Beteiligte

…Kläger und Revisionskläger

…Beklagte und Revisionsbeklagte, beigeladen: …

 

Tatbestand

G r ü n d e :

I.

Streitig ist die Auszahlung von Teilen des dem Beigeladenen zustehenden Arbeitslosengeldes (Alg) an den Kläger (Abzweigung).

Der Beigeladene erhielt von der Beklagten Alg ab 1. Dezember 1983 in Höhe von 325,80 DM und ab 2. Januar 1984 in Höhe von 324,60 DM wöchentlich. Seit 1. März 1984 steht er wieder in Arbeit. Er ist ehelicher Vater der beiden Kinder Douglas, geboren am 22. Juli 1978, und Dennis W., geboren am 24. September 1979. Die Kinder befinden sich bei der vom Beigeladenen getrennt lebenden Mutter. Da der Beigeladene für die Kinder keinen Unterhalt zahlte, gewährte der Kläger diesen Leistungen in Höhe von monatlich je 182,-- DM nach dem Unterhaltsvorschußgesetz (UVG).

Mit einem am 14. Februar 1984 bei der Beklagten eingegangenen Schreiben vom 10. Februar 1984 beantragte der Kläger unter Hinweis auf § 48 des Sozialgesetzbuches - Allgemeiner Teil - (SGB I), einen angemessenen Teil der dem Beigeladenen gewährten Leistungen abzuzweigen und ihm zu überweisen. Mit Schreiben vom 22. Februar 1984 teilte die Beklagte dies dem Beigeladenen mit, eröffnete ihm, daß sich ein Abzweigungsbetrag von wöchentlich 84,-- DM ergeben würde und gab ihm Gelegenheit, sich hierzu bis 10. März 1984 zu äußern. Das Schreiben enthielt ferner den Hinweis, daß die beantragte Abzweigung ab 1. März 1984 durchgeführt würde, falls er sich nicht fristgerecht äußern sollte.

Durch einen nach Aktenlage unter dem 6. April 1984 ergangenen Bescheid, den das Landessozialgericht (LSG) als Bescheid vom 10. April 1984 bezeichnet hat, entschied die Beklagte, daß vom Alg des Beigeladenen ab 29. März 1984 ein Betrag von 84,-- DM wöchentlich an den Kläger abgezweigt werde. Der Widerspruch des Klägers, mit dem er den früheren Beginn der Abzweigung - vom Tage nach Antragseingang an - geltend machte, blieb erfolglos (Widerspruchsbescheid vom 6. September 1984).

Vor dem Sozialgericht (SG) hat der Kläger beantragt, die Beklagte unter Aufhebung des Bescheides vom 6. April 1984 und des Widerspruchsbescheides vom 6. September 1984 zu verpflichten, einen weiteren Betrag von 182,-- DM zu erstatten, nämlich für die 13 Leistungstage vom 15. bis 29. Februar 1984 je 14,-- DM. Das SG hat die Klage abgewiesen, weil die angefochtene Entscheidung der Beklagten keine Ermessensfehler aufweise. Die Berufung wurde nicht zugelassen (Urteil vom 9. Oktober 1985).

Das LSG hat die Beiladung vorgenommen und die Berufung des Klägers zurückgewiesen. Es hat dazu ausgeführt: Die Berufung betreffe einen Höhenstreit und sei deshalb an sich nach § 147 des Sozialgerichtsgesetzes (SGG) nicht statthaft. Ihre Zulässigkeit ergebe sich jedoch aus § 150 Nr 2 SGG; denn der Kläger habe es zu Recht als einen wesentlichen Verfahrensmangel gerügt, daß das SG die gemäß § 75 Abs 2 SGG notwendige Beiladung des Leistungsberechtigten W. unterlassen habe.

In der Sache sei die Berufung unbegründet. Nach der hier maßgeblichen Rechtsgrundlage des § 48 SGB I könnten laufende Geldleistungen, die der Sicherung des Lebensunterhalts zu dienen bestimmt sind, in angemessener Höhe ua an Personen oder Stellen ausgezahlt werden, die ua die Kinder des Leistungsberechtigten unterhalten, wenn der Leistungsberechtigte ihnen gegenüber seiner gesetzlichen Unterhaltspflicht nicht nachkomme. Letzteres unterliege, wie alle tatbestandlichen Voraussetzungen des § 48 SGB I, der vollen gerichtlichen Nachprüfung. Sie seien für die Zeit vom 15. bis 29. Februar 1984 erfüllt, wie auch zwischen den Beteiligten nicht streitig sei. Die Auszahlungsentscheidung als solche stehe hingegen im Ermessen des Leistungsträgers und unterliege insoweit nur der Prüfung auf Ermessensfehler. Hier seien derartige Fehler nicht zu erkennen. Die Beklagte habe zwischen dem mit § 48 SGB I verfolgten Zweck der raschen Verwirklichung von Unterhaltsansprüchen und dem Recht des von der Abzweigung Betroffenen auf Anhörung vor Vollzug des Eingriffs in seine Rechte, wie es § 24 Abs 1 des Sozialgesetzbuches - Verwaltungsverfahren - (SGB X) vorschreibe, sachgerecht abgewogen. Sie habe diese Erwägungen zumindest im Widerspruchsbescheid deutlich gemacht. Zwar seien bei einer Abzweigung grundsätzlich alle seit Eingang des Abzweigungsantrags laufenden Geldleistungen zu berücksichtigen; das bedeute aber nicht, daß der leistungspflichtige Versicherungsträger auf die Anhörung des Betroffenen als Ausfluß von dessen Grundrecht auf rechtliches Gehör verzichten und schon vorher die bewilligten Leistungen zurückhalten müsse. Insoweit müßten die Interessen des Abzweigungsberechtigten zurücktreten, jedenfalls sei eine dementsprechende Handhabung nicht ermessensfehlerhaft.

Mit der Revision rügt der Kläger sinngemäß eine Verletzung von § 48 SGB I und führt dazu aus: Vom Tage des Eingangs des Abzweigungsantrags bei der Beklagten bis zur tatsächlichen Abzweigung seien ca 6 Wochen vergangen. Zwar sei nicht streitig, daß die Beklagte den Beigeladenen nach § 24 Abs 1 SGB X vor der Abzweigung zu hören habe. Das bedeute jedoch nicht, daß der Abzweigungsanspruch erst nach der Anhörung bestehe. Vielmehr habe die Beklagte durch geeignete Maßnahmen zu sichern, daß der Anspruch des Klägers vom Zeitpunkt des Eingangs des Abzweigungsantrags berücksichtigt werden könne, etwa durch vorläufige Zurückbehaltung des auszuzahlenden Teilbetrages. Nur dieses Verfahren entspreche dem Zweck des § 48 SGB I auf rasche Verwirklichung von Unterhaltsansprüchen. Weder die Dauer der Wahrung des Anspruchs des Betroffenen auf rechtliches Gehör noch des für die Abzweigung notwendigen Verwaltungsverfahrens dürfe dem Risiko des Abzweigungsberechtigten aufgebürdet werden. Der Kläger beruft sich für seine Auffassung auf das Urteil des Bundessozialgerichts (BSG) vom 29. August 1984 - 1 RJ 82/83 -.

Der Kläger beantragt,

1.

das Urteil des Landessozialgerichts Niedersachsen vom 13. Mai 1986, das Urteil des Sozialgerichts Hannover vom 9. Oktober 1985, den Bescheid der Beklagten vom 6. April 1984 und Widerspruchsbescheid vom 6. September 1984 aufzuheben.

2.

Die Beklagte zu verurteilen, dem Kläger für die Zeit vom 15. Februar 1984 bis 29. Februar 1984 einen Betrag in Höhe von 182,-- DM zu erstatten.

Die Beklagte beantragt,die Revision des Klägers zurückzuweisen.

Sie hält die Entscheidung des LSG für richtig und führt ergänzend aus: Die vom Kläger vorgeschlagenen Möglichkeiten, bei Abzweigungsanträgen die Leistung zunächst teilweise einzustellen oder unter Vorbehalt weiter zu gewähren, seien nicht realisierbar. Dem stehe zum einen der Anspruch des Berechtigten auf Auszahlung der bewilligten und fälligen Leistungen gemäß den gesetzlichen Vorschriften entgegen. Die schlichte Einbehaltung von Leistungsteilen wäre auch in Anbetracht der Interessen der Abzweigungsberechtigten ein unverhältnismäßiger Eingriff in diese Rechte des Leistungsberechtigten. Auch die Gewährung unter Vorbehalt scheide aus. Für die Aufnahme einer derartigen Nebenbestimmung iS des § 32 Abs 1 SGB X bestehe bei der ursprünglichen Leistungsbewilligung kein Anlaß. Deshalb müßte bei Eingang eines Abzweigungsantrags in jedem Falle ein neuer Verwaltungsakt erlassen werden, der wiederum eine vorherige Anhörung der Betroffenen erforderte. Im übrigen müsse die Beklagte, soweit - wie hier - kein Unterhaltstitel vorliege, die Unterhaltspflicht des Leistungsbeziehers prüfen, diesen also auch deshalb anhören. Eine zwischenzeitliche Leistungsverweigerung sei nicht gerechtfertigt. Wenn - wie hier - der Erfolg eines Abzweigungsantrags daran scheitere, daß der Alg-Bezieher während der Anhörungsfrist aus dem Leistungsbezug ausscheide, beruhe dies nicht auf pflichtwidrigem Verhalten der Beklagten, wie das BSG im Urteil vom 12. Mai 1982 - 7 RAr 20/81 - entschieden habe. Sofern das BSG allerdings der Auffassung sein sollte, daß auf einen Abzweigungsantrag hin eine Einbehaltung des Alg bis zur Entscheidung erfolgen müsse, müßte es die Rechtsgrundlagen für ein solches Verfahren aufzeigen. Die Beklagte macht dazu nähere Ausführungen.

Der Beigeladene hat keine Anträge gestellt.

 

Entscheidungsgründe

II.

Die Revision des Klägers ist nicht begründet.

Zutreffend ist das LSG von der Zulässigkeit der Berufung ausgegangen, eine Frage, die bei einer zugelassenen Revision von Amts wegen zu prüfen ist (st Rspr, vgl BSG SozR 1500 § 150 Nr 18). Mit der Berufung hat der Kläger geltend gemacht, daß ihm Teile des dem Beigeladenen für die Zeit vom 15. bis 29. Februar 1984 bewilligten Alg auszuzahlen seien; er hat diese mit 13 x 14,-- DM = 182,-- DM beziffert. Dieser Streitgegenstand ist an sich nicht berufungsfähig. Ob das daraus folgt, daß ein Streit um die Höhe der Leistung iS des § 147 SGG vorliegt, wie es das LSG angenommen hat, kann dahinstehen. Dies ist allerdings deshalb zweifelhaft, weil der Kläger für den streitigen Zeitraum nicht eine höhere Leistung begehrt, sondern überhaupt eine Zahlung, die bislang vollständig verweigert wurde (vgl dazu BSG vom 25. März 1987 - 7 RAr 85/85 - zur Veröffentlichung vorgesehen). Insofern unterscheidet sich dieser Sachverhalt von dem Fall, in dem sich der Leistungsberechtigte selbst - das wäre hier der Beigeladene - gegen eine Auszahlung von Teilen seines Anspruchs an Dritte wendet; dort geht es um die Höhe der Leistung iS des § 147 SGG (BSG SozR 1500 § 147 Nr 8). Hier begehrt der Kläger in Wahrheit einen früheren Beginn der ihm durch den angefochtenen Verwaltungsakt insoweit vollständig vorenthaltenen Abzweigung. Auch für diesen Fall ist jedoch die Berufung nach § 147 SGG ausgeschlossen (Beginnstreit). Schließlich könnte der Berufungsausschluß auch aus § 144 Abs 1 Nr 2 SGG folgen; denn mit der Berufung begehrt der Kläger wiederkehrende Leistungen für einen Zeitraum von weniger als 13 Wochen (drei Monaten). Einer abschließenden Entscheidung, welcher der gesetzlichen Ausschlußtatbestände hier letztlich zugrunde zu legen ist, bedarf es jedoch nicht; denn aus jedem folgte die Unstatthaftigkeit der Berufung. Ihre Zulässigkeit ergibt sich deshalb nur aus § 150 Nr 2 SGG, wonach eine Berufung ungeachtet der §§ 144 - 149 SGG zulässig ist, wenn ein wesentlicher Mangel des Verfahrens gerügt wird. Wie das LSG richtig entschieden hat, war der Leistungsberechtigte W. gemäß § 75 Abs 2 SGG dem Verfahren notwendig beizuladen. Der Streit betrifft die Frage, ob Teile des ihm bewilligten Alg nicht an ihn, sondern an den Kläger auszuzahlen sind. Die behauptete Abzweigung würde somit in seinen Rechtskreis eingreifen (Urteil des Senats vom 13. Mai 1987 - 7 RAr 13/86 -). Er ist folglich an dem streitigen Rechtsverhältnis derart beteiligt, daß die Entscheidung auch ihm gegenüber nur einheitlich ergehen kann. Mit seiner vor dem LSG erhobenen Rüge der vom SG unterlassenen Beiladung des Leistungsberechtigten hat der Kläger deshalb die Zulässigkeit der Berufung herbeigeführt; denn insoweit handelt es sich um einen wesentlichen Verfahrensmangel iS des § 150 Nr 2 SGG.

In der Sache hat die Revision keinen Erfolg. Der Kläger wendet sich gegen den angefochtenen Bescheid in der Gestalt des Widerspruchsbescheides insoweit, als darin seinem Antrag auf Auszahlung von Teilen des dem Beigeladenen zustehenden Alg (Abzweigung) nicht schon für die Zeit vom 15. bis 29. Februar 1984 stattgegeben worden ist. Nicht angefochten ist die Entscheidung der Beklagten, daß auch für die Zeit vom 1. bis 28. März 1984 eine Auszahlung an den Kläger nicht erfolgte. Zu entscheiden ist mithin in diesem Verfahren nur, ob der angefochtene Verwaltungsakt hinsichtlich der Nichtstattgabe des Abzweigungsantrags für die Zeit vom 15. bis 29. Februar 1984 rechtmäßig ist. Der Senat bejaht mit den Vorinstanzen diese Frage.

Der angefochtene Verwaltungsakt ist eine Ermessensentscheidung iS des § 39 SGB I; denn bei Entscheidungen über Anträge auf Abzweigung von Leistungen iS des § 48 SGB I ist der Leistungsträger ermächtigt, nach seinem Ermessen zu handeln (st Rspr, vgl ua BSGE 53, 260, 267 ff = SozR 1200 § 54 Nr 6; BSGE 57, 59, 60 = SozR 1200 § 48 Nr 8; BSGE 59, 30, 38 = SozR 1200 § 48 Nr 10; Urteil des Senats vom 13. Mai 1987 - 7 RAr 13/86 -). Durch die inhaltliche Ablehnung der Abzweigung für die Zeit vom 15. bis 29. Februar 1984 ist der Kläger beschwert, so daß er hiergegen zulässigerweise Anfechtungsklage erhoben hat (§ 54 Abs 1 und 2 SGG). Die Voraussetzungen für die vom Kläger zugleich erhobene Leistungsklage, die sein Begehren auf Verurteilung der Beklagten zur Zahlung von 182,-- DM enthält, sind hingegen nicht gegeben. Nur wenn der angefochtene Verwaltungsakt eine Leistung betrifft, auf die ein Rechtsanspruch besteht, kann neben der Anfechtungsklage Leistungsklage erhoben werden (§ 54 Abs 4 SGG). In Fällen von Ermessensansprüchen gilt dies in der Regel nicht, da das Gericht grundsätzlich nicht befugt ist, ein der Verwaltung eingeräumtes Ermessen wahrzunehmen und leistungsmäßig selbst abschließend zu bestimmen, welches Ergebnis daraus folgt (vgl BSGE 2, 142, 148 ff). Die unmittelbare Verurteilung zur Erbringung einer gesetzlich von Ermessensausübung abhängigen Leistung ist deshalb nur ausnahmsweise möglich, zB wenn jede andere Entscheidung rechtswidrig wäre (Ermessensreduzierung auf Null, vgl BSGE 2, 142, 149; BSGE 9, 232, 239; BSG SozR 1200 § 48 Nr 3; BSGE 57, 127, 133 = SozR 1200 § 48 Nr 9) oder wenn wegen der streitigen Ermessensleistung bereits ein bewilligender Verwaltungsakt vorliegt und es nur um dessen Ausführung geht (vgl BSGE 50, 82, 83 = SozR 1500 § 54 Nr 40), bzw die Verwaltung ihr Ermessen bereits vollständig und rechtmäßig ausgeübt hat (vgl BSGE 53, 218, 221 = SozR 1200 § 48 Nr 5). Weder behauptet der Kläger noch ist ersichtlich, daß hier einer dieser Ausnahmesachverhalte vorliegt. Die Leistungsklage ist deshalb unzulässig. Der Kläger kann nämlich nur geltend machen, daß die Beklagte über den streitigen Anspruch eine (neue) Ermessensentscheidung trifft und dabei die Rechtsauffassung des Gerichts beachtet (Verpflichtungsklage).

Der Senat ist allerdings der Auffassung, daß der Prozeßantrag des Klägers auch dieses Begehren enthält; insoweit ist es jedoch nicht begründet. Der angefochtene Verwaltungsakt ist rechtmäßig, so daß der Kläger nicht mit Erfolg dessen Aufhebung und die Verpflichtung der Beklagten zum Erlaß eines neuen Verwaltungsaktes verlangen kann.

Die tatbestandlichen Voraussetzungen des § 48 Abs 1 SGB X für die streitige Abzweigung sind zwar erfüllt, was - wie das LSG zu Recht erkannt hat - vollinhaltlich der gerichtlichen Prüfung unterliegt (BSGE 57, 127, 128 ff = SozR 1200 § 48 Nr 9; BSGE 59, 30, 33 = SozR 1200 § 48 Nr 10). Das LSG hat ausreichend deutlich die Umstände festgestellt, aus denen sich ergibt, daß der Beigeladene seinen beiden Kindern kraft Gesetzes zum Unterhalt verpflichtet ist und dieser Unterhaltspflicht nicht nachkommt. Abgesehen davon, daß hierwegen zwischen den Beteiligten keine Meinungsverschiedenheiten bestehen, lassen auch die Einzelheiten des festgestellten Sachverhalts keine Zweifel an der Richtigkeit der Feststellungen des LSG aufkommen. Sowohl nach dem Alter der Kinder als nach der Höhe des geltend gemachten Abzweigungsbetrages und des dem Beigeladenen zustehenden Alg ist offenbar, daß dem gesetzlichen Unterhaltsanspruch eine ausreichende Leistungsfähigkeit des Beigeladenen gegenübersteht (§§ 1601 bis 1603 Bürgerliches Gesetzbuch -BGB-; vgl BSGE 59, 30, 33 ff = SozR 1200 § 48 Nr 10; Urteil des Senats vom 13 Mai 1987 - 7 RAr 13/86 -). Wenn die Beklagte gleichwohl eine Abzweigung für die hier streitige Zeit verweigert, handelt sie nicht rechtswidrig.

Auch bei Vorliegen der Tatbestandsvoraussetzungen des § 48 Abs 1 SGB X muß die Beklagte nicht oder nicht in der vom Antragsteller gewünschten Weise abzweigen. Dies ist eine Folge der ihr eingeräumten Rechte, nach pflichtgemäßem Ermessen zu handeln. Wie der Senat schon entschieden hat, steht ihr grundsätzlich die Wahl zwischen mehreren rechtlich möglichen Verhaltensweisen zu, dh auch das Recht, von der an sich möglichen Abzweigung ganz abzusehen (BSGE 59, 30, 33 = SozR 1200 § 48 Nr 10). Erforderlich ist lediglich, daß sie sich für ihr Verhalten auf sachgerechte Gründe berufen kann und beruft (§ 39 Abs 1 Satz 3 SGB X). Nur in dieser Beziehung unterliegen Ermessensentscheidungen der Kontrolle des Gerichts; denn insoweit ist Rechtswidrigkeit nur gegeben, wenn die gesetzlichen Grenzen des Ermessens überschritten sind oder von dem Ermessen in einer dem Zweck der Ermächtigung nicht entsprechenden Weise Gebrauch gemacht ist (§ 54 Abs 2 Satz 2 SGG). Nicht der Beurteilung des Gerichts unterliegt folglich die Frage der Zweckmäßigkeit der getroffenen Entscheidung in bezug auf ihren Ermessensbereich (BSGE 53, 260, 267 = SozR 1200 § 54 Nr 6).

Ausgehend hiervon erweist sich die Entscheidung der Beklagten, hinsichtlich des Leistungszeitraums vom 15. bis 29. Februar 1984 keine Abzweigung vorzunehmen, als ermessensfehlerfrei. Die Beklagte hat ihre Entscheidung (auch) insoweit darauf gestützt, daß sie zunächst den davon betroffenen Beigeladenen anhören müsse. Dies ergibt sich in rechtlich ausreichender Weise jedenfalls aus der Begründung des schriftlichen Widerspruchsbescheides (§ 35 Abs 1 Satz 3 iVm § 41 Abs 1 Nr 2, Abs 2 SGB X). Die Erwägungen der Beklagten sind nicht sachwidrig.

Nach § 24 Abs 1 SGB X ist einem am Verwaltungsverfahren Beteiligten, in dessen Rechte durch einen Verwaltungsakt eingegriffen werden soll, vor der Entscheidung Gelegenheit zu geben, sich zu den dafür erheblichen Tatsachen zu äußern. Wie das LSG zutreffend erkannt hat, besitzt diese gesetzliche Festlegung des Anspruchs auf rechtliches Gehör im Verfahren der Sozialverwaltung ähnliches Gewicht wie das Grundrecht des rechtlichen Gehörs im gerichtlichen Verfahren (st Rspr, vgl BSG SozR 1300 Nrn 4 und 6 zu § 24, ebenso BSG SozR 1300 Nrn 7 und 9 zu § 24). In bestimmten Fällen kann zwar von der Anhörung abgesehen werden (§ 24 Abs 2 SGB X); hierbei obliegt es jedoch wiederum dem Ermessen der Verwaltung, ob sie von dieser Möglichkeit Gebrauch macht. Wenn sie dies nicht tut, weil sie für die Anhörung ausreichende Sachgründe annimmt, handelt sie nicht ermessensfehlerhaft.

Die Vornahme einer Abzweigung nach § 48 SGB I greift iS des § 24 Abs 1 SGB X in die Rechte eines Beteiligten, nämlich des Leistungsberechtigten, ein. Dies ergibt sich, wie keiner näheren Begründung bedarf, daraus, daß Teile der ihm zustehenden Leistung nunmehr nicht mehr ihm, sondern einem Dritten ausgezahlt werden. Zweck des § 48 SGB X ist es zwar, eine möglichst rasche Verwirklichung von Unterhaltsansprüchen zu ermöglichen. Dies verpflichtet den Leistungsträger folglich auch zu einer entsprechenden zügigen Bearbeitungsweise. Er darf und muß deshalb aber nicht geschützte Rechte des Leistungsberechtigten vernachlässigen, insbesondere nicht ein solches, wie es das Anhörungsrecht nach § 24 Abs 1 SGB X darstellt. Ob der von der Beklagten im vorliegenden Fall gewählte Verfahrensgang, über den Abzweigungsantrag vom 14. Februar 1984 erst Anfang April mit Wirkung ab 29. März 1984 zu entscheiden, sachgerecht und damit ermessensfehlersfrei war, kann dahinstehen. Hier geht es nur darum, wie schon ausgeführt, ob dies auch für die darin enthaltene Unterlassung der Abzweigung für die Zeit vom 15. bis 29. Februar 1984 gilt. Das ist zu verneinen, so daß sich die Entscheidung der Beklagten in dem hier angefochtenen Umfange nicht als ermessensfehlerhaft darstellt.

Die Gründe für ihr Verhalten insoweit sind nicht zu beanstanden. Die Berufung darauf, daß sie vor der Entscheidung über die Abzweigung zunächst den Betroffenen anhören müsse, stellt keine fehlerhafte Ermessensausübung dar; denn die Beklagte kann sich dafür auf das sie verpflichtende Gebot des § 24 Abs 1 SGB X als ausreichenden sachlichen Grund stützen. Letztlich beanstandet auch der Kläger nicht dieses Verhalten der Beklagten. Ob die dem Beigeladenen gesetzte Äußerungsfrist bis zum 10. März 1983 unangemessen lang war und sich allein hieraus oder jedenfalls aus dem weiteren Verwaltungsablauf bis zur Abzweigungsentscheidung ein sachwidriges Verhalten ergibt, bedarf hier keiner Entscheidung. Eine Abzweigungsentscheidung zu einem vor dem 29. Februar 1984 liegenden Zeitpunkt mußte die Beklagte jedenfalls nicht treffen, um ermessensfehlerfrei zu handeln. Es geht insoweit seit dem Eingang des Abzweigungsantrags um einen Zeitraum von rund zwei Wochen. Der Senat erachtet diesen Zeitraum in jedem Falle als eine im Bereich der Abzweigung von Leistungen nach dem Arbeitsförderungsgesetz (AFG) angemessene Frist, eine Frage, die er selbst zu beurteilen hat (vgl BSG SozR 1200 § 34 Nr 12; SozR 1300 § 24 Nr 4). Dafür sind nicht nur die Postlaufzeiten für Anfrage und Antwort zu berücksichtigen, sondern auch einerseits das Recht des Betroffenen auf angemessene Überlegungs- und Beratungszeit (BSG aaO) und andererseits die Sachumstände einer Massenverwaltung, wie sie die Beklagte zu bewältigen hat.

Zu Recht hat es das LSG ferner nicht als einen Ermessensfehler angesehen, daß die Beklagte die Abzweigung nicht rückwirkend für Zeiten vom 15. bis 29. Februar 1984 vorgenommen hat, also schon ab Eingang des Abzweigungsantrags. Eine derartige rückwirkende Abzweigung wird zwar rechtlich nicht für ausgeschlossen gehalten, wie das LSG mit Hinweis auf das Urteil des 1. Senats des BSG vom 29. August 1984 (BSGE 57, 127, 132 = SozR 1200 § 48 Nr 9) zutreffend ausgeführt hat. Der Leistungsträger muß dies jedoch nicht tun; denn sein Ermessen erstreckt sich auch auf diese Art der Entscheidung über einen Abzweigungsantrag. Deshalb liegt jedenfalls solange in der Ablehnung einer rückwirkenden Abzweigung kein Ermessensfehler, als dafür sachgerechte Gründe angeführt werden. Der Senat weicht damit nicht von der oa Entscheidung des 1. Senats ab. Dort beruhte nämlich ein beträchtlicher Zeitablauf bis zur Abzweigung auf rechtsfehlerhaftem und mit den Grundsätzen ordnungsgemäßer Verwaltung nicht zu vereinbarendem Verhalten des Leistungsträgers selbst, so daß es der 1. Senat als rechtsmißbräuchlich angesehen hat, daß sich der Leistungsträger auf die durch eben dieses Verhalten geschaffenen Tatsachen beruft. Ein solcher Sachverhalt ist hinsichtlich des Streitgegenstandes hier nicht gegeben. Wartet die Beklagte den Ablauf einer Anhörungsfrist ab, die in ihrer Relevanz zum Klageanspruch nicht mehr als zwei Wochen beträgt, dann stellt die Weigerung, für die zurückliegende Zeit die Abzweigung vorzunehmen, keinen Ermessensfehlgebrauch dar; denn es kann nicht als ermessensfehlerhaft sachwidrig angesehen werden, wenn ein Leistungsträger sich dazu entschließt, dem Leistungsberechtigten während der angemessenen Dauer eines Verfahrens über dessen gesetzlich vorgeschriebene Anhörung die bisher bewilligte Leistung noch in vollem Umfange zu belassen.

Etwas anderes könnte nur gelten, wenn für die Beklagte eine Rechtspflicht bestünde, Abzweigungen rückwirkend auszusprechen. Dafür sind jedoch keine Rechtsgrundlagen ersichtlich. Aus § 48 SGB I folgt dies jedenfalls nicht. Wie ausgeführt, rechtfertigt der Zweck dieser Vorschrift nicht von vornherein die Vernachlässigung der Rechte des von der Abzweigung Betroffenen. Es ist ua gerade Aufgabe der Ermessensentscheidung des Leistungsträgers, das Spannungsverhältnis zwischen seinen Interessen und denen des Abzweigungsberechtigten in sachangemessener Weise aufzulösen. Folglich ist diese Entscheidung auch nur dann rechtswidrig, wenn sie Ermessensfehler aufweist.

Auch sonst sind keine Rechtsgrundlagen zu erkennen, die die Beklagte verpflichten würden, Abzweigungen vom Alg rückwirkend vorzunehmen, etwa stets zum Zeitpunkt des Eingangs des Abzweigungsantrags. Dem stehen gesetzliche Vorschriften im Gegenteil sogar entgegen. Die Beklagte weist zu Recht darauf hin, daß der Leistungsberechtigte aufgrund bestandskräftiger Bewilligung einen Anspruch gegen sie auf zeitgerechte Auszahlung fälliger Leistungen besitzt (§ 41 SGB I iVm § 122 AFG). Dies hindert sie schon von Rechts wegen an einer schlichten Zahlungseinstellung. Fraglich ist sogar, ob sie allein unter Berufung auf den Eingang eines Abzweigungsantrages nach Maßgabe des § 48 SGB X Eingriffe in die Bestandskraft des Alg-Bewilligungsbescheides vornehmen könnte. Dies setzte aber jedenfalls erneut ein ordnungsgemäßes Verwaltungsverfahren mit Anhörung des Betroffenen voraus, dessen Zeitaufwand allein bereits dem Begehren des Klägers entgegenstünde. Eine rückwirkende Abzweigung ohne zulässige Beseitigung der Rechtsansprüche des Leistungsberechtigten aus dem Bewilligungsbescheid für die gleiche Zeit scheidet von vornherein aus. Die Beklagte müßte zudem Doppelleistungen in Kauf nehmen, was auch haushaltsrechtlich unzulässig wäre, wenn dies durch Rechtsanwendung, hier nämlich durch sachgerechte Ermessensausübung iS des § 48 SGB I, zu vermeiden ist. Daß die Beklagte schließlich nicht berechtigt oder gar verpflichtet ist, jeder Leistungsbewilligung von vornherein eine Nebenbestimmung (§ 32 SGB X) beizufügen, etwa im Sinne des Vorbehalts der sofortigen Zahlungseinstellung für den Fall eines Abzweigungsantrags, bedarf keiner Begründung. Auch im vorliegenden Falle ist dies folglich zu Recht nicht geschehen.

Die Revision des Klägers ist nach allem unbegründet und deshalb zurückzuweisen.

Die Kostenentscheidung folgt aus § 193 SGG.

 

Fundstellen

Dokument-Index HI518046

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