Verfahrensgang
LSG Nordrhein-Westfalen (Urteil vom 27.06.1958) |
Tenor
Die Revision des Klägers gegen das Urteil des Landessozialgerichts Nordrhein-Westfalen vom 27. Juni 1958 wird zurückgewiesen.
Außergerichtliche Kosten sind nicht zu erstatten.
Von Rechts wegen.
Tatbestand
Der Kläger wohnt in Dülmen. Er war in Recklinghausen auf der Zeche General Blumenthal beschäftigt. Für die Fahrt von Dülmen nach Recklinghausen und zurück benutzte er die Bundesbahn. An den dem 23. September 1952 vorhergehenden Tagen hatte er wegen einer Kieferentzündung nicht gearbeitet. Auch am 23. September 1952 wollte er zunächst seine Schicht nicht verfahren. Auf Drängen seiner Mutter fuhr er jedoch um 12,30 Uhr nach Recklinghausen, weil er sich nach seiner Behauptung doch noch entschlossen hatte, die Arbeit wiederaufzunehmen. Nach seiner weiteren Behauptung mußte er diese Absicht nach Ankunft auf dem Bahnhof in Recklinghausen wegen Verstärkung seiner Beschwerden aufgeben. Er begab sich in den Wartesaal und trank zwei Gläser Bier. Gegen 15(00) Uhr fuhr er mit dem Zug von Recklinghausen wieder in Richtung Dülmen zurück, um dort den ihn behandelnden Arzt aufzusuchen und dann nach Hause zu gehen. Im Zuge nahm er zwei oder drei schmerzstillende Tabletten. Die hatte zur Folge, daß er einschlief und infolgedessen versehentlich in Dülmen nicht ausstieg, sondern bis Appelhülsen weiterfuhr. Appelhülsen ist von Dülmen 12 km entfernt, Zwischen den beiden Orten befindet sich noch die Station Buldern. In Appelhülsen begab er sich in den Wartesaal und trank ein weiteres Glas Bier. Mit dem nächsten Zug wollte er nach Dülmen zurückfahren. In letzter Minute lief er auf den Bahnsteig und versuchte, auf den bereits angefahrenen Personenzug aufzuspringen. Dabei stürzte er, rutschte von der Bahnsteigkante ab und wurde schwer verletzt. Er erlitt zahlreiche Brüche an beiden Füßen, der linke Unterschenkel mußte amputiert werden.
Durch Bescheid vom 21. April 1954 lehnte die Beklagte den Antrag des Klägers vom 18. März 1953 auf Gewährung einer Unfallrente mit der Begründung ab, es sei nicht einmal erwiesen, ob der Kläger am Unfalltage überhaupt ernstlich vorgehabt habe, seine Arbeitsstätte aufzusuchen. Selbst wenn man dies aber unterstelle, habe er den Unfall auf einem unversicherten Umweg erlitten. Im anschließenden Klageverfahren wies das Sozialgericht Münster die Klage ab.
Das Landessozialgericht Essen wies die Berufung des Klägers durch Urteil vom 27. Juni 1958 zurück und ließ die Revision zu. Es könne dahingestellt bleiben, ob der Kläger überhaupt von vornherein die Absicht gehabt habe, auf der Zeche anzufahren. Auch sei es unerheblich, ob die nachmittags von Recklinghausen aus angetretene Rückfahrt bis Dülmen als Weg von der Arbeitsstätte angesehen werden könne, denn jedenfalls könne der Weg von Dülmen bis Appelhülsen und zurück nicht als versichert angesehen worden. Insoweit könne nämlich nicht von einem Heimweg von der Arbeitsstätte zur Wohnung gesprochen werden. Der Kläger habe diesen zusätzlichen Weg nicht aus betrieblichen, sondern aus persönlichen Gründen zurückgelegt; denn er sei eingeschlafen, weil er schmerzstillende Tabletten eingenommen habe; letztlich seien also seine Kieferbeschwerden Ursache für die Weiterfahrt nach Appelhülsen gewesen. Diese Fahrt könne auch nicht als eine bloß unbedeutende Abweichung vom normalen Heimweg angesehen werden.
Gegen das ihm am 11. Februar 1959 zugestellte Urteil des Landessozialgerichts hat der Kläger durch seine Prozeßbevollmächtigten mit Schriftsatz vom 13. Februar 1959, beim Bundessozialgericht eingegangen am 14. Februar 1959, unter Stellung eines Revisionsantrages Revision eingelegt und diese – nachdem die Revisionsbegründungsfrist bis zum 11. Mai 1959 verlängert worden war – mit Schriftsatz vom 8. Mai 1959, beim Bundessozialgericht eingegangen am 9. Mai 1959 begründet.
Er macht geltend, die Ansicht des Landessozialgerichts, daß nur solche Unfälle versicherungsrechtlich geschützt seien, die sich auf dem direkten Weg zwischen Arbeitsstätte und Wohnung ereigneten, sei rechtsirrig. Dies ergebe sich schon daraus, daß die herrschende Rechtsprechung in bestimmten Fällen den Versicherungsschutz auch für Unfälle, die sich auf Umwegen ereigneten, bejahe. Er habe mit seiner in Recklinghausen in Richtung Dülmen angetretenen Bahnfahrt nur die Absicht verfolgt, den Rückweg von der Arbeit zu seiner Wohnung zurückzulegen. Der Zusammenhang mit der Betriebstätigkeit sei nicht dadurch gelöst worden, daß er über Dülmen hinausgefahren sei; denn eine willkürliche Lösung könne nicht darin gesehen werden, daß er schmerzstillende Tabletten eingenommen habe, daraufhin eingeschlafen und deshalb über sein Fahrtziel hinausgefahren sei. Ein verbot- oder vernunftwidriges Verhalten liege nicht vor. Auch der kurze Aufenthalt in der Bahnhofsgaststätte in Appelhülsen habe den Zusammenhang mit der Betriebstätigkeit nicht lösen können.
Er hat beantragt,
unter Aufhebung des angefochtenen Urteils des Landessozialgerichts Nordrhein-Westfalen vom 27. Juni 1958 und der zugrunde liegenden Entscheidungen die Beklagte zu verurteilen, ihm auf Grund des am 23. September 1952 auf dem Rückwege von der Arbeitsstelle erlittenen Unfalls Unfallrente zu gewähren,
hilfsweise,
unter Aufhebung des angefochtenen Urteils die Sache zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an das Landessozialgericht Nordrhein-Westfalen zurückzuverweisen.
Die Beklagte hat beantragt,
die Revision zurückzuweisen.
Sie hält das angefochtene Urteil für zutreffend.
Entscheidungsgründe
Die Revision ist form- und fristgerecht eingelegt und begründet worden; sie ist statthaft, da das Landessozialgericht sie zugelassen hat. Bedenken gegen ihre Zulässigkeit bestehen somit nicht. Es mußte ihr jedoch der Erfolg versagt bleiben.
Wie das Berufungsgericht ohne Rechtsirrtum entschieden hat 9 steht dem Kläger ein Anspruch auf Unfallrente aus Anlaß des Unfalls vom 23. September 1952 nicht zu. Es kann dahingestellt bleiben, ob der Kläger, wie er behauptet, an diesem Tage zunächst die Absicht gehabt hat, seine Schicht auf der Schachtanlage „General Blumenthal” zu verfahren; denn selbst wenn dies der Fall gewesen sein sollte, muß sein Anspruch abgelehnt werden. Es ist schon zweifelhaft, ob der Rückweg vom Bahnhof Recklinghausen überhaupt als ein Weg von der Arbeitsstätte im Sinne des § 543 der Reichsversicherungsordnung (RVO) angesehen werden kann, da der Kläger diesen Rückweg nicht von der Zeche aus angetreten hat. Die Entscheidung dieser Frage kann jedoch dahingestellt bleiben, da der Kläger jedenfalls auf dem Weg vom Bahnhof Dülmen zum Bahnhof Appelhülsen und wieder zurück in Richtung Bahnhof Dülmen nicht unter Versicherungsschutz stand. Bei diesem Weg handelt es sich entgegen der Ansicht des Klägers nicht um einen bloßen Umweg. Von einem solchen könnte man nur sprechen, wenn bei einer Verlängerung des nächsten Heimweges immerhin die Zielrichtung noch die Wohnung geblieben wäre. Da der Kläger aber den nächsten Weg zu seiner Wohnung am Bahnhof Dülmen verlassen hat und er diesen, falls er nicht verunglückt wäre, an derselben Stelle wieder erreicht hätte, liegen diese Voraussetzungen nicht vor. Die von der Rechtsprechung angewandten Grundsätze, nach welchen bei einem verhältnismäßig unbedeutenden Umweg der Versicherungsschutz nicht entfällt, können hier daher nicht angewandt werden (SozR. RVO § 543 A a 8 Nr. 92). Die Besonderheit dieses Falles liegt allerdings darin, daß der Kläger nicht bewußt, sondern nur versehentlich über seinen Heimatbahnhof hinausgefahren ist. In einem solchen Falle könnte der Versicherungsschutz allenfalls dann bejaht werden, wenn das Versehen seine Ursache wesentlich in der betrieblichen Tätigkeit oder in den sich aus dem eigentlichen Heimweg ergebenden Umständen hätte. Der Weg des Klägers vom Bahnhof Dülmen zum Bahnhof Appelhülsen und zurück in Richtung Bahnhof Dülmen stände also, immer vorausgesetzt, daß der Rückweg vom Bahnhof Recklinghausen überhaupt als versichert angesehen werden könnte, allenfalls dann unter Versicherungsschutz, wenn das Einschlafen zumindest wesentlich auf die sich aus der Bahnfahrt ergebenden Umstände zurückzuführen wäre, wenn der Kläger also z.B. infolge einer durch die Bahnfahrt eingetretenen Ermüdung eingeschlafen wäre (vgl. dazu auch SozR. RVO § 543 Da 10 Nr. 13). Dies ist hier jedoch nicht der Falle. Das Einschlafen ist vielmehr nur auf persönliche Umstände zurückzuführen, da der Kläger, wie das Berufungsgericht unangefochten und daher nach § 163 des Sozialgerichtsgesetzes (SGG) für das Revisionsgericht bindend festgestellt hat, infolge der Einnahme schmerzstillender Tabletten eingeschlafen ist und er diese Tabletten wegen der auf seine Krankheit zurückzuführenden Schmerzen eingenommen hat.
Die Revision des Klägers mußte daher als unbegründet zurückgewiesen werden.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.
Unterschriften
Dr. Brockhoff, Fechner, Dr. Dapprich
Fundstellen
Haufe-Index 926556 |
NJW 1960, 1686 |