Leitsatz (amtlich)

Durch den RAM-Erl 1943-07-16 IIa 7059/43 = AN 1943, 342 ist die Höhe des nach RVO § 25a Abs 3 als Regelleistung zu gewährenden Stillgeldes (0,25DM) nicht geändert worden. Die Versicherten haben daher einen Anspruch auf höheres Stillgeld nur, sofern eine entsprechende Mehrleistung durch Satzungsbestimmung eingeführt worden ist.

 

Normenkette

RVO § 205a Abs. 3 Fassung: 1926-07-09, § 179 Abs. 3 S. 2 Fassung: 1941-01-15; RAMErl 1943-07-16; SVD 4 Nr. 3 Buchst. b; SVD 30

 

Tenor

Die Urteile des Landessozialgerichts Nordrhein-Westfalen vom 14. März 1957 und des Sozialgerichts Detmold vom 15. Juli 1954 werden aufgehoben. Die Klage wird abgewiesen.

Die Beteiligten haben einander keine Kosten des Verfahrens zu erstatten.

Von Rechts wegen.

 

Gründe

Die beklagte Allgemeine Ortskrankenkasse (AOK) hatte dem Kläger nach der Entbindung seiner Ehefrau am 18. November 1952 Familienhilfe zu gewähren; sie zahlte seiner Ehefrau insbesondere für die von ihr nachgewiesene Stillzeit vom 18. November 1952 bis 10. Februar 1953 ein tägliches Stillgeld in Höhe von 0,25 DM (=21,25 DM). Mit einem Antrag an das Versicherungsamt begehrte die Ehefrau des Versicherten jedoch ein Stillgeld in Höhe von 0,50 DM täglich. Die Beklagte lehnte diese Forderung mit der Begründung ab, der Erlaß des früheren Reichsarbeitsministers (RAM) vom 16. Juli 1943 (AN 1943, 342), auf den das Verlangen auf erhöhtes Stillgeld gestützt werde, habe keine Gültigkeit mehr. Das Versicherungsamt entschied im Sinne der Beklagten.

Die von der Ehefrau des Versicherten hiergegen eingelegte "Berufung" ging mit dem Inkrafttreten des Sozialgerichtsgesetzes (SGG) als Klage auf das Sozialgericht (SG) über. Sie machte geltend, der von ihr angeführte, auf § 179 Abs. 3 Satz 2 der Reichsversicherungsordnung (RVO) beruhende Erlaß des früheren RAM vom 16. Juli 1943 sei wieder voll in Kraft, nachdem die seiner Anwendung zunächst entgegenstehende Sozialversicherungsdirektive (SVD) Nr. 4 vom 14. Oktober 1945 Ziff. 3b durch die SVD Nr. 30 Ziff. II mit Wirkung vom 1. September 1950 außer Kraft gesetzt sei; die gleiche Ansicht vertrete der RAM in seinem Erlaß vom 6. November 1952 - IV a 77565/52 - (veröffentlicht in Rink's Gesetzestexte 1952). Die Beklagte wandte hiergegen ein, der Erlaß vom 16. Juli 1943 sei mit der Außerkraftsetzung der SVD Nr. 4 durch die SVD Nr. 30 nicht automatisch wieder rechtsgültig geworden. Las SG gab der Klage statt. Die SVD Nr. 30 habe alle bis dahin für die Gewährung von Mehrleistungen nach den §§ 205 und 179 RVO verfügten Einschränkungen aufgehoben. Danach gelte auch der Erlaß vom 16. Juli 1943 wieder. Dieser Erlaß sei auch durch § 1 Abs. 4 und § 18 Abs. 3 des Selbstverwaltungsgesetzes (GSv) nicht aufgehoben worden. Das GSv habe als Organisationsgesetz nicht alle Verbesserungen der Kassenleistungen, die seit dem 1. Januar 1933 eingeführt worden seien, abbauen wollen.

Die Beklagte machte mit der von ihr gegen das Urteil des SG eingelegten Berufung geltend, der Erlaß des RAM sei jedenfalls durch da GSv aufgehoben worden, da dieses Gesetz den Organen der Selbstverwaltung das Recht zurückgegeben habe, die Höhe ihrer Leistungen in dem am 31. Dezember 1932 gültigen Umfange wieder selbst zu bestimmen.

Das Landessozialgericht (LSG) hat die vom SG zugelassene Berufung - unter Zulassung der Revision - zurückgewiesen: Die Ehefrau des Versicherten sei aktiv legitimiert gewesen, den Klaganspruch selbst geltend zu machen, da ihr Ehemann damit einverstanden gewesen sei und ihr die Stillgeldleistungen auch wirtschaftlich zukommen sollten. Für die Beurteilung der Rechtslage sei vom Erlaß des früheren RAM vom 16. Juli 1943 auszugehen. Die Frage, ob die Ermächtigung des § 179 Abs. 3 Satz -2 RVO nach Art. 129 Abs. 3 des Grundgesetzes (GG) erloschen sei, könne dahinstehen, da sie jedenfalls im Jahre 1943 gegolten habe und ein späteres Außerkrafttreten die Gültigkeit einer auf Grund dieser Ermächtigung erlassenen Vorschrift nicht berühre. Der Erlaß des früheren RAM stelle eine Rechtsverordnung dar, die sich mit der Erhöhung des Stillgeldes auf 0,50 DM für längstens 26 Wochen im Rahmen der gesetzlichen Ermächtigung gehalten habe. Für die Rechtsverbindlichkeit des Erlasses des früheren RAM im Sinne einer Rechtsverordnung genüge die von den Beteiligten als verbindlich betrachtete Veröffentlichung im Amtsblatt des RAM, den Amtlichen Nachrichten für Reichsversicherung, die in den Kriegsjahren allgemein üblich gewesen sei. Der Erlaß vom 16. Juli 1943 habe Fragen der Stillgeldgewährung von untergeordneter Bedeutung durch Rechtssetzung geregelt. Die SVD Nr. 4 vom 14. Oktober 1945 habe die Anwendbarkeit des Erlasses vorübergehend durch die Bestimmung außer Kraft gesetzt, daß "alle Mehrleistungen nach § 179 RVO nicht mehr weitergewährt werden". Die spätere Beseitigung der SVD Nr. 4 durch Abs. 1 Ziff. II der SVD Nr. 30 habe bewirkt, daß die Erlaßregelung vom 16. Juli 1943 automatisch wieder rechtsgültig geworden sei. Der Erlaß vom 16. Juli 1943 sei durch die SVD Nr. 4 nicht aufgehoben, sondern nur in seiner Anwendbarkeit suspendiert gewesen. Infolgedessen habe es nach der Aufhebung der SVD Nr. 4 nicht noch einer entsprechenden gesetzlichen Regelung bedurft. Der bei Inkrafttreten des GG am 23. Mai 1949 nur suspendiert gewesene Erlaß vom 16. Juli 1943 sei - weil zu jener Zeit nur in seiner Anwendbarkeit gehemmt - auch Bundesrecht nach Art. 123 Abs. 1 GG geworden. Zwar bestimme § 1 Abs. 4 des GSv, daß für die Ehrenämter in der Sozialversicherung und für die Organe der Versicherungsträger die Reichsversicherungsgesetze in der Fassung vom 31. Dezember 1932 gelten und daß das gleiche auf dem Gebiete der Krankenversicherung für die Festsetzung der Beiträge und Leistungen gelte. Daraus könne aber nicht gefolgert werden, daß sich die Höhe des Stillgeldes nun wieder ausschließlich nach § 205a RVO richte; denn das hätte eine Änderung der materiellen Rechtsnot des Leistungsrechts bedeutet; eine solche sei dem GSv als Organisationsgesetz aber fern gelegen. Das GSv habe den Versicherungsträgern nur ihre in der nationalsozialistischen Aera eingeschränkte Selbstverantwortlichkeit und Handlungsfreiheit - ihre Satzungsautonomie - zurückgeben wollen. Der Erlaß des früheren RAM vom 16. Juli 1943 stelle danach heute geltendes Recht dar, die darin bestimmten Mehrleistungen seien gesetzliche Mehrleistungen, zu deren Gewährung die Krankenkassen verpflichtet seien.

Die beklagte Krankenkasse hat gegen das Urteil des LSG form- und fristgerecht Revision eingelegt und diese begründet. Sie beantragt,

die Urteile des LSG vom 14. März 1957 und des SG vom 15. Juli 1954 aufzuheben und die Klage abzuweisen.

Der Erlaß vom 16. Juli 1943 habe keinen Anspruch der Versicherten auf Zahlung eines höheren Stillgeldes und auf verlängerte Bezugsdauer begründet. Die Ansicht des LSG, der Hinweis im Erlaß des früheren RAM auf die gesetzliche Ermächtigung des § 179 Abs. 3 Satz 2 RVO kennzeichne diese Regelung als Rechtsverordnung, sei nicht zwingend, es handle sich vielmehr um eine Verwaltungsvorschrift (Verwaltungsverordnung); sie sei auch nur an die Träger der Krankenversicherung, ihre Aufsichtsbehörden und die Versicherungsbehörden gerichtet gewesen. Jedenfalls habe der RAM den konstitutiven. Vollzug als eine Angelegenheit der Krankenkassen angesehen. Eine entsprechende Rechtsverordnung wäre auch deshalb nicht wirksam erlassen, weil eine Verkündung in den "Amtlichen Nachrichten für Reichsversicherung" hierfür nicht ausgereicht hätte. Die in dem Erlaß vom 16. Juli 1943 getroffene Regelung sei durch die gesetzliche Ermächtigung in § 179 Abs. 3 Satz 2 RVO nicht gedeckt; denn § 179 Abs. 3 Satz 2 RVO habe den RAM nicht zur Festsetzung neuer Mehrleistungen als zwingendes Recht ermächtigt. "Mehrleistung" - eine wesentliche Leistungsform der RVO - sei eine Leistung, die auf einer Bestimmung der Satzung beruhe. Dieser Begriff sei dem RAM vorgegeben gewesen. Der Begriff "gesetzliche Mehrleistung", den das LSG angewandt habe, sei ein Widerspruch in sich. Der im Rahmen eines besonderen Gewaltverhältnisses ergangene Erlaß vom 16. Juli 1943 enthalte einen Befehl an die Krankenkasse, ohne dessen Vollzug jedoch die Leistungserweiterung nicht wirksam geworden sei. Mit dem Zusammenbruch des Reichs seien die Weisungsbefugnisse des RAM und auch die darauf gestützten Einzelweisungen und Verwaltungsverordnungen erloschen. Selbst wenn aber der Erlaß vom 16. Juli 1943 nach 1945 noch fortbestanden haben sollte, so sei er jedenfalls durch § 1 Abs. 4 GSv aufgehoben worden.

Der Kläger beantragt,

die Revision zurückzuweisen.

Auch die Beklagte zweifle nicht an der Rechtsgültigkeit der Ermächtigungsvorschrift des § 179 Abs. 3 Satz 2 RVO. Danach habe der RAM im Wege einer Rechtsverordnung auch Änderungen der RVO (§ 205a Abs. 3) vornehmen können. Für den Charakter des Erlasses als Rechtsverordnung spreche seine abstrakte, an die Allgemeinheit gerichtete Form sowie die Regelung des Inkrafttretens und der Geltung für laufende Fälle. Gemischte - materielles Recht und Verwaltungsanweisungen enthaltende - Verordnungen seien damals häufig gewesen; hierbei seien oft die Verwaltungen angegeben gewesen, an die sich die Verwaltungsanweisungen richteten. Der Erlaß des RAM vom 16. Juli 1943 führe allerdings eine Mindestmehrleistung kraft Gesetzes ein. Dazu sei der RAM aber befugt gewesen, weil ihn § 179 Abs. 3 Satz 2 RVO ausdrücklich auch dazu ermächtigt habe, von gesetzlichen Vorschriften abzuweichen; somit habe er durch Rechtsverordnung auch eine neue "Mindest-Mehrleistung" einführen können. In der in dem Erlaß vorgesehenen Erleichterung der satzungsrechtlichen Durchführung - ohne Beschlußfassung des Beirats und ohne Genehmigung - komme zum Ausdruck, daß die auf Grund des Erlasses erforderliche Satzungsänderung nicht konstitutiven, sondern nur deklaratorischen Charakter trage. Wenn der Leiter einer Krankenkasse die Satzung daraufhin nicht geändert hätte, so wäre dies ohne Bedeutung für den materiell-rechtlichen Anspruch auf erhöhtes Stillgeld.

Die Revision ist statthaft (§ 162 Abs. 1 Nr. 1 SGG) sowie form- und fristgemäß eingelegt. Sie ist auch begründet.

Nach dem Rubrum des angefochtenen Urteils ist der Anspruch auf Stillgeld aus der Familienwochenhilfe (§ 205a RVO) von der Ehefrau des Versicherten als Klägerin geltend gemacht worden. Dagegen bestehen Bedenken, weil - jedenfalls nach der ständigen Rechtsprechung des Reichsversicherungsamts (RVA) und der herrschenden Auffassung im Schrifttum - der Anspruch auf Familienhilfe für die Ehefrau eines Versicherten grundsätzlich dem versicherten Ehemann zusteht (vgl. RVA Gr. Entsch. Nr. 2472, AN 1918, 424, Gr. Entsch. Nr. 2719, AN 1922, 437, ferner Peters, Handbuch der Krankenversicherung, Teil II, S. 205a Erl. 2). Da aber der Ehemann W... G... in dem an das LSG gerichteten Schreiben vom 7. März 1957 ausdrücklich erklärt hat, daß er seine Frau bevollmächtige, den Anspruch auf Stillgeld in seinem Namen geltend zu machen, und daß dies auch schon für das Verfahren vor dem SG gelten solle, ist die Ehefrau des Versicherten jedenfalls vor dem LSG nur als Bevollmächtigte ihres Ehemannes aufgetreten; Kläger im vorliegenden Rechtsstreit ist daher der Ehemann G... Im Kopf des Urteils war daher die falsche Bezeichnung der klagenden Partei richtigzustellen.

Nach § 205a Abs. 3 RVO beträgt das als Familienwochenhilfe gewährte Stillgeld 25 Pfg. täglich; es konnte jedoch nach § 205 Abs. 4 RVO (in der vor dem 1. Juli 1957 geltenden Fassung) durch Satzungsbestimmung bis auf die Hälfte des Krankengeldes des Versicherten erhöht werden. Diese letztgenannte Vorschrift ist durch den auf Grund der Ermächtigung in § 179 Abs. 3 Satz 2 RVO ergangenen Erlaß des RAM vom 10. Februar 1943 (AN S. 75) dahin geändert worden, daß in der Satzung für das tägliche Stillgeld auch ein fester, von der Höhe des Krankengeldes unabhängiger Betrag als Höchstbetrag festgesetzt werden kann. Ergänzend hat der RAM in dem "an die Träger der Krankenversicherung, ihre Aufsichtsbehörden und Verbände sowie die Versicherungsbehörde" gerichteten Erlaß vom 16. Juli 1943 (AN S. 342) auf Grund des § 179 Abs. 3 Satz 2 RVO bestimmt, daß den Familienangehörigen der Versicherten ein tägliches Stillgeld von 50 RPfg. "als Mehrleistung" zu gewähren ist, soweit nicht die Satzung einen höheren Betrag "als Mehrleistung" festsetzt; Satzungsänderungen, durch die das Stillgeld auf 50 RPfg. erhöht wird, sollten nach dem genannten Erlaß in einem vereinfachten Verfahren, nämlich vom Leiter des Versicherungsträgers ohne vorherige Beschlußfassung des Beirats und ohne Genehmigung der Aufsichtsbehörde vorgenommen werden. Ob die beklagte Krankenkasse ihre Satzung im Sinne des genannten Erlasses - wie zu vermuten ist - vor dem Zusammenbruch 1945 geändert und ein Stillgeld von 50 RPfg. als Mehrleistung festgesetzt hat, konnte nicht mehr festgestellt werden. In der hier maßgebenden Zeit (18. November 1952 bis 10. Februar 1953) war in der vom Senat beigezogenen, vom Oberversicherungsamt (OVA) am 11. März 1949 genehmigten Satzung nur ein Stillgeld von 25 DPfg. vorgesehen (§ 15 Abs. 2 Ziff. 2), und die späteren Satzungsnachträge haben jedenfalls bis Ende Februar 1953 hierin keine Änderung gebracht.

Ist somit der mit der Klage geltend gemachte Anspruch auf ein tägliches Stillgeld von 50 Pfg. weder nach den Vorschriften der RVO (§ 205a Abs. 3) noch nach der Satzung der Beklagten begründet, so kommt es darauf an, ob er - wie die Vorinstanzen angenommen haben - unmittelbar auf den angeführten Erlaß des RAM vom 16. Juli 1943 gestützt werden kann. Zu Recht ist das LSG davon ausgegangen, daß die Anwendung dieses Erlasses durch Nr. 3 Buchst. b der SVD Nr. 4 der britischen Militärregierung vom 14. Oktober 1945 ( Arbeitsbl . f.d. brit. Zone 1947, 13), wonach - mit bestimmten Ausnahmen - Mehrleistungen nach § 179 RVO "nicht gewährt" werden durften, nur vorübergehend ausgeschlossen worden ist. Nachdem mit Wirkung vom 1. September 1950 an diese einschränkenden Bestimmungen der SVD Nr. 4 durch die SVD Nr. 30 (veröffentl. in RVO mit Anm. - Verlag H. Arnold - Stand 1. Oktober 1959. Anhang S. 94/III) "gänzlich aufgehoben" worden sind, hat das vor Erlaß der SVD Nr. 4 geltende Recht über die Höhe des Stillgeldes wieder volle Wirksamkeit erlangt. Das folgt wie das LSG zutreffend dargelegt hat - aus der Fassung und dem Sinn der besatzungsrechtlichen Vorschriften, durch die Mehrleistungen lediglich vorübergehend - wegen der damaligen Finanzlage der Krankenkassen - ausgeschlossen sein sollten.

Es fragt sich somit, ob der Erlaß des RAM vom 16. Juli 1943 rechtssatzmäßig das tägliche Stillgeld auf 50 RPfg. festgesetzt hat. Das ist im Gegensatz zu der Meinung des LSG zu verneinen. Zwar spricht vor allem die in dem Erlaß angeführte Ermächtigung in § 179 Abs. 3 RVO und auch seine allgemeine Fassung ("... ist ... ein tägliches Stillgeld von 50 Reichspfennig ... als Mehrleistung zu gewähren ...") dafür, in dem Erlaß eine Rechtsverordnung zu sehen (vgl. BSG 3, 18, 22). Es bedarf hier jedoch keiner abschließenden Stellungnahme zu dieser Frage. Denn wenn man in dem Erlaß vom 16. Juli 1943 eine Rechtsverordnung sieht, so wäre doch ihr Inhalt durch die Ermächtigung des § 179 Abs. 3 RVO auf Bestimmungen über Mehrleistungen beschränkt: § 179 Abs. 3 Satz 2 RVO ist durch das Gesetz über weitere Maßnahmen in der Reichsversicherung aus Anlaß des Krieges vom 15. Januar 1941 (RGBl I 34) in die RVO eingefügt worden. Danach konnte der RAM Näheres "über Mehrleistungen" bestimmen und dabei von gesetzlichen Vorschriften abweichen. Die Bedeutung dieser Vorschrift ergibt sich daraus, daß der Gesetzgeber in dem "Maßnahmengesetz" vom 15. Januar 1941 die Mehrleistungssperre, die das Notverordnungsrecht der Weimarer Republik für die Krankenversicherung gebracht hatte, generell wieder beseitigt hatte (Grünewald, RABl 1941, II 72). Die Wiedereinführung von Mehrleistungen sollte nunmehr erforderlichenfalls durch normative - alle Krankenkassen gleichermaßen bindende - Regelungen in die vom RAM gewünschten Bahnen gelenkt, insbesondere auch allgemeinen Beschränkungen unterworfen werden können (vgl. Grünewald aaO). Diese Entstehungsgeschichte erlaubt nicht die Annahme, daß § 179 Ass. 3 Satz 2 RVO den RAM auch ... ermächtigen wollte, an Stelle von Mehrleistungen gesetzliche Leistungen ("Regelleistungen") einzuführen (zu den Begriffen "Mehrleistung" und "Regelleistung" vgl. BSG 3, 18); die Ermächtigung ist vielmehr auch ihrem Wortlaut nach darauf gerichtet, "über Mehrleistungen" Näheres zu bestimmen, nicht aber an Stelle von Mehrleistungen Regelleistungen einzuführen. Das würde es aber bedeuten, wenn die Krankenkassen schon auf Grund des Erlasses vom 16. Juli 1943 gegenüber ihren Versicherten verpflichtet wären, ein Stillgeld von 50 DPfg. zu zahlen. Eine solche normative Bestimmung würde also der gesetzlichen Ermächtigung entbehren und daher nichtig sein.

Aber auch wenn man annehmen wollte, daß die Ermächtigung in § 179 Abs. 3 Satz 2 RVO - im Hinblick auf die damals herrschende weite Auslegung von Ermächtigungen - es zugelassen hätte, daß der RAM die Höhe des Stillgeldes normativ, also mit anspruchsbegründender Wirkung gegenüber den Versicherten hätte bestimmen können, so würde doch der von dem Kläger geltend gemachte Anspruch auf das höhere Stillgeld deshalb nicht begründet sein, weil der RAM in dem Erlaß vom 16. Juli 1943 jedenfalls eine solche gesetzliche Normierung der Höhe des Stillgeldes - in Abänderung des § 205a Abs. 3 RVO - nicht vorgenommen hat. In Nr. 1 Satz 1 des Erlasses heißt es ausdrücklich, daß den Familienangehörigen ein tägliches Stillgeld von 50 RPfg. "als Mehrleistung" zu gewähren ist, soweit nicht die Satzung höhere Beträge als Mehrleistung festsetzte. In dem folgenden Satz ist alsdann bestimmt, daß auch die Festsetzung des Stillgeldes auf (nur) 50 RPfg. durch Satzungsänderung vorzunehmen ist, für die ein vereinfachtes Verfahren vorgeschrieben wird. War soweit in dem Erlaß ein Stillgeld in dieser Hohe nur "als Mehrleistung" vorgesehen, so konnte ein Anspruch darauf nur in der Weise entstehen, daß die einzelne Krankenkasse, wozu sie nach dem Erlaß verpflichtet war, einen besonderen Rechtsetzungsakt im Wege der Satzungsänderung vornahm. Der RAM hat durch den Erlaß nicht die überkommene Unterscheidung von gesetzlichen Regelleistungen und kraft Satzungsrechts der einzelnen Krankenkasse zu gewährenden "Mehrleistungen" beseitigt und, wie es das LSG ausdrückt, eine "gesetzliche Mehrleistung" eingeführt, - die doch nichts anderes als eine Regelleistung wäre und zu ihrer Geltung der Aufnahme in die Satzung nicht bedürfen würde. Die wiederholte Kennzeichnung des Stillgeldes als Mehrleistung sowie der für ihre Einführung im Erlaß salbst vorgesehene Weg der Satzungsänderung sprechen entscheidend gegen eine solche mit den Grundbegriffen des Krankenversicherungsrechts nicht übereinstimmende Auslegung des ministeriellen Erlasses. Der Erlaß hat somit nicht mit gesetzesgleicher Wirkung den Versicherten einen Anspruch auf Stillgeld in Höhe von mindestens 0,50 DM eingeräumt, sondern nur eine Verpflichtung der Krankenkassen zur Einführung einer entsprechenden Mehrleistung durch Satzungsrecht ausgesprochen. Diese durch den Erlaß vom 16. Juli 1943 begründete Verpflichtung der Krankenkassen war aber in der hier fraglichen Zeit (November 1952 bis Februar 1953) erloschen. Sofern man nämlich in der Weisung an die Krankenkassen, ihren Satzungen einen bestimmten Inhalt zu geben, eine verwaltungsmäßige Anordnung sieht, hat sie mit dem Zusammenbruch 1945 und dem damit gegebenen Wegfall der Unterstellung der Krankenkassen unter die Weisungsbefugnis des RAM ihre verbindliche Kraft verloren (vgl. auch BSG Bd 6, 197, 201; Bd 8, 291, 297); eine normative Regelung dieser Art wäre aber mit dem Grundgedanken des Selbstverwaltungsgesetzes, das den Krankenkassen wieder das Recht autonomer Rechtssetzung eingeräumt hat, nicht vereinbar und daher spätestens mit dem Inkrafttreten dieses Gesetzes (24. Februar 1951) erloschen (vgl. auch BSG 8, 291, 294). Die beklagte Krankenkasse war daher rechtlich nicht gehindert, im Jahre 1952 das Stillgeld nach ihrer im Jahre 1949 erlassenen Satzung in Höhe von 0,25 DM zu gewähren.

Die Revision der Beklagten erweist sich somit als begründet, und die Klage mußte - unter Aufhebung der Urteile der Vorinstanzen - abgewiesen werden (§ 170 Abs. 2 SGG).

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 Absätze 1 und 4 SGG.

 

Fundstellen

BSGE, 61

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