Leitsatz (amtlich)

1. Erleidet ein nicht mehr Erwerbstätiger, der Anspruch auf vorgezogenes Altersruhegeld nach AVG § 25 Abs 2 aF hat, als ehrenamtlicher Richter einen Arbeitsunfall, sind bei der Feststellung des Jahresarbeitsverdienstes (JAV) für die Verletztenrente nach RVO § 571 Abs 1 S 2 Tätigkeiten des Verletzten vor Beginn des vorgezogenen Altersruhegeldes nicht zu berücksichtigen. Der Anspruch des Verletzten auf das vorgezogene Altersruhegeld nach AVG § 25 Abs 2 aF im Zeitpunkt des Unfalls rechtfertigt die Annahme, daß die zu dieser Zeit ausgeübte Tätigkeit als ehrenamtlicher Richter mit den vor Beginn des vorgezogenen Altersruhegeldes ausgeübten Tätigkeiten nicht mehr in einem durch das Arbeitsleben bestimmten Zusammenhang steht (Weiterführung von BSG 1968-10-31 2 RU 139/67 = BSGE 28, 274).

2. Der nach RVO § 575 berechnete JAV (300fache des Ortslohnes) ist nicht in erheblichem Maße unbillig iS des RVO § 577, wenn die Lebenshaltung des Verletzten bereits im Jahre vor dem Arbeitsunfall nicht nur vorübergehend auf dem Bezug von Renten aus der Sozialversicherung und der KOV beruhte.

 

Normenkette

RVO § 539 Abs. 1 Nr. 13 Fassung: 1963-04-30, § 550 Abs. 1 Fassung: 1974-04-01, § 571 Abs. 1 S. 2 Fassung: 1963-04-30, § 575 Abs. 1 S. 1 Fassung: 1963-04-30, § 577 S. 1 Fassung: 1963-04-30; AVG § 25 Abs. 2 Fassung: 1957-02-23; RVO § 1248 Abs. 2 Fassung: 1957-02-23

 

Verfahrensgang

LSG Nordrhein-Westfalen (Entscheidung vom 15.01.1975; Aktenzeichen L 17 U 46/74)

SG Gelsenkirchen (Entscheidung vom 11.02.1974; Aktenzeichen S 10 U 219/70)

 

Tenor

Die Revision des Klägers gegen das Urteil des Landessozialgerichts für das Land Nordrhein-Westfalen vom 15. Januar 1975 wird zurückgewiesen.

Kosten sind nicht zu erstatten.

 

Tatbestand

Der am 26. Juli 1904 geborene Kläger erlitt am 7. Februar 1969 auf der Rückfahrt von der Tätigkeit als ehrenamtlicher Verwaltungsrichter beim Oberverwaltungsgericht für das Land Nordrhein-Westfalen in Münster nach Hause mit dem Kraftwagen einen Unfall, durch den er schwer verletzt wurde. Der Beklagte gewährte ihm deswegen Rente, und zwar vom 8. Februar 1969 bis zum 29. Februar 1972 nach einer Minderung der Erwerbsfähigkeit (MdE) von 100 v. H. (Bescheid vom 6. Februar 1970) und seit dem 1. März 1972 nach einer MdE von 70 v. H. (Bescheid vom 14. Januar 1972).

Nach den Feststellungen des Berufungsgerichts war der Kläger bis zum 15. Januar 1968 Gewerkschaftssekretär bei der Industriegewerkschaft Bergbau und Energie. Er verdiente dort in der Zeit vom 1. Januar bis zum 31. Dezember 1967 insgesamt 24.245,- DM. Seit dem 1. Januar 1967 bezieht der Kläger von der Bundesversicherungsanstalt für Angestellte Rente wegen Berufsunfähigkeit (Bescheid vom 19. Juni 1968) und seit dem 1. Februar 1969 vorgezogenes Altersruhegeld wegen einjähriger Arbeitslosigkeit (Bescheid vom 13. Februar 1969), das vom 1. Juli 1969 an als Altersruhegeld wegen Vollendung des 65. Lebensjahres gezahlt wird. Außerdem bezieht der Kläger eine Versorgungsrente nach einer MdE von 60 v. H.

Der Berechnung der Rente legte der Beklagte in den Bescheiden vom 6. Februar 1970 und 14. Januar 1972 als Jahresarbeitsverdienst (JAV) das Dreihundertfache des Ortslohnes von täglich 20,25 DM = 6.075,- DM zugrunde, da der Kläger im Jahr vor dem Unfall kein Arbeitseinkommen nachgewiesen habe. Ferner gewährte er ihm aufgrund der Verordnung über die Gewährung von Mehrleistungen im Bereich der Eigenunfallversicherung des Landes Nordrhein-Westfalen vom 18. Mai 1965 (GVBl NW 1965, 135) zur Verletztenrente einen Zuschlag von 15,- DM monatlich für je 10 v. H. der MdE, kürzte jedoch die Vollrente gemäß § 583 Abs. 4 RVO auf 85 v. H. des JAV. Eine Erhöhung des JAV nach billigem Ermessen (§ 577 RVO) lehnte der Beklagte durch Bescheid vom 21. März 1973 ab und wies den Widerspruch des Klägers durch Widerspruchsbescheid vom 26. April 1973 zurück.

Das Sozialgericht (SG) Gelsenkirchen hat die Klage auf Berechnung der Rente nach einem höheren JAV abgewiesen (Urteil vom 11. Februar 1974). Die Berufung des Klägers ist ohne Erfolg geblieben (Urteil des Landessozialgerichts - LSG - für das Land Nordrhein-Westfalen vom 15. Januar 1975). Das LSG hat zur Begründung ausgeführt: Im Jahr vor dem Unfall, nämlich vom 7. Februar 1968 bis zum 6. Februar 1969 habe der Kläger kein Arbeitseinkommen erzielt. Deswegen sei eine Berechnung des JAV nach § 571 Abs. 1 Satz 1 RVO nicht möglich. Da der Kläger den Arbeitsunfall bei einer Tätigkeit erlitten habe, die überhaupt nicht mit einem Arbeitseinkommen verbunden sei, sei auch eine Feststellung des JAV nach § 571 Abs. 1 Satz 3 RVO nicht zulässig. Zu Unrecht meine der Kläger, daß die Berechnung des JAV nach § 571 Abs. 1 Satz 2 RVO zu erfolgen habe. Nach dieser Vorschrift werde, wenn im Jahr vor dem Arbeitsunfall kein Arbeitseinkommen erzielt worden sei, für die Berechnung des JAV das Arbeitseinkommen zugrunde gelegt, das durch eine Tätigkeit erzielt worden sei, die der letzten Tätigkeit des Verletzten vor dieser Zeit entspreche. Die frühere Tätigkeit des Klägers als Gewerkschaftssekretär könne jedoch nicht berücksichtigt werden, weil zwischen ihr und der Tätigkeit des Klägers als ehrenamtlicher Verwaltungsrichter keine durch das Erwerbsleben des Klägers begründete Beziehung bestehe. Denn die Bestellung des Klägers zum ehrenamtlichen Verwaltungsrichter sei unabhängig von seiner früheren Tätigkeit als Gewerkschaftssekretär erfolgt. Hinzu komme, daß sich der Kläger seit seiner Entlassung aus den Diensten der Industriegewerkschaft Bergbau und Energie am 15. Januar 1968 vom Erwerbsleben ab- und dem erwarteten Ruhestand zugewandt habe. Zutreffend sei daher von der Beklagten nach § 575 RVO das Dreihundertfache des Ortslohnes der Berechnung des JAV zugrunde gelegt worden. Dieser JAV sei auch nicht in erheblichem Maße unbillig im Sinne des § 577 RVO. Der Kläger habe bereits seit über einem Jahr vor dem Unfall keine Erwerbstätigkeit mehr ausgeübt und seinen Lebensunterhalt durch Bezug von Renten bestritten, die er nach dem Unfall weiter erhalte. Er habe durch den Unfall trotz einer geschätzten MdE keine nennenswerte Erwerbseinbuße erlitten. Die Tätigkeit als ehrenamtlicher Verwaltungsrichter sei zudem keiner Entgeltbewertung zugänglich.

Das LSG hat die Revision zugelassen.

Der Kläger hat dieses Rechtsmittel eingelegt und im wesentlichen wie folgt begründet: Bei der Berechnung des JAV sei das Arbeitseinkommen aus seiner Tätigkeit als Gewerkschaftssekretär nach § 571 Abs. 1 Satz 2 RVO zu berücksichtigen. Denn in der Zeit vor dem Unfall sei er nur vorübergehend ohne Arbeitseinkommen gewesen, worunter ein Zeitraum von weniger als 78 Wochen zu verstehen sei. Entgegen der Ansicht des LSG habe er sich nach der Beendigung seiner Tätigkeit als Gewerkschaftssekretär nicht vom Erwerbsleben abgewandt. Er habe sich arbeitslos gemeldet und ernsthaft um Arbeit bemüht, um seine Einkommensverhältnisse nicht rapide absinken zu lassen. Zumindest sei der JAV nach § 577 RVO festzustellen. Es sei in erheblichem Maße unbillig, bei einem Versicherten, der ein Entgelt von über 24.000,- DM jährlich bezogen habe, der Rentenberechnung als JAV einen Ortslohn von 6.075,- DM zugrunde zu legen.

Der Kläger beantragt,

die Urteile des LSG für das Land Nordrhein-Westfalen vom 15. Januar 1975 und des SG Gelsenkirchen vom 11. Februar 1974 aufzuheben sowie die Bescheide vom 6. Februar 1970 und 14. Januar 1972 zu ändern und den Beklagten zu verurteilen, den JAV gemäß § 571 Abs. 1 Satz 2 RVO festzusetzen,

hilfsweise,

die Bescheide vom 21. März 1973 und 26. April 1974 aufzuheben und den Beklagten zu verpflichten, den JAV nach § 577 RVO festzustellen.

Der Beklagte beantragt,

die Revision zurückzuweisen.

Er hält das angefochtene Urteil für zutreffend.

 

Entscheidungsgründe

Der Senat konnte ohne mündliche Verhandlung entscheiden, da die Beteiligten sich damit einverstanden erklärt haben (§ 124 Abs. 2 SGG).

Die Revision des Klägers ist nicht begründet.

Der Beklagte hat der Rentenberechnung in den angefochtenen Bescheiden zutreffend gemäß § 575 RVO das Dreihundertfache des Ortslohnes als JAV zugrunde gelegt und die Feststellung eines höheren JAV nach billigem Ermessen gemäß § 577 RVO abgelehnt.

Die Verletztenrente wird in der gesetzlichen Unfallversicherung nach dem JAV berechnet (§ 581 RVO). Nach § 571 Abs. 1 RVO gilt als JAV das Arbeitseinkommen des Verletzten im Jahr vor dem Arbeitsunfall (Satz 1). Für Zeiten, in denen der Verletzte im Jahr vor dem Arbeitsunfall kein Arbeitseinkommen bezog, wird das Arbeitseinkommen zugrunde gelegt, das durch eine Tätigkeit erzielt wird, die der letzten Tätigkeit des Verletzten vor dieser Zeit entspricht (Satz 2). Ist er früher nicht tätig gewesen, so ist die Tätigkeit maßgebend, die er zur Zeit des Arbeitsunfalls ausgeübt hat (Satz 3).

Der Kläger hat im Jahr vor dem Arbeitsunfall, nämlich vom 7. Februar 1968 bis zum 6. Februar 1969, kein Arbeitseinkommen erzielt. Er war bereits am 15. Januar 1968 bei der Industriegewerkschaft Bergbau und Energie ausgeschieden und seitdem arbeitslos. Ein etwa während dieser Zeit bezogenes Arbeitslosengeld ist kein Arbeitseinkommen (Brackmann, Handbuch der Sozialversicherung, 8. Auflg. S. 562 y). Schon vor dem Ausscheiden aus dem letzten Beschäftigungsverhältnis erhielt der Kläger neben Rente aus der Kriegsopferversorgung eine Rente aus der Angestelltenversicherung wegen Berufsunfähigkeit (§ 23 AVG), an deren Stelle nach einjähriger ununterbrochener Arbeitslosigkeit ab 1. Februar 1969 - also noch vor dem Unfall - der Anspruch auf das vorgezogene Altersruhegeld trat (§ 25 Abs. 2 AVG aF). Diese Renten rechnen gleichfalls nicht zum Arbeitseinkommen (Lauterbach, Gesetzliche Unfallversicherung, 3. Auflg. Anm. 2 e zu § 571). Da der Kläger während des vor dem Unfall liegenden Jahres kein Arbeitseinkommen gehabt hat, scheidet eine Berechnung des JAV nach § 571 Abs. 1 Satz 1 RVO aus. Die Anwendung dieser Vorschrift setzt voraus, daß der Verletzte während des vor dem Unfall liegenden Jahres ununterbrochen Arbeitseinkommen bezogen hat. Auch eine Anwendung des § 571 Abs. 1 Satz 2 RVO kommt nicht in Betracht. Wie der erkennende Senat in dem auch vom LSG zitierten Urteil (BSGE 28, 274) ausgeführt hat, soll durch diese Vorschrift erreicht werden, daß der durch den Ausfall von Arbeitseinkommen im Jahr vor dem Unfall bedingte niedrige Lebensstandard, der in der Regel nicht lange anhalte, nicht zum Maßstab für die gesamte Laufzeit der Rente gemacht werde. Nach der Natur der Sache komme hierfür normalerweise ein Verdienstausfall vornehmlich durch Krankheit oder Arbeitslosigkeit, also durch verhältnismäßig kurze Unterbrechung ein und derselben Erwerbsarbeit in Betracht. Dem Zweck der Vorschrift und dem Sinnzusammenhang, in den sie hineingestellt sei, entspreche es, nach § 571 Abs. 1 Satz 2 RVO nur solche frühere Tätigkeiten des Verletzten zu berücksichtigen, die mit der zur Unfallzeit ausgeübten Tätigkeit noch in einem durch das Arbeitsleben bestimmten Zusammenhang stehen. Dabei hänge es von den jeweiligen Umständen des Einzelfalles ab, ob die Beziehungen des Verletzten zu seiner früheren Tätigkeit als noch nicht gelöst anzusehen seien, weil er sich in der Zeit ohne Arbeitseinkommen die Möglichkeit eines jederzeitigen Wiedereintritts in das Erwerbsleben offengehalten habe. Der erkennende Senat stimmt der Auffassung des LSG zu, daß es im vorliegenden Fall an einem durch das Arbeitsleben bestimmten Zusammenhang zwischen der früheren Tätigkeit des Klägers als Gewerkschaftssekretär und der zur Unfallzeit ausgeübten Tätigkeit als ehrenamtlicher Verwaltungsrichter fehlt. Dabei sieht es der erkennende Senat als entscheidend an, daß der Kläger zur Zeit des Unfalls bereits Anspruch auf Altersruhegeld hatte. Zwar handelt es sich bei der ab 1. Februar 1969 gewährten Leistung um das vorgezogene Altersruhegeld nach § 25 Abs. 2 AVG aF, das u. a. eine ununterbrochene Arbeitslosigkeit von mindestens einem Jahr voraussetzt und auch nur für die weitere Dauer der Arbeitslosigkeit gewährt wird. Jedoch steht dies der Annahme, der Kläger habe sich dem erwarteten Ruhestand zugewandt, nicht entgegen. In § 75 Abs. 2 AVAVG, der damals noch in Kraft war, wird allerdings darauf abgestellt, daß der Arbeitslose "vorübergehend nicht in einem Beschäftigungsverhältnis steht". Diese Vorschrift ist aber im Rahmen des § 25 Abs. 2 AVG aF nicht uneingeschränkt anwendbar, weil es sich bei der hier vorausgesetzten Arbeitslosigkeit gerade nicht um das nur vorübergehende Fehlen eines Beschäftigungsverhältnisses handelt. (Brackmann, Handbuch der Sozialversicherung, 8. Auflg. S. 684 d II und 684 d IV). Denn auch wenn bei einem - nicht berufsunfähigen - Versicherten schon zu Beginn des maßgeblichen Jahreszeitraums feststeht, daß er nicht mehr beschäftigt werden wird, ist er i. S. des § 25 Abs. 2 AVG aF arbeitslos. Das nach dieser Vorschrift zu zahlende Altersruhegeld soll denjenigen über 60 Jahre alten Versicherten zugute kommen, die auf nicht absehbare Zeit aus dem Arbeitsleben ausgeschieden sind (Brackmann aaO), obwohl sie arbeitsfähig und arbeitswillig sind und dies durch einjährige vergebliche Bemühungen um eine Arbeitsstelle bewiesen haben. Das Gesetz vermutet bei ihnen, daß sie wegen ihres Alters nicht mehr vermittelt werden können. Auch nur die tatsächliche Aufnahme einer versicherungspflichtigen Beschäftigung oder Tätigkeit kann zum Wegfall des vorgezogenen Altersruhegeldes führen (BSGE 24, 290, 292; 35, 85, 86; SozR Nr. 43 zu § 1248 RVO). Im vorliegenden Fall kommt noch hinzu, daß der Kläger zur Zeit des Arbeitsunfalls am 7. Februar 1969 bereits kurz vor der Vollendung seines 65. Lebensjahres am 26. Juli 1969 stand und daher ab 1. August 1969 Altersruhegeld wegen Vollendung des 65. Lebensjahres zu erwarten hatte (§§ 25 Abs. 1, 67 Abs. 1 AVG aF).

Eine Berechnung des JAV nach § 571 Abs. 1 Satz 3 RVO kommt ebenfalls nicht in Betracht. Der erkennende Senat hat zwar entschieden, daß der JAV nach dieser Vorschrift zu berechnen ist, wenn die Anwendbarkeit des § 571 Abs. 1 Satz 2 RVO entfällt, weil die frühere Tätigkeit des Versicherten nicht berücksichtigt werden kann (BSGE 28, 274). Dies setzt jedoch voraus, daß der Verletzte zur Zeit des Arbeitsunfalls eine entgeltliche Tätigkeit ausgeübt hat. Die dem Kläger als ehrenamtlichem Verwaltungsrichter gewährte Entschädigung für Zeitverlust, Fahrtkosten und Aufwand nach dem Gesetz über die Entschädigung der ehrenamtlichen Richter vom 21. September 1963 (BGBl I 754) ist kein Arbeitseinkommen (vgl. Brackmann aaO S. 474 l). Daher kann eine Berechnung des JAV nach § 571 Abs. 1 Satz 3 RVO nicht erfolgen.

Der JAV mußte deshalb nach § 575 RVO bemessen werden. Nach dieser Vorschrift beträgt der JAV mindestens das Dreihundertfache des Ortslohnes, der zur Zeit des Arbeitsunfalls für den Beschäftigungsort oder, wenn ein solcher fehlt, für den Wohnort des Verletzten festgesetzt ist. Die ist in den angefochtenen Bescheiden vom 6. Februar 1970 und 14. Januar 1972 geschehen. Ferner hat der Beklagte dem Kläger die ihm aufgrund der Verordnung über die Gewährung von Mehrleistungen im Bereich der Eigenunfallversicherung des Landes Nordrhein-Westfalen vom 18. Mai 1965 (aaO) zustehenden Mehrleistungen gewährt, die allerdings den JAV unberührt lassen, sondern lediglich als Zuschlag auf die monatliche Rente gezahlt werden. Diese Zuschläge kamen, solange der Kläger Anspruch auf die Vollrente hatte, auch nicht voll zur Auszahlung, da nach § 583 Abs. 4 RVO i. V. m. § 3 der Verordnung vom 18. Mai 1965 die Verletztenrente mit den Mehrleistungen 85 v. H. des JAV nicht übersteigen darf.

Die Feststellung des JAV nach billigem Ermessen gemäß § 577 RVO hat der Beklagte zu Recht abgelehnt. Nach dieser Vorschrift, die auch bei der Feststellung des JAV gemäß § 575 RVO Anwendung finden kann (BSG, Urteil vom 24. April 1975 - 8 RU 36/74), ist der JAV im Rahmen des § 575 RVO nach billigem Ermessen festzustellen, wenn der u. a. nach § 575 RVO berechnete JAV in erheblichem Maße unbillig ist.

Das ist hier nicht der Fall. Aus der in der Begründung des Entwurfs zur Neuregelung des Rechts der gesetzlichen Unfallversicherung zum Ausdruck gekommenen Zielvorstellung des Gesetzgebers (BT-Drucks IV/120 S. 57 zu §§ 570 bis 578) geht hervor, daß es unbillig ist, ein aus besonderen Gründen vorübergehend niedriges, der normalen Lebenshaltung des Verletzten nicht entsprechendes Arbeitseinkommen der Rentenberechnung als JAV zugrunde zu legen und als Maßstab für die gesamte Laufzeit der Rente zu machen (vgl. auch BSGE 32, 169, 173). Der Kläger war aber bereits länger als ein Jahr vor dem Unfall aus dem Arbeitsleben ausgeschieden und erlitt den Unfall bei einer nicht mit Arbeitseinkommen verbundenen ehrenamtlichen Tätigkeit. Sein Lebensstandard beruhte zu dieser Zeit nicht nur vorübergehend, sondern für die Dauer nicht mehr auf dem Arbeitseinkommen als Gewerkschaftssekretär, sondern auf dem Bezug von Renten (Sozialversicherung, Kriegsopferversorgung) und Leistungen, die ihm wegen Arbeitslosigkeit zu gewähren waren. Der Beklagte hat daher in den Bescheiden vom 21. März und 26. April 1973 eine erhebliche Unbilligkeit des nach § 575 RVO festgestellten JAV zu Recht verneint.

Die Revision des Klägers mußte somit zurückgewiesen werden.

Die Kostenentscheidung folgt aus § 193 SGG.

 

Fundstellen

BSGE, 12

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