Leitsatz (amtlich)

Für die getrennt lebende Ehefrau ist Familienzuschlag nach AVAVG 1927 § 103 Abs 2 zu zahlen, wenn der Arbeitslose ihr auf Grund einer rechtlichen Pflicht ganz oder überwiegend Unterhalt vor Eintritt der Arbeitslosigkeit gewährt hat und während des Unterstützungsfalles zu gewähren hat.

 

Normenkette

AVAVG § 103 Abs. 2; AVAVG 1927 § 103 Abs. 2; BGB § 1360 Fassung: 1896-08-18, § 1603 Abs. 2 Fassung: 1896-08-18

 

Tenor

Auf die Revision des Klägers wird das Urteil des Landessozialgerichts Schleswig vom 22. Oktober 1954 aufgehoben.

Die Sache wird zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an das Landessozialgericht zurückverwiesen.

Von Rechts wegen.

 

Gründe

I Der Kläger, der verheiratet ist, aber von seiner Ehefrau getrennt lebt, war nach Verlassen der sowjetischen Besatzungszone in Schleswig-Holstein ansässig geworden und hier zunächst als Filmvorführer und Wandergewerbetreibender tätig. Am 29. Dezember 1949 meldete er sich erstmals arbeitslos und gab im Antrag an, daß ihm der Aufenthaltsort seiner Ehefrau und seines ehelichen Sohnes Günter unbekannt sei, während er für sein uneheliches Kind, Jürgen M Jü. (Mecklenburg), als Wohnsitz benannte und Familienzuschlag begehrte. Seinen Wandergewerbeschein hinterlegte der Kläger bei der Nebenstelle A. des Arbeitsamts Lübeck. Er erhielt daraufhin Arbeitslosenfürsorgeunterstützung (Alfu) sowie Familienzuschlag für den unehelichen Sohn.

Auch in seinen weiteren Anträgen in den Jahren 1949 bis 1951 beantragte der Kläger Familienzuschlag lediglich für den unehelichen Sohn, wobei er sich von dessen Mutter unter dem 13. April 1951 bestätigen ließ, daß er für das Kind laufend Päckchen und Pakete mit Lebensmitteln geschickt habe. Ferner brachte er eine Bestätigung seiner Vermieterin vom 16. April 1951 über den monatlichen Versand von Paketen an die Kindesmutter bei.

Bezüglich des Aufenthalts seiner Ehefrau und seines ehelichen Sohnes Günter gab der Kläger in seinen verschiedenen Anträgen bis 1951 allgemein nur "Ostzone" an und setzte im Vordruck vom 15. Juli 1952 dem noch hinzu "Aufenthalt unbekannt". Die in den Formblättern zu den Unterstützungsanträgen enthaltene Frage, welche Angehörigen ganz oder überwiegend unterhalten worden seien, beantwortete der Kläger bis zu seinem Antrag vom 12. Januar 1953 jeweils für die Ehefrau und den Sohn Günter negativ. Erst bei diesem Antrag gab er dann an, daß seine Ehefrau in Wernigerode (Ostzone) lebe, und beantragte für sie jetzt im Vordruck auch Familienzuschlag. Das Arbeitsamt Lübeck bewilligte jedoch mit Verfügung vom 16. Januar 1953 wie bisher den Familienzuschlag nur für den unehelichen Sohn. Der Kläger erhob hiergegen keinerlei Einwendungen.

II Mit der Begründung, daß "der Aufruf der Bundesregierung, des Bundestags und der caritativen Verbände an die westdeutsche Bevölkerung zur Unterstützung der notleidenden Ostzonenbevölkerung ihn zu der Absicht veranlaßt habe, auch seine in der Ostzone lebende Frau in Form von Päckchen zu unterstützen", stellte der Kläger dann neuerdings mit Schreiben vom 13. Mai 1953 den Antrag, ihm den Frauenzuschlag zur Alfu zu gewähren. Die Anfrage des Arbeitsamts Lübeck, in welcher Weise er bisher seine Ehefrau unterhalten habe und wodurch diese den Lebensunterhalt bestritten habe, beantwortete der Kläger mit Schreiben vom 6. Juni 1953 dahin, er habe seine Ehefrau bis zur Flucht aus seinem Arbeitseinkommen unterhalten. Nach 1945 sei ihm dies infolge Verlustes seines Arbeitsplatzes und wegen seiner geringfügigen Alfu nicht mehr möglich gewesen. Seine allein lebenden Schwestern hätten in den vergangenen Jahren seiner Bitte entsprechend die Ehefrau mit Päckchen unterstützt. Dem Schreiben des Klägers war eine Bescheinigung des Rates der Stadt Wernigerode, Abteilung Sozialwesen, vom 4. Mai 1953 beigefügt, daß die Ehefrau dort keine Fürsorgeunterstützung beziehe. Ferner wurde vom Kläger eine eidesstattliche Versicherung seiner Schwester Elisabeth H. vom 15. Juni 1953 eingereicht, daß sie und eine andere Schwester in den vergangenen Jahren wiederholt in Form von Paketsendungen die Ehefrau H. unterstützt hätten.

III Das Arbeitsamt lehnte mit Verfügung vom 29. August 1953 den Antrag auf Gewährung des Familienzuschlags für die Ehefrau mit der Begründung ab, daß der Kläger die Voraussetzungen des § 103 Abs. 2 des Gesetzes über Arbeitsvermittlung und Arbeitslosenversicherung (AVAVG) nicht erfülle, da er seine Ehefrau vor Eintritt der Arbeitslosigkeit nicht ganz oder überwiegend unterhalten habe. Der Einspruch des Klägers wurde durch Entscheidung des Spruchausschusses beim Arbeitsamt Lübeck vom 25. September 1953 zurückgewiesen.

Die Berufung des Klägers hiergegen an das Oberversicherungsamt Schleswig ging nach § 215 Abs. 2 und 4 des Sozialgerichtsgesetzes (SGG) als Klage auf das Sozialgericht Lübeck über.

Dieses wies mit Urteil vom 18. Februar 1954 die Klage ab. In der Begründung wurde u. a. ausgeführt, daß die Voraussetzung des § 103 Abs. 2 AVAVG nicht erfüllt sei, weil der Kläger vor der Arbeitslosmeldung der Ehefrau keinen Unterhalt gewährt habe. Die gelegentlichen Päckchensendungen seien nicht als Unterhaltsleistungen anzusehen. Nach den eigenen Erklärungen des Klägers im Prozeß werde seine Ehefrau von dem in der Ostzone lebenden Sohn unterhalten.

Berufung wurde zugelassen.

IV Der Kläger legte Berufung ein und begründete sie u. a. damit, er habe bis 1945 seine Ehefrau unterhalten, nach der Flucht aber sei ihm dies schon deshalb nicht mehr möglich gewesen, weil er den Aufenthaltsort seiner Frau nicht gekannt habe. Nachdem er aber ihren Wohnsitz nunmehr ausfindig gemacht habe und den Willen zeige, seiner Ehefrau wenigstens mittelbar zu helfen, müsse nach seinem Antrag Familienzuschlag gewährt werden, auch wenn er der politischen Verhältnisse wegen keine finanziellen Unterstützungsleistungen in die Ostzone vornehmen könne.

Durch Urteil des Landessozialgerichts Schleswig vom 22. Oktober 1954 wurde die Berufung zurückgewiesen. Zwar schließe die Tatsache, daß ein Angehöriger in der Sowjetzone wohne, die Gewährung des Familienzuschlags nicht aus, unabdingbare Voraussetzung sei aber, daß dem Arbeitslosen eine Rechtspflicht zur Unterhaltsgewährung diesem Angehörigen gegenüber obliege. Dies treffe im vorliegenden Fall nicht zu. Nach Art. 3 Abs. 2 des Grundgesetzes (GG) sei die Ehefrau des Klägers seit dem 1. April 1954 berechtigt, einen eigenen Wohnsitz zu begründen bzw. ihren bisherigen Wohnort nunmehr als Wohnsitz kraft eigener Entscheidungsgewalt beizubehalten. Von diesem Recht habe sie offenbar Gebrauch gemacht. Damit seien aber die Unterhaltspflicht des Klägers und der Unterhaltsanspruch der Ehefrau weggefallen. Der Darstellung des Klägers, daß die Trennung von seiner Ehefrau durch die Flucht und die schlechten Lebens- und Wohnverhältnisse bedingt sei, vermöge das Gericht weder zu folgen noch Gewicht beizumessen. Ein objektives Hindernis für das Zusammenleben der Eheleute sei nicht gegeben. Im übrigen schloß sich das Landessozialgericht der Feststellung des Vorderrichters an, daß der Unterhalt bisher tatsächlich nicht geleistet wurde, so daß auch aus diesem Grunde kein Anspruch auf Familienzuschlag nach § 103 AVAVG bestehe.

Revision wurde zugelassen.

V Der Kläger legte gegen das am 10. November 1954 zugestellte Urteil des Landessozialgerichts mit Schriftsatz vom 7. Dezember 1954, eingegangen beim Bundessozialgericht am 8. Dezember, Revision ein und beantragte,

unter Aufhebung des Urteils des Landessozialgerichts Schleswig vom 22. Oktober 1954 und unter Aufhebung des Urteils des Sozialgerichts in Lübeck vom 18. Februar 1954 die Beklagte zur Zahlung des Zuschlags zur Alfu für seine Ehefrau ab 13. Mai 1953 zu verurteilen.

In der Revisionsbegründung vom 16. Dezember 1954, eingegangen am 20. Dezember, wurde u. a. ausgeführt, daß der Kläger von 1923 bis 1945 tatsächlich seiner Ehefrau Unterhalt gewährt habe. Wenn ihn die politischen Ereignisse daran gehindert hätten, über diesen Zeitpunkt hinaus seiner Unterhaltspflicht nachzukommen, so könne dies nicht zu seinem Nachteil ausgelegt werden, da diese Umstände außerhalb des Willens beider Ehegatten lägen. Nachdem dem Kläger der Aufenthaltsort seiner Ehefrau wieder bekannt geworden sei, habe er indirekt durch seine Schwestern zu ihrem Unterhalt beigetragen. Er selbst sei dazu nicht imstande gewesen, da er kein sonstiges Einkommen besessen und die Alfu für seinen eigenen Lebensunterhalt benötigt habe.

In der mündlichen Verhandlung vor dem Bundessozialgericht stellte der Kläger ferner hilfsweise den Antrag,

die Sache zur anderweitigen Verhandlung und Entscheidung an das Landessozialgericht zurückzuverweisen.

Die Beklagte beantragte,

die Revision als unbegründet zurückzuweisen.

Sie bezog sich auf die ihrer Ansicht nach zutreffenden Entscheidungsgründe des vorinstanzlichen Urteils und verneinte einen Unterhaltsanspruch der Ehefrau, wie die Unterhaltspflicht des Klägers. Im übrigen fehle es an der tatsächlichen Unterhaltsgewährung als wesentlicher Voraussetzung laut § 103 Abs. 2 AVAVG. Diese Voraussetzung sei nicht etwa erfüllt, weil der Kläger seine Ehefrau bis 1945 unterhalten habe und diese Leistungen späterhin nur wegen Unvermögens nicht habe fortsetzen können. Das Gesamtverhalten des Klägers beweise vielmehr, daß er auch nach Kenntnis der Anschrift seiner Ehefrau persönlich keine Unterhaltsleistungen an sie bewirkt und mithin nicht die Absicht gehabt habe, überhaupt für sie Unterhalt zu leisten. Nur der Aufruf der Bundesregierung habe ihn veranlaßt, den Familienzuschlag zu begehren. Bezeichnend für den mangelnden Unterhaltswillen des Klägers sei auch, daß er den Rechtsanspruch aus dem Bundesvertriebenengesetz auf Genehmigung des Zuzugs seiner Ehefrau in die Bundesrepublik nicht geltend gemacht habe.

Der Kläger erwiderte mit Schriftsatz vom 12. Mai 1955, daß die äußeren Umstände ihn daran gehindert hätten, für seine Ehefrau das Zuzugsrecht in die Bundesrepublik geltend zu machen, weil er weder eine wohnwürdige Unterkunft noch eine ausreichende Existenzgrundlage besessen habe. Nur aus diesem Grunde, nicht kraft eigener Entscheidungsgewalt, sei seine Ehefrau bei dem inzwischen verheirateten Sohn in der Ostzone geblieben. Sobald für ihn bessere Wohn- und Lebensverhältnisse gefunden seien, würde auch die häusliche Gemeinschaft wieder hergestellt.

Für die Darstellung des Tatbestands wird im übrigen auf die vorinstanzlichen Urteile, wegen der Einzelheiten des Parteivorbringens auf die Schriftsätze der Beteiligten Bezug genommen.

VI Die Revision ist statthaft (§ 162 Abs. 1 Nr. 1 SGG). Sie ist auch frist- und formgerecht eingelegt sowie begründet worden und daher zulässig (§§ 164, 166 SGG).

Der Familienzuschlag nach § 103 AVAVG ist, wie der erkennende Senat bereits in seinem Urteil vom 30. Mai 1956 - 7 RAr 144/55 - (Vgl. "Sozialrecht", § 103 AVAVG, Bl. Ba 1 Nr. 1) des näheren dargelegt hat, ein Bestandteil der Gesamtunterstützung. Deshalb braucht und vermag er nicht eigens für sich beantragt zu werden, sondern ist ohne weiteres in dem Unterstützungsantrag mitbeansprucht. Dies hat zugleich zur Folge, daß Streit um den Familienzuschlag nicht die Höhe der Unterstützung (vgl. § 147 SGG), sondern den Gesamtanspruch betrifft. Im vorliegenden Falle war daher die Berufung entgegen der Handhabung des Sozialgerichts nicht gemäß § 150 Nr. 1 SGG zuzulassen, sondern ohne weiteres gemäß § 143 SGG zulässig. Der Offizialmaxime zufolge, die im Unterstützungsverfahren gilt, war bereits das Arbeitsamt verpflichtet, allen Angaben des Klägers, die für die Gewährung des Familienzuschlags bedeutsam waren oder werden konnten, von Amts wegen nachzugehen. Die einschlägigen Fragen hätten schon von der ersten Antragstellung an untersucht und geklärt werden müssen.

Das war im Verwaltungswege nicht geschehen. Als Folge daraus ist auch der Tatbestand des angefochtenen Urteils nicht ausreichend, um beurteilen zu können, ob alle gesetzlichen Voraussetzungen für das Begehren des Klägers erfüllt sind.

VII Die Absätze 2 und 3 des § 103 AVAVG, in denen der Anspruch auf Familienzuschläge geregelt ist, lauten nach der für die Streitsache gültigen Fassung der britischen Besatzungszone:

"(2) (Satz 1) Familienzuschläge sind für die Angehörigen des Arbeitslosen zu zahlen, denen er auf Grund einer rechtlichen Pflicht ganz oder überwiegend Unterhalt gewährt hat oder im Falle seiner Leistungsfähigkeit zu gewähren hätte (zuschlagsberechtigte Angehörige). ( Satz 2 ) Die Voraussetzung der vorhergehenden tatsächlichen Unterhaltsgewährung entfällt, wenn ein Unterhaltsanspruch erst nach Eintritt der Arbeitslosigkeit entstanden wäre. ( Satz 3 ) Sie entfällt ferner, wenn es sich um ein eheliches, für ehelich erklärtes, an Kindes statt angenommenes oder uneheliches Kind des Arbeitslosen handelt. ( Satz 4 ) Familienzuschläge sind auch für solche Angehörige zu zahlen, denen der Arbeitslose auf Grund einer sittlichen Pflicht ganz oder überwiegend Unterhalt gewährt hat. ( Satz 5 ) Als Angehörige gelten auch Stief- und Pflegekinder.

(3) Der Familienzuschlag wird nicht gewährt, sofern der Angehörige in der Lage ist, seinen Lebensunterhalt aus eigenen Kräften und Mitteln zu beschaffen, oder für seine Person die Hauptunterstützung bezieht".

Dabei erscheint Abs. 2 Satz 1 bei wörtlicher Auslegung in sich widerspruchsvoll und auch mit den Sätzen 2 und 3 nicht im Einklang. Es handelt sich in Satz 1 keineswegs, wie das Wort "oder" besagen könnte, um eine Alternative; denn aus den Sätzen 2 und 3 geht eindeutig hervor, daß die tatsächliche Unterhaltsgewährung in jedem Falle vorausgegangen sein muß, sofern nicht einer der Tatbestände der Sätze 2 (nachträglicher Hinzutritt von Angehörigen) und 3 (Kinder) erfüllt ist. Auch wäre der Arbeitslosenversicherung bzw. Arbeitslosenfürsorge nicht zuzumuten oder anzulasten, daß sie mit Familienzuschlägen für solche Angehörigen eintritt, denen gegenüber der Arbeitslose überhaupt nicht zum Unterhalt verpflichtet ist oder es bei Leistungsfähigkeit wäre; also muß auch die zweite Bedingung stets vorliegen. Dadurch aber verwandelt sich die vermeintliche "Alternative" schlechthin zwingend in eine "Kumulation", und das im Gesetzestext stehende Wörtchen "oder" hat die Bedeutung eines "und". Darüber hinaus würden durch Satz 1, wenn dort wirklich nur die Fälle gemeint wären, in denen nach dem Bürgerlichen Gesetzbuch (BGB) die Unterhaltspflicht von dem Leistungsvermögen des Verpflichteten abhängt (§ 1603 Abs. 1 BGB), gerade die nächsten Angehörigen, nämlich Ehefrau und Kinder, benachteiligt, denen gegenüber die Unterhaltspflicht von Rechts wegen uneingeschränkt besteht (§ 1360, § 1603 Abs. 2 BGB).

§ 103 Abs. 2 Satz 1 AVAVG kann daher nur so zu lesen sein, als ob es hieße:

"... Unterhalt vor Eintritt der Arbeitslosigkeit gewährt hat und während des Unterstützungsfalles zu gewähren hat oder im Falle seiner Leistungsfähigkeit zu gewähren hätte (zuschlagsberechtigte Angehörige)".

Diese Auslegung stimmt insoweit sowohl überein mit der vor dem Zusammenbruch bis 1945 geltenden Fassung des AVAVG, in welcher der Satz 1 in zwei Sätze folgenden Wortlauts aufgeteilt war:

"Familienzuschläge sind nur für solche Angehörigen des Arbeitslosen zu zahlen, die einen familienrechtlichen Unterhaltsanspruch gegen ihn haben oder im Falle seiner Leistungsfähigkeit haben würden, sowie für Stief- und Pflegekinder (zuschlagsberechtigte Angehörige). Der Familienzuschlag darf nur gewährt werden, wenn der Arbeitslose den Angehörigen bis zum Eintritt der Arbeitslosigkeit ganz oder überwiegend unterhalten hat",

als auch mit der noch gegenwärtig im Lande Rheinland-Pfalz gültigen:

"Familienzuschläge sind nur für solche Angehörige des Arbeitslosen zu zahlen, die einen familienrechtlichen Unterhaltsanspruch gegen ihn haben oder im Falle seiner Leistungsfähigkeit haben würden, sowie für Stief-, Adoptiv- und Pflegekinder. Der Familienzuschlag darf nur gewährt werden, wenn der Arbeitslose den Angehörigen bis zum Eintritt der Arbeitslosigkeit ganz oder überwiegend unterhalten hat"

und schließlich auch mit der Regelung, wie sie der Entwurf [1] der Großen Novelle zum AVAVG (Deutscher Bundestag 2. Wahlperiode 1953, Drucksachen 1274 und 2714) vorsieht, der in § 103 Abs. 3 lautet:

"(3) Für die Angehörigen im Sinne des Abs. 2 Nr. 3 besteht Anspruch auf Familienzuschläge nur, wenn

1. der Arbeitslose ihnen bis zum Eintritt der Arbeitslosigkeit nicht nur vorübergehend und nicht nur geringfügig auf Grund einer rechtlichen oder sittlichen Pflicht Unterhalt gewährt hat oder

2. der Unterhaltsanspruch oder die sittliche Pflicht zur Unterhaltsgewährung erst nach Eintritt der Arbeitslosigkeit im Falle seiner Leistungsfähigkeit entstanden wäre

und soweit auch während der Arbeitslosigkeit eine rechtliche oder sittliche Pflicht zur Unterhaltsgewährung im Falle der Leistungsfähigkeit bestehen würde".

(wobei es allerdings am Schluß "besteht oder bestehen würde" heißen müßte).

Im Besatzungs- und Länderrecht der Nachkriegszeit scheint also (abgesehen von Rheinland-Pfalz) eine verunglückte Zusammenziehung verschiedener Gedankenreihen eingetreten zu sein. Der Text des § 103 Abs. 3 Satz 1 ist dadurch unlogisch geworden und der Auslegung bedürftig, die nach Lage der Sache nur im Sinne der früheren und künftigen Bestimmungen erfolgen kann.

Bei einer getrennt lebenden Ehefrau ist jedenfalls, da ihre Eigenschaft als "Angehörige" (Abs. 2 Satz 1) nicht zweifelhaft ist (vgl. RVA. Grundsätzliche Entscheidung Nr. 5333, AN. 1929 S. IV 31), unbeschadet des Abs. 3 zunächst zu folgern, daß der Arbeitslose für sie Anspruch auf Familienzuschlag hat, wenn er ihr aus rechtlicher Verpflichtung ganz oder überwiegend Unterhalt vor Eintritt seiner Arbeitslosigkeit gewährt hat und während des Unterstützungsfalles zu gewähren hat.

Maßgebend hinsichtlich dieser rechtlichen Verpflichtung ist im vorliegenden Falle der gesamte Zeitraum von der Einreichung des ersten Unterstützungsantrags an, also ab 29. Dezember 1948, unbeschadet dessen, daß der Kläger im Revisionsverfahren Zahlung des Familienzuschlags nur noch ab 13. Mai 1953 begehrt. Denn wie der erkennende in seinem Urteil vom 30. Mai 1956 (s. o. VI) dargelegt hat, wäre noch zu entscheiden, ob ein solcher Verzicht für die Vergangenheit von Rechts wegen überhaupt wirksam sein könnte.

VIII Die Unterhaltspflicht des Klägers ist nach den ehe- und familienrechtlichen Grundsätzen des BGB zu beurteilen.

Für den vorliegenden Fall müßte zuerst geprüft werden, ob die Ehefrau dem Kläger gegenüber noch zur ehelichen Lebensgemeinschaft verpflichtet ist (§ 1358 Abs. 1 BGB), ob sie ihre eigenen Verpflichtungen hierbei wahrgenommen hat oder ob sie aus vom Gesetz zugelassenen Gründen (§ 1358 Abs. 2 BGB) zum Getrenntleben berechtigt ist. Anhaltspunkte für eine eingehende Erforschung des Sachverhalts in dieser Richtung ergeben sich aus der Tatsache, daß dem Kläger nach der Trennung von seiner Ehefrau im Oktober 1945 von einer anderen Frau ein Kind geboren wurde und daß er beide - im Unterschied zur Behandlung seiner Ehefrau - laufend mit Paketen bedachte. Sie erwachsen ferner aus der Abwägung der Umstände, daß in den Jahren bis 1953 offensichtlich weder der Kläger zu seiner Ehefrau noch diese zu ihm persönliche, briefliche oder sonstige Beziehungen aufgenommen hat. Jedenfalls ist weder über gegenseitige Besuche noch über persönlichen Schriftwechsel oder sonstige private Verbindungen etwas vorgetragen. Auch sind Aufforderungen oder Bemühungen der Ehepartner zur Herstellung der ehelichen Lebensgemeinschaft nicht nachgewiesen. Schließlich ist ungewiß, ob die Ehefrau vielleicht noch die alte eheliche Wohnung innehat.

Solange diese Vorfragen nicht eindeutig für den gesamten Zeitraum geklärt sind, muß dahingestellt bleiben, ob die Auffassung des Berufungsgerichts, Art. 3 Abs. 2 in Verbindung mit Art. 117 Abs. 1 GG sei bereits geltendes Recht, wie auch die daraus für die Zeit ab 1. April 1953 hinsichtlich der Anwendbarkeit der §§ 1360, 1361 BGB gezogenen Folgerungen zutreffen. Jedenfalls bleibt die Annahme des Vorderrichters im Tatbestand, daß die Ehefrau von dem ihr durch den Gleichheitsgrundsatz eröffneten Recht auf Begründung oder Beibehaltung eines eigenen Wohnsitzes "ganz offenbar auch Gebrauch gemacht habe", zunächst eine bloße Unterstellung.

Gelangt das Landessozialgericht nach den notwendigen weiteren Ermittlungen dazu, eine rechtliche Pflicht des Klägers zur Unterhaltsgewährung im Grundsatz zu bejahen, dann ist für den Sachverhalt noch zu klären, ob die Ehefrau in der Lage ist oder war, ihren Lebensunterhalts aus eigenen Kräften und Mitteln zu beschaffen. In diesem Fall wird von Gesetzes wegen der Familienzuschlag nicht gewährt (§ 103 Abs. 3 AVAVG). Bislang liegt in diesem Zusammenhang nur eine Bescheinigung der Stadtverwaltung Wernigerode vor, daß die Ehefrau dort keine Fürsorgeunterstützung bezieht. Dies schließt indessen nicht aus, daß die (1899 geborene) Frau - je nach Gesundheitszustand und Arbeitseinsatzlage in der sowjetischen Besatzungszone - noch Erträgnisse aus eigener Arbeit, wenigstens zeitweise, erzielt oder sonstiges Einkommen, z. B. aus Haushaltsführung für Dritte, Untervermietung o. ä. erlangt hat.

IX Da der Tatbestand, wie sich aus den vorstehenden Ausführungen ergibt, also nicht hinreichend geklärt ist, konnte der erkennende Senat in der Streitsache nicht selbst entscheiden, sondern mußte sie unter Aufhebung des angefochtenen Urteils zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an das Landessozialgericht zurückverweisen (§ 170 Abs. 2 Satz 2 SGG).

Der Senat mußte daher auch unentschieden lassen, ob der Bedingung der vorhergehenden tatsächlichen Unterhaltsgewährung, die durch § 103 Abs. 2 AVAVG als weitere Voraussetzung für die Zahlung des Familienzuschlags festgelegt ist, in Flüchtlingsfällen unter besonderen Verhältnissen ausnahmsweise auch dann genügt sein kann, wenn der Arbeitslose seine Ehefrau zwar nicht bis zum Eintritt der Arbeitslosigkeit, wohl aber bis zur unfreiwilligen Trennung durch Kriegs- oder Nachkriegsereignisse unterhalten hat.

Bei der künftigen Entscheidung wird das Landessozialgericht, falls es dem Kläger den Familienzuschlag aus § 103 AVAVG zuerkennt, schließlich auch zu beachten haben, daß - entgegen der im angefochtenen Urteil enthaltenen Auffassung - nach der Rechtsprechung des Bundessozialgerichts ein Anspruch für zurückliegende Unterstützungszeiten nur verjährt ist, soweit damals dem Kläger zu der jeweiligen Verfügung des Arbeitsamts ordnungsgemäß Rechtsmittelbelehrung erteilt wurde, er aber seinerseits Rechtskraft eintreten ließ (zu vgl. Urteil vom 30.5.1956 s. o. VI).

Die Kostenentscheidung bleibt dem abschließenden Urteil vorbehalten.

 

Fundstellen

Dokument-Index HI1982395

[1] Inzwischen ist die Vorschrift mit dem erwähnten Wortlaut Gesetz geworden (vgl. Gesetz zur Änderung und Ergänzung des AVAVG vom 23. Dezember 1956 - BGBl. I S. 1018).

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