehalten habe, ließen zur Überzeugung des Gerichts hinreichend erkennen, daß die Stiefmutter der Klägerin bereits zu einem vor ihrer Einlieferung in das Krankenhaus liegenden Zeitpunkt nicht nur vorübergehend in P verweilt habe, sondern dort ihren gewöhnlichen Aufenthalt gehabt habe.

Mit der Revision rügt die Klägerin eine Verletzung der §§ 19 und 20 des Reichsknappschaftsgesetzes (RKG), der §§ 182, 183, 201 der Reichsversicherungsordnung (RVO) sowie der übrigen Bestimmungen über die Krankenversicherung der Rentner. Ihre Stiefmutter sei lediglich vorübergehend in P gewesen. Vorübergehend sei ein Aufenthalt dann, wenn nach den gesamten Umständen anzunehmen sei, daß er beschränkt sein solle. Die in § 108b RKG genannte Jahresfrist solle die Gesetzesanwendung nur erleichtern, den Begriff des vorübergehenden Aufenthalts aber nicht durch eine starre Zeitangabe ersetzen. Im übrigen sei kein rechtlich relevanter Grund zu erkennen, warum ein Rentner der B knappschaft schlechtergestellt sein solle als ein anderer Rentner, wenn er im Ausland erkranke und nicht in der Lage sei, in die B D zurückzukommen. Entgegenstehendes einfaches Recht verletze Art 3 Abs 1 des Grundgesetzes (GG).

Die Klägerin beantragt, das angefochtene Urteil aufzuheben und die Berufung der Beklagten gegen das Urteil des Sozialgerichts Dortmund vom 26. September 1977 zurückzuweisen.

Die Beklagte beantragt, die Revision zurückzuweisen.

Sie hält das angefochtene Urteil für zutreffend.

 

Entscheidungsgründe

II.

Die Revision ist zulässig. Zwar hat die Klägerin erst nach Ablauf der Revisionsfrist Revision eingelegt. Doch ist ihr Wiedereinsetzung in den vorigen Stand zu gewähren, da sie bis zur Bewilligung des Armenrechts ohne Verschulden verhindert war, die Revisionsfrist einzuhalten (§ 67 Abs 1 Sozialgerichtsgesetzes -SGG-). Sie hat die versäumte Rechtshandlung innerhalb der Frist des § 67 Abs 2 S. 3 SGG nachgeholt.

Die Revision der Klägerin ist jedoch unbegründet. Zu Recht hat das LSG den Anspruch der Klägerin gegen die Beklagte verneint. Aus eigenem Recht hat die Klägerin gegen die Beklagte keinen Anspruch auf Erstattung der Krankenhauskosten. Die Klägerin selbst steht zu der Beklagten in keiner Rechtsbeziehung, aus der ihr der geltend gemachte Anspruch zustehen könnte. Ob sie die Erbin ihrer verstorbenen Stiefmutter geworden und daher in ihre Recht eingetreten ist, kann dahinstehen. Denn die verstorbene Stiefmutter der Klägerin, EJ, hatte gegen die Beklagte keinen Anspruch auf Krankenhauspflege. Bei ihrem Tod entstand auch kein Anspruch auf Sterbegeld.

Nach den Tatsachenfeststellungen des LSG hatte die Stiefmutter der Klägerin sich auf Dauer nach P begeben. Ihr Aufenthalt war nicht lediglich vorübergehend. An diese Feststellung ist das Revisionsgericht gebunden (§ 163 SGG). Das LSG hat diesen Begriff des vorübergehenden und des dauernden Aufenthaltes auch nicht verkannt, wenn es aus der schweren Erkrankung, die die Stiefmutter getroffen hatte, den Schluß gezogen hat, daß sie sich nicht mehr ins Inland zurückbegeben konnte, sondern sich bei der Klägerin auf Dauer zur Pflege aufhielt.

Wie der Senat bereits mit Urteil vom 30. August 1973 (5 RKn 44/71, SozR Nr 1 zu § 20 VO über KVdR vom 4. November 1941) ausgeführt hat, sind in der k Krankenversicherung der Rentner nach § 2 Abs 1 der VO über die k Krankenversicherung der Rentner vom 8. Juni 1942 (RGBl I 409) iVm § 20 Abs 1 der VO über die Krankenversicherung der Rentner vom 4. November 1941 (RGBl I 689) Leistungsansprüche für Rentner, deren Rente ins Ausland gezahlt wird, ausgeschlossen. Zwar ist die letztere Vorschrift für die allgemeine Krankenversicherung der Rentner durch das Gesetz über die Krankenversicherung der Rentner vom 12. Juni 1956 (BGBl I 500) außer Kraft gesetzt worden. Das gilt jedoch nach Art 2 § 12 und Art 4 Abs 2 Nr 2 dieses Gesetzes nicht für die k Krankenversicherung der Rentner. Auch die Änderung des RKG durch das Finanzänderungsgesetz hat die entsprechende Anwendbarkeit des § 20 Abs 1 der Verordnung über die Krankenversicherung der Rentner über § 2 Abs 1 der Verordnung über die k Krankenversicherung der Rentner unberührt gelassen, wie sich schon aus dem in § 20 RKG enthaltenen Hinweis auf die Vorschriften über die k Krankenversicherung der Rentner ergibt. Da also (§ 2 Abs 1 vom 1941.11.04 ist für die KVdR auch jetzt noch anwendbares Recht (vgl BSG vom 1973-08-30 5 RKn 44/71 - SozR Nr 1 zu § 20 VO über KVdR vom  4. November 1941) Mithin gilt die KVdRV nicht für solche Rentner, deren k Rente ins Ausland gezahlt wird. Darauf, ob der Aufenthalt im Ausland freiwillig oder unfreiwillig ist, kommt es nicht an.)

Die Rente der Stiefmutter der Klägerin wurde auch iS des § 20 der VO vom 8. Juni 1942 "ins Ausland" gezahlt, obwohl die Rentenbeträge auf ein Bankkonto bei der Kreissparkasse S gingen. Die Zahlung an einen im Ausland lebenden Rentner auf ein Konto im Inland, ist rechtlich ebenso zu bewerten wie die unmittelbare Zahlung ins Ausland. Entscheidend ist nach § 20 der VO vom 8. Juni 1942 ebenso wie bei § 108 RKG nicht der Zahlungsort, sondern der Auslandsaufenthalt.

(Eine Ungleichbehandlung der Rentner, die in der k KVdR versichert sind, gegenüber denen in der allgemeinen Krankenversicherung der Rentner besteht nicht. Was in der K KVdR kraft ausdrücklicher Vorschrift gilt, wird in der allgemeinen KVdR daraus hergeleitet, daß die deutsche Staatsgewalt an den Grenzen der B endet und damit auch die Mitgliedspflicht, aufgrund derer die Mitgliedschaft in einer Krankenversicherung besteht (vgl BSG vom 1971.01.19 3 RK 101/67 = BSGE 32, 174).)

Entgegen der Auffassung der Klägerin verstößt es auch nicht (gegen das Willkürverbot des GG, Art 3 Abs 1 daß in der Krankenversicherung anders als in der Rentenversicherung Leistungen grundsätzlich nicht ins Ausland gewährt werden.) Die Rentenversicherung und die Krankenversicherung unterscheiden sich in ihrer Struktur und Organisation grundlegend. Der Rentenanspruch ist begründet, wenn seine Voraussetzungen bei Eintritt des Versicherungsfalls vorliegen, ohne daß der Rentner noch weitere Versicherungsbeziehungen zum Rentenversicherungsträger unterhalten müßte. Bei Leistungen der Krankenversicherung hingegen ist der Eintritt des Versicherungsfalls zwar das für die Leistung maßgebende Ereignis. Rechtsgrund der Leistungsgewährung ist aber die mitgliedschaftliche Zugehörigkeit des Versicherten zur Solidargemeinschaft (BSG Urteil vom 28. November 1979 - 3 RK 90/78 -). Die Begrenzung der Sachleistungen auf Personen im Inland hängt ua damit zusammen, daß Erfüllungsort des Anspruchs auf Krankenhilfe regelmäßig der Kassenbezirk ist. Das ergibt sich aus der Organisation der deutschen Krankenversicherung. Sie gewährt ihre Leistungen überwiegend in Natura, die ärztliche Behandlung durch zur Kassenpraxis zugelassene Ärzte, Versorgung mit Arzneien und Heilmitteln durch Vertragsapotheken und Krankenhauspflege durch Vertragskrankenhäuser. Zur Gewährung dieser Leistungen können die Kassen als räumlich begrenzte Einrichtungen nicht überall die nötigen Vorkehrungen treffen, vor allem aber nicht im Ausland (Plöger/Wortmann Deutsche Sozialversicherungsabkommen mit ausländischen Staaten, Allgemeiner Teil III A 3). Der Gesetzgeber hat daher anerkennenswerte Gründe dafür, Personen, die sich nicht nur vorübergehend im Ausland aufhalten, hinsichtlich der Leistungen der Krankenversicherung nicht denen gleichzustellen, die im Inland wohnen.

Zwischen der B D und der Volksrepublik P besteht auch kein Abkommen, das Leistungen der Krankenversicherung für solche Personen vorsieht, die sich dauernd im Ausland aufhalten. Aus den gleichen Gründen besteht kein Anspruch auf Sterbegeld.

Die Kostenentscheidung folgt aus § 193 Abs 1 SGG.

 

Fundstellen

Dokument-Index HI1654762

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