Leitsatz (amtlich)
Zur Frage des Unfallversicherungsschutzes beim Kauf eines Uhrenarmbandes in einem der Arbeitsstätte gegenüberliegenden Geschäft.
Normenkette
RVO § 550 S. 1 Fassung: 1963-04-30
Tenor
Auf die Revision des Klägers werden die Urteile des Sozialgerichts für das Saarland vom 6. Dezember 1974 und des Landessozialgerichts für das Saarland vom 21. März 1975 sowie der Bescheid der Beklagten vom 27. März 1974 aufgehoben. Die Beklagte wird verurteilt, den Unfall des Klägers vom 24. September 1973 als Arbeitsunfall anzuerkennen und zu entschädigen.
Die Beklagte hat dem Kläger die außergerichtlichen Kosten aller Instanzen zu erstatten.
Tatbestand
Unter den Beteiligten ist streitig, ob der Kläger einen entschädigungspflichtigen Arbeits- (Wege-) Unfall erlitten hat.
Der Kläger ist Solobassist im Orchester des Saarländischen Staatstheaters und Lehrbeauftragter an der Musikhochschule des S in S. Am 24. September 1973 erlitt er einen Unfall. Nach Beendigung des Unterrichtes an der Musikhochschule um 15,00 Uhr kaufte der Kläger bei dem "Beamteneinkauf" ein Armband für seine Armbanduhr, das - angeblich - während des voraufgegangenen Unterrichtes entzwei gegangen war. Der "Beamteneinkauf" liegt ebenso wie die Musikhochschule an der Bismarckstraße, und zwar gegenüber der Musikhochschule bzw. dem davor liegenden Parkplatz. Der Kläger hatte zunächst die B-straße überquert, auf dem Rückweg vor Erreichen des Mittelstreifens wurde er von einem Pkw angefahren und erlitt verschiedene Verletzungen (Schädelprellung, Gesichtsplatzwunden, Schulterprellung links, Ellbogen- und Handprellung rechts sowie einen Oberschenkelhalsbruch rechts). Die Beklagte lehnte eine Unfallentschädigung ab (Bescheid vom 26. Februar/27. März 1974). Klage und Berufung blieben erfolglos (Urteile vom 6. Dezember 1974 und 21. März 1975). Das Landessozialgericht (LSG) hat zur Begründung ausgeführt, der Kläger habe seinen Pkw auf dem Parkplatz vor der Musikhochschule abgestellt gehabt und habe beabsichtigt, von diesem Parkplatz aus nach Hause zu fahren. Der Weg zum Parkplatz hätte unter Versicherungsschutz gestanden ebenso wie die Heimfahrt. Der tatsächlich eingeschlagene Weg habe ihn jedoch von der Musikhochschule und dem Parkplatz weggeführt und habe anderen Zwecken als dem Heimweg gedient. Auf diesem Abweg habe der Kläger daher nicht unter Versicherungsschutz gestanden. Das Besorgen des Uhrarmbandes sei aber auch keine Erneuerung eines Arbeitsgerätes im Sinne von § 549 der Reichsversicherungsordnung (RVO) gewesen. Es sei schon zweifelhaft, ob die Armbanduhr des Klägers überhaupt als Arbeitsgerät eines Musikers angesehen werden könne. Jedenfalls sei diese Uhr auch ohne das Armband voll funktionsfähig gewesen und der Kläger hätte sie weiterhin im Unterricht benutzen können.
Zur Begründung seiner durch den Beschluß des erkennenden Senats vom 10. Dezember 1975 zugelassenen Revision trägt der Kläger u. a. vor, das neubeschaffte Armband habe zur Instandhaltung eines Arbeitsgerätes im Sinne von § 549 RVO gedient. Einer Armbanduhr sei es eigentümlich, daß sie am Arm getragen werde, so daß das Armband ein wesentlicher Bestandteil sei. Daher könne es nicht darauf ankommen, ob die Uhr (das Arbeitsgerät) auch ohne das Armband seine ureigenste Funktion erfülle. Das "Arbeitsgerät" sei sonach instandsetzungsbedürftig gewesen. Das LSG hätte es daher nicht dahingestellt sein lassen dürfen, ob die Armbanduhr des Klägers ein Arbeitsgerät im Sinne dieser Vorschrift gewesen sei, hätte vielmehr insoweit weitere Beweise erheben müssen.
Im übrigen habe der Kläger aber, als er die Bismarckstraße nach getätigtem Einkauf in Richtung auf den Parkplatz habe überqueren wollen, ohnedies unter Unfallversicherungsschutz gestanden. Es habe sich nur um eine geringfügige Unterbrechung gehandelt. Der Versicherte sei auf dem Heimweg in der Wahl der Straßenseite des benutzten Straßenzuges frei, könne also die Straßenseite wechseln. Außerdem habe er sich im Unfallzeitpunkt wieder auf dem Wege zu dem Parkplatz befunden, auf dem sein Pkw abgestellt gewesen sei, um von dort aus die Heimfahrt anzutreten.
Der Kläger beantragt sinngemäß, die Urteile des Sozialgerichts für das Saarland vom 6. Dezember 1974 und des Landessozialgerichts für das Saarland vom 21. März 1975 sowie den Bescheid der Beklagten vom 26. Februar/27. März 1974 aufzuheben und die Beklagte zu verurteilen, das Ereignis vom 24. September 1973 als Unfall anzuerkennen und nach den Bestimmungen der gesetzlichen Unfallversicherung zu entschädigen, hilfsweise , den Rechtsstreit an das Landessozialgericht zurückzuverweisen.
Die Beklagte beantragt, die Revision zurückzuweisen.
Sie hält die Armbanduhr des Klägers, die gewiß auch im privaten Alltagsleben benutzt werde, nicht für ein Arbeitsgerät im Sinne von § 549 RVO, jedenfalls sei aber in Übereinstimmung mit dem LSG die Neubeschaffung eines Armbandes der unversicherten Lebenssphäre des Klägers zuzuordnen.
Die Beteiligten sind mit einer Entscheidung ohne mündliche Verhandlung (§ 124 Abs. 2 SGG) einverstanden.
Entscheidungsgründe
Die von dem erkennenden Senat zugelassene sowie form- und fristgerecht eingelegte und begründete Revision des Klägers hatte Erfolg.
Entgegen der von dem LSG vertretenen Rechtsauffassung stand der Kläger, als er bei einem Verkehrsunfall am 24. September 1973 verletzt wurde, unter dem Schutz der gesetzlichen Unfallversicherung.
Zu Recht hegt die Beklagte im Hinblick auf die Entscheidungen des erkennenden Senats vom 14. November 1974 und 22. Oktober 1975 (SozR 2200 § 549 Nrn. 1 und 2) bereits gewisse Zweifel, ob die Armbanduhr des Klägers als Arbeitsgerät im Sinne von § 549 RVO angesehen werden kann. Indessen bedarf es weder in dieser Richtung weiterer tatsächlicher Feststellungen noch der Entscheidung der Frage, ob gegebenenfalls die Neubeschaffung eines Armbandes für eine Armbanduhr der Instandhaltung eines Arbeitsgerätes im Sinne dieser Vorschrift dient. Denn der Unfall des Klägers stellt sich bereits aus anderen Gründen als Wegeunfall im Sinne von § 550 RVO dar.
Nach den unbestrittenen und mit Verfahrensrügen nicht angegriffenen Feststellungen des LSG hatte der Kläger am Unfalltage um 15,00 Uhr seine berufliche Beschäftigung als Lehrer an der Musikhochschule in S beendet. Nach Verlassen des Schulgebäudes überquerte er die Bismarckstraße, um in dem gegenüberliegenden "Beamteneinkauf" ein neues Uhrenarmband zu kaufen. Als er anschließend dieselbe Straße in umgekehrter Richtung überschreiten wollte, um zu seinem vor der Musikhochschule auf einem Parkplatz abgestellten Pkw zu gelangen und die Heimfahrt anzutreten, wurde er angefahren und verletzt. Zu Unrecht hat das LSG angenommen, der Kläger habe sich im Zeitpunkt des Unfalles auf einem unversicherten "Abweg" befunden. Es hat dabei, worauf die Revision zutreffend hinweist, die Rechtsprechung des 2. Senats des Bundessozialgerichts (BSG), der der erkennende Senat insoweit zustimmt, nicht hinreichend beachtet. Dieser Senat hat mehrfach entschieden, daß eine Unterbrechung des Arbeitsweges nicht eintritt, wenn eine im Verhältnis zum Gesamtweg zeitlich und räumlich geringfügige private Verrichtung eingeschoben wird (SozR Nr. 28 zu § 543 RVO a. F.) und der räumliche Straßenbereich des Weges von oder zur Arbeitsstätte nicht verlassen wird, wobei es nicht entscheidend ist, ob die Straßenseite gewechselt und die Fahrbahn überquert wird (BSG 20, 219, 221, 222; 22, 7, 9; Urteil vom 31. Oktober 1968 in Breithaupt-Sammlung 1969 S. 478, 479; vgl. ferner Urteil vom 9. Dezember 1964 in BG 1965, 196, 197 a. E.; Urteil vom 31. Oktober 1969 - 2 RU 311/68 - unveröffentlicht). Eine Unterbrechung des versicherten Arbeitsweges tritt bei derartigen geringfügigen eingeschobenen privaten Tätigkeiten deshalb nicht ein, weil es dem Versicherten grundsätzlich überlassen bleibt, in welchem Bereich des für seinen Arbeitsweg zu benutzenden öffentlichen Verkehrsraums er sich bewegen will (vgl. Brackmann, Handbuch der Sozialversicherung, Stand: April 1976, II S. 486 u) und deshalb das bloße Überschreiten der Straße - auch wenn es hier zum Kauf eines Armbandes unternommen wurde - noch "keinen unversicherten Abweg" bedeutet. Eine Unterbrechung des Arbeitsweges kann in solchen Fällen, was der 2. Senat in der Entscheidung Bd. 20, 219, 222 offengelassen, dagegen in der Entscheidung Bd. 22, 7, 9 bejaht hat, erst eintreten, wenn der Straßenbereich verlassen wird, etwa mit dem Betreten eines Ladengeschäftes (hier des "Beamteneinkaufs") oder eines anderen privaten Grundstücks aus nicht betriebsbedingten Gründen. Nach Rückkehr in den öffentlichen Verkehrsbereich lebt der Versicherungsschutz jedoch wieder auf (vgl. dazu auch die neuerliche Entscheidung des 2. Senats vom 28. April 1976 - 2 RU 147/75 - wonach in der Regel bei eingeschobenen privatwirtschaftlichen Betätigungen bis zu 2 Stunden der Versicherungsschutz nach der Unterbrechung wieder auflebt).
Der Kläger hat, als er die Bismarckstraße überquerte, weder den räumlichen Bereich dieser Straße verlassen, die er benutzen mußte, um seinen vor der Musikhochschule abgestellten Pkw zu erreichen, noch hat er sich in eine andere, dem Heimweg etwa entgegengesetzte Richtung bewegt. Denn nach der unbestrittenen Darlegung auf Seite 2 des LSG-Urteils wurde das Uhrenarmband "im gegenüberliegenden Beamteneinkauf" besorgt. Es kann dabei keine entscheidende Rolle spielen, ob der Kläger zunächst eine kurze Strecke in Richtung auf den Parkplatz gegangen und damit den "Heimweg" unmittelbar begonnen hatte oder sofort nach Verlassen des Schulgebäudes die Bismarckstraße überquert hat. In jedem Falle hat er den öffentlichen Verkehrsbereich dieser Straße, die zu seinem Heimweg gehörte, erst verlassen, als er die Verkaufsräume betrat. Nach deren Verlassen befand er sich wieder in diesem Bereich; erst dann ereignete sich der Unfall. Es ist in diesem Zusammenhang nicht von entscheidender rechtlicher Bedeutung, ob die privatwirtschaftliche Betätigung am Beginn, am Ende oder während des bereits angetretenen Arbeitsweges "eingeschoben" wird. So hatte in dem der Entscheidung SozR Nr. 28 zu § 543 RVO a. F. zugrunde liegenden Fall der Kläger einen Punkt unmittelbar vor seiner Arbeitsstätte erreicht, als er die Straße überquerte, um sich Zigaretten aus einem Automaten zu holen. Der vorliegende Fall kann nicht anders beurteilt werden. Wie dort der Arbeitsweg praktisch beendet war, hatte der Kläger hier mit dem Betreten der Bismarckstraße seine Arbeitsstelle verlassen und sich mit dem Überqueren der Straße noch nicht aus dem räumlichen Bereich des Heimweges entfernt; er war im Unfallzeitpunkt wieder in diesen Bereich zurückgekehrt. Er hatte damit "bei Gelegenheit" des Heimweges gewissermaßen "im Vorbeigehen" ein Armband gekauft, um seine Armbanduhr wieder tragen zu können; dadurch war allenfalls während des Aufenthaltes in den Verkaufsräumen eine Unterbrechung eingetreten, die aber nach dem Gesamtergebnis des Verfahrens nicht zu einer endgültigen Lösung führte, so daß der weitere Weg in Richtung auf den Parkplatz ebenso wieder unter Versicherungsschutz stand, wie wenn der Kläger unmittelbar zu diesem Parkplatz gegangen wäre (vgl. SozR Nr. 8 zu § 550 RVO mit weiteren Hinweisen).
Zu Unrecht haben daher die Beklagte und die Vorinstanzen das Vorliegen eines Arbeitsunfalles verneint, so daß deren Entscheidungen aufzuheben und die Beklagte zu verurteilen war, einen Arbeitsunfall des Klägers im Sinne von § 550 RVO anzuerkennen und zu entschädigen.
Die Kostenentscheidung folgt aus § 193 des Sozialgerichtsgesetzes.
Fundstellen