Entscheidungsstichwort (Thema)

Zu den Grenzen freier Beweiswürdigung

 

Orientierungssatz

1. Das Gericht überschreitet die gesetzlichen Grenzen seines Rechts auf freie Beweiswürdigung, wenn es ohne wohlerwogene und stichhaltige Gründe über die Beurteilung medizinischer Fragen durch die Sachverständigen hinweggeht und seine eigene Auffassung an deren Stelle setzt (vgl BSG 1955-08-25 4 RJ 120/54 = SozR Nr 2 zu § 128 SGG).

2. Ist fachärztlich bestätigt, daß die vom Kläger angegebenen Beschwerden nach medizinisch-wissenschaftlicher Erfahrung als Symptome der infolge einer Bazillenruhr eingetretenen Anacidität zu bewerten sind, so setzt sich das Gericht über die auf medizinische Erfahrung gegründete Auffassung der Gutachter hinweg, wenn es gleichwohl Brückensymptome als nicht hinreichend nachgewiesen ansieht. Dies hätte nur mit wohlerwogenen und stichhaltigen Gründen geschehen können.

3. Gemäß § 85 S 1 BVG ist die nach bisherigen versorgungsrechtlichen Vorschriften getroffene Entscheidung über den ursächlichen Zusammenhang einer Gesundheitsstörung mit einem schädigenden Vorgang im Sinne des § 1 BVG für die Versorgung nach dem BVG rechtsverbindlich.

 

Normenkette

SGG § 128 Abs. 1; BVG § 85 S. 1

 

Verfahrensgang

LSG Berlin (Entscheidung vom 20.02.1959)

 

Tenor

Auf die Revision des Klägers wird das Urteil des Landessozialgerichts Berlin vom 20. Februar 1959 aufgehoben. Die Sache wird zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an das Landessozialgericht zurückverwiesen.

Von Rechts wegen.

 

Gründe

Der Kläger beantragte 1951 Versorgung wegen Lungentuberkulose und Ruhrerkrankung, die er auf seinen Militärdienst im ersten Weltkrieg zurückführte. Er legte eine Benachrichtigung des früheren Versorgungsamts B vom 9. März 1935 vor, nach der ihm das Versorgungsgericht Berlin durch Urteil vom 4. Februar 1935 Rente nach einer Minderung der Erwerbsfähigkeit (MdE) um 50 v. H. zugesprochen hat. Als Wehrdienstleiden ist beiderseitige offene Lungentuberkulose, hervorgerufen durch Dienstbeschädigung-Eigentümlichkeiten des Feldzuges (Ruhrerkrankung) bezeichnet. In der Karteikarte des früheren Versorgungsamts B war das Versorgungsleiden zuletzt als inaktive, wahrscheinlich abgeheilte Lungentuberkulose, hervorgerufen durch "D. B. Eigentümlichkeiten des Feldzuges (Ruhrerkrankung)" vermerkt; das Wort Ruhrerkrankung ist durchgestrichen. Die versorgungsärztliche Untersuchung durch Lungenfacharzt Dr. W am 9. Oktober 1952 ergab eine inaktive Tuberkulose der linken Lungenspitze und des rechten Mittelfeldes, die MdE dafür betrage weniger als 25 v. H. Da in der Karteikarte das Wort "Ruhrerkrankung" durchgestrichen sei, sei insoweit offenbar kein Versorgungsleiden anerkannt gewesen; der Kläger leide auch nicht an chronischen Durchfällen und die Druckschmerzhaftigkeit über der Magengegend sei nicht durch die nach dem klinischen Gesamteindruck abgeheilte Ruhr verursacht. Mit Bescheid vom 8. November 1952 wurde inaktive Tbc der linken Lungenspitze und des rechten Mittelfeldes und eine MdE um weniger als 25 v. H. als Schädigungsfolge anerkannt, der Versorgungsanspruch im übrigen abgelehnt und Rente nicht gewährt. Der Einspruch des Klägers hatte keinen Erfolg.

Das Sozialgericht (SG) holte Gutachten des Lungen- und Röntgenfacharztes Dr. W und der Fachinternisten Dr. B und Dr. D vom Städtischen Krankenhaus am K ein. Dr. W stellte eine alte inaktive Tuberkulose beiderseits mit alter Zwerchfellverschwartung, Atemeinschränkung und geringfügiger Minderung der Leistungsfähigkeit des Herzens fest. Die Abflachung der Magenschleimhaut und des Zwölffingerdarms sowie die Hyperistaltik seien Zeichen einer Minderung des Säuregehalts, die nach überstandener Ruhr regelmäßig vorhanden sei. Die vom Kläger geschilderten Krampfzustände im Bauch und zeitweilig auftretende Durchfälle stünden mit der Ruhrerkrankung wahrscheinlich in Zusammenhang. Die gesamte MdE betrage 50 v. H., der Anteil der Ruhrfolgen 20 v. H. Dr. B und Dr. D erhoben eine alte inaktive Tuberkulose mit Rippenfellverschwartung ohne wesentliche Einschränkung der Atem- und Herzleistung. Nach herrschender Lehrmeinung sei die Folge einer Bazillenruhr häufig eine Herabsetzung der Salzsäureproduktion des Magens und der Fermentproduktion der Bauchspeicheldrüse, weshalb es zu langdauernden Darmbeschwerden komme. Die Angaben des Klägers über die Beschwerden seit seiner Ruhrerkrankung seien glaubhaft, der ursächliche Zusammenhang der bei ihm vorhandenen chronischen Magenschleimhautentzündung mit der Ruhr sei wahrscheinlich, insbesondere weil Brückensymptome beständen; die MdE betrage insgesamt 30 v. H. Das SG ging davon aus, daß die Ruhrerkrankung - als Ursache der Tuberkulose - als Schädigungsfolge mit anerkannt worden sei und verurteilte den Beklagten mit Urteil vom 30. Juli 1956, chronische Magenschleimhautentzündung als weitere Schädigungsfolge anzuerkennen und dem Kläger ab 1. Juli 1951 Rente nach einer MdE um 30 v. H. zu gewähren. Auf die Berufung des Beklagten forderte das Landessozialgericht (LSG) Auskünfte von den Ärzten an, die den Kläger von 1933 bis 1958 behandelt hatten (Dr. D, Dr. G, Dr. L, Dr. W und Dr. W). Der Aufenthalt des Dr. D war nicht mehr zu ermitteln, Dr. G war verstorben und Dr. L konnte wegen Verlustes seiner Behandlungsunterlagen nur angeben, daß er den Kläger nach seiner Erinnerung wegen Lungentuberkulose behandelt habe. Dr. W und Dr. W, in deren Behandlung der Kläger von 1952 bis 1958 stand, gaben neben der Lungentuberkulose auch Anacidität des Magensaftes, Appetitlosigkeit und Magendruck als Behandlungsgegenstände an. Das LSG hob mit Urteil vom 20. Februar 1959 das Urteil des SG auf und wies die Klage ab. Die durch das Lungenleiden bedingte MdE habe der Beklagte zutreffend bewertet. Das Magenleiden sei nicht Schädigungsfolge. Die Ruhrerkrankung, auf die es der Kläger zurückführe, sei von der früheren Versorgungsbehörde nicht als Leistungsgrund anerkannt gewesen. Deshalb könne aus einem Ursachenzusammenhang der Ruhr mit dem Magenleiden kein Versorgungsanspruch abgeleitet werden. Selbst wenn man aber eine Anerkennung der Ruhrerkrankung als Versorgungsleiden annehme, sei es doch nicht wahrscheinlich, daß das Magenleiden des Klägers darauf zurückgehe, denn es fehle an Brückensymptomen zwischen der im ersten Weltkrieg durchgemachten Ruhrerkrankung und der frühestens 1951 aufgetretenen Magenschleimhautentzündung. Die Angaben des Klägers über Magenbeschwerden seien nicht hinreichend nachgewiesen. Weder Dr. L habe in seinem Attest vom 20. September 1947 noch Dr. W im Attest vom 7. März 1952 Magenbeschwerden des Klägers aufgeführt; der Kläger habe sie weder im Versorgungsantrag noch bei der versorgungsärztlichen Untersuchung vom 9. Oktober 1952 angegeben; über den Magenschleimhautkatarrh sei erstmals von Dr. W für die Zeit von Mai bis August 1954 berichtet worden. Die Revision wurde nicht zugelassen.

Mit der Revision rügt der Kläger, das LSG habe die Grenzen freier richterlicher Beweiswürdigung und damit § 128 des Sozialgerichtsgesetzes (SGG) verletzt, weil es nicht von dem Urteil des Versorgungsgerichts Berlin vom 4. Februar 1935 ausgegangen sei, sondern aus der Streichung des Wortes "Ruhrerkrankung" in der Karteikarte des früheren Versorgungsamts abgeleitet habe, diese Erkrankung sei nicht als Versorgungsleiden anerkannt gewesen. Darin liege auch eine Verletzung der Kausalitätsnorm. Die Angaben des Klägers bezüglich seiner Magenbeschwerden habe das LSG nicht berücksichtigt, ohne die Gründe ihrer angeblichen Unglaubwürdigkeit anzugeben. Schließlich sei das LSG über das Gutachten von Dr. B und Dr. D mit der Begründung hinweggegangen, Brückensymptome fehlten. Damit habe es an die Stelle des Sachverständigengutachtens seine eigene medizinische Auffassung gesetzt, die nicht als ausreichend anerkannt werden könne. Zweifel wegen des Fehlens von Brückensymptomen hätten in einem Ergänzungsgutachten durch Dr. B und Dr. D geklärt werden müssen. Der Kläger beantragt, unter Aufhebung des angefochtenen Urteils die Berufung des Beklagten gegen das Urteil des SG zurückzuweisen. Der Beklagte beantragt, die Revision als unzulässig zu verwerfen. Er hält die gerügten Verfahrensmängel nicht für gegeben.

Die Revision ist form- und fristgerecht eingelegt und begründet worden (§§ 164, 166 SGG). Sie ist auch statthaft, denn der Kläger rügt mit Erfolg wesentliche Mängel im Verfahren des LSG (§ 162 Abs. 1 Nr. 2 SGG).

Die Revision beanstandet mit Recht, das LSG habe nicht über das Gutachten von Dr. B und Dr. D sowie über die Angaben des Klägers bezüglich seiner Magenbeschwerden hinweggehen und auf Grund eigener Auffassung annehmen dürfen, Brückensymptome zwischen der Ruhrerkrankung im ersten Weltkrieg und der 1951 aufgetretenen Magenschleimhautentzündung seien nicht gegeben. Nach der Rechtsprechung des Bundessozialgerichts (BSG) liegt ein Verstoß gegen § 128 Abs. 1 SGG vor, wenn das Gericht die gesetzlichen Grenzen seines Rechts auf freie Beweiswürdigung überschreitet (BSG 2, 236). Das ist der Fall, wenn es ohne wohlerwogene und stichhaltige Gründe über die Beurteilung medizinischer Fragen durch die Sachverständigen hinweggeht und seine eigene Auffassung an deren Stelle setzt (SozR SGG § 128 Bl. Da 1 Nr. 2).

Im vorliegenden Fall hatten der Lungen- und Röntgenfacharzt Dr. W sowie die Fachinternisten Dr. B und Dr. D gutachtlich ausgeführt, die beim Kläger festgestellte Anacidität sei nach überstandener Ruhr regelmäßig vorhanden bzw. sie sei nach gültiger Lehrmeinung häufig die Folge einer Bazillenruhr. Dr. W hatte deshalb, ohne Brückensymptome zu verlangen, die Wahrscheinlichkeit des ursächlichen Zusammenhangs zwischen der Ruhrerkrankung und der Magenschleimhautentzündung des Klägers bejaht; auch Dr. B und Dr. D hatten die Angaben über seine Magenbeschwerden für glaubhaft erklärt und den Ursachenzusammenhang gleichfalls bejaht, insbesondere weil Brückensymptome bestünden. Damit war fachärztlich bestätigt, daß die vom Kläger angegebenen Beschwerden nach medizinisch-wissenschaftlicher Erfahrung als Symptome der infolge einer Bazillenruhr eingetretenen Anacidität zu bewerten waren. Wenn das LSG gleichwohl Brückensymptome als nicht hinreichend nachgewiesen ansehen wollte, so setzte es sich damit über die auf medizinische Erfahrung gegründete Auffassung der Gutachter hinweg. Dies hätte nur mit wohlerwogenen und stichhaltigen Gründen geschehen können. Solche Gründe hat das LSG jedoch nicht anzugeben vermocht. Wenn der Kläger im Versorgungsantrag als Körperschäden nur Lungentuberkulose und Ruhrerkrankung angab, so kann daraus nicht geschlossen werden, er habe damals keine Magen- oder Darmbeschwerden gehabt, denn danach war er im Versorgungsantrag nicht gefragt worden. Zudem richtet sich der Antrag auf den Gesamtleidenszustand, der Schädigungsfolge im Sinne des Bundesversorgungsgesetzes (BVG) ist, so daß es einer ausdrücklichen Angabe der Einzelleiden nicht bedarf. Aus der Angabe "Ruhrerkrankung" und aus der Tatsache, daß diese Erkrankung im ersten Weltkrieg stattgefunden hatte, ergab sich aber zwingend, daß damit vom Kläger nur Folgen der eigentlichen Ruhrerkrankung gemeint sein konnten. Wenn Dr. W im Attest vom 7. März 1952 Magenbeschwerden nicht erwähnte, so konnte daraus in Verbindung mit seiner Auskunft vom 29. April 1958, in der bereits für den 13. März 1952 Appetitlosigkeit und Untersäuerung des Magens als Behandlungsgegenstände genannt waren, nur die Unvollständigkeit des Attestes vom 7. März 1952 gefolgert werden. Erwähnte Dr. L in seinem Attest vom 20. September 1947 keine Magenbeschwerden des Klägers in der Zeit seit 1933, so folgte auch daraus noch nicht, daß Magenbeschwerden vom Kläger in dieser Zeit nicht geäußert wurden, denn aus der Mitteilung des gleichen Arztes vom 6. Mai 1958 ergab sich für das LSG, daß auch die Angaben dieses Arztes im Attest vom 20. September 1947 wegen Verlustes seiner Karteikarten im Kriege keine Gewähr für ihre Vollständigkeit boten. Immerhin erwähnte das Attest vom 20. September 1947 außer der Lungentuberkulose körperliche Erschöpfungszustände. Bei der versorgungsärztlichen Untersuchung am 9. Oktober 1952 hat der Kläger zwar keine Magenbeschwerden geltend gemacht, aber "leidlichen Appetit" angegeben und der Versorgungsarzt hat Druckschmerzhaftigkeit über der Magengegend festgestellt. In der Behandlung des Dr. W hat der Kläger erst seit 21. Mai 1954 gestanden, das versorgungsärztliche Gutachten und die Auskunft des Dr. W zeigten jedoch, daß schon vorher Magenbeschwerden bestanden. Hatten aber der Versorgungsarzt, Dr. W und Dr. W Magenbeschwerden des Klägers von 1952 bis 1958 erhoben, so durfte das LSG das von Fachärzten für medizinisch glaubhaft erklärte Vorbringen des Klägers, er habe seit seiner Entlassung Magenbeschwerden gehabt, im Ergebnis nicht deshalb als unrichtig ansehen, weil die Ermittlungen bei den in der Zeit von 1933 bis 1945 behandelnden Ärzten gescheitert waren. Stichhaltige und wohlerwogene Gründe auf tatsächlichem Gebiet, die das LSG berechtigten, die von den Fachärzten Dr. B und Dr. D als medizinisch glaubhaft bezeichneten Angaben des Klägers über Magenbeschwerden seit seiner Ruhrerkrankung in Zweifel zu ziehen, bestanden somit nicht. Da das LSG gleichwohl die Angaben des Klägers über seine Magenbeschwerden als nicht hinreichend nachgewiesen ansah, ohne den Mangel an Brückensymptomen in verfahrensrechtlich einwandfreier Weise begründet zu haben, setzte es sich über die Beurteilung der medizinischen Glaubwürdigkeit dieser Angaben durch die Fachärzte ohne stichhaltige und wohlerwogene Gründe hinweg und verletzte dadurch § 128 Abs. 1 SGG. Darin liegt ein wesentlicher Verfahrensmangel im Sinne des § 162 Abs. 1 Nr. 2 SGG, denn § 128 Abs. 1 SGG ist eine zwingende Verfahrensvorschrift, die aus rechtsstaatlichen Gründen im öffentlichen Interesse erlassen ist (vgl. SozR SGG § 162 Bl. Da 6 Nr. 28). Die Revision ist somit statthaft und das angefochtene Urteil in vollem Umfang materiell-rechtlich nachzuprüfen (BSG 3, 180).

Die Revision ist auch begründet, denn es ist nicht auszuschließen, daß das LSG bei pflichtgemäßer Beweiswürdigung anders entschieden hätte. Sein Urteil beruht somit auf dem gerügten Verfahrensmangel (§ 162 Abs. 2 SGG; BSG 2, 197). Dem steht nicht entgegen, daß das angefochtene Urteil auch darauf gestützt ist, die Ruhrerkrankung des Klägers sei nicht als Leistungsgrund anerkannt, weshalb die Magenschleimhautentzündung - selbst wenn sie auf die Ruhr zurückzuführen sei - keinen Versorgungsanspruch auslösen könne, denn insoweit liegt eine Verletzung materiell-rechtlicher Vorschriften des Versorgungsrechts vor. Gemäß § 85 Satz 1 BVG ist die nach bisherigen versorgungsrechtlichen Vorschriften getroffene Entscheidung über den ursächlichen Zusammenhang einer Gesundheitsstörung mit einem schädigenden Vorgang im Sinne des § 1 BVG für die Versorgung nach dem BVG rechtsverbindlich. Wäre der Kausalzusammenhang zwischen der Ruhrerkrankung des Klägers und seinem Militärdienst im ersten Weltkrieg verneint worden, so hätte das LSG die auf die Ruhrerkrankung zurückgeführte Magenschleimhautentzündung des Klägers als durch ein versorgungsrechtlich nicht geschütztes Leiden verursacht und deshalb nicht als Versorgungsleiden ansehen dürfen. Eine Ablehnung des Kausalzusammenhangs zwischen der Ruhrerkrankung und dem Militärdienst des Klägers im ersten Weltkrieg kann jedoch aus der Benachrichtigung des Versorgungsamts Berlin vom 9. März 1935, die als Ausführungsbescheid zum Urteil des Versorgungsgerichts Berlin vom 4. Februar 1935 anzusehen ist, nicht entnommen werden. Die dort gebrauchte Formulierung "beiderseitige offene Lungentuberkulose, hervorgerufen durch Dienstbeschädigung-Eigentümlichkeiten des Feldzuges (Ruhrerkrankung)", läßt vielmehr im Gegenteil erkennen, daß die Ruhrerkrankung zu den die Dienstbeschädigung hervorrufenden Eigentümlichkeiten des Feldzuges gerechnet wurde. Demnach ging das Versorgungsamt in seinem Ausführungsbescheid gerade von dem ursächlichen Zusammenhang der Ruhrerkrankung mit dem Feldzug, also mit dem Militärdienst, aus. Wenn auch die Ruhrerkrankung damals aus jetzt im einzelnen nicht mehr ersichtlichen Gründen nicht ausdrücklich als Leistungsgrund genannt wurde - etwa weil sie als abgeheilt betrachtet oder ihr eine nennenswerte MdE nicht zugeschrieben wurde - so wurde sie doch als Eigentümlichkeit des Feldzuges bezeichnet. Damit war aber der Ursachenzusammenhang zwischen dem Militärdienst des Klägers im ersten Weltkrieg und seiner Ruhrerkrankung eindeutig bejaht worden. Das angefochtene Urteil verletzt § 85 Satz 1 BVG, wenn es davon ausgeht, diese Vorschrift greife nur ein, wenn die betreffende Gesundheitsstörung nach bisherigem Versorgungsrecht als Leistungsgrund anerkannt sei. Nach Wortlaut und Sinn des Gesetzes kommt es nur darauf an, daß über den ursächlichen Zusammenhang entschieden ist. Dies ist hier der Fall, weil der ursächliche Zusammenhang der Ruhrerkrankung mit dem Militärdienst bescheidmäßig bejaht worden ist. Unwesentlich ist, daß die Gesundheitsstörung im Bescheid vom 9. März 1935 nicht oder nicht mehr ausdrücklich als Leistungsgrund bezeichnet worden ist. Der Beklagte und mithin auch das LSG waren daher gehalten, die Rechtsverbindlichkeit der im Ausführungsbescheid vom 9. März 1935 enthaltenen Entscheidung zu beachten, die Ruhrerkrankung sei eine Eigentümlichkeit des Feldzuges. Daß diese Entscheidung rechtswirksam geändert worden sei, hat der Beklagte nicht dargetan. Die Streichung des Wortes Ruhrerkrankung in der Karteikarte des ehemaligen Versorgungsamts B besagt hierfür nichts, zumal kein Grund ersichtlich ist, der das Versorgungsamt später zu der Auffassung gebracht haben könnte, die Ruhrerkrankung sei doch keine Eigentümlichkeit des Feldzuges gewesen. Das LSG mußte deshalb bei richtiger Rechtsanwendung davon ausgehen, daß der Ursachenzusammenhang zwischen der Ruhrerkrankung und dem Militärdienst des Klägers rechtsverbindlich festgestellt sei. Es kam daher entscheidend auf die Würdigung des Beweisergebnisses zur Frage des Ursachenzusammenhangs zwischen der Ruhrerkrankung und der chronischen Magenschleimhautentzündung an. Bei dieser Beweiswürdigung ist dem LSG der von der Revision mit Recht gerügte Verstoß gegen § 128 Abs. 1 SGG unterlaufen, der zur Aufhebung des angefochtenen Urteils mit dem ihm zugrunde liegenden Feststellungen führen muß. Demnach fehlen die für eine eigene Entscheidung des Senats in der Sache nötigen Feststellungen, weshalb die Sache zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an das LSG zurückverwiesen werden muß.

Das LSG wird anhand eines Fachgutachtens zu prüfen haben, ob der ursächliche Zusammenhang zwischen der Ruhr und einer 36 oder 37 Jahre danach ärztlich bestätigten Magenschleimhautentzündung nur durch Brückensymptome wahrscheinlich gemacht werden kann. Es wird zuvor Beweise hierzu - etwa durch Vernehmung der geschiedenen und der jetzigen Ehefrau des Klägers, Beiziehung von Krankenkassenakten und von Krankenblättern des R-Krankenhauses - erheben und ferner klären müssen, ob die Akten des Versorgungsgerichts Berlin VG 1408/342, aus denen sich möglicherweise weitere Einzelheiten oder Brückensymptome ergeben, noch vorhanden sind und beigezogen werden können. Bei Erfolglosigkeit weiterer Beweisaufnahme wird sich das LSG unter Beachtung der Rechtsauffassung des erkennenden Senats erneut darüber schlüssig werden müssen, ob der ursächliche Zusammenhang zwischen der Ruhrerkrankung und der Magenschleimhautentzündung des Klägers wahrscheinlich ist.

Die Kostenentscheidung bleibt der den Rechtsstreit abschließenden Entscheidung vorbehalten.

 

Fundstellen

Dokument-Index HI2324816

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