Leitsatz (redaktionell)
1. Die Einrede der Verjährung gegenüber Leistungsansprüchen wird nicht dadurch ausgeschlossen, daß vom Versicherungsträger in einer noch offenen Rechtsfrage zunächst eine Rechtsansicht vertreten wurde, die sich später als nicht zutreffend erwiesen hat.
2. Der Versicherungsträger ist nur auf ein entsprechendes Ersuchen eines Versicherten zu dessen Belehrung und Beratung verpflichtet.
3. Die Erfüllung der materiell-rechtlichen Voraussetzungen bringt den Anspruch auf Beitragszuschuß nach RVO § 381 Abs 4 zur Entstehung. Der Rentenfeststellungsbescheid gehört nicht zu den materiell-rechtlichen Voraussetzungen.
Orientierungssatz
1. Die generelle Verpflichtung zur Aufklärung macht zwar dem Rentenversicherungsträger die Durchführung von Aufklärungsmaßnahmen, wie beispielsweise die Herausgabe von Merkblättern oder ähnliches, zur Pflicht, aber sie verleiht dem einzelnen Versicherten kein subjektives Recht gegenüber dem Versicherungsträger. Er kann weder den Versicherungsträger zu bestimmten Maßnahmen zwingen noch kann er für sich daraus Rechte herleiten, wenn der Versicherungsträger Aufklärungsmaßnahmen nicht in der von ihm für richtig gehaltenen Weise oder nicht in dem von ihm als zutreffend befundenen Zeitpunkt durchführt.
2. Ein Versicherungsträger - sei es vor - sei es nach dem Inkrafttreten des SGB - kann zur Belehrung und Beratung eines Versicherten nur dann als verpflichtet angesehen werden, wenn dieser sich mit einem entsprechenden Ersuchen an den Versicherungsträger wendet.
Normenkette
RVO § 1324 S. 1 Fassung: 1960-02-25; SGB 1 § 13 Fassung: 1975-12-11, § 14 S. 1 Fassung: 1975-12-11, § 15 Abs. 2 Fassung: 1975-12-11; RVO § 381 Abs. 4 Fassung: 1956-06-12
Tenor
Auf die Revision der Beklagten wird das Urteil des Landessozialgerichts Berlin vom 5. November 1975 aufgehoben. Die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Sozialgerichts Berlin vom 14. Mai 1974 wird zurückgewiesen.
Kosten sind nicht zu erstatten.
Tatbestand
Der Rechtsstreit wird um die Frage geführt, ob die beklagte Landesversicherungsanstalt (LVA) befugt war, gegenüber dem Anspruch des Klägers auf Beitragszuschuß die Einrede der - unstreitig eingetretenen - Verjährung zu erheben.
Der in Israel wohnende Kläger beantragte im Oktober 1959 die Gewährung der Rente wegen Erwerbsunfähigkeit. Im Jahre 1961 wurde ihm die Rente wegen Berufsunfähigkeit von Oktober 1959 an bewilligt. Im Mai 1972 beantragte er den Beitragszuschuß nach § 381 Abs. 4 der Reichsversicherungsordnung (RVO). Mit Bescheid vom 13. Oktober 1972 und Widerspruchsbescheid vom 12. Februar 1973 erkannte die Beklagte den Anspruch an, berief sich aber für die Zeit vom 1. Oktober 1959 bis zum 31. Mai 1968 auf Verjährung nach § 29 Abs. 3 RVO.
Das Sozialgericht (SG) hat die Klage abgewiesen. Das Landessozialgericht (LSG) hingegen hat der Klage in vollem Umfange stattgegeben. Die Beklagte sei nach Treu und Glauben gehindert, die Verjährungseinrede zu erheben. Sie habe bei allen Auslandsrentnern den Eindruck erweckt, als sei der Antrag auf Beitragszuschuß aussichtslos. Dies sei durch die ständige fehlerhafte Verwaltungspraxis aller Rentenversicherungsträger bewirkt worden, aber auch dadurch, daß die Beklagte den Auslandsrentnern dasselbe Merkblatt über die Krankenversicherung der Rentner zugesandt habe wie den Inlandsrentnern. Hierin sei eine Fehlinformation zu sehen. Bereits aufgrund des Urteils des Bundessozialgerichts (BSG) vom 23. August 1967 (BSG 27, 129) und eines entsprechenden Rundschreibens des Verbandes der Rentenversicherungsträger vom 20. Mai 1969 hätte sie sich aber veranlaßt sehen müssen, anders zu verfahren. Aber auch durch die individuelle Behandlung des vorliegenden Falles habe die Beklagte dem Kläger gegenüber zum Ausdruck gebracht, daß ihm kein Anspruch auf Beitragszuschuß zustehe. Ein Vordruck für den Antrag auf Beitragszuschuß sei ihm nicht übersandt worden, obwohl aus seinem formlosen Antrag zu schließen gewesen wäre, daß er für alle in Betracht kommenden Leistungen entsprechende Antragsformulare begehrt habe.
Gegen dieses Urteil wendet sich die Beklagte mit der zugelassenen Revision: Sie habe ihre sich aus § 1324 RVO ergebende allgemeine Aufklärungspflicht erfüllt, indem sie im Rahmen ihrer Öffentlichkeitsarbeit ständig durch Merkblätter, Sonderdrucke und Pressehinweise die Versicherten und die Rentner auf ihre Rechte und Pflichten hinweise. Eine individuelle Aufklärungspflicht habe sie nicht, jedenfalls nicht in dem Sinne, daß sie die einzelnen Versicherten und Rentner ermitteln müsse, um sie auf die neuere Rechtsprechung hinzuweisen, die gerade für sie von Interesse sei. Aber selbst wenn man eine individuelle Belehrungspflicht unterstelle, sei die erforderliche Kausalität zwischen der angeblichen Pflichtverletzung und der Unterlassung der rechtzeitigen Antragstellung nicht gegeben.
Die Beklagte beantragt,
das Urteil des LSG aufzuheben und die Berufung des Klägers gegen das Urteil des SG zurückzuweisen.
Der Kläger beantragt,
die Revision zurückzuweisen.
Er ist der Auffassung, im Rahmen der Aufklärungspflicht sei es der Beklagten zuzumuten gewesen, in den Fällen einer Rentenzahlung die Rentenbezieher auf die Möglichkeit der Gewährung von Beitragszuschüssen aufmerksam zu machen. Es sei ihr auch zuzumuten gewesen, zusammen mit den Vordrucken für die Lebensbescheinigungen vervielfältigte Schreiben an die Auslandsrentner zu übersenden und auf die gewandelte Rechtsauffassung aufmerksam zu machen. So sei z. B. die LVA O und M verfahren.
Entscheidungsgründe
Die Revision ist begründet. Die Beklagte konnte sich für die Zeit vor Juni 1968 auf die Verjährung des Anspruchs auf Beitragszuschuß berufen.
Das LSG meint, der Beklagten sei eine Verletzung der allgemeinen Informationspflicht gegenüber Auslandsrentnern über die Möglichkeiten des Beitragszuschusses vorzuwerfen, wobei es zunächst nicht darauf ankomme, wie sich die Beklagte dem Versicherten gegenüber verhalten habe. In dem für den vorliegenden Rechtsstreit bedeutsamen Zeitraum war die Aufklärungspflicht der Beklagten in § 1324 RVO aF - übereinstimmend mit § 103 des Angestelltenversicherungsgesetzes (AVG) aF - geregelt. Nach dieser Vorschrift obliegt der Beklagten die allgemeine Aufklärung der versicherten Bevölkerung und der Rentner über ihre Rechte und Pflichten (§ 1324 Satz 1 RVO aF). Des weiteren statuiert § 1324 Satz 2 RVO aF eine Pflicht der Versicherungsämter zur Erteilung von Auskünften, auf die die Beklagte in geeigneter Weise hinzuweisen hat (§ 1324 Satz 3 RVO aF). Offensichtlich hat das LSG im vorliegenden Fall einen Verstoß der Beklagten gegen die allgemeine Informationspflicht nach § 1324 Satz 1 RVO aF für gegeben gehalten. Es bedarf im Rahmen dieses Rechtsstreits keiner Untersuchung, ob aus dieser Vorschrift für die Beklagte die Verpflichtung erwachsen wäre, Merkblätter über den Beitragszuschuß für Auslandsrentner bereits zu einem früheren Zeitpunkt oder mit einem anderen Inhalt herauszugeben, weil jedenfalls der Kläger daraus keine Rechte herleiten könnte.
Bei der Verpflichtung zur Aufklärung ist zu unterscheiden zwischen der Pflicht zur generellen Information, die der Rentenversicherungsträger der gesamten Bevölkerung und insbesondere der Versichertengemeinschaft gegenüber zu ... erfüllen hat, und seiner Pflicht zur individuellen Information einem bestimmten Versicherten gegenüber. Die allgemeine Informationspflicht bezweckt, die Rentenversicherung der Bevölkerung nahezubringen, und ist ein Ausfluß der grundgesetzlich garantierten Verpflichtungen zur Sozialstaatlichkeit (Art. 20 Abs. 1 des Grundgesetzes). Diese generelle Verpflichtung zur Aufklärung macht zwar dem Versicherungsträger die Durchführung von Aufklärungsmaßnahmen, wie beispielsweise die Herausgabe von Merkblättern oder ähnliches, zur Pflicht, aber sie verleiht dem einzelnen Versicherten kein subjektives Recht gegenüber dem Versicherungsträger. Er kann weder den Versicherungsträger zu bestimmten Maßnahmen zwingen noch kann er für sich daraus Rechte herleiten, wenn der Versicherungsträger Aufklärungsmaßnahmen nicht in der von ihm für richtig gehaltenen Weise oder nicht in dem von ihm als zutreffend befundenen Zeitpunkt durchführt (vgl. Gesamtkomm. zur RVO von Dersch u. a., Stand: Dezember 1975, § 1324, Anm. 1; Verbandkomm. zur RVO, Stand: Januar 1975, § 1324, Anm. 2; Koch/Hartmann, AVG, 2. und 3. Aufl., Stand: April 1973, § 103, Anm. A; Etmer, AVG, Stand: März 1976, § 103, Anm. 1; Jantz/Zweng, 1. Aufl., Anm. zu § 1315 RVO). Entsprechendes gilt ab 1. Januar 1976 nach der Streichung des § 103 AVG a. F. (Art. II § 5 i. V. m. § 23 des Sozialgesetzbuchs, Allgemeiner Teil - SGB-AT -) für die an dessen Stelle getretene allgemeine Informationspflicht nach § 13 SGB-AT (vgl. Krauskopf/Schroeder-Printzen, Soziale Krankenversicherung, 2. Aufl., SGB-AT, § 13, Anm. 2 und 3; Gesamtkomm., SGB-AT, Stand: Mai 1976, § 13, Anm. 5). Daraus folgt, daß eine Verletzung der allgemeinen Aufklärungsverpflichtung, sofern überhaupt eine solche vorgelegen hätte, zwar möglicherweise zwischen dem Versicherungsträger und der Aufsichtsbehörde oder auch zwischen Geschäftsführung und Selbstverwaltungsorganen streitig werden könnte, daß aber der einzelne Versicherte für sich daraus keine Rechte herleiten und nicht mit der (Popular-) Klage geltend machen kann.
Auch die frühere Verwaltungspraxis der Beklagten bietet keinen Ansatz für eine Pflichtverletzung, die zum Verzicht auf die Verjährung zwingen würde. Aus dem Urteil des LSG ergibt sich, daß die Beklagte bis ins Jahr 1970 hinein die Rechtsauffassung vertreten hatte, daß für Berechtigte im Ausland kein Anspruch auf Beitragszuschuß bestehe. Diese Rechtsauffassung hat die Beklagte aufgegeben, nachdem der erkennende Senat erstmalig - mit Urteil vom 28. August 1970 (BSG 31, 288); in der Entscheidung vom 23. August 1967 hatte der Senat die Grundsatzfrage der Auslandszahlung mit Rücksicht auf das deutsch-niederländische Sozialversicherungs-Abkommen ausdrücklich unentschieden gelassen (BSG 27, 129, 133) - über einen derartigen Anspruch entschieden und ihn bejaht hatte. Zwar wäre das Verhalten eines Versicherungsträgers dann zu mißbilligen, wenn er nach Klärung einer Rechtsfrage durch gefestigte Rechtsprechung an einer entgegenstehenden unrichtigen Rechtsauffassung festhalten wollte. Es stellt hingegen kein vorwerfbares Verhalten dar, wenn ein Versicherungsträger in einer noch völlig offenen und dazu überaus schwierigen Rechtsfrage zunächst eine Rechtsansicht vertritt und in ständiger Verwaltungspraxis auch anwendet, die sich späterhin nach Klärung als nicht zutreffend erweist. Dadurch allein wird die Erhebung der gesetzlich zulässigen Verjährungseinrede, zu der der Versicherungsträger im Interesse einer sparsamen Haushaltsführung durchaus gehalten sein kann (vgl. BSG 34, 1, 12), noch nicht zu einem Fall unzulässiger Rechtsausübung, der aus den Gedanken von Treu und Glauben abzuleiten ist (vgl. dazu BSG 34, 211, 213 ff mit Literaturhinweisen; vgl. auch BSG 35, 91, 94). Ebensowenig kann ein Vorwurf daraus hergeleitet werden, daß die Beklagte ständig den im Ausland lebenden Berechtigten ein nur für Inlandsrentner geltendes Merkblatt über die Krankenversicherung der Rentner übersandt hat. Insbesondere kann aus diesem Verhalten nicht geschlossen werden, die Beklagte habe die Versicherten von der Antragstellung abgehalten und damit rechtswidrig die Verjährung herbeigeführt (vgl. BSG 20, 262, 265). Abgesehen davon ist durch die Übersendung des nicht passenden Merkblattes über die Krankenversicherung der Rentner die Frage der Zahlung von Beitragszuschüssen ins Ausland nicht negativ beantwortet, sondern gerade offengelassen worden.
Unabhängig von der allgemeinen Informationspflicht trifft den Rentenversicherungsträger eine Verpflichtung, den einzelnen Versicherten zu beraten und ihm Auskünfte zu erteilen. Diese Verpflichtung ist seit dem 1. Januar 1976 gesetzlich festgelegt und hat ihren Niederschlag in den §§ 14 und 15 SGB-AT gefunden. Es kann schon zweifelhaft sein, ob auch vor dem Inkrafttreten des SGB-AT eine Verpflichtung der Rentenversicherungsträger zur Beratung und Auskunftserteilung an den einzelnen Versicherten i. S. einer erzwingbaren Rechtspflicht bestanden hat. Dagegen spricht vor allem die Entstehungsgeschichte der früheren Vorschrift über die Aufklärung (§ 1324 RVO aF = § 103 AVG aF). Sie ist durch die Rentenversicherungs-Neuregelungsgesetze als § 1315 in die RVO eingefügt worden. Die spätere Veränderung der Paragraphenbezeichnung in § 1324 RVO durch Art. 2 Nr. 6 FANG vom 25. Februar 1960 (BGBl I 93) hat an dem Inhalt der Vorschrift nichts verändert. Bei ihrer Beratung wurde der Antrag gestellt, die allgemeine Aufklärungspflicht durch eine individuelle Beratungspflicht zu ersetzen. Dieser Antrag wurde jedoch bereits in dem schriftlichen Bericht des Ausschusses für Sozialpolitik abgelehnt (Deutscher Bundestag, 2. Wahlperiode, zu Drucks. 3080, S. 19, zu § 1319 des Entwurfs eines Rentenversicherungsgesetzes mit der Begründung, daß sich eine Verpflichtung der Rentenversicherungsträger zur Beratung der Versicherten bereits aus ihrer Eigenschaft als Körperschaft des öffentlichen Rechts ergebe und eine weitere Konkretisierung untunlich sei. Auch im Bundestag verfiel er der Ablehnung (Verhandlungen des Deutschen Bundestages, 2. Wahlperiode, 186. Sitzung, S. 10420). In diesem Zusammenhang ist es von Bedeutung, daß selbst der abgelehnte Änderungsantrag keine unbeschränkte Beratungspflicht vorgesehen hätte, sondern den Rentenversicherungsträger nur verpflichten wollte, "bei Kenntnis von Umständen, die Leistungsansprüche begründen, den Berechtigten auf das Recht zur Antragstellung hinzuweisen" (Verhandlungen des Deutschen Bundestages, 2. Wahlperiode, 186. Sitzung, Anl. 5 (Umdruck 893) Ziff. 87 und 88, Nr. 1, S. 10481). Unter Beachtung dieser Entwicklung ist für die Zeit vor dem Inkrafttreten des SGB-AT davon auszugehen, daß die Rentenversicherungsträger auf Grund der aus dem jeweiligen einzelnen Versicherungsverhältnis erwachsenden Betreuungspflicht heraus zwar gehalten waren, den Versicherten zu belehren, zu beraten und ihm Auskünfte zu erteilen - wobei dahingestellt bleiben kann, ob eine solche Verpflichtung hätte erzwungen werden können -, daß aber der Versicherungsträger eine solche individuelle Information jedenfalls nur dann zu geben brauchte, wenn der Versicherte sich mit einem entsprechenden Ersuchen an ihn gewandt hatte. In dieser Weise ist auch von den Rentenversicherungsträgern verfahren worden.
Eine Verpflichtung des Versicherungsträgers, den einzelnen Versicherten von Amts wegen - ohne daß dieser darum ersucht oder es vielleicht überhaupt gewünscht hatte - über ihm möglicherweise zustehende Rechte zu beraten, ist hingegen weder durch ausdrückliche gesetzliche Bestimmungen angeordnet gewesen noch hätte sich eine solche Verpflichtung aus der Betreuungspflicht des Rentenversicherungsträgers ableiten lassen. Sie stünde überdies selbst im Widerspruch zu der neuerdings im SGB-AT normierten Beratungs- und Auskunftspflicht, denn diese setzt ebenfalls ein Verlangen des Berechtigten voraus (vgl. Krauskopf/Schroeder-Printzen, aaO, § 14, Anm. 2).
In diesem Zusammenhang darf nicht unbeachtet bleiben, daß eine Beratungspflicht von Amts wegen, wie sie das LSG annimmt, ungeachtet der Frage, ob sie überhaupt verwaltungsmäßig durchführbar wäre, auch eine laufende Überwachung des Versicherten durch den Versicherungsträger erfordern würde. Denn nur bei Vorliegen dieser Voraussetzung wäre der Versicherungsträger über die jeweilige versicherungsmäßige und wirtschaftliche Situation des Versicherten im Bilde und könnte demgemäß eine zutreffende Beratung erteilen, zu der er verpflichtet wäre.
Zusammenfassend ergibt sich somit, daß ein Rentenversicherungsträger - sei es vor, sei es nach dem Inkrafttreten des SGB-AT - zur Belehrung und Beratung eines Versicherten nur dann als verpflichtet angesehen werden konnte, wenn dieser sich mit einem entsprechenden Ersuchen an den Versicherungsträger gewandt hatte. Das LSG hat jedoch nicht festgestellt, daß der Versicherte mit einer Bitte um Belehrung an die Beklagten herangetreten ist. Da es an einem individuellen Begehren fehlt, ist der Beklagte keine Verletzung von Beratungspflichten vorwerfbar.
Das LSG sieht weiterhin, ohne allerdings insoweit Ermittlungen durchgeführt zu haben, eine Pflichtverletzung der Beklagten darin, daß diese dem Versicherten auf dessen formlosen Rentenantrag hin keine Vordrucke für den Antrag auf Beitragszuschuß übersandt habe. Da das Rentenversicherungsrecht auf dem Antragsprinzip beruht (§ 1545 Abs. 1 Nr. 2 RVO), bestimmt der Versicherte mit seinem Antrag den Umfang der Leistungen, die er in Anspruch nehmen will. Sofern ein Versicherter eine Leistung - zulässigerweise - durch ein einfaches Schreiben beantragt, dient die Übersendung von Vordrucken nicht mehr der Antragstellung selbst, denn diese ist bereits erfolgt, sondern der Ermittlung der Daten, die für die begehrte Leistung von Bedeutung sein können. Übersendet der Rentenversicherungsträger nur Vordrucke für die im Antrag bezeichnete Leistung, so verletzt er damit keine Rechtspflicht, weil das Amtsermittlungsprinzip ihm nur die Aufklärung der Fakten gebietet, auf die es für die genannte Leistung ankommt. Zwar kann durchaus der Fall eintreten, daß der Versicherungsträger auf Grund der vom Versicherten in dem Vordruck gemachten Eintragungen zu weiteren Ermittlungen, vielleicht auch zur Übersendung weiterer (Antrags-) Vordrucke gedrängt sein kann, allein ein solcher Sachverhalt war im vorliegenden Rechtsstreit nicht gegeben.
Steht damit fest, daß die Beklagte keine ihr dem Versicherten gegenüber obliegende Verpflichtung verletzt hat, so ist auch kein sonstiger Grund ersichtlich, ihr Verhalten als rechtswidrig zu qualifizieren. Der Gesetzgeber hat dem Rentenversicherungsträger in den Vorschriften der RVO ausdrücklich das Recht der Verjährung vorbehalten. Zwar kann diesem Leistungsverweigerungsrecht, wie jedem Recht, der Einwand der unzulässigen Rechtsausübung entgegengehalten werden, allein dafür bedürfte es des Vorliegens besonderer Tatsachen, die einen derartigen Einwand begründen könnten. Das LSG hat solche nicht festgestellt. Die Kläger haben keine vorgetragen und auch keine mangelnden Feststellungen gerügt. Das bloße Gebrauchmachen von der Verjährungseinrede, zu der der Versicherungsträger schon im Interesse einer sparsamen Haushaltsführung gehalten sein kann (vgl. BSG 20, 262, 265; 34, 1, 12), stellt keinen Verstoß gegen Treu und Glauben dar. Damit ist auch die Frage des Ermessensgebrauchs beantwortet. Dem Gericht steht, soweit der Versicherungsträger nach Ermessen zu handeln befugt ist, nicht die Prüfung zu, ob er sein Ermessen in der richtigen Weise angewandt hat. Das Gericht hat vielmehr lediglich nachzuprüfen, ob er die gesetzlichen Grenzen des Ermessens überschritten oder von dem Ermessen in einer dem Zweck der Ermächtigung nicht entsprechenden Weise Gebrauch gemacht hat, weil nur dann Rechtswidrigkeit besteht (§ 54 Abs. 2 des Sozialgerichtsgesetzes - SGG -). Ist aber festzustellen, daß sein Verhalten nicht gegen Treu und Glauben verstößt, dann werden dadurch auch die Grenzen der Rechtswidrigkeit nicht verletzt.
Wie der erkennende Senat in den Urteilen vom heutigen Tage zu den Aktenzeichen 3 RK 97/75 und 3 RK 81/75 entschieden hat, verjährten Ansprüche auf Beitragszuschuß in der streitigen Zeit nach dem Ablauf von vier Jahren seit dem Zeitpunkt ihrer Entstehung. Bei Stellung des Antrags auf Beitragszuschuß - im Mai 1972 - war mithin die Verjährungsfrist für alle die Einzelansprüche abgelaufen, die bis Mai 1968 entstanden waren. Da der Beklagten die Berufung auf die Verjährung dieser Ansprüche nicht verwehrt war, steht dem Kläger der im Rechtsstreit geltend gemachte Anspruch nicht zu. Auf die Revision der Beklagten hin war daher das Urteil des SG wiederherzustellen.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.
Fundstellen