Orientierungssatz

Postjungbote - Beamtenanwärter - ArVNG Art 2 § 3:

Ob beim Ausscheiden aus einer versicherungsfreien Beschäftigung eine Nachversicherungspflicht entsteht, beurteilt sich, wenn nichts Abweichendes bestimmt ist, nach dem Recht, das im Zeitpunkt des Ausscheidens gilt. Nachversicherungen, die wegen unehrenhaften oder freiwilligen Ausscheidens aus der versicherungsfreien Beschäftigung unterblieben sind, sind nur in dem Umfang durchzuführen, in dem eine Verpflichtung hierzu zur Zeit des Ausscheidens bestanden haben würde (Anschluß an BSG 1964-06-23 11/1 RA 70/60 = SozEntsch BSG 6 § 9 Nr 2).

Eine Nachversicherungspflicht für Beamtenanwärter, die deshalb nicht versicherungspflichtig waren, weil sie nicht gegen Entgelt beschäftigt waren - lediglich Unterhaltszuschuß erhielten -, war nach früherem Recht nicht vorgesehen.

 

Normenkette

ArVNG Art. 2 § 3 Abs. 2; AnVNG Art. 2 § 4 Abs. 2; RVO § 1232 Abs. 2 Fassung: 1957-02-23; SVAnO 14 Nr. 2c; RVO § 1242a Abs. 1 Fassung: 1945-03-17; AVG § 9 Fassung: 1957-02-23, § 1 Abs. 6 Fassung: 1945-03-17

 

Verfahrensgang

SG Düsseldorf (Entscheidung vom 06.06.1972)

 

Tenor

Die Sprungrevision der Beklagten gegen das Urteil des Sozialgerichts Düsseldorf vom 6. Juni 1972 wird zurückgewiesen.

Kosten sind nicht zu erstatten.

 

Gründe

Der Rechtsstreit betrifft die Nachversicherung des Beigeladenen für die Zeit vom 1. April 1939 bis zum 31. Oktober 1941. Er bezog in dieser Zeit als Postjungbote einen Unterhaltszuschuß. Am 1. November 1941 wurde er in das Beamtenverhältnis übernommen, aus dem er am 17. Dezember 1946 - nach den Feststellungen des Tatsachengerichts "unehrenhaft" - wieder ausschied. Für diese Zeit wurde die Nachversicherung durchgeführt (vgl. Art. 2 § 3 Abs. 2 des Arbeiterrentenversicherungs-Neuregelungsgesetzes - ArVNG -; § 1232 der Reichsversicherungsordnung - RVO -). Die Beklagte forderte die Klägerin zur Nachversicherung auch für die Zeit vom 1. April 1939 bis zum 31. Oktober 1941 auf (Bescheid vom 17. Mai 1971, Widerspruchsbescheid vom 19. Oktober 1971).

Das Sozialgericht (SG) hat diese Bescheide aufgehoben (Urteil vom 6. Juni 1972). Die Entscheidung ist wie folgt begründet: Nach Art. 2 § 3 Abs. 2 ArVNG richte sich in Fällen der vorliegenden Art die Nachversicherung nach § 1232 RVO. Der Beigeladene sei schon deshalb versicherungsfrei gewesen, weil er als Postjungbote kein Entgelt im Sinne des § 1227 Abs. 1 Nr. 1 RVO bezogen habe. Nach dem Erlaß des Reichsarbeitsministers (RAM) vom 12. Juli 1940 (AN 1940, 251) hätten Unterhaltszuschüsse in der damaligen Zeit nicht als Entgelt für geleisteten Dienst gewertet werden können. Dies gelte auch für die vor dem Erlaß liegende Zeitspanne. Da die Nachversicherung nur Beitragslücken schließen solle, die Beamten oder ihnen gleichgestellten Personen wegen ihrer Anwartschaft auf Versorgung entstanden seien (§§ 1229 Abs. 1 Nr. 2 - 4; 1231 Abs. 1 RVO), komme eine Nachversicherung hier nicht in Betracht. Wegen dieser Ersatzfunktion der Nachversicherung lasse auch der Gemeinsame Erlaß des Reichsministers der Finanzen und des RAM vom 10. September 1944 (AN 1944/45, 281), der eine andere Regelung hinsichtlich des Unterhaltszuschusses treffe, keine abweichende Beurteilung zu.

Das SG hat die Berufung zugelassen, die Beklagte Sprungrevision eingelegt. Sie rügt die Verletzung der §§ 1232, 1402 RVO und des Art. 2 § 3 ArVNG. Sie ist der Auffassung, die Rückwirkungsanordnung des Art. 2 § 3 Abs. 2 ArVNG beziehe sich auf § 1232 und § 1402 RVO gleichermaßen. Danach sei es unerheblich, ob der Unterhaltszuschuß damals als ein die Beitragspflicht auslösendes Entgelt angesehen werden konnte. Im übrigen sei es sozialpolitisch nicht gerechtfertigt, den Versicherten für die streitige Zeit schutzlos zu lassen.

Die Beklagte beantragt,

das Urteil des SG Düsseldorf vom 6. Juni 1972 aufzuheben und die Klage abzuweisen.

Die Klägerin beantragt,

die Revision zurückzuweisen.

Sie stützt sich auf die Gründe des angefochtenen Urteils sowie die bisherige Rechtsprechung des Bundessozialgerichts (BSG). Der Beigeladene ist im Revisionsverfahren nicht vertreten.

Die Revision hat keinen Erfolg. Eine Nachversicherungspflicht hinsichtlich des Beigeladenen für die hier streitige Zeit besteht nicht.

Die Pflicht zur Nachversicherung beim Ausscheiden aus einer versicherungspflichtigen Beschäftigung beurteilt sich, wenn Abweichendes nicht bestimmt ist, nach dem Recht, das im Zeitpunkt des Ausscheidens gilt. Der Beigeladene ist am 17. Dezember 1946 aus dem Postdienst ausgeschieden, als Rechtsgrundlage kommt daher § 1242 a RVO idF der Ersten Verordnung zur Vereinfachung des Leistungs- und Beitragsrechts in der Sozialversicherung vom 17. März 1945 - RGBl I, 41 (1. VereinfVO) in Betracht. Eine Pflicht zur Nachversicherung des Beigeladenen hätte danach bestanden, wenn er vom 1. April 1939 bis zum 31. Oktober 1941 nach den §§ 169, 172 Abs. 2 Nr. 1, 174, 1230 RVO in der damals geltenden Fassung versicherungsfrei gewesen wäre, bei Außerachtlassung dieser Vorschriften aber eine Versicherungspflicht bestanden hätte (vgl. Urteil des BSG vom 23. Juni 1964 - Az.: 11/1 RA 70/60 -).

Diese Voraussetzungen erfüllt der Beigeladene nicht. Als Postjungbote stand er nicht im Beamtenverhältnis. Er war nicht versicherungspflichtig, weil er nicht gegen Entgelt beschäftigt war (§ 165 Abs. 2 iVm § 160 RVO), sondern einen Unterhaltszuschuß bezogen hat. Unterhaltszuschüsse waren jedoch, auch wenn sie ohne Antrag und ohne Rücksicht auf die wirtschaftlichen Verhältnisse des Beamtenanwärters ohne weiteres gewährt wurden, während der hier in Betracht kommenden Zeitspanne kein Entgelt (Erlaß des RAM vom 12. Juli 1940 - AN 1940, 251). Eine Änderung ist insoweit erst in Jahre 1944 - mit dem Inkrafttreten des Gemeinsamen Erlasses des Reichsministers der Finanzen und des RAM vom 10. September 1944 - eingetreten. Der Senat hat keine Bedenken, die vor Inkrafttreten des Erlasses vom 12. Juli 1940 liegende Zeit der in dem Erlaß getroffenen Regelung zuzuordnen. Ein Anhalt dafür, daß für diese Zeit eine andere Wertung Platz greifen müßte, ist nicht ersichtlich.

Das SG hat allerdings zu Recht die Frage geprüft, ob sich aus Art. 2 § 3 ArVNG eine andere Regelung ergeben könnte. Der von ihm getroffenen Entscheidung ist im Ergebnis zuzustimmen. Die Anwendung des Abs. 1 dieser Vorschrift kommt schon deshalb nicht in Betracht, weil der Beigeladene nicht nach Inkrafttreten des ArVNG aus dem Staatsdienst ausgeschieden ist. Aber auch Abs. 2 kommt nicht zum Zuge. Dies hat das BSG in einem im wesentlichen gleichliegenden Fall bereits entschieden (vgl. BSG aaO). Dort ist u. a. - wenn auch für das Gebiet der Angestelltenversicherung - folgendes ausgeführt: "Nach Art. 2 § 4 Abs. 2 AnVNG gilt § 9 AVG nF zwar auch für Personen, deren Nachversicherung in der Zeit vor dem Inkrafttreten des AnVNG unterblieben ist, jedoch muß die Nachversicherung auf Grund des § 1 Abs. 6 AVG idF der VereinfVO oder der Sozialversicherungsanordnung (SVA) Nr. 14 Nr. 2 Buchst. b oder c vom 19. Juli 1947 (Arbeitsblatt f. d. brit. Zone S. 240) wegen unehrenhaften oder freiwilligen Ausscheidens aus einer versicherungsfreien Beschäftigung unterblieben sein. Danach werden Nachversicherungen nachgeholt, die nach früherem Recht wegen besonderer Hinderungsgründe (unehrenhaftes oder freiwilliges Ausscheiden aus einer versicherungsfreien Beschäftigung) ausgeschlossen waren, die aber der gewandelten Auffassung des heutigen Gesetzgebers zufolge nachträglich noch ermöglicht werden sollen. Voraussetzung für die Nachversicherung nach Art. 2 § 4 Abs. 2 AnVNG ist demnach, daß die früheren Hinderungsgründe ursächlich für das Unterbleiben der Nachversicherung gewesen sind. Das aber ist für die hier streitige Zeit ... nicht der Fall. Als der Kläger aus seiner versicherungsfreien Beschäftigung ... freiwillig ausschied, ist seine Nachversicherung auf Grund der SVA Nr. 14 (Nr. 2 Buchst. c) nur für die hier nicht streitige Zeit ... unterblieben; für die Zeit vorher, um die es hier geht, ist die Nachversicherung nicht wegen seines freiwilligen Ausscheidens im Sinne der SVA Nr. 14 unterblieben, sondern deshalb, weil schon aus den oben dargelegten Gründen keine Nachversicherungspflicht bestanden hat; auch ohne die früheren besonderen Hinderungsgründe wäre der Kläger damals insoweit nicht nachzuversichern gewesen. Die Auffassung des Klägers - und die des LSG -, Nachversicherungen nach Art. 2 § 4 Abs. 2 AnVNG seien materiell-rechtlich nach § 9 AVG nF abzuwickeln, es komme deshalb insoweit auf das im Zeitpunkt des Ausscheidens geltende Recht nicht mehr an, vermag der Senat nicht zu teilen; Nachversicherungen, die nach § 1 Abs. 6 AVG aF oder nach SVA Nr. 14 Nr. 2 Buchst. b oder c wegen unehrenhaften oder freiwilligen Ausscheidens aus der versicherungsfreien Beschäftigung unterblieben sind, sind vielmehr nur in dem Umfange durchzuführen, in dem eine Verpflichtung hierzu - ohne die besonderen Hinderungsgründe - zur Zeit des Ausscheidens bestanden haben würden. Diese Auslegung entspricht dem Sinn und Zweck des Art. 2 § 4 Abs. 2 AnVNG. Das neue Recht beseitigt lediglich die früheren Beschränkungen, wonach die Nachversicherung bei freiwilligem oder unehrenhaftem Ausscheiden ausgeschlossen war. Diese beiden Umstände sollen auch für die Vergangenheit die Nachversicherung nicht mehr hindern. Nur insoweit erstreckt Art. 2 § 4 Abs. 2 AnVNG die Anwendbarkeit des § 9 AVG auf Fälle, in denen der Zeitpunkt des Ausscheidens aus der versicherungsfreien Beschäftigung vor dem Inkrafttreten des AnVNG liegt. Damit erschöpft sich aber auch die Bedeutung dieser Vorschrift; sie ermöglicht wohl die "Nachholung" der Nachversicherung der (von der SVA Nr. 14 Nr. 2 Buchst. b und c) Betroffenen, nicht aber die Beurteilung der Nachversicherungspflicht - "der vorher Ausgeschiedenen" - nach neuem Recht; es bleibt vielmehr insoweit bei dem Grundsatz, daß für die Beurteilung einer Nachversicherungspflicht das Recht zur Zeit des Ausscheidens maßgebend ist (vgl. auch BSG 11, 278, 284). Für eine in diesem Sinne eingeschränkte Anwendung des § 9 AVG spricht auch der Wortlaut des Art. 2 § 4 Abs. 2 AnVNG; hätte der Gesetzgeber von diesem Grundsatz abweichen wollen, so hätte er dies in der Vorschrift des Art. 2 § 4 Abs. 2 AnVNG eindeutig bestimmt und nicht nur von der " wegen unehrenhaften oder freiwilligen Ausscheidens" unterbliebenen Nachversicherung gesprochen. Dafür, daß Art. 2 § 4 Abs. 2 AnVNG durch die Verweisung auf § 9 AVG die Anwendbarkeit vom § 9 Abs. 2 AVG nicht mitumfaßt, spricht ferner, daß Art. 2 § 4 Abs. 1 Satz 2 AnVNG für die Fälle des Art. 2 § 4 Abs. 1 AnVNG die Regelung von § 9 Abs. 2 AVG ausdrücklich wiederholt, während eine entsprechende Wiederholung in Art. 2 § 4 Abs. 2 fehlt. Im übrigen würde eine unbeschränkte Anwendung des § 9 AVG aber auch nicht dem Sinngehalt des Art. 2 § 4 Abs. 2 AnVNG entsprechen; sie würde insofern ungerechtfertigte Ungleichheiten schaffen, als Personen, deren Nachversicherung nach der SVA Nr. 14 unterblieben ist, dann sogar besser gestellt wären als Personen, deren Nachversicherung keine Hinderungsgründe entgegengestanden haben, also die "ehrenhaft" oder "unfreiwillig" Ausgeschiedenen; denn diese Personen sind auch nur insoweit nachversichert worden, als das Recht zur Zeit ihres Ausscheidens eine Nachversicherung vorsah; diese Personen können nicht in den Genuß der günstigeren Auswirkungen des neuen Rechts kommen."

Der dort vertretenen Auffassung schließt sich der erkennende Senat für das Gebiet der Rentenversicherung der Arbeiter - in Anwendung des Art. 2 § 3 Abs. 2 ArVNG iVm § 1232 RVO - nach eigener Prüfung an. Daraus folgt, daß eine Verpflichtung der Klägerin, den Beigeladenen für die Zeit nachzuversichern, in der er als Postjungbote tätig war, nicht besteht.

Unter diesen Umständen bedarf es keiner Entscheidung darüber, ob der in BSG 16, 30 vertretenen Auffassung gefolgt werden kann. Dort ist ausgeführt, nach § 1232 Abs. 2 RVO seien nur solche Zeiten nachzuversichern, in denen der Vorbereitungsdienst für den Beamtenberuf als Beamter abgeleistet wurde. Der Senat hält es für zweifelhaft, ob Wortlaut und Sinn des Gesetzes eine solche einschränkende Auslegung rechtfertigen.

Dies kann jedoch offen bleiben, die Revision der Beklagten muß bereits aus den dargelegten Gründen zurückgewiesen werden. Die Kostenentscheidung folgt aus § 193 SGG.

 

Fundstellen

Dokument-Index HI1647683

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