Verfahrensgang
LSG Niedersachsen (Urteil vom 28.05.1963) |
Tenor
Die Revision der Klägerin gegen das Urteil des Landessozialgerichts Niedersachsen vom 28. Mai 1963 wird zurückgewiesen.
Außergerichtliche Kosten sind nicht zu erstatten.
Gründe
Die Klägerin war vom 25. April 1960 an auf Grund ihres Bezugs von Arbeitslosengeld (Alg) pflichtversichertes Mitglied der beklagten Barmer Ersatzkasse. Am 14. November 1960 wurde ihre Tochter Arnhilt geboren. Die Beklagte zahlte ihr in der Zeit vom 3. Oktober bis 26. Dezember 1960 (6 Wochen vor und 6 Wochen nach der Niederkunft) Wochengeld nach § 195 a der Reichsversicherungsordnung (RVO) sowie vom 14. November 1960 bis 15. März 1961 Stillgeld. Auf Antrag der Klägerin gewährte das Arbeitsamt dieser erneut Alg vom 10. Januar 1961 an. Die Gewährung des Alg für die 7. und 8. Woche nach der Niederkunft lehnte es mit der Begründung ab, die Klägerin stehe als stillende Mutter wegen des Beschäftigungsverbots nach § 6 des Mutterschutzgesetzes (MuSchG) vom 24. Januar 1952 (BGBl I 69) während dieser Zeit der Arbeitsvermittlung nicht zur Verfügung (§ 76 Abs. 1 Nr. 3 des Gesetzes über Arbeitsvermittlung und Arbeitslosenversicherung – AVAVG –); damit seien die Voraussetzungen für die Zahlung des Alg nicht gegeben (§ 74 Abs. 1 AVAVG). Widerspruch und Klage gegen diesen Bescheid blieben erfolglos.
Die Klägerin beantragte nunmehr bei der beklagten Ersatzkasse die Gewährung von Wochengeld für die 7. und 8. Woche nach der Niederkunft. Die Beklagte lehnte den Antrag mit der Begründung ab, daß ein Anspruch nach § 13 MuSchG auf Wochengeld für diese Zeit nicht bestehe, da das MuSchG für arbeitslose Frauen nicht gelte. Die Klägerin ist dagegen der Auffassung, aus Art. 6 Abs. 4 des Grundgesetzes (GG) ergebe sich eine Richtlinie programmatischer Art, die der Gesetzgeber noch nicht ausgefüllt habe. Das dürfe nicht zu lasten der stillenden Mutter gehen. Daher habe die Bundesrepublik auch für das Wochengeld in der 7. und 8. Woche nach der Niederkunft aufzukommen. Der mit dieser Begründung eingelegte Widerspruch der Klägerin wurde mit Bescheid vom 25. Mai 1961 zurückgewiesen.
Mit der Klage vor dem Sozialgericht (SG) beantragte die Klägerin,
die Beklagte zu verurteilen, ihr Wochengeld für die 7. und 8. Woche nach der Niederkunft zu zahlen.
Das SG hat die Klage abgewiesen und die Berufung zugelassen (Urteil vom 17. April 1962).
Gegen dieses Urteil hat die Klägerin Berufung eingelegt mit dem Antrag,
das Urteil des SG Oldenburg vom 17. April 1962 aufzuheben und die Beklagte zur Zahlung des Wochengeldes für die 7. und 8. Woche nach der Niederkunft zu verurteilen.
Das Landessozialgericht (LSG) Niedersachsen hat die Berufung zurückgewiesen und die Revision zugelassen (Urteil vom 28. Mai 1963). Zur Begründung hat es ausgeführt: Das SG sei zutreffend davon ausgegangen, daß die Klägerin weder nach § 195 a Abs. 1 Nr. 3 RVO noch nach § 13 Abs. 1 Satz 3 MuSchG Wochengeld für die 7. und 8. Woche nach der Niederkunft vergangen könne. Nicht nur die Klägerin empfinde es als einen Mangel, daß im MuSchG nur diejenigen Frauen als schutzbedürftig anerkannt werden, die in einem Arbeitsverhältnis stehen, und nicht alle Frauen inbegriffen seien, die zwar als Arbeitnehmer tätig zu sein pflegten, aber z. B. aus Arbeitsmangel nicht in Beschäftigung stünden. Schon bei den Beratungen des MuSchG seien Bestrebungen vorhanden gewesen, den persönlichen Geltungsbereich des Gesetzes zu erweitern und auch nicht in einem Arbeitsverhältnis stehenden Frauen den gesetzlichen Mutterschutz zuzuerkennen. Diese Bestrebungen seien jedoch nicht zuletzt aus finanziellen Gründen gescheitert. Das MuSchG stelle demnach eine bewußt gewollte Teillösung, ein Gesetz eben nur zum Schütze der erwerbstätigen Mutter dar.
Diese Beschränkung der gesetzlichen Zielsetzung schließe es aus, das MuSchG auf die Klägerin analog anzuwenden. Zu einer entsprechenden Anwendung zwinge auch nicht das GG. Der Anspruch „auf den Schutz und die Fürsorge der Gemeinschaft” nach Art. 6 Abs. 4 GG sei so unbestimmt, daß sich daraus nicht ein Anspruch auf Wochengeld für arbeitslose stillende Mütter in der 7. und 8. Woche nach der Niederkunft herleiten lasse. Es bedürfe der Konkretisierung durch ein Gesetz; es handele sich in erster Linie um eine Anweisung an den Gesetzgeber, die erforderlichen Schutzmaßnahmen zu treffen. Daran ändere auch nichts der Gleichheitssatz des Art. 3 GG, insbesondere sein Abs. 3. Denn in diesem Zusammenhang bedeute er lediglich eine rechtlich bindende Anweisung an den Gesetzgeber, allen Müttern gleichen Schutz zu gewähren, nicht aber eine analoge Anwendung des MuSchG.
Fraglich könne allenfalls sein, ob die analoge Anwendung des MuSchG auch dann unterbleiben müssen, wenn der Gesetzgeber den Programmsatz des Art. 6 Abs. 4 GG zu verwirklichen unterlasse. Dabei sei zu berücksichtigen, daß die erforderliche Konkretisierung durch Gesetz auch stufenweise verwirklicht werden könne. Wenn auch das GG bereits 14 Jahre in Kraft sei, so sei dieser Zeitraum doch angesichts der Vielzahl und Schwierigkeiten der im Rahmen der Sozialgesetzgebung zu regelnden Materien noch nicht übermäßig lang.
Mit der Revision hat die Klägerin beantragt,
unter Aufhebung des angefochtenen Urteils und der Vorentscheidungen die Beklagte zu verpflichten, der Klägerin für die 7. und 8. Woche nach der Entbindung Wochengeld zu zahlen.
Zur Begründung hat sie ausgeführt: Aus den Gesetzesmaterialien zum MuSchG lasse sich nicht folgern, daß auch die arbeitslose Mutter vom Schütze nach dem MuSchG ausgeschlossen sein sollte. Hieraus ergebe sich lediglich, daß der Gesetzgeber mit der Verwendung des Begriffes „Arbeitsverhältnis” in § 1 MuSchG zunächst nur alle diejenigen Mütter ausscheiden wollte, die nicht unselbständig tätig seien. Dagegen pflege die arbeitslose Mutter in der Regel einer abhängigen Erwerbstätigkeit nachzugehen; daher müßten auch diejenigen Mütter, die Alg beziehen, unter die Vorschriften dieses Gesetzes fallen. Eine solche Auslegung stimme mit Art. 6 Abs. 4 GG überein. Stelle man sich jedoch wie das LSG auf den Standpunkt, der Gesetzgeber habe die erwerbslose Mutter mit diesem Gesetz bewußt nicht schützen wollen, so sei die so verstandene gesetzliche Regelung verfassungswidrig. Zwar sei ein solcher Verstoß nicht in der Nichtbeachtung des in Art. 6 Abs. 4 GG niedergelegten Programmsatzes zu sehen. Jedoch sei die Regelung des MuSchG mit Art. 3 GG nicht vereinbar. Ob eine Mutter z.Zt. der Schwangerschaft, der Niederkunft oder in der Stillzeit noch in einem Arbeitsverhältnis stehe oder vorübergehend erwerbslos sei, hänge mehr oder weniger vom Zufall ab. Die Lage der erwerbslosen Frau in dieser Situation unterscheide sich durch nichts von der Lage der noch erwerbstätigen Frau. Einleuchtende Gründe, die erwerbslose Mutter aus dem Schutzbereich des Gesetzes auszuscheiden, seien nicht ersichtlich und im Bundestag auch nicht erörtert worden.
Die beklagte Ersatzkasse hat beantragt,
die Revision zurückzuweisen.
Sie hält das angefochtene Urteil des Berufungsgerichts für zutreffend.
Der beigeladene Bundesminister für Arbeit und Sozialordnung hat mit Rücksicht auf die zu erwartende parlamentarische Entscheidung über die Frage der Einbeziehung der arbeitslosen Frauen in das MuSchG von einer Stellungnahme abgesehen.
Die Revision ist zulässig. Die Voraussetzungen für die von der Klägerin durch ihren Prozeßbevollmächtigten beantragte Wiedereinsetzung in den vorigen Stand (§ 67 des Sozialgerichtsgesetzes – SGG –) sind gegeben. Der Klägerin war daher die Wiedereinsetzung in den vorigen Stand zu gewähren.
Die Revision ist jedoch nicht begründet. Zutreffend haben die Vorinstanzen entschieden, daß der Klägerin kein Anspruch auf Wochengeld für die 7. und 8. Woche nach ihrer Niederkunft zusteht.
Wie der Senat in der Entscheidung vom gleichen Tage – 3 RK 73/61 – näher dargelegt hat, findet der mit der Klage verfolgte Anspruch weder in der RVO noch im MuSchG eine Stütze. Die RVO (§ 195 a) in der geltenden Fassung gewährt überhaupt kein Wochengeld für die 7. und 8. Woche nach der Entbindung. Das MuSchG sieht zwar unter bestimmten Voraussetzungen ein Wochengeld für den genannten Zeitraum vor (§ 13). Sein persönlicher Geltungsbereich erstreckt sich aber nur auf den in § 1 MuSchG aufgeführten Personenkreis, d. h. im Arbeitsverhältnis stehende Frauen und Heimarbeiterinnen, nicht aber auf Arbeitslose. Eine entsprechende Anwendung des § 13 MuSchG verbietet sich angesichts des aus Zusammenhang, Zweck und Vorgeschichte des Gesetzes klar erkennbaren Willens des Gesetzes. Da bei dieser Rechtslage ein begründeter Zweifel über den Anwendungsbereich des § 13 MuSchG nicht bestehen kann, entfällt auch die Möglichkeit, die Anspruchsgrundlage auf dem Wege der verfassungskonformen Auslegung doch dem § 13 MuSchG zu entnehmen.
Diese z.Zt. noch bestehende gesetzliche Regelung, wonach der arbeitslosen stillenden Mutter kein Wochengeld für die 7. oder 8. Woche nach der Entbindung zusteht, verstößt nicht gegen das GG. Wie das LSG mit Recht festgestellt hat, bedarf Art. 6 Abs. 4 GG der Konkretisierung durch den Gesetzgeber. Zutreffend hat das LSG auch erwogen, daß der mit Art. 6 Abs. 4 GG dem Gesetzgeber erteilte Auftrag zur Konkretisierung des darin enthaltenen Programmsatzes stufenweise verwirklicht werden dürfe und noch nicht festgestellt werden könne, daß der bisher vom Gesetzgeber nicht genutzte Zeitraum zur Erfüllung des verfassungsmäßigen Auftrags übermäßig lang sei. Auch der allgemeine Gleichheitssatz (Art. 3 Abs. 1 GG) ist nicht verletzt. Die unterschiedliche Behandlung der im Arbeitsverhältnis stehenden Mütter durch den Gesetzgeber, soweit es sich um das Wochengeld handelt, ist nicht willkürlich, sondern insbesondere dadurch ausreichend gerechtfertigt, daß angesichts der begrenzten Finanzierungsmöglichkeiten des Bundes die Beschränkung des Anwendungsbereichs des MuSchG auf abhängig beschäftigte Frauen vertretbar erscheint.
Demnach mußte die Revision der Klägerin zurückgewiesen werden.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 Abs. 1 und 4 SGG.
Unterschriften
Dr. Langkeit, Dr. Schubert, Geyser
Fundstellen