Beteiligte
Klägerin und Revisionsklägerin |
Beklagte und Revisionsbeklagte |
Tatbestand
Im Prozeß geht es um die Frage, ob die Beklagte ermessensfehlerfrei handelt, wenn sie die Abzweigung von Teilen laufender Geldleistungen an ein Kind des Leistungsberechtigten erst nach dessen Anhörung vornimmt.
Die am 18. Februar 1983 geborene Klägerin ist die uneheliche Tochter des Beigeladenen, der von der Beklagten zunächst Unterhaltsgeld und dann Arbeitslosenhilfe bezog. Sie beantragte am 24. August 1983 durch ihren Amtspfleger, das Stadtjugendamt O., unter Vorlage einer Urkunde des Amtsgerichts O. bei dem Arbeitsamt O., den jeweils pfändbaren Teil der Sozialleistung bis zum Betrag von 182,-- DM monatlich an die Stadtkasse O. zu überweisen. Mit Schreiben vom 30. August 1983 gab das Arbeitsamt dem Beigeladenen Gelegenheit, sich bis zum 18. September 1983 zum Antrag der Klägerin zu äußern. Die Antwort des Beigeladenen, in der dieser die Abzweigung ablehnte, ging am 19. September 1983 bei dem Arbeitsamt ein. Mit Bescheid vom 29. September 1983 zweigte das Arbeitsamt vom 21. September 1983 an 7,-- DM täglich von der Sozialleistung an die Klägerin ab. Der Widerspruch der Klägerin, die die Abzweigung schon vom 23. August 1983 an forderte, blieb erfolglos.
Das Sozialgericht (SG) hat auf die Klage hin den Bescheid geändert und die Beklagte verurteilt, die Abzweigung bereits ab 24. August 1983 vorzunehmen; es hat die Berufung zugelassen. Auf die Berufung der Beklagten hin hat das Landessozialgericht (LSG) das Urteil aufgehoben, die Klage abgewiesen und die Revision zugelassen. In den Entscheidungsgründen ist ausgeführt, die Beklagte habe das ihr zustehende Ermessen fehlerfrei ausgeübt; dem Recht des Leistungsberechtigten auf Anhörung sei gegenüber dem mit § 48 des Sozialgesetzbuches - Allgemeiner Teil - (SGB 1) verfolgten Zweck, dem Unterhaltsberechtigten unter Vermeidung langwieriger Ermittlungen sofort zu helfen, der Vorrang zu geben.
Mit der Revision trägt die Klägerin vor, das Arbeitsamt sei verpflichtet gewesen, die Abzweigung mit Wirkung vom Zeitpunkt der Antragstellung an vorzunehmen. Das unterhaltsberechtigte Kind verdiene eine stärkere Berücksichtigung seiner Position als der Unterhaltsschuldner.
Sie beantragt sinngemäß
das Urteil des LSG vom 23. September 1986 aufzuheben und die Berufung der Beklagten gegen das Urteil des SG vom 31. Oktober 1985 zurückzuweisen.
Die Beklagte beantragt
die Revision zurückzuweisen.
Sie führt aus: Würde sie Abzweigungen bereits vor einer Anhörung bzw. vor Ablauf der gesetzten Anhörungsfrist vornehmen, würde damit - wie das LSG zutreffend festgestellt habe - das durch die Verfassung geschützte Anhörungsrecht ausgehöhlt.
Die Revision der Klägerin ist nicht begründet. Die Beklagte hat ihr Ermessen ordnungsmäßig ausgeübt.
Nach § 48 Abs. 1 Satz 1 SGB 1 können laufende Geldleistungen, die der Sicherung des Lebensunterhalts zu dienen bestimmt sind in angemessener Höhe an den Ehegatten oder die Leistungsberechtigten ausgezahlt werden, wenn dieser ihnen gegenüber seiner gesetzlichen Unterhaltspflicht nicht nachkommt.
Das Arbeitsamt hat die Voraussetzungen dieser Vorschrift als erfüllt angesehen und die beantragte Abzweigung vorgenommen, allerdings von einem Zeitpunkt an, der knapp einen Monat nach dem Eingang des Antrages liegt. Gegen diese Verzögerung wendet sich die Klägerin mit der verbundenen Anfechtungs- und Leistungsklage. Diese Klagen sind zulässig. Das ist bei der Anfechtungsklage zweifelsfrei. Die Leistungsklage könnte zwar unzulässig sein, da der angefochtene Bescheid nicht eine Leistung betrifft, auf die ein Rechtsanspruch besteht (§ 54 Abs. 4 Sozialgerichtsgesetz -SGG-), sondern eine Ermessensentscheidung darstellt; da die Klägerin aber offenbar eine Ermessensschrumpfung auf Null (vgl. BSGE 57, 127, 133 = SozR 1200 § 48 Nr. 5) annimmt, ist hier die Leistungsklage ausnahmsweise als zulässig anzusehen.
Auch bei Vorliegen der Tatbestandsvoraussetzungen des § 48 Abs. 1 SGB 1 muß die Beklagte nicht oder nicht in der vom Antragsteller gewünschten Weise abzweigen. Dies ist eine Folge des ihr eingeräumten Rechts, nach pflichtgemäßem Ermessen zu entscheiden. Ihr steht grundsätzlich die Wahl zwischen mehreren rechtlich möglichen Verhaltensweisen zu, d.h. auch das Recht, von der an sich
möglichen Abzweigung ganz abzusehen (BSGE 59, 30, 33 = SozR 1200 § 48 Nr. 10). Erforderlich ist lediglich, daß sie sich für ihr Verhalten auf sachgerechte Gründe berufen kann und beruft (§ 39 Abs. 1 Satz 3 SGB 1). Nur in dieser Beziehung unterliegen Ermessensentscheidungen der Kontrolle des Gerichts; denn insoweit ist Rechtswidrigkeit nur gegeben, wenn die gesetzlichen Grenzen des Ermessens überschritten sind oder von dem Ermessen in einer dem Zweck der Ermächtigung nicht entsprechenden Weise Gebrauch gemacht ist (§ 54 Abs. 2 Satz 2 SGG).
Die Entscheidung, für den Zeitraum von der Antragstellung am 24. August 1983 bis zum 20. September 1983 keine Abzweigung vorzunehmen, ist ermessensfehlerfrei. Das Arbeitsamt hat seine Entscheidung darauf gestützt, daß es zunächst den davon betroffenen Beigeladenen anhören müsse. Das ergibt sich jedenfalls aus der Begründung des schriftlichen Widerspruchsbescheides. Diese Erwägung ist nicht sachwidrig.
Nach § 24 Abs. 1 des Sozialgesetzbuches - Verwaltungsverfahren - (SGB 10) ist einem am Verwaltungsverfahren Beteiligten, in dessen Rechte durch einen Verwaltungsakt eingegriffen werden soll, vor der Entscheidung Gelegenheit zu geben, sich zu den dafür erheblichen Tatsachen zu äußern. Die Vornahme einer Abzweigung greift in die Rechte des Leistungsberechtigten ein. Dies ergibt sich daraus, daß Teile der ihm zustehenden Leistung nunmehr nicht ihm, sondern einem Dritten ausgezahlt werden. Zweck des § 48 SGB 1 ist es zwar, eine möglichst rasche Verwirklichung von Unterhaltsansprüchen zu ermöglichen. Dies verpflichtet den Leistungsträger folglich auch zu einer entsprechend zügigen Bearbeitungsweise. Der Träger darf und muß deshalb aber nicht geschützte Rechte des Leistungsberechtigten vernachlässigen, insbesondere nicht ein solches Recht, wie es das der Anhörung nach § 24 Abs. 1 SGB 10 darstellt.
Die Berufung darauf, daß das Arbeitsamt vor der Entscheidung über die Abzweigung zunächst den Betroffenen anhören müsse, stellt keine fehlerhafte Ermessensausübung dar; denn die Beklagte kann sich dafür auf das sie verpflichtende Gebot des § 24 Abs. 1 SGB 10 als ausreichenden sachlichen Grund stützen. Auch der Zeitraum, der zwischen dem Einfang des Abzweigungsantrages und dem Beginn der Abzweigung liegt, ist nicht zu beanstanden, wenn vielleicht auch schnellere Bearbeitung möglich und geboten gewesen wäre. Zwischen den Eingang des Antrages und dem Schreiben des Arbeitsamts an den Beigeladenen lagen sechs Tage. Das kann als übliche Dauer einer Verwaltungsmaßnahme angesehen werden. Die Frist, die das Arbeitsamt dem Beigeladenen zur Äußerung gegeben hat, war unter den gegebenen Umständen mit neunzehn Tagen ebenfalls nicht unangemessen lang. Vom Eingang der Antwort des Beigeladenen (19. September 1983) bis zum Beginn der Abzweigung (21. September 1983) sind nur zwei Tage verstrichen. Bei einer Massenverwaltung, wie sie das Arbeitsamt zu bewältigen hat, sind die Bearbeitungsfristen von sechs bzw. zwei Tagen nicht übertrieben lang, und bei der Frist, die das Arbeitsamt dem Beigeladenen eingeräumt hat, ist zu berücksichtigen, daß neben den Postlaufzeiten für Anfrage und Antwort auch das Recht des Betroffenen auf eine angemessene Überlegungs- und Beratungszeit zu berücksichtigen war. Schließlich kann auch nicht als ermessensfehlerhaft angesehen werden, daß die Beklagte die Abzweigung nicht rückwirkend vom Zeitpunkt des Antragseinganges an vorgenommen hat. Eine derartige rückwirkende Abzweigung wird zwar rechtlich nicht für ausgeschlossen gehalten (BSGE 57, 127, 132 = SozR 1200 § 48 Nr. 9). Der Leistungsträger ist jedoch dazu nicht verpflichtet; denn sein Ermessen erstreckt sich auch auf diese Art der Entscheidung. Wartet das Arbeitsamt den Ablauf einer Anhörungsfrist ab, die in ihrer Relevanz zum Klageanspruch nicht wesentlich mehr als zwei Wochen beträgt, dann stellt die Weigerung, für die zurückliegende Zeit die Abzweigung vorzunehmen, keinen Ermessensfehlgebrauch dar; es kann nicht als ermessensfehlerhaft sachwidrig angesehen werden, wenn ein Leistungsträger sich dazu entschließt, dem Leistungsberechtigten während der angemessenen Dauer eines Verfahrens über dessen gesetzlich vorgeschriebene Anhörung die bisher bewilligte Leistung noch in vollem Umfang zu belassen, hierin folgt der Senat der Auffassung die der 7. Senat des Bundessozialgerichts im Urteil vom 28. Juli 1987 - 7 RAr 39/86 - ausgeführt hat.
Eine Rechtspflicht, Abzweigungen rückwirkend auszusprechen, besteht nicht. Auch insoweit folgt der Senat der erwähnten Entscheidung des 7. Senats.
Die Revision der Klägerin ist damit unbegründet und muß zurückgewiesen werden. Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.11b RAr 61/86
BSG
Bundessozialgericht
Fundstellen