Leitsatz (amtlich)
1. Zum Begriff des gewöhnlichen Aufenthalts iS des RVO § 1319 Abs 2, wenn der Rentenberechtigte regelmäßig nahezu gleich lange sowohl im Inland als auch im Ausland verweilt.
2. Eine Rente, die wegen gewöhnlichen Auslandsaufenthalts ruht, wird auch nicht für Zeiten vorübergehender Anwesenheit des Berechtigten im Inland gezahlt.
Normenkette
RVO § 1315 Fassung: 1960-02-25, § 1319 Abs. 2 Fassung: 1960-02-25
Tenor
Die Revision gegen das Urteil des Landessozialgerichts Nordrhein-Westfalen vom 8. Juli 1966 wird zurückgewiesen.
Kosten sind nicht zu erstatten.
Gründe
Der Kläger wendet sich gegen das Ruhen seines Altersruhegelds. Für ihn sind bis 1945 Beiträge zur Arbeiterrentenversicherung ausschließlich in Sachsen entrichtet worden. Bei Kriegsende war er in Schweden. Dort blieb und arbeitete er; 1955 erwarb er die schwedische Staatsangehörigkeit. Er und seine Ehefrau haben ihren Hausstand in Schweden. Sie beziehen dort eine Altersrente. Ihre drei Töchter wohnen in ihrer Nähe. Ein verheirateter Sohn lebt in D. Dort steht dem Kläger, wenn er - oft für mehrere Monate - in der Bundesrepublik Deutschland ist, ein möbliertes Zimmer zur Verfügung.
Mit Bescheid vom 7. Juli 1964 ordnete die Beklagte das Ruhen der Rente an, weil der Kläger sich gewöhnlich in Schweden aufhalte und seine Rente ausschließlich auf Versicherungszeiten entfalle, die außerhalb des gegenwärtigen Geltungsbereichs der Reichsversicherungsordnung (RVO) zurückgelegt worden seien.
Die Klage, mit welcher der Kläger die Gewährung des Ruhegelds für die Zeiten verlangt, in denen er sich in der Bundesrepublik Deutschland aufhält, ist von dem Sozialgericht (SG) Duisburg (Urteil vom 18. August 1965) und dem Landessozialgericht (LSG) Nordrhein-Westfalen (Urteil vom 8. Juli 1966) abgewiesen worden. Das LSG hat ausgeführt, der Kläger sei als Schwede nach dem Vorläufigen Europäischen Abkommen über die Systeme der sozialen Sicherheit für den Fall des Alters, der Invalidität und zugunsten der Hinterbliebenen vom 11. Dezember 1953 (BGBl II 1956, 531) wie ein Deutscher zu behandeln. Nach den demnach maßgebenden Vorschriften der §§ 1317 ff RVO dürfe die Rente nicht ausgezahlt werden, weil sie allein auf solchen Versicherungszeiten beruhe, die nicht in der Bundesrepublik oder im Land Berlin verbracht worden seien. Von dieser Rechtsfolge sei auszugehen, da der Berechtigte sich jeweils weniger als ein Jahr und damit stets nur vorübergehend in der Bundesrepublik aufhalte.
Das LSG hat die Revision zugelassen, der Kläger das Rechtsmittel eingelegt. Er beantragt, unter Aufhebung der angefochtenen Urteile sowie des Bescheids vom 7. Juli 1964 die Beklagte zu verurteilen, ihm das Altersruhegeld für die Zeiten seines Aufenthalts in der Bundesrepublik zu gewähren. Er meint, ein Ausländer, der gewöhnlich im Ausland lebe, müsse die Rente wenigstens für die Dauer seines - wenn auch nur vorübergehenden - Inlandaufenthalts erhalten. Den Vorschriften der §§ 1317 ff RVO, auf die sich das LSG beziehe, sei der gegebene Sachverhalt schon deshalb nicht zu subsumieren, weil er Ausländer sei. Aber auch dann, wenn man ihm entsprechend dem - erwähnten - Europäischen Abkommen Inländerbehandlung angedeihen lasse, sei nicht auf diese Vorschriften zurückzugreifen. Denn sie beträfen nur den Fall der Zahlung von Rente beim Aufenthalt außerhalb des Geltungsbereichs der RVO und nicht den der Zahlung im Inland. Wenn schon nach § 1319 RVO bei vorübergehender Abwesenheit von der Bundesrepublik die Rente zu zahlen sei, dann müsse dies erst recht bei einem zeitweiligen Hiersein gelten.
Die Beteiligten sind mit einer Entscheidung durch Urteil ohne mündliche Verhandlung einverstanden (§ 124 Abs. 2 des Sozialgerichtsgesetzes - SGG -).
Die Revision ist unbegründet.
Das Berufungsgericht hat den streitigen Sachverhalt zutreffend den §§ 1317 ff RVO untergeordnet. Als schwedischer Staatsangehöriger hat der Kläger die Leistungen der gesetzlichen Rentenversicherung unter denselben Voraussetzungen wie ein Deutscher zu erhalten. Das ist aus den Art. 1 und 2 des Vorläufigen Europäischen Abkommens über die Systeme der sozialen Sicherheit für den Fall des Alters, der Invalidität und zugunsten der Hinterbliebenen vom 11. Dezember 1953 herzuleiten. Dieses Abkommen ist in der Bundesrepublik Deutschland am 1. September 1956 und in Schweden am 1. Oktober 1955 in Kraft getreten (Bekanntmachung vom 8. Januar 1958, BGBl II 1958, 18, 21; vgl. auch BSG 13, 206, 213). Die Rente, die einem Schweden aus der deutschen Rentenversicherung zusteht, ruht mithin dann, wenn sie auch bei einem Deutschen ruhen würde. Dies ist hier der Fall.
Das Altersruhegeld des Klägers entfällt ausschließlich auf Versicherungszeiten, die zwar in der reichsgesetzlichen Invalidenversicherung, aber außerhalb des Gebietes zurückgelegt worden sind, das dem heutigen Geltungsbereich der RVO entspricht. Leistungen aus Versicherungen, denen es an einer engeren Zugehörigkeit zur Versichertengemeinschaft im Bundesgebiet oder im Lande Berlin mangelt (vgl. dazu § 1319 Abs. 2 und 3 RVO), ruhen für Zeiten des gewöhnlichen Aufenthalts im Ausland (§ 1317 RVO).
Der Kläger erfüllt diesen Tatbestand, obgleich er häufig mehrere Monate hintereinander in der Bundesrepublik Deutschland verbringt. Ein gewöhnlicher - oder was das gleiche bedeutet, ein ständiger - Aufenthalt wird gemeinhin als ein tatsächliches, länger dauerndes, nicht zufälliges Verweilen in einem bestimmten Gebiet erläutert (BSG 2. September 1964, 11/1 RA 40/59; 31. März 1965, 2 RU 229/61). Es wird auf einen Zustand abgestellt, der nach seinen objektiven Gegebenheiten auf eine gewisse Stetigkeit und Regelhaftigkeit schließen läßt (so die für die Mehrzahl der Rechtsgebiete vorherrschende Auffassung: ua RGZ 91, 288; § 14 Abs. 1 Satz 1 des Steueranpassungsgesetzes). Die Feststellung, daß sich jemand während einer längeren Dauer regelmäßig an einem Ort oder in einem bestimmten Territorium befindet, wird im allgemeinen zur Annahme eines gewöhnlichen Aufenthalts genügen. Davon wird namentlich dann auszugehen sein, wenn eine Verbindung dieses Menschen zu diesem räumlichen Bereich besteht. Dabei ist zu bedenken, daß zeitweilige Unterbrechungen einen gewöhnlichen Aufenthalt nicht aufheben; dieser ist nicht gleichbedeutend mit "nie abwesend sein" (BSG 9, 266, 268; Bundestagsdrucks. III/1109 S. 46 ff). Daraus, daß es nur auf Beständigkeit und Regelmäßigkeit und nicht auf lückenlose Kontinuierlichkeit ankommt, läßt sich folgern, daß mehrere "gewöhnliche Aufenthalte" möglich sind, daß im vorliegenden Fall also neben dem gewöhnlichen Aufenthalt in Schweden zugleich ein solcher im Inland bestehen kann. Den gewöhnlichen Aufenthalt in dem Sinne, daß jemand in zwei Gebieten Wohnungen unterhält und abwechselnd hier und dort lebt, wird man nicht für begrifflich oder rechtlich unmöglich halten können. Eine andere Auffassung hat zwar das Reichsversicherungsamt (RVA) (AN 1904, 495 eingenommen, dies jedoch im wesentlichen aus einer besonderen Gesetzesfassung heraus ("seinen gewöhnlichen Aufenthalt haben"). Von dieser Formulierung weicht aber der Wortlaut der §§ 1317, 1319 RVO ab; infolgedessen ist hier eine andere Interpretation möglich. Ob man nun für das Rentenrecht - in Übereinstimmung mit der im zwischenstaatlichen Privatrecht vertretenen Ansicht (Martin Wolff, Das internationale Privatrecht Deutschlands, 3. Aufl., 1954, 43; Soergel/Kegel, BGB, 9. Aufl., 1961, Anm. 32 zu Art. 29 EG BGB) - die Möglichkeit eines doppelten gewöhnlichen Aufenthalts in Betracht zu ziehen hat, braucht für den vorliegenden Rechtsstreit jedoch nicht abschließend beurteilt zu werden. Ein Auslandsaufenthalt wird für die Anwendung der §§ 1317, 1319 Abs. 2 RVO jedenfalls dann einen gewöhnlichen Inlandaufenthalt ausschließen, wenn er sich durch die wesentlich engere wirtschaftliche und persönliche Beziehung des Betreffenden zu dem ausländischen Ort oder Gebiet auszeichnet. An solche innigeren und dauerhafteren Beziehungen hat wohl das RVA gedacht, als es den Begriff des gewöhnlichen Aufenthalts mit dem des "Wohnens" gleichsetzte (AN 1929, 272; auch: BSG 2, 150, 152) oder als es diesen Begriff an demjenigen Ort für verwirklicht ansah, an dem jemand "zuhause" war, weil dort der Schwerpunkt seiner familiären und wirtschaftlichen Bindungen, seiner persönlichen Existenz lag (AN 1904, 495). In die gleiche Richtung weist es, wenn das Bundessozialgericht (BSG) den "Familienwohnort" für maßgeblich erklärt (BSG 19. November 1965 - 1 RA 154/62 - und 23. Mai 1967 - 11 RA 18/66 -). Der Begriff des gewöhnlichen Aufenthalts wird hiernach außer durch Stetigkeit und Regelmäßigkeit auch noch durch das Kriterium, daß eine Person an einem Orte das Zentrum ihres Daseins hat, geprägt ebenso Soergel/Kegel, Anm. 11 zu Art. 29 EG BGB).
Daraus ergibt sich, daß der Kläger sich gewöhnlich nur in Schweden aufhält. Dafür gibt den Ausschlag, daß er dort seine wirtschaftliche Existenzgrundlage gefunden sowie seine gesamte Habe hat und dort für sich und seine Frau eine eingerichtete Wohnung unterhält; in der Bundesrepublik steht ihm dagegen nur ein möbliertes Zimmer in der Wohnung seines verheirateten Sohnes zur Verfügung. Sein Altersruhegeld hat mithin zu ruhen.
An der Rechtsfolge des Ruhens ändert sich nichts während der Wochen und Monate, in denen der Kläger jeweils in der Bundesrepublik ist. Der Wortlaut des § 1317 RVO spricht nicht für das Gegenteil. Dort ist angeordnet, daß die Rente ruht, solange sich der Berechtigte außerhalb des Geltungsbereichs der RVO aufhält. Es ist zwar schlechthin vom Aufenthalt die Rede, doch ist deshalb aber nicht jede - vielleicht noch so flüchtige - Anwesenheit im Inland geeignet, die Zahlbarkeit der Rente zu begründen. Vielmehr ist aus § 1319 Abs. 1 RVO allgemein der Gedanke zu entnehmen, daß nicht jeder gelegentliche Ortswechsel, sondern nur ein Regelzustand die Erfüllbarkeit der Rente beeinflussen soll. Verdeutlicht wird dies ferner durch § 1319 Abs. 2 RVO. An dieser Stelle werden die Voraussetzungen aufgezählt, unter denen im Ausland die Rente gezahlt wird; dabei wird stets an "Zeiten des gewöhnlichen Aufenthalts" angeknüpft. Für das Ruhen ist mithin allein auf diesen Tatbestand abzuheben. Dieser Tatbestand kann auch während eines mehr oder weniger langen Inlandbesuches fortbestehen. Infolgedessen ist dem Kläger selbst für die Zeiten seiner Anwesenheit in der Bundesrepublik nichts zu leisten.
Die Vorentscheidungen erweisen sich hiernach als richtig. Die Revision ist mit der auf § 193 SGG beruhenden Kostenentscheidung zurückzuweisen.
Fundstellen