Entscheidungsstichwort (Thema)
Rückzahlung von Umschulungskosten. Belehrungspflicht der Bundesanstalt für Arbeit
Orientierungssatz
Die Bundesanstalt für Arbeit darf, obwohl ein für den zur Nachbeschäftigung Verpflichteten günstiges Beweisergebnis über eine ausreichende Dauer der Arbeitslosigkeit fehlt, ihn ausnahmsweise deshalb nicht durch eine Rückzahlung mit den Umschulungskosten belasten, weil sie ihn nicht vorher darüber belehrt hat, daß er in Beweisnot gerate, wenn er sich nicht arbeitslos melde und nicht ankündige, daß er sich selbständig machen wolle (vgl BSG vom 23.5.1990 - 9b/11 RAr 65/88).
Normenkette
AFG § 46 Abs. 2 S. 2 Fassung: 1975-12-18, Abs. 3 S. 2 Fassung: 1985-12-20; SGB 1 § 14
Verfahrensgang
Tatbestand
Die Beklagte fordert vom Kläger Unterhaltsgeld (Uhg) und Umschulungskosten (§ 45 Arbeitsförderungsgesetz -AFG-) zurück. Diese Leistungen erhielt der Kläger, der als Bauzeichner und als graduierter Ingenieur ausgebildet ist, während einer Umschulung zum Tischler bis zum 27. Juni 1980 nach § 46 Abs 2 AFG. Er hatte sich zuvor schriftlich verpflichtet, innerhalb von vier Jahren nach Abschluß der Maßnahme mindestens drei Jahre lang eine die Beitragspflicht begründende Beschäftigung auszuüben und die Leistungen zurückzuerstatten, wenn er ohne wichtigen Grund jener Verpflichtung nicht nachkomme. Ab 28. Juni 1980 bezog der Kläger Arbeitslosengeld (Alg); vom 1. September 1980 bis 31. März 1982 war er als Tischler beschäftigt; vom 2. Mai 1983 bis 28. Februar 1984 war er als Honorarkraft mit einem Einkommen bis 300,- DM monatlich für eine Schreinerei tätig. Im übrigen bemühte sich der Kläger um Beschäftigungen in Tischlereien. Im Frühjahr 1984 bot sich ihm die Gelegenheit, sich als Gesellschafter an einem Tischlereiunternehmen zu beteiligen; dieses wurde am 1. August 1984 in die Handwerksrolle eingetragen.
Die Beklagte forderte mit Bescheid vom 24. September 1985 Leistungen und Beiträge in Höhe von insgesamt 45.139,16 DM vom Kläger zurück; sie gewährte dem Kläger für die Rückzahlung monatliche Raten von 50,- DM. Das Sozialgericht (SG) hat die Klage gegen diesen Bescheid und gegen den Widerspruchsbescheid vom 18. November 1986 abgewiesen (Urteil vom 23. Februar 1988). Im Berufungsverfahren hat die Beklagte die Forderung auf Erstattung der Beiträge in Höhe von insgesamt 11.648,38 DM fallengelassen. Das Landessozialgericht (LSG) hat die Berufung zurückgewiesen (Urteil vom 15. Juni 1989). Es hat einen wichtigen Grund für das Fehlen einer ausreichenden Nachbeschäftigung nicht in Form einer Arbeitslosigkeit anerkannt; denn der Kläger habe sich nicht, wie es geboten gewesen wäre, beim Arbeitsamt arbeitslos gemeldet. Bemühungen um eine Arbeitsstelle seien nur in drei Fällen nachgewiesen, weitere behauptete Bewerbungen dagegen nicht. Ob intensive eigene Bemühungen eines Arbeitslosen um eine Beschäftigung genügten, um einen wichtigen Grund für das Ausbleiben zu begründen, hat das Gericht offengelassen; jedenfalls seien drei Versuche im Fall des Klägers nicht ausreichend.
Der Kläger rügt mit der - vom LSG zugelassenen - Revision eine Verletzung des § 46 Abs 2 AFG. Als wichtigen Grund dafür, daß er seine Verpflichtung zur Nachbeschäftigung nicht erfüllt habe, wertet er seine unverschuldete Arbeitslosigkeit. Er behauptet, sich bei sieben Tischlereien um Arbeit bemüht zu haben und benennt die Inhaber oder Geschäftsführer als Zeugen. Der wichtige Grund könne nicht von der rein formalen Voraussetzung der Arbeitslosigkeit abhängig gemacht werden.
Der Kläger beantragt,
die Urteile der Vorinstanzen zu ändern und den Bescheid der Beklagten sowie den Widerspruchsbescheid aufzuheben.
Die Beklagte beantragt,
die Revision zurückzuweisen.
Sie hält die Revision für unzulässig, weil die Begründung nicht den Anforderungen des § 164 Abs 2 Sozialgerichtsgesetz (SGG) genüge. Für das Fehlen eines wichtigen Grundes sei nicht entscheidend, ob das Arbeitsamt den Kläger hätte als Tischler vermitteln können.
Entscheidungsgründe
Die Revision des Klägers ist begründet.
Seine Revisionsbegründung genügt entgegen der Ansicht der Beklagten den Anforderungen des § 164 Abs 2 Satz 3 SGG (BSG SozR 1500 § 164 Nrn 5, 12 und 20). Wenn dies deshalb verneint würde, weil der Kläger lediglich eine andere Rechtsauffassung als das LSG vertrete, wären Revisionsbegründungen häufig unzureichend. Der Kläger hat vorgetragen, daß eine Arbeitslosmeldung im Verhältnis zur tatsächlichen Arbeitslosigkeit, auf die es allein ankomme, "rein formal" sei und daß die Beklagte eine erfolgreiche Vermittlung für den Fall der Meldung nicht beweisen könne. Dies genügt für eine formgerechte Begründung. Ob die Rüge der Verletzung materiellen Rechts durchgreift, betrifft den Erfolg der Revision. Eine unzureichende Sachaufklärung über die Anzahl der Bewerbungen hat der Kläger allerdings nicht formgerecht gerügt (BSG SozR 1500 § 160a Nr 3; 1500 § 164 Nr 31; Nr 1 und 14 zu § 103 SGG). Das ist aber nicht notwendig.
Die Revision ist aus anderen Gründen erfolgreich.
Der Kläger hat zwar seine Verpflichtung zur Nachbeschäftigung, die Voraussetzung für eine Bewilligung der Umschulung (§ 46 Abs 2 AFG hier idF des Gesetzes vom 18. Dezember 1975 - BGBl I 3113 -) nicht erfüllt. Er hat aber gleichwohl die Umschulungsaufwendungen nicht nach § 46 Abs 2 Satz 2 AFG (Abs 3 Satz 2 idF des Gesetzes vom 20. Dezember 1985 - BGBl I 2484 -) zurückzuzahlen, weil das Unterlassen der Arbeitslosmeldung sich gerade nicht für den Kläger, sondern für die Beklagte nachteilig auswirkt.
Der Kläger war innerhalb von vier Jahren nach der Ende Juni 1980 beendeten Maßnahme bloß ein Jahr und sieben Monate lang versicherungspflichtig beschäftigt (§§ 168, 169 AFG) statt mindestens drei Jahre. Seine zehnmonatige Tätigkeit auf Honorarbasis war keine Beschäftigung, die eine Arbeitslosenversicherungspflicht begründete. Gleiches gilt für die selbständige Tätigkeit als Gesellschafter in einem Tischlereiunternehmen, falls sie vor Ablauf der Rahmenfrist (Ende Juni 1984) begann. Die Arbeitslosigkeit des Klägers mit Alg-Bezug von etwas über zwei Monaten genügt zeitlich nicht. Sie machte allerdings zeitweilig die Erfüllung der Selbstverpflichtung unmöglich, sie steht aber der Erfüllung nicht gleich, sondern läßt die Verpflichtung, innerhalb der Vierjahresfrist die Dreijahresbeschäftigung jedenfalls so weit wie möglich durchzuhalten, bestehen (zur Veröffentlichung bestimmtes Urteil des Senats vom heutigen Tag - 9b/11 RAr 97/89 -). Für eine Beschäftigung, die zusammen mindestens ein Jahr und drei Monate hätten dauern müssen, um insgesamt drei Jahre zu erreichen, bestand nicht mehr genügend Zeit, weil sich der Kläger selbständig gemacht hatte.
Ob der Kläger bei ausreichender Bemühung, wozu auch Meldungen beim Arbeitsamt gehört hätten, statt der Honorartätigkeit bis zum Mindestumfang die notwendigen umschulungsgerechten Beschäftigungen gemäß seiner Selbstverpflichtung gefunden hätte (zur Veröffentlichung bestimmtes Urteil vom 28. März 1990 - 9b/11 RAr 91/88 -), ob ihm auch eine Arbeit in seinem vor der Umschulung erlernten höherwertigen Beruf eines graduierten Ingenieurs oder als Bauzeichner zuzumuten gewesen wäre und ob er in einem dieser Berufe eine zeitlich ausreichende Anstellung hätte finden können, kann offenbleiben. Auch braucht nicht entschieden zu werden, ob dem Kläger ein Ausharren in Arbeitslosigkeit nicht länger zuzumuten war und ob er deshalb in eine nicht versicherungspflichtige Arbeit gegen Honorar oder in eine selbständige Existenz ausweichen durfte, ohne rückzahlungspflichtig zu werden (Urteil vom 28. März 1990).
Jedenfalls darf die Beklagte, obwohl ein für den Kläger günstiges Beweisergebnis über eine ausreichende Dauer der Arbeitslosigkeit fehlt, ihn ausnahmsweise deshalb nicht durch eine Rückzahlung mit den Umschulungskosten belasten, weil sie ihn nicht vorher darüber belehrt hat, daß er in Beweisnot gerate, wenn er sich nicht arbeitslos melde und nicht ankündige, daß er sich selbständig machen wolle (zitiertes Urteil vom 28. März 1990 und weiteres zur Veröffentlichung bestimmtes Urteil vom selben Tag in der Sache 9b/7 RAr 4/89; ferner zur Veröffentlichung bestimmtes Urteil vom 23. Mai 1990 - 9b/11 RAr 65/88). Es besteht kein Anhalt dafür, daß der Kläger trotz rechtzeitiger und ausreichender Belehrung die Rechtsauffassung vertreten hätte, die "formale" Arbeitslosmeldung sei überflüssig, und daß er deshalb nicht in der gebotenen Weise der Beklagten eine Gelegenheit gegeben hätte, die Möglichkeit einer umschulungsgerechten Beschäftigung zu prüfen oder den Kläger zeitgerecht für eine nicht versicherungspflichtige Tätigkeit freizugeben.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.
Fundstellen