Entscheidungsstichwort (Thema)
Bloße Mitteilung der falschen Rentenberechnung
Leitsatz (amtlich)
Auch bei der Anpassung der nach AnVNG Art 2 §§ 31 - 34 umgestellten Renten aufgrund des 7. RAG kann der Versicherungsträger eindeutig falsche bisherige Berechnungsfaktoren durch die richtigen Berechnungsfaktoren ersetzen; er muß jedoch auch hier mindestens den bisherigen Zahlbetrag der Rente weitergewähren (Vergleiche BSG 1966-02-15 11 RA 289/65 = SozR Nr 1 zu Art 1 § 2 6. RAG).
Leitsatz (redaktionell)
1. Hat der Versicherungsträger dem Rentenberechtigten lediglich mitgeteilt, daß die Rente falsch berechnet und wie sie richtig zu berechnen sei, und hat er sich außerdem ein bestimmtes Verhalten bei künftigen Rentenanpassungen vorbehalten, so fehlt diesem "Bescheid" die Eigenschaft eines Verwaltungsaktes.
2. Unkenntnis des Gerichts vom Vorhandensein eines neuen Verwaltungsaktes. Weite Auslegung des SGG § 96.
Normenkette
AnVNG Art. 2 § 32; ArVNG Art. 2 § 32; AnVNG Art. 2 § 33 Abs. 1 Fassung: 1964-12-23; ArVNG Art. 2 § 34 Abs. 1 Fassung: 1964-12-23, § 33 Abs. 2 Fassung: 1964-12-23; SGG § 96 Abs. 1 Fassung: 1953-09-03
Tenor
1. Auf die Revision der Beklagten werden die Urteile des Sozialgerichts Bremen vom 24. Juni 1965 und des Landessozialgerichts Bremen vom 25. November 1965 aufgehoben.
2. Die Klage gegen den Bescheid vom 20. November 1964 und gegen den Bescheid vom 18. November 1965 wird abgewiesen.
3. Kosten sind nicht zu erstatten.
Gründe
I
Der Klägerin wurde 1947 eine Witwenrente bewilligt; 1957 wurde diese Rente nach Art. 2 § 32 Angestelltenversicherungs-Neuregelungsgesetz (AnVNG) umgestellt. Dabei wurde als Geburtsjahr des Ehemannes (Versicherten) fälschlich das Jahr 1887 statt 1889 zugrunde gelegt. Die Rente wurde später mehrfach den Änderungen der allgemeinen Bemessungsgrundlage angepaßt; sie betrug im Jahre 1964 auf Grund des 6. Rentenanpassungsgesetzes (RAG) monatlich 405,- DM.
Am 20. November 1964 wies die Beklagte die Klägerin in einem mit einer Rechtsmittelbelehrung versehenen "Bescheid" darauf hin, daß die Rente nicht richtig berechnet worden sei, weil "der monatliche Steigerungsbetrag in Höhe von 55,26 DM nur mit einem Tabellenwert von 5,9 statt 6,0 zu vervielfältigen" sei; die Rente dürfe danach anstatt 405,- DM nur 387,- DM betragen; da der derzeitige Zahlbetrag jedoch "besitzgeschützt" sei, werde er in der bisherigen Höhe weitergezahlt; die Beklagte behalte sich aber vor, die Rente in Zukunft erst anzupassen, wenn die richtig berechnete und richtig angepaßte Rente den jetzigen Zahlbetrag übersteige.
Auf die Klage der Klägerin hob das Sozialgericht (SG) Bremen den "Bescheid" insoweit auf, "als er die Witwenrente der Klägerin von weiteren Rentenanpassung ausschließt". Das Landessozialgericht (LSG) Bremen wies die Berufung der Beklagten durch Urteil vom 25. November 1965 zurück: Die Umstellungsmitteilung sei zwar "unstreitig insofern fehlerhaft, als darin statt des Geburtsjahres 1889 des Ehemannes der Klägerin das Jahr 1887 und daher der Faktor 6,0 statt des Faktors 5,9 als Umrechnungsfaktor aufgeführt waren"; Umstellungsfehler dürften jedoch ähnlich wie Anpassungsfehler u. a. um der Rechtssicherheit willen nur innerhalb kurzer Frist berichtigt werden (vgl. das Urteil des BSG vom 30. März 1965, SozR Nr. 4 zu Art. 2 § 32 ArVNG). Die Beklagte habe deshalb den 1957 begangenen Fehler, bei dem es sich um keine offenbare Unrichtigkeit handele, im Jahre 1964 nicht mehr richtigstellen und darum die Witwenrente nicht von weiteren Rentenanpassungen ausschließen dürfen.
Mit der zugelassenen Revision beantragte die Beklagte,
die Urteile des SG und des LSG aufzuheben und die Klage abzuweisen.
Sie rügte eine Verletzung der §§ 54, 77 des Sozialgerichtsgesetzes (SGG) und des § 9 Abs. 1 des 4. RAG. Entgegen ihrer früheren Ansicht sehe sie in der Benachrichtigung vom 20. November 1964 keinen Verwaltungsakt mehr; sachlich sei daher nur über den inzwischen auf Grund des 7. RAG erteilten Anpassungsbescheid vom 18. November 1965 zu entscheiden; darin habe sie bei der Berechnung der Rente für das Jahr 1965 die richtigen Berechnungsfaktoren zugrunde gelegt; dieser Bescheid sei nach §§ 96, 153 SGG Gegenstand des Verfahrens geworden; er habe die Rente der Klägerin von monatlich 405,- DM auf 425,- DM erhöht.
Die Klägerin ließ sich im Revisionsverfahren nicht durch einen vor dem Bundessozialgericht (BSG) zugelassenen Prozeßbevollmächtigten vertreten. Auf Anfrage erklärte sie, daß ihr Bevollmächtigter den Anpassungsbescheid vom 18. November 1965 noch vor der Verhandlung des LSG erhalten habe; sie wende gegen diesen Bescheid nur ein, daß die Beklagte nicht von dem Umstellungsfaktor 6,0 ausgegangen sei.
Beide Beteiligten erklärten sich mit einer Entscheidung ohne mündliche Verhandlung einverstanden (§§ 124 Abs. 2, 153 Abs. 1, 165 SGG).
II
Die Revision der Beklagten ist zulässig (§§ 162 Abs. 1 Nr. 1, 164 SGG) und auch begründet.
Die Vorinstanzen haben der Anfechtungsklage gegen den "Bescheid" vom 20. November 1964 schon deshalb nicht stattgeben dürfen, weil diese Klage unzulässig ist. Die Beklagte hat "Bescheide" dieser Art in zahlreichen Fällen erteilt. Dabei hat sie nicht etwa die Renten neu festgestellt, sondern den Betroffenen lediglich mitgeteilt, daß die Renten falsch berechnet und wie sie richtig zu berechnen seien; außerdem hat sie sich ein bestimmtes Verhalten bei künftigen Rentenanpassungen vorbehalten. Wie der Senat bereits mit Urteil vom 15. Februar 1966 - 11 RA 289/65 - entschieden hat, fehlt diesen "Bescheiden" die Eigenschaft eines Verwaltungsaktes. Die Beklagte hat damit ihr Rechtsverhältnis zu den Betroffenen nicht verbindlich geregelt, auch nach ihrer eigenen Vorstellung haben diese "Bescheide" keine unmittelbaren Rechtswirkungen äußern sollen. Es fehlt somit an einer Maßnahme, die der Klägerin gegenüber wirksam ist und deshalb Gegenstand einer Anfechtungsklage sein kann.
Nicht entschieden hat das LSG über die Rechtmäßigkeit des Anpassungsbescheides vom 18. November 1965, von dessen Vorhandensein es offenbar z. Z. der Berufungsverhandlung (25. November 1965) noch nichts gewußt hat. Dessen ungeachtet ist dieser Bescheid jedoch nach § 96 SGG (§ 153 SGG) Gegenstand des Verfahrens geworden. In dem bereits zitierten Urteil vom 15. Februar 1966 hat der Senat auch entschieden, daß § 96 SGG nach Zweck und Entstehungsgeschichte weit auszulegen und daher auch dann anzuwenden ist, wenn eine Verwaltungsbehörde - wie hier die Beklagte - in einem angefochtenen "Bescheid" in scheinbar verbindlicher Weise ein bestimmtes künftiges Verhalten angekündigt hat und später während des darüber entstandenen Rechtsstreits entsprechende Verwaltungsakte erläßt.
Der Senat kann über die Rechtmäßigkeit des Anpassungsbescheides vom 18. November 1965 selbst entscheiden, einer Zurückverweisung der Sache an das LSG bedarf es nicht.
Die Klägerin wendet gegen den Anpassungsbescheid nur ein, daß darin zu Unrecht nicht der Umstellungsfaktor 6,0 zugrunde gelegt worden sei. Weder aus diesen noch aus anderen Gründen ist der Anpassungsbescheid jedoch rechtswidrig. Nach den Ausführungen im Urteil des Senats vom 15. Februar 1966 (insoweit ist das Urteil in SozR Nr. 1 zum 6. RAG Art. I § 2 veröffentlicht) ist der Versicherungsträger bei der Anpassung der nach §§ 30 ff. AVG berechneten Renten auf Grund des 7. RAG an eindeutig falsch ermittelte bisherige Berechnungsfaktoren nicht gebunden; er kann vielmehr die falschen durch die richtigen Berechnungsfaktoren ersetzen, muß jedoch in jedem Falle mindestens den bisherigen Zahlbetrag der Rente weitergewähren. Diese Grundsätze gelten auch für die nach Art. 2 §§ 31 bis 34 AnVNG umgestellten Renten, deren Anpassung das 7. RAG in § 3 geregelt hat. Nach dieser Vorschrift sind die genannten umgestellten Renten im Prinzip so anzupassen, wie wenn die Renten erneut umgestellt würden und der ungekürzte Rentenbetrag mit 1,569 vervielfältigt würde. Noch weniger als bei der Anpassung der nach §§ 30 ff. AVG berechneten Renten (vgl. § 2 des 7. RAG) deutet hier der Gesetzeswortlaut darauf hin, daß der Versicherungsträger die Umstellung mit den gleichen, also ggf. auch mit falschen Berechnungsfaktoren wiederholen müßte, wie er sie 1957 bei der damaligen Umstellung angewandt hat; das wird auch nicht vom Wesen der Rentenanpassung her oder aus Gründen des Vertrauensschutzes und der Rechtssicherheit gefordert; insoweit kann der Senat auf seine Ausführungen in dem Urteil vom 15. Februar 1966 verweisen. Soweit das LSG gegenteiliger Meinung ist, hat es nicht berücksichtigt, daß es hier nicht um eine Korrektur früherer Umstellungs- oder Anpassungsbescheide geht, sondern allein um die Frage, ob einmal begangene Fehler bei jeder neuen Anpassung zu wiederholen sind; insoweit kann es aber nicht rechtmäßig sein, ohne zwingende Gründe eine fortlaufende Mehrung oder gar progressive Erhöhung von ohnedies schon zu hoch festgestellten Renten zuzulassen. Die Beklagte hat deshalb der 7. Rentenanpassung den richtigen Tabellenwert von 5,9 (aus der Anlage Nr. 4 zu Art. 2 § 32 AnVNG) zugrunde legen dürfen.
Abgesehen davon ist aber noch folgendes hervorzuheben, was die Vorinstanzen anscheinend übersehen haben:
Die Post ist in ihrer Umstellungsmitteilung vom Jahre 1957 (vgl. Bl. 10 der Rentenakten) von einem monatlichen Steigerungsbetrag von 51,2 und dem Umstellungsfaktor 6,0 ausgegangen, bei den Berechnungen vom 20. November 1964 und 18. November 1965 hat die Beklagte zwar einerseits einen kleineren Umstellungsfaktor (5,9), andererseits aber einen höheren Steigerungsbetrag (55,26 - der Steigerungsbetrag aus der Arbeiterrentenversicherung war vergessen worden) zugrunde gelegt; damit hat sie die Klägerin im Ergebnis bessergestellt, weil das Produkt dieser beiden neuen Berechnungsfaktoren höher ist als das Produkt der alten, durch die Änderung der Berechnungsfaktoren (Steigerungsbetrag, Tabellenwert) ist die Klägerin demnach begünstigt, nicht benachteiligt worden. Letztlich kommt es im vorliegenden Falle jedoch gar nicht darauf an, ob man der Rentenanpassung die angeführten alten Berechnungsfaktoren oder die neuen Berechnungsfaktoren zugrunde legt. Aus den im Tatbestand des LSG festgestellten Zahlen über die Rentenhöhe seit 1957 (ebenso aus den Rentenakten) ergibt sich, daß die Rente der Klägerin seit der Rentenreform stets auf die nach Art. 2 § 33 AnVNG bei einer Versicherungsdauer von 45 Jahren jeweils zulässigen Höchstbeträge begrenzt worden ist. In dem Anpassungsbescheid vom 18. November 1965 ist die Rente wiederum begrenzt worden, diesmal allerdings auf die bei einer Versicherungsdauer von 43 Jahren zulässige Höchstgrenze von 425,70 DM (vgl. Art. 2 § 33 Abs. 1 AnVNG i. d. F. des § 3 Abs. 2 des 7. RAG), bei einer Versicherungsdauer von 45 Jahren hätte die Höchstgrenze 445,50 DM betragen. Selbst eine Berechnung nach den alten (falschen) Berechnungsfaktoren, also eine Multiplikation von 51,2 mit 6,0, vervielfältigt weiter mit dem Anpassungsfaktor des 7. RAG, also mit 1, 569, hätte im Ergebnis beide Höchstgrenzen überschritten. Die Rentenhöhe nach dem 7. RAG hängt demnach davon ab, ob hier die Höchstgrenze für eine Versicherungsdauer von 43 oder für eine Versicherungsdauer von 45 Jahren maßgebend ist. Nach Art. 2 § 33 Abs. 2 ArVNG gilt als Versicherungsdauer der Zeitraum zwischen dem Jahr der Vollendung des 15. Lebensjahres durch den Versicherten und dem Jahr des Rentenbeginns bzw. dem Todesjahr des Versicherten. Der Versicherte (Ehemann) ist 1889 geboren, er hat demzufolge 1904 das 15. Lebensjahr vollendet, gestorben ist er 1947, seit diesem Jahr erhält die Klägerin die Witwenrente. Als Versicherungsdauer gilt demnach hier ein Zeitraum von 43 Jahren. Nach dem 7. RAG kann die Beklagte also in keinem Fall der Klägerin eine höhere Rente gewähren, als sie nach diesem Gesetz bei einer Versicherungsdauer von 43 Jahren zulässig ist, nämlich in Höhe von 425,70 DM. Insoweit hat die Beklagte aus der Umstellung von 1957 überhaupt keine falschen Werte übernehmen können, die damaligen Höchstbeträge gelten nicht mehr, sie sind inzwischen durch andere ersetzt worden; das Jahr der Vollendung des 15. Lebensjahres der Versicherten ist damals - anders als der aus der Umstellungsmitteilung ersichtliche falsche Umstellungsfaktor von 6,0 - äußerlich gar nicht in Erscheinung getreten. Der Anpassungsbescheid vom 18. November 1965 wäre demnach selbst dann rechtmäßig, wenn die Beklagte bei der Anpassung nach dem 7. RAG nach wie vor von dem Umstellungsfaktor von 6,0 hätte ausgehen müssen.
Auf die Revision der Beklagten sind deshalb die Urteile der Vorinstanzen aufzuheben. Die Klage gegen den "Bescheid" vom 20. November 1964 ist als unzulässig, diejenige gegen den Bescheid vom 18. November 1965 als unbegründet abzuweisen.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.
Fundstellen