Leitsatz (amtlich)
Zur Frage der Verweisbarkeit eines selbständigen Handwerkers (Schuhmachermeisters) auf eine abhängige Beschäftigung (zB als Verkaufsleiter, Geschäftsführer, Aufsichtsperson in einem Schuhgeschäft) bzw auf die Tätigkeit in einem von ihm schon vor Eintritt der Berufsunfähigkeit und seither fortlaufend geführten eigenem Betrieb (Schuhgeschäft).
Normenkette
AVG § 23 Abs. 2 Fassung: 1957-02-23, § 63 Abs. 1 Fassung: 1957-02-23; RVO § 1246 Abs. 2 Fassung: 1957-02-23, § 1286 Abs. 1 Fassung: 1957-02-23
Tenor
Auf die Revision der Beklagten wird das Urteil des Landessozialgerichts Niedersachsen vom 10. Dezember 1965 aufgehoben.
Die Sache wird zu neuer Entscheidung an das Landessozialgericht zurückverwiesen.
Gründe
I
Der Kläger wendet sich gegen die Entziehung der Rente wegen Berufsunfähigkeit (BU).
Mit Bescheid vom 18. November 1952 gewährte die Landesversicherungsanstalt H, die damals auch die Aufgaben der Angestelltenversicherung wahrnahm, dem Kläger (geboren am 13. August 1915) vom 1. September 1952 an Ruhegeld wegen BU. Der Kläger hatte 1930 bis 1934 eine Schuhmacherlehre durchgemacht, war anschließend bis Ende 1948 - mit Unterbrechung von 1937 bis 1947 durch Arbeitsdienst, Wehrdienst, Kriegsdienst, Kriegsgefangenschaft - Schuhmachergeselle und betrieb sodann ab Anfang 1949, nach Ablegung der Meisterprüfung, eine eigene Schuhmacherwerkstatt. Ebenfalls im Jahre 1949 übernahm er als Angestellter die Filiale einer Schuhfabrik, die aus einem Schuhgeschäft bestand; bis März 1951 wurden für ihn Beiträge zur Angestelltenversicherung auf Grund dieser Beschäftigung entrichtet. Seither betreibt er das Geschäft auf eigene Rechnung. Im März 1952 erkrankte er an offener Lungen-Tuberkulose (Lungen-Tbc). Als Schuhmachermeister ist er seither nicht mehr selbst tätig; er hat für den Werkstattbetrieb einen Gehilfen eingestellt. Nachuntersuchungen und mehrere Heilverfahren bis 1957 blieben ohne Einfluß auf die Rentengewährung.
Auf Grund einer Nachuntersuchung im Jahre 1961 entzog die Beklagte mit Bescheid vom 17. August 1961 die Rente nach § 63 des Angestelltenversicherungsgesetzes - AVG - (iVm Art. 2 § 23 des Angestelltenversicherungs-Neuregelungsgesetzes); die Lungen-Tbc sei nunmehr inaktiv; durch Verschwartungen und Verwachsungen sei die Herz- und Lungenfunktion zwar eingeschränkt, jedoch ausreichend. Das Sozialgericht (SG) Lüneburg wies - nach Beweisaufnahmen über den Gesundheitszustand des Klägers und über berufs- und betriebskundliche Fragen - die Klage ab. Auf die Berufung hob das Landessozialgericht (LSG) Niedersachsen das Urteil des SG und den Entziehungsbescheid der Beklagten auf (Urteil vom 10. Dezember 1965). Es führte aus: Der Kläger könne nach den ärztlichen Gutachten täglich nur noch vier bis fünf Stunden mittelschwere Arbeiten, die nicht mit dauerndem Bücken verbunden seien, verrichten. Damit sei er weiterhin berufsunfähig. Auszugehen sei von dem Beruf eines Schuhmachermeisters; der Kläger sei seit der Eintragung in die Handwerksrolle (Dezember 1948) nach § 1 des Handwerkerversorgungsgesetzes (HVG) vom 21. Dezember 1938 versichert gewesen, es sei unerheblich, daß von 1949 bis März 1951 für ihn als Angestellten der Schuhfabrik Beiträge zur Angestelltenversicherung entrichtet worden seien. Nach § 1 der Durchführungs- und Ergänzungsverordnung zum HVG vom 13. Juli 1939 erfasse die Handwerkerversicherung die gesamte Tätigkeit des Handwerkers. Die Erwerbsfähigkeit des Klägers "in seinem Beruf als Schuhmacher" sei zwar nicht mehr durch eine aktive Lungen-Tbc eingeschränkt, wohl aber durch die Folgeleiden (Verwachsungen am Zwerchfell, Rippenfell und Herzbeutel nach Pneumothoraxbehandlung, geringe Neigung zu gelegentlicher Bronchitis), die es in Verbindung mit der inaktiven Tbc und weiteren Leiden (Beschleunigung der Herztätigkeit, Gefügestörung der Wirbelsäule, Verformung der oberen Brustwirbelsäule) ausschlössen, daß der Kläger längere Zeit in gebückter Haltung arbeite; die Tätigkeit eines Schuhmachers in einem Einmannbetrieb erfordere aber nach Auskunft der Handwerkskammer zu etwa 50 v.H. ein Arbeiten in gebückter Haltung. Das Maß der Beeinträchtigung der Erwerbsfähigkeit sei nicht an der Erwerbsfähigkeit einer "abstrakten Vergleichsperson", sondern an den Besonderheiten des von dem Versicherten geleiteten Handwerksbetriebs zu messen. Auf eine gleichwertige unselbständige Beschäftigung dürfe ein Handwerker nicht verwiesen werden, weil Gegenstand seiner Versicherung die Risiken einer selbständigen Tätigkeit und gerade nicht die einer abhängigen Beschäftigung seien; das ergebe sich aus dem Wesen der Handwerkerversorgung als einer in sich geschlossenen Standesversicherung. Eine andere selbständige Tätigkeit übe der Kläger nicht aus; die Voraussetzungen, die nach dem Urteil des Bundessozialgerichts (BSG) vom 24. Februar 1965 (BSG 22, 265) die Verweisung auf eine selbständige Tätigkeit zuließen, lägen bei dem Kläger nicht vor. Das LSG ließ die Revision zu.
Die Beklagte legte frist- und formgerecht Revision ein, sie beantragte,
das angefochtene Urteil aufzuheben und die Berufung gegen das Urteil des SG Lüneburg vom 8. Juli 1963 zurückzuweisen.
Zur Begründung trug sie vor: Das LSG habe gegen die §§ 63 Abs. 1, 23 Abs. 2 AVG verstoßen. Wenn das Leistungsvermögen des Klägers nach den ärztlichen Gutachten auch nicht ausreiche, wieder den Beruf eines Schuhmachermeisters auszuüben, so könne der Kläger entgegen der Auffassung des LSG doch auf andere Tätigkeiten (Beschäftigungen) verwiesen werden, die seine "neuerliche Erwerbsfähigkeit" begründen. Der Kläger habe während des Rentenbezugs weiterhin als Selbständiger eine Schuhreparaturwerkstatt und ein Verkaufsgeschäft betrieben. Da er von Ende 1949 bis März 1951 auch als Angestellter beschäftigt gewesen sei, sei die Verweisung auf eine Angestelltentätigkeit, etwa als Werkmeister in einem Industriebetrieb, zumutbar. In jedem Fall müsse er sich aber auf eine andere (selbständige) Tätigkeit verweisen lassen; er sei nicht nur Handwerksmeister, sondern zugleich auch Inhaber eines Schuhgeschäfts. Das Einkommen aus dem Schuhwarengeschäft habe - 1962 - das Einkommen aus der Reparaturwerkstatt erheblich überstiegen; wesentliche Grundlage des Betriebs sei nicht die handwerkliche Betätigung, sondern der Schuhwarenhandel; die für das Geschäft erforderlichen Kenntnisse und Fähigkeiten habe der Kläger schon vor Eintritt der BU erworben. Deshalb könne er auf die Tätigkeit eines Schuhhändlers oder eine entsprechende Tätigkeit verwiesen werden, die er, wie seine langjährige Berufsausübung beweise, nach seinem körperlichen und geistigen Leistungsvermögen verrichten könne; in diesem "Verweisungsberuf" könne er noch mehr als die Hälfte dessen erwerben, was ein gesunder Versicherter mit entsprechenden Kenntnissen und Fähigkeiten erwerben könne.
Der Kläger beantragte,
die Revision zurückzuweisen.
Er machte im wesentlichen geltend, es komme allein darauf an, ob seit der Rentenbewilligung eine Änderung in seiner Erwerbsfähigkeit als Schuhmachermeister eingetreten sei; dies sei nicht der Fall. Er habe seinen Handwerksbetrieb zu keiner Zeit aufgegeben; in seinem Schuhwarengeschäft könne er aus gesundheitlichen Gründen nur eine leichte, im wesentlichen beratende Tätigkeit ausüben; auch als Schuhmachergeselle wäre er weiterhin berufsunfähig.
II
Die Revision der Beklagten ist zulässig (§§ 162 Abs. 1 Nr. 1, 164 des Sozialgerichtsgesetzes - SGG -). Sie ist auch begründet in dem Sinne, daß das Urteil des LSG aufzuheben und die Sache zu neuer Entscheidung an das LSG zurückzuverweisen ist.
Bei der Prüfung der Voraussetzungen für die Rente wegen BU - sowohl bei der Bewilligung als auch bei der im vorliegenden Falle streitigen Entziehung der Rente - ist Ausgangspunkt der Beurteilung der "bisherige Beruf". Dieser "bisherige Beruf" muß grundsätzlich immer ein Beruf sein, in dem der Berechtigte versichert gewesen ist, wobei in der Regel nur eine pflichtversicherte Beschäftigung oder Tätigkeit in Betracht kommt. Für die "Verweisungsberufe" im Sinne von § 23 Abs. 2 Satz 2 AVG gilt dieser Grundsatz dagegen nicht; hier kann ein Versicherter unter Umständen auch auf Beschäftigungen oder Tätigkeiten verwiesen werden, die keiner Versicherungspflicht unterliegen (vgl. Urteil des BSG vom 16. September 1965, BSG 24, 7, 10 ff mit weiteren Hinweisen).
Für die Entscheidung darüber, ob der Kläger infolge einer Änderung in seinen Verhältnissen nicht mehr berufsunfähig ist (§ 63 Abs. 1 Satz 1 AVG), kommt es daher zunächst darauf an, was als "bisheriger Beruf" des Klägers anzusehen ist und ob und inwieweit sich die Verhältnisse des Klägers, die zu der Rentenbewilligung geführt haben, im Hinblick auf diesen "bisherigen Beruf" geändert haben. Soweit das LSG als "bisherigen Beruf" des Klägers - im Zeitpunkt der Rentenbewilligung - ausschließlich die Tätigkeit des Klägers als selbständiger Schuhmachermeister in einem "Einmannbetrieb" angesehen hat, der in dieser Eigenschaft nach dem HVG pflichtversichert gewesen ist, ist dies nicht zu beanstanden; er hat in dieser Eigenschaft und mit dem Beginn seiner selbständigen Tätigkeit die sozial am höchsten zu bewertende Stellung in seinem Beruf erreicht, und er ist an der Fortsetzung der selbständigen beruflichen Tätigkeit als Schuhmachermeister nur durch seine Krankheit, also durch von seinem Willen unabhängige Umstände, gehindert gewesen (vgl. Urteil des BSG vom 27. Juni 1963, BSG 19, 217, 219, 220). Er hat seinen Beruf als selbständiger Schuhmachermeister auch nicht während der Zeit aufgegeben, in der er (von 1949 bis März 1951) Angestellter einer Schuhfabrik gewesen ist; jedenfalls ist diese Zeit, nach deren Ablauf er die Filiale der Schuhfabrik als eigenen Betrieb übernommen hat, zu kurz gewesen, als daß sie an dem "Hauptberuf" des Klägers als selbständiger Schuhmachermeister etwas geändert hätte. Im übrigen könnte er, nach den von der Revision nicht angegriffenen tatsächlichen Feststellungen des LSG, obwohl sein Lungenleiden im Zeitpunkt des Rentenentziehungsbescheides inaktiv gewesen ist, wegen der Folgeerscheinungen dieses Leidens und weiterer Erkrankungen sowie wegen der mit der Ausübung des Berufs verbundenen Gefährdung (insbesondere durch Staubentwicklung) auch als Schuhmacher in abhängiger Stellung weiterhin nicht tätig sein; insoweit ist eine Änderung in den zur Zeit der Rentenbewilligung maßgebenden Verhältnissen nicht eingetreten. Hiervon geht nunmehr auch die Beklagte aus.
Im Revisionsverfahren ist sonach allein darüber zu entscheiden, ob dadurch, daß der Kläger nur noch an einer inaktiven Lungen-Tbc und den Folgeerscheinungen der früher aktiven Tbc - neben den weiteren vom LSG festgestellten gesundheitlichen Beschwerden - leidet, eine Änderung in seinen Verhältnissen insofern eingetreten ist, als er nunmehr eine andere Beschäftigung oder Tätigkeit verrichten kann, die "seinen Kräften und Fähigkeiten entspricht und ihm unter Berücksichtigung der Dauer und des Umfangs seiner Ausbildung sowie seines bisherigen Berufs und der besonderen Anforderungen seiner bisherigen Berufstätigkeit zugemutet werden" kann (§ 23 Abs. 2 Satz 2 AVG) und ob seine Erwerbsfähigkeit in einem solchen "Verweisungsberuf" (Verweisungstätigkeit) auf weniger als die Hälfte derjenigen eines körperlich und geistig gesunden Versicherten in seinem bisherigen Beruf (Vergleichsperson) herabgesunken ist.
Soweit es sich um eine Beschäftigung in abhängiger Stellung handelt, hat das LSG eine "Verweisungsmöglichkeit" schon deshalb verneint, weil für einen selbständigen Handwerksmeister "eine Verweisung auf eine gleichwertige unselbständige Beschäftigung unzumutbar" sei. Es hat sich insoweit insbesondere auf Brackmann (Handbuch der Sozialversicherung, 1. bis 6. Aufl., Stand 1967, Bd. III 796) und auf Wannagat (Lehrbuch des Sozialversicherungsrechts, Bd. I, 273, 244) sowie auf die Urteile des BSG vom 30. November 1955 (BSG 2, 91) und vom 29. Juli 1958 (BSG 8, 31, 33) berufen. Auch Brackmann (aaO) geht indessen davon aus, man werde "grundsätzlich bejahen müssen, daß auch einem selbständigen Handwerker eine abhängige Beschäftigung zuzumuten ist", er weist nur auf die Schwierigkeit hin, im Einzelfall "eine ungefähr gleichwertige Beschäftigung zu finden". Wannagat (aaO) leitet seine Bedenken aus der "Eigenart selbständiger handwerklicher Berufsausübung" und der Eigenart der Handwerkerversicherung als einer "berufsständischen Versicherung besonderer Art" her, insoweit in Übereinstimmung mit den unter der Geltungsdauer des HVG ergangenen Urteilen des 1. Senats des BSG (aaO) und weiter auch mit dem Urteil vom 20. Februar 1962 (SozR Nr. 3 zu § 27 AVG aF). Bereits in dem Urteil des BSG vom 24.Februar 1965 (BSG 22, 265, 267) ist aber darauf hingewiesen, daß sich die wirtschaftlichen und sozialen Verhältnisse und die ihnen folgende Gesetzgebung und Rechtsprechung weiterentwickelt haben; in diesem Urteil ist - für den Fall eines gelernten Polsterers, der nach Ablegung der Meisterprüfung im Tapezierhandwerk den elterlichen Betrieb übernommen hatte, allerdings nicht selbst in die Handwerksrolle eingetragen war - ausgeführt, es erscheine mit den Grundsätzen der heutigen sozialen Rentenversicherung - spätestens seit dem Inkrafttreten der Rentenversicherungs-Neuregelungsgesetze (1. Januar 1957) - nicht mehr vereinbar, die einzelnen Versicherungszweige unter dem Gesichtspunkt des Schutzes bestimmter Gruppen oder "Klassen" (Arbeiter - Angestellte - pflichtversicherte Selbständige) zu betrachten. Entscheidend für die Versicherungspflicht sei vielmehr allein die soziale Schutzbedürftigkeit, die vom Gesetzgeber ohne Rücksicht auf die Zugehörigkeit zu einer bestimmten Gruppe nach wirtschaftlichen und rechtspolitischen Gesichtspunkten abgegrenzt werde. Diese Erwägungen hält der Senat für zutreffend. Wenn aber das "Schutzbedürfnis" (im Rahmen der Pflichtversicherung ebenso wie im Rahmen der Berechtigung zur Selbstversicherung oder Weiterversicherung) nicht durch den Grundgedanken eines "Gruppenschutzes" bestimmt wird, so kann dieser Grundgedanke auch nicht für die Abgrenzung der "Verweisungsberufe" (Verweisungstätigkeiten) herangezogen werden (vgl. hierzu auch das Urteil des erkennenden Senats vom 16. Januar 1968 - 11 RA 290/66 -). Hinzu kommt, daß die gesamte wirtschaftliche, technische und soziale Entwicklung zunehmend zur "Mobilität", aller Arbeitenden tendiert. "Zu einem beruflichen Umdenken und zur Steigerung der beruflichen Mobilität zwingt die fortlaufende Auflockerung der alten Berufsbilder" (vgl. hierzu u.a. den deutschen Bericht für den Kongreß der Internationalen Vereinigung für sozialen Fortschritt vom April 1967, in Sozialer Fortschritt 1967, 180 ff); auch die beruflichen Abgrenzungen sowohl innerhalb der einzelnen Handwerksberufe als auch zwischen Handwerksberufen und anderen Beschäftigungen oder Tätigkeiten sind fließend geworden (vgl. den zitierten Bericht, wonach sich z.B. im Handwerk die Zahl der Ausbildungsberufe seit 1953 von 225 auf 124 vermindert hat). Da es einen "Gruppenschutz" in dem Sinne, daß bisher Selbständige, die sich selbst versichert haben, nicht auf eine abhängige Arbeit verwiesen werden dürfen, nicht gibt, kann auch für selbständige Handwerker, die als solche (bis 31. Dezember 1961) nach dem HVG pflichtversichert gewesen und seither nach dem Handwerkerversicherungsgesetz (HwVG) vom 8. September 1960 - in Kraft getreten am 1. Januar 1962 - pflichtversichert sind, nichts grundsätzlich anderes gelten; es erscheint nicht angängig, für ihre "Verweisbarkeit" andere - engere - Grenzen zu ziehen als die, die in den Rentenversicherungsgesetzen selbst (§ 23 Abs. 2 Satz 2 AVG = § 1246 Abs. 2 Satz 2 RVO = § 46 Abs. 2 Satz 2 des Reichsknappschaftsgesetzes) enthalten sind (ebenso auch Röss, Sozialgerichtsbarkeit 1965, 322, 326). Insoweit kann es auch nicht erheblich sein, ob der Handwerker in dem Zeitpunkt, in dem die Rente entzogen wird, noch nach dem HVG - wie hier - oder nach dem HwVG pflichtversichert ist. Sowohl nach dem HVG als auch nach dem HwVG muß "die Eigenart selbständiger handwerklicher Berufsausübung" als Kriterium der Erwerbsfähigkeit im "bisherigen Beruf" berücksichtigt werden (so auch BSG 2, 91 ff und SozR Nr. 3 zu § 27 AVG aF); nach beiden Gesetzen ist die Eigenart der selbständigen handwerklichen Berufsausübung - neben den sonstigen im Gesetz genannten Kriterien - auch erheblich für die Zumutbarkeit eines "Verweisungsberufs". Nach beiden Gesetzen bedeutet aber die Berücksichtigung des "bisherigen Berufs" nicht notwendig den Schutz des "Berufsstandes" als Handwerker. Das LSG hat deshalb nicht von vornherein davon absehen dürfen zu prüfen, ob der Kläger nicht auf Grund seiner Ausbildung (als Schuhmacher), seines bisherigen Berufs (als selbständiger Schuhmachermeister), aber auch auf Grund der "Kenntnisse und Fähigkeiten", die er bei dem Betrieb eines Schuhgeschäfts - sowohl im Angestelltenverhältnis (1949 bis 1951) wie auch seit 1951 als selbständiger Inhaber eines Schuhwarengeschäftes - erworben hat, noch eine abhängige Beschäftigung, etwa als Werkmeister in einer Schuhfabrik, als Verkaufsleiter, Geschäftsführer oder Aufsichtsperson in einem Schuhwarengeschäft oder einem ähnlichen Betrieb verrichten kann und ob seine Erwerbsfähigkeit in einer solchen Beschäftigung auf weniger als die Hälfte eines gesunden Schuhmachermeisters herabgesunken ist.
Das LSG hat aber zu Unrecht auch ohne weiteres verneint, daß der Kläger nicht auf eine andere (selbständige) Tätigkeit verwiesen werden könne. Wie bereits in dem Urteil des BSG vom 24. Februar 1965 (BSG 22, 265, 268) zutreffend dargelegt ist, sind bei der Abgrenzung der Leistungsfähigkeit des Versicherten in den Verweisungsberufen nach § 23 Abs. 2 Satz 2 AVG "alle" Tätigkeiten, die den Kräften und Fähigkeiten des Versicherten entsprechen, zu berücksichtigen (1. Voraussetzung), sofern sie ihm unter Berücksichtigung der Dauer und des Umfangs seiner Ausbildung sowie seines bisherigen Berufs und der besonderen Anforderungen seiner bisherigen Berufstätigkeit zugemutet werden können (2. Voraussetzung). Dabei wird unter "Tätigkeiten" jede Art von auf Erwerb gerichteter Arbeit verstanden, nicht nur eine in persönlicher oder wirtschaftlicher Abhängigkeit verrichtete Arbeit, sondern auch eine Arbeit in selbständiger Position. Es kommt auch nicht nur auf die "Kenntnisse und Fähigkeiten" an, die der Versicherte in seinem bisherigen (versicherten) Beruf erworben hat; der "bisherige Beruf" und die "besonderen Anforderungen der bisherigen Berufstätigkeit" sind nur erheblich für die Frage der Zumutbarkeit des Verweisungsberufs. Allerdings darf einem Versicherten, wenn er seine Kräfte und Fähigkeiten in seinem Arbeitsleben bisher nur in abhängiger Beschäftigung eingesetzt hat, nicht ohne weiteres eine selbständige Tätigkeit zugemutet werden, wenn diese Tätigkeit "unternehmerische Fähigkeiten" und den Einsatz von Kapital für Betriebs- oder Anlagezwecke voraussetzen würde. Anders ist es jedoch dann, wenn der "Versicherte eine bisher schon seit langer Zeit in nennenswertem Umfang und mit anhaltendem wirtschaftlichen Erfolg betriebene selbständige Tätigkeit im eigenen Unternehmen nur fortzusetzen braucht" (BSG aaO) und wenn er bei der Verrichtung dieser Tätigkeit schon bisher im wesentlichen seine eigenen Kräfte und Fähigkeiten eingesetzt hat. Bei dem Kläger, der seit 1951 einen eigenen Schuhwarenhandel betreibt, kann dies der Fall sein, das Urteil des LSG enthält hierzu jedoch keine ausreichenden tatsächlichen Feststellungen. Jedenfalls trifft es nach dem vom LSG dargelegten Sachverhalt nicht zu, daß der Kläger nicht schon bisher eine selbständige Tätigkeit ausgeübt habe. Es ist nicht auszuschließen, daß der Kläger im Zeitpunkt der Rentenentziehung, in dem er unstreitig nicht mehr an einer aktiven Lungen-Tbc gelitten hat, und seither trotz seiner sonstigen gesundheitlichen Beeinträchtigungen Aufgaben verrichten kann, die dem Inhaber eines Verkaufsgeschäfts üblicherweise obliegen. Da in dem Schuhgeschäft nach den Feststellungen des LSG im Jahre 1962 ein Umsatz von etwa 80.000,- DM erzielt worden ist, ist es möglich, daß die Erwerbsfähigkeit des Klägers auch dann, wenn er zeitlich nicht voll in diesem Betrieb tätig sein kann, für eine Betätigung in diesem Betrieb nicht um weniger als die Hälfte der Erwerbsfähigkeit eines gesunden selbständigen Schuhmachermeisters herabgesunken ist. Dies ist zwar nicht danach zu beurteilen, ob der Kläger durch die Betätigung in seinem Schuhgeschäft noch wenigstens die Hälfte dessen verdient, was ein gesunder Schuhmachermeister verdienen würde; die Rente wegen BU wird nicht im Hinblick auf einen Verlust an Einkommen, sondern wegen einer Minderung der Erwerbsfähigkeit gewährt. Das Einkommen, das der Kläger trotz der noch fortbestehenden körperlichen Beeinträchtigung durch seine persönliche Mitarbeit in dem Schuhgeschäft - mag sie in "unternehmerischer" Tätigkeit oder in einer Tätigkeit im Ladengeschäft oder in einer Mischung dieser Tätigkeiten bestehen - erzielen kann, wäre aber jedenfalls ein Anhalt dafür, ob und inwieweit seine Erwerbsfähigkeit herabgemindert ist. Es ist auch nicht auszuschließen, daß der Kläger, der nach den Feststellungen des LSG zwar mittelschwere Arbeiten (die nicht mit dauerndem Bücken verbunden sind) nur noch vier bis fünf Stunden täglich verrichten kann, nicht gehindert wäre, etwa die in einem selbständigen Betrieb anfallenden kaufmännischen Arbeiten auch in zeitlich größerem Umfang zu verrichten.
Das LSG hat daher, weil es von nicht zutreffenden rechtlichen Erwägungen ausgegangen ist, in tatsächlicher Hinsicht nicht alle Feststellungen getroffen, die für die Beurteilung der Beeinträchtigung der Erwerbsfähigkeit des Klägers in einem zumutbaren "Verweisungsberuf" (Verweisungstätigkeit) erheblich sind; es ist möglich, daß es die Berufsunfähigkeit des Klägers im Zeitpunkt der Rentenentziehung zu Unrecht bejaht hat. Auf die Revision der Beklagten ist daher das Urteil des LSG aufzuheben; die Sache ist zu neuer Entscheidung an das LSG zurückzuverweisen (§ 170 Abs. 2 Satz 2 SGG).
Die Kostenentscheidung bleibt dem abschließenden Urteil vorbehalten.
Fundstellen