Leitsatz (amtlich)

Die AufbauV SV Ostland vom 1943-05-01 (AN 1943, 358) und die dazu ergangenen Durchführungsverordnungen gehören nicht zu den Vorschriften über die Einführung des deutschen Sozialversicherungsrechts in Gebieten, die nach dem 1937-12-31 vorübergehend dem Deutschen Reich eingegliedert waren oder unter deutscher Verwaltung standen (FRG § 3 Abs 1) (Anschluß an BSG 1965-09-22 1 RA 21/64 = SozR Nr 5 zu § 16 FRG).

 

Orientierungssatz

Ein Verwaltungsgebrauch hat für sich allein nicht die Kraft, Gewohnheitsrecht zu begründen. Durch eine ständige, gleichbleibende Verwaltungsübung kann sich nur das Bestehen von Gewohnheitsrecht erweisen, vorausgesetzt, daß es von allgemeiner Rechtsüberzeugung getragen wird.

 

Normenkette

FRG § 3 Abs. 1 Fassung: 1960-02-25, § 16 Fassung: 1960-02-25; SVOstlV § 1 Fassung: 1943-05-01

 

Tenor

Das Urteil des Schleswig-Holsteinischen Landessozialgerichts vom 17. Mai 1963 wird aufgehoben.

Die Berufung der Klägerin gegen das Urteil des Sozialgerichts Lübeck vom 29. März 1962 wird zurückgewiesen.

Kosten sind nicht zu erstatten.

 

Gründe

Unter den Beteiligten ist streitig, ob die Beklagte die Rente der Klägerin durch Anrechnung in Lettland zurückgelegter, nicht mit Beiträgen belegter Beschäftigungszeiten aufbessern muß.

Die Klägerin ist heimatlose Ausländerin lettischer Herkunft. Sie war vom 11. April 1919 bis 15. Oktober 1940 und vom 15. März 1941 bis 10. Oktober 1944 in Lettland als Büroangestellte beschäftigt. Nach ihrer Flucht nach Deutschland arbeitete sie als Angestellte und Arbeiterin.

Die Klägerin ist seit Oktober 1958 erwerbsunfähig. Die Beklagte gewährte ihr zunächst mit Bescheid vom 24. Februar 1960 eine nach Maßgabe des Art. 2 § 43 des Arbeiterrentenversicherungs-Neuregelungsgesetzes (ArVNG) festgestellte Rente. Hierbei rechnete sie Versicherungszeiten seit dem 15. März 1941 an, ließ jedoch die bis zum 15. Oktober 1940 zurückgelegten Beschäftigungszeiten unberücksichtigt. Die Rechtsmittelbelehrung des Bescheids lautete dahin, daß dieser "binnen eines Monats nach Empfang" mit der Klage anfechtbar sei.

Mit einem weiteren Bescheid vom 8. Dezember 1960, der als Ergänzungsbescheid bezeichnet wurde, stellte die Beklagte die Rente der Klägerin nach Art. 6 § 6 des Fremdrenten- und Auslandsrenten-Neuregelungsgesetzes (FANG) vom 25. Februar 1960 fest. Auch hierbei bezog sie unter Hinweis auf §§ 16, 17 des Fremdrentengesetzes (FRG) in der Fassung des FANG die vor 1941 liegende Beschäftigungszeit ebenfalls nicht in die Berechnung ein. Diese Rentenfeststellung ergab einen monatlichen Rentenbetrag von nur 29,40 DM. Deshalb wurde die Rente in der bisherigen Höhe von monatlich 105,80 DM weitergezahlt.

Das Sozialgericht (SG) Lübeck hat die im Dezember 1960 erhobene, auf Anrechnung auch der bis 1940 in Lettland zurückgelegten Beschäftigungszeiten gerichtete Klage, soweit sie den Bescheid vom 24. Februar 1960 betraf, als unzulässig, im übrigen als unbegründet abgewiesen (Urteil vom 29. März 1962). Das Landessozialgericht (LSG) hat ihr dagegen stattgegeben (Urteil vom 17. Mai 1963). Nach seiner Auffassung war die dem Bescheid vom 24. Februar 1960 beigegebene Rechtsmittelbelehrung unrichtig und daher eine - im vorliegenden Fall gewahrte - Klagefrist von einem Jahr gegeben (§ 66 des Sozialgerichtsgesetzes - SGG -). Das LSG stützt die Anrechnung der Beschäftigungszeit von 1919 bis 1940 auf § 3 des Fremdrenten- und Auslandsrentengesetzes vom 7. August 1953 (BGBl I 848 - FremdRG -) in Verbindung mit der Verordnung (VO) des Generalkommissars in Riga über den Aufbau einer Sozialversicherung vom 1. Mai 1943 (Amtsbl. des Generalkommissars in Riga 1943, 329) und der dazu ergangenen Zweiten Durchführungsverordnung (2. DVO) vom 1. Juli 1943. Diese Verordnungen seien nach § 3 Abs. 1 FremdRG weitergeltende Einführungsvorschriften. Hierfür spreche, daß sie erst durch Art. 7 § 3 Abs. 1 Buchst. p FANG zum 1. Januar 1959 außer Kraft gesetzt worden seien. Die Anrechnung der beitragsfreien Beschäftigungszeiten bis 1940 folge aus §§ 31, 24 der 2. DVO vom 1. Juli 1943.

Das LSG hat die Revision zugelassen. Die Beklagte hat das Rechtsmittel eingelegt mit dem Antrag, das Berufungsurteil und das erstinstanzliche Urteil aufzuheben und die Klage als unbegründet abzuweisen. Sie trägt vor: Mit den Verordnungen des Generalkommissars in Riga sei nicht deutsches Sozialversicherungsrecht in Lettland eingeführt, sondern eine eigenständige Sozialversicherung für Lettland - im Wege des Besatzungsrechts - geschaffen worden. Es handele sich dabei um eine dem deutschen System nicht entsprechende Einheitsversicherung.

Die Klägerin beantragt, die Revision zurückzuweisen. Sie macht sich die Gründe des angefochtenen Urteils zu eigen und weist gegenüber den Ausführungen der Revision darauf hin, daß die Bundesversicherungsanstalt für Angestellte (BfA) sich in einem vor dem Bundessozialgericht (BSG) anhängig gewesenen Verfahren vergleichsweise verpflichtet habe, Beschäftigungszeiten auf Grund der erwähnten Verordnungen des Generalkommissars in Riga anzurechnen.

Die Revision ist zulässig und begründet.

Die Klägerin kann keine Aufbesserung ihrer Rente durch Anrechnung der beitragsfreien Beschäftigungszeiten von 1919 bis 1940 verlangen. Eine Verpflichtung der Beklagten hierzu besteht weder hinsichtlich der Umstellungsrente, die die Klägerin auf Grund des Bescheides vom 24. Februar 1960 bezieht, noch bezüglich der Rente, die nach Art. 6 § 6 FANG zu gewähren ist und über die der Bescheid vom 8. Dezember 1960 ergangen ist.

Das LSG hat sich zutreffend für verpflichtet gehalten, den Bescheid vom 24. Februar 1960 auf seine materielle Berechtigung hin zu prüfen. Der Bescheid ist rechtzeitig mit der Klage angefochten worden. Die ihm beigefügte Rechtsmittelbelehrung war unrichtig. Die Klage konnte daher noch innerhalb eines Jahres seit der Zustellung fristgerecht erhoben werden (§ 66 Abs. 2 SGG). Rentenbescheide sind nach § 1631 der Reichsversicherungsordnung (RVO) zuzustellen (vgl. hierzu auch BSG SozR SGG § 87 Nr. 6). Im vorliegenden Falle ist von der Möglichkeit der Zustellung durch die Post mittels eingeschriebenen Briefes Gebrauch gemacht worden. Bei dieser Art der Zustellung gilt nach § 4 des Verwaltungszustellungsgesetzes (VwZG) vom 3. Juli 1952, das die Beklagte anzuwenden hat (§ 1 des VwZG für das Land Schleswig-Holstein vom 15. Februar 1954 - GVBl für Schleswig-Holstein 1954, 31), der zuzustellende Brief mit dem dritten Tag nach der Aufgabe zur Post als zugestellt, es sei denn, daß das Schriftstück nicht oder zu einem späteren Zeitpunkt zugegangen ist. Dem muß die Rechtsbehelfsbelehrung eines Verwaltungsakts entsprechen, wenn der Adressat zutreffend unterrichtet und die Frist für den Rechtsbehelf in Lauf gesetzt werden soll (§ 66 Abs. 1 SGG). Wie das BSG bereits entschieden hat (Urteil vom 24. Mai 1966 - 1 RA 3/64 - SozR SGG § 66 Nr. 31), ist die Rechtsmittelbelehrung in Fällen der Zustellung nach § 4 VwZG unrichtig, wenn es darin heißt, die Klage könne innerhalb eines Monats "nach Empfang" des Bescheides erhoben werden. Der Grund hierfür liegt darin, daß "Empfang" und "Zugang" nicht dasselbe sind. Empfang ist die tatsächliche Inbesitznahme des Schriftstücks durch den Adressaten; Zugang dagegen das Gelangen des Schriftstücks in seinen Verfügungsbereich mit der Möglichkeit der Kenntnisnahme. Eine an dem "Empfang" orientierte Fristberechnung legt die Klagefrist, insbesondere wegen des nach § 4 VwZG maßgeblichen fiktiven Zugangs, ungenau fest. Eine dementsprechende Belehrung wird den Anforderungen des § 66 Abs. 1 SGG nicht gerecht. Aus diesem Grunde war die einmonatige Klagefrist des § 87 Abs. 1 SGG mit der Zustellung des Bescheids nicht in Lauf gesetzt; die Einlegung des Rechtsmittels war somit nach § 66 Abs. 2 SGG innerhalb eines Jahres zulässig. Diese Frist ist mit der Klage gewahrt.

Entgegen der Auffassung des LSG besteht kein Anspruch auf Erhöhung der Umstellungsrente. Es fehlt an einer rechtlichen Grundlage für die begehrte Anrechnung der in Lettland zurückgelegten Beschäftigungszeiten von 1919 bis 1940. Die Vorschriften der §§ 31, 24 der 2. DVO zur VO des Generalkommissars in Riga vom 1. Mai 1943 sahen wohl die Berücksichtigung solcher mit Beiträgen nicht belegter Beschäftigungszeiten vor. Durch diese Verordnungen sind aber die reichsdeutschen Rentenversicherungen nicht verpflichtet worden. Sie wären es nur, wenn die Verordnungen das deutsche Sozialversicherungsrecht in Lettland eingeführt hätten (§ 3 Abs. 1 FremdRG).

Nach § 1 der VO des Generalkommissars in Riga vom 1. Mai 1943 wurde "an Stelle der bisherigen Kranken- und Rentenversorgung" "für die einheimische Bevölkerung eine Sozialversicherung eingerichtet", welche die Kranken-, Unfallkranken- und Rentenversicherung umfaßte. Die VO stellt mithin - bereits ihrem Wortlaut nach - heraus, daß die Ersetzung des "bisherigen" sozialen Sicherungssystems in Lettland - das war die mit dem Erlaß des Präsidiums des Höheren Sowjets der Lettischen Sozialistischen Sowjet-Republik vom 28. November 1940 eingeführte Ordnung (vgl. Schmidt, Lettland und seine Sozialversicherung, Titel B, 4) - durch ein anderes beabsichtigt war. Dies kommt auch in der näheren Bezeichnung der Verordnung des Generalkommissars in Riga als einer Verordnung "über den Aufbau einer Sozialversicherung" zum Ausdruck. Damit übereinstimmend bringen die Verordnung und die dazu ergangenen Durchführungsverordnungen eine umfassende und ins Einzelne gehende Regelung aller Fragen. Entgegen der Übung in sonstigen anerkannten Einführungsgesetzen sind Vorschriften der RVO oder sonstiger Sozialversicherungsgesetze des Deutschen Reiches nicht mehr oder weniger pauschal für anwendbar erklärt worden (vgl. zB Verordnung über die Einführung der Reichsversicherung im Memelland vom 17. August 1939 - RGBl I 1426; Verordnung über die Einführung der Reichsversicherung in der bisherigen Freien Stadt Danzig vom 22. Januar 1940 - RGBl I 260 -; Verordnung über die Einführung der Reichsversicherung in den eingegliederten Ostgebieten vom 22. Dezember 1941 - RGBl I 777 -). Damit ist aber die durch die erwähnten Verordnungen für die "einheimische Bevölkerung" in Lettland geschaffene Sozialversicherung nicht der Reichsversicherung an- oder eingegliedert worden (vgl. BSG 10, 118, 122). Dagegen unterlagen die in Lettland beschäftigten deutschen Staatsangehörigen und deutschen Volkszugehörigen auf Grund der Verordnung über die Sozialversicherung in den besetzten Gebieten vom 4. August 1941 (RGBl I 486) - vgl. auch die hierzu ergangene VO zur Durchführung und Ergänzung vom 10. Februar 1943 (RGBl I 90) und den Erlaß des früheren Reichsarbeitsministers (RAM) vom 29. März 1944 (AN 1944, 77) - den Vorschriften der Reichsversicherung. Dieses Nebeneinanders mehrerer Regelungen hätte es nicht bedurft, wenn mit der Verordnung des Generalkommissars in Riga das deutsche Sozialversicherungsrecht in Lettland eingeführt worden wäre; dann wäre die Verordnung über die Sozialversicherung in den besetzten Gebieten vom 4. August 1941 nicht mehr anzuwenden gewesen (vgl. § 9 der VO). Mit der hier vertretenen Auffassung stimmt ferner der Erlaß des RAM vom 29. März 1944 überein, der besagt, daß die "einheimische Bevölkerung" in den besetzten Ostgebieten von der Reichsversicherung ausgeschlossen bleiben sollte. Daher muß davon ausgegangen werden, daß durch die Verordnung des Generalkommissars in Riga vom 1. Mai 1943 die damals für Lettland bestehende Ordnung der sozialen Sicherung lediglich nach einer anderen rechtspolitischen Grundauffassung ausgerichtet werden sollte, und zwar nach Vorstellungen, die in ihren Grundzügen dem Reichsrecht entsprachen.

Derartiges Recht wird von § 3 Abs. 1 FremdRG auch nach dem Sinn dieser Vorschrift nicht erfaßt. Nach der Begründung der Bundesregierung zum Entwurf des FremdRG war die Regelung des § 3 Abs. 1 erforderlich, um die Vertriebenen aus Gebieten, in denen das deutsche Sozialversicherungsrecht eingeführt worden war, ebenso zu stellen wie bisher (BT-Drucks. 4201, I. Wahlperiode, S. 17). Die Vorschrift knüpfte demnach an die bis dahin in der Rechtsprechung vertretene Meinung an, daß die Einführungsvorschriften als früheres Reichsrecht Bestandteil des Bundesrechts seien, soweit sie sich auf Leistungsansprüche und -anwartschaften bezogen, und daher entsprechende Verpflichtungen der Versicherungsträger im Bundesgebiet auslösten. Eine so weitreichende Bedeutung kommt den Verordnungen des Generalkommissars in Riga nicht zu. Er handelte lediglich als ein Organ der deutschen Besatzungsmacht, und zwar ausschließlich für Lettland. Die Rechtsordnung des besetzenden Staates wird in solchen Fällen durch das Besatzungsrecht nicht berührt, weder zur Zeit der Besetzung noch später (vgl. Schmoller/Maier/Tobler, Handbuch des Besatzungsrechts, Bd. 1, § 7 S. 5; § 25, S. 19; § 24a S. 25 bis 27).

An dieser Rechtslage vermochte sich nichts dadurch zu ändern, daß der Gesetzgeber der Bundesrepublik Deutschland die Verordnung des Generalkommissars vom 1. Mai 1943 durch Art. 7 § 3 Abs. 1 Buchst. p FANG außer Kraft gesetzt hat. Damit brachte der Bundesgesetzgeber nicht notwendig zum Ausdruck, daß er sich für befugt hielt, über den Rechtsbestand der angegebenen Verordnung zu verfügen; es sollte klargestellt werden, daß jene Regelungen jedenfalls vom Inkrafttreten des FANG an im heutigen deutschen Rechtsanwendungsbereich keine Wirkungen mehr auslösen sollten. Einer entgegenstehenden Verwaltungspraxis wurde damit entgegengetreten.

Ein Recht zur Anrechnung der Beschäftigungszeiten von 1919 bis 1940 steht der Klägerin auch nicht aus § 4 Abs. 1 Satz 1 FremdRG zu. Danach werden die bei einem Träger der gesetzlichen Rentenversicherung im Sinne des § 1 Abs. 2 FremdRG zurückgelegten oder von ihm zu berücksichtigenden Versicherungszeiten (Beitrags- und Ersatzzeiten) ua für die Rentenberechnung wie die in den Rentenversicherungen im Bundesgebiet zurückgelegten Versicherungszeiten angerechnet. Nach §§ 31, 24 der 2. DVO zu der Verordnung des Generalkommissars in Riga vom 1. Mai 1943 waren beitragsfreie Beschäftigungszeiten vollkommene Ersatzzeiten, die der lettische Versicherungsträger, der als nichtdeutscher Träger der Rentenversicherung von § 1 Abs. 2 FremdRG erfaßt wird, auf die Wartezeit und die Rentenberechnung gutzubringen hatte. Dennoch unterliegen diese Ersatzzeiten nicht der Anrechnung nach § 4 Abs. 1 FremdRG. Wie das BSG schon entschieden hat (BSG 24, 20, 23 f), sind sie weder auf Grund einer Nachversicherung noch einer wirksamen Nachentrichtung von Beiträgen in Beitragszeiten verwandelt worden; als Ersatzzeiten sind sie nach § 4 Abs. 1 Satz 2 FremdRG nicht zu berücksichtigen, weil sie ihrer rechtlichen Eigenart nach nicht den nach Bundesrecht anrechenbaren Ersatzzeiten entsprechen.

Daß die erwähnten Verordnungen des Generalkommissars in Riga von einigen Versicherungsträgern im Bundesgebiet und im Lande Berlin im Sinne der Anrechnung von beitragsfreien Beschäftigungszeiten ausgelegt worden sind, rechtfertigt eine andere Entscheidung nicht. Die Rechtsprechung ist durch diese Verwaltungspraxis nicht gebunden. Das wäre nur anders, wenn diese Verwaltungsübung den Rang eines Gewohnheitsrechts erlangt hätte. Ein Verwaltungsgebrauch hat aber für sich allein nicht die Kraft, Gewohnheitsrecht zu begründen; dies um so weniger, als das Gewohnheitsrecht sich hier gegen Gesetzesrecht hätte bilden und durchsetzen müssen. Durch eine ständige, gleichbleibende Verwaltungsübung kann sich nur das Bestehen von Gewohnheitsrecht erweisen, vorausgesetzt, daß es von allgemeiner Rechtsüberzeugung getragen wird. Das trifft hier indessen nicht zu. Die Einstellung der Versicherungsträger zur einschlägigen Rechtsfrage war - wie auch die Klägerin nicht in Abrede stellt - nicht einheitlich, die Rechtsprechung der Instanzgerichte nicht in einer bestimmten Richtung gefestigt. Mithin war die Beklagte nicht durch Rechtsregeln gehindert, den Anspruch auf Rentenerhöhung abzulehnen. Im Gegenteil, sie hätte nicht anders entscheiden dürfen; denn selbst ein langandauernder Verwaltungsbrauch eröffnet nicht die Möglichkeit zu einer gesetzwidrigen Entscheidung. Mit dem Gleichheitssatz (Art. 3 Abs. 1 des Grundgesetzes - GG -), aus dem unter Umständen eine Ermessensbindung der Verwaltung durch fortgesetztes Handeln herzuleiten ist, wäre die Wiederholung eines Rechtsfehlers nicht zu rechtfertigen.

Soweit die Beklagte zur Anrechnung der beitragsfreien Beschäftigungszeit von 1919 bis 1940 auf die Umstellungsrente (Bescheid vom 24. Februar 1960) verurteilt wurde, ist das angefochtene Urteil sonach aufzuheben und die Klage als unbegründet abzuweisen.

Die Klägerin kann aber auch nicht die Anrechnung der streitigen Beschäftigungszeiten gemäß § 16 FRG verlangen. Diese Vorschrift sieht unter bestimmten Voraussetzungen eine Gleichstellung von Beschäftigungszeiten und Versicherungszeiten vor. Ob die Klägerin die Erfordernisse dieser Gesetzesbestimmung erfüllt, kann dahinstehen. Heimatlose Ausländer sind, wie sich aus § 17 Abs. 2 Satz 2 FRG in Verbindung mit § 1 Buchst. d FRG ergibt, von der Vergünstigung des § 16 FRG ausgeschlossen. Diese Vorschrift erfaßt nur die in § 1 Buchst. a und c FRG genannten Personengruppen und deren Hinterbliebene. Daß die Klägerin zu einer dieser Personengruppe gehöre, insbesondere als Vertriebene im Sinne des § 1 des Bundesvertriebenengesetzes anerkannt sei, hat sie selbst nicht behauptet und hat das LSG nicht festgestellt. Als heimatloser Ausländerin stehen ihr Rechte aus § 16 FRG nicht zu.

Diese Regelung verstößt nicht gegen höherrangiges Recht. Eine Verletzung der Eigentumsgarantie des Art. 14 Abs. 1 GG scheidet - selbst wenn Rentenanwartschaften dem Schutz dieses Artikels unterliegen sollten - aus, weil nach dem FremdRG kein Recht auf Anrechnung von Beschäftigungszeiten in Lettland, die nicht mit Beiträgen zur Rentenversicherung belegt sind, erworben werden konnte. Der Ausschluß der heimatlosen Ausländer von der Vergünstigung des § 16 FRG steht auch dem Gleichheitssatz des Art. 3 GG nicht entgegen. Wie das BSG hierzu bereits ausgeführt hat, handelt es sich bei der Vorschrift des § 16 FRG um eine Maßnahme sozialer Art, die nur vertriebenen und verschleppten Deutschen gewährt werden konnte (BSG 24, 20, 23).

Mit dem Recht der heimatlosen Ausländer in der Bundesrepublik ist die Vorschrift des § 17 Abs. 2 Satz 2 FRG vereinbar. Dies hat das BSG ebenfalls in der erwähnten Entscheidung (BSG 24, 20, 22) erörtert. Der erkennende Senat schließt sich dieser Auffassung an. § 18 des Gesetzes über die Rechtsstellung heimatloser Ausländer vom 25. April 1951 (BGBl I 269) verlangt zwar, daß die heimatlosen Ausländer in der Sozialversicherung den deutschen Staatsangehörigen gleichgestellt werden. Diese Gleichstellung ist mit § 15 FRG vorgenommen worden; versicherungsrechtliche Anwartschaften, welche die heimatlosen Ausländer gegen die Sozialversicherung ihres Heimatlandes nicht mehr geltend machen können, werden in den Rentenversicherungen der Bundesrepublik abgegolten. Die volle Eingliederung solcher heimatloser Ausländer, die vorher nicht rentenversichert waren, in die Rentenversicherung der Bundesrepublik wird dagegen von dem Grundgedanken des § 18 des Gesetzes vom 25. April 1951 nicht gefordert. Auch die Flüchtlingskonvention (Abkommen vom 28. Juli 1951 über die Rechtsstellung der Flüchtlinge und Zustimmungsgesetz vom 1. September 1953 - BGBl II 559 -) enthält keine Vorschriften über ein unmittelbar wirkendes subjektives Recht des Einzelnen auf eine solche Eingliederung.

Nach alledem muß das Urteil des LSG aufgehoben und die Berufung gegen das erstinstanzliche Urteil, weil sie im Ergebnis keinen Erfolg gehabt hat, zurückgewiesen werden.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.

 

Fundstellen

Dokument-Index HI2304948

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